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Kennzeichnung für gute TierhaltungVerwaschene Bestnote

Auch konventionelle Tierhaltung soll die Kennzeichnung für die besten Ställe erreichen können. Dazu rät eine Kommission des Agrar­ministeriums.

Dem Kalb ist es egal, ob sein Futter gesund ist, es will raus an die frische Luft Foto: Oliver Berg/dpa

Berlin taz | Eine vom Bundesagrarministerium eingesetzte Expertenkommission hat sich gegen eine eigene Biostufe in der geplanten, staatlichen Tierhaltungskennzeichnung ausgesprochen. Die Kommission unter Leitung des ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert empfiehlt in ihrer Stellungnahme, die höchste Haltungsstufe „sowohl für ökologische wie auch für konventionelle Betriebe zugängig zu machen“.

Damit stellen sich alle Kommissionsmitglieder aus Behörden, Wissenschaft, Praxis, Branchenverbänden und Umweltorganisationen bis auf den Vertreter des Bioverbands Naturland gegen eine Forderung der Ökobranche. Sie hatte verlangt, dass die höchste Stufe Biobetrieben vorbehalten sein muss.

Die Empfehlungen der Kommission könnten die Position von Bun­des­agrarminister Cem Özdemir (Grüne) beeinflussen, der an einem Gesetzentwurf für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung arbeitet. Diese soll laut dem Ampel-Koalitionsvertrag den VerbraucherInnen zeigen, unter welchen Bedingungen die Tiere lebten sowie transportiert und geschlachtet wurden.

Ende März machte das Agrarministerium Branchenverbänden den Vorschlag nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung. Er sah 4 Stufen vor: 0 = Bio, 1 = Auslauf, 2 = Außenklima und 3 = Stall. Transport und Schlachtung sollten doch nicht berücksichtigt werden. Das war ganz im Sinne der Bioverbände, die traditionell eng mit den Grünen verbandelt sind. Denn nach dem Entwurf hat Öko automatisch die beste Stufe – und zwar exklusiv. Biotiere werden meist auch nicht besser als konventionelles Vieh transportiert und getötet. Deshalb haben BiolandwirtInnen kein besonderes Interesse daran, dass diese Punkte für die Kennzeichnung relevant werden.

Wieviel gesünder ist bio?

Für diese Bevorzugung von Bio gebe es aber „keine fachliche Begründung“, konterte Agrarprofessor und Kommissionsmitglied Harald Grethe im Branchendienst Agra Europe. Auch Albert Sundrum, Leiter des Fachgebiets Tierernährung und Tiergesundheit an der Uni Kassel, betont immer wieder, dass Biotiere nicht grundsätzlich gesünder seien. Manche konventionellen Bauern haben sogar tierfreundlichere Ställe als viele Biobetriebe. Das Neuland-Siegel etwa verbietet perforierte Böden komplett, Ökovorschriften erlauben sie auf 50 Prozent der Fläche. Dass Biobauern auf chemisch-synthetische Pestizide bei der Futterproduktion verzichten, wirkt sich nicht aufs Befinden der Tiere aus.

Die Kommission argumentiert außerdem, dass Bio schon heute durch die verbindliche EU-Kennzeichnung und das deutsche Biosiegel sichtbar werde. „Eine auch für konventionelle Betriebe zugängige Premiumstufe ist vor allem wichtig, um möglichst viele Betriebe für eine Umstellung auf ein hohes Tierwohlniveau zu gewinnen und die entsprechenden Anreize nicht auf ökologisch wirtschaftende Betriebe zu begrenzen“, so die ExpertInnen weiter.

Die vom Ministerium vorgeschlagene Nummerierung von 0 bis 3 würde die VerbraucherInnen verwirren, heißt es in der Empfehlung. Die Supermarktketten hätten bereits ihre Kennzeichnung von 1 (Stallhaltung) bis 4 (Premium) etabliert. Sie würde wohl noch längere Zeit neben dem staatlichen System existieren, weil dieses vorerst nur für die Schweinemast kommen soll. Die Kommission rät deshalb, „entweder die privatwirtschaftliche Ziffernreihenfolge von 1 bis 4 aufzugreifen oder ganz auf die Ausweisung einer numerischen oder alphanumerischen Ordnung zu verzichten“.

Etabliertes aufgreifen

Eine Stufe könnte zum Beispiel „Stall plus“ heißen. Die gibt es schon in der Kennzeichnung des Handels. Sie sieht mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial für die Tiere vor, als das Gesetz verlangt. Im System nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung wären solche „Stall plus“-Anlagen auf der schlechtesten Stufe („Stall“), weil sie weder Zugang zum Außenklima noch einen Auslauf bieten. Die Kommission warnt, dass dann die jetzigen „Stall plus“-Bauern wieder auf den gesetzlichen Mindeststandard umstellen, denn Außenklima und Auslauf sind für viele zu teuer. Immerhin würden schon fast die Hälfte der Mastschweine nach den Stall-plus-Kriterien gehalten.

Die Biobranche lehnte den Vorstoß jedoch ab: „Die jüngste Empfehlung der Borchert-Kommission läuft darauf hinaus, dass nicht nur beim gesetzlichen Mindeststandard, sondern auch bei der nächsten Stufe den Schweinen weiterhin die Schwänze abgeschnitten werden müssten, weil der Stall zu klein ist“, kritisierte Tina Andres, Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).

Die KundInnen müssten Biofleisch durch „eine Kennzeichnung – wie beim Ei – klar unterscheiden können von anderen Qualitäten“. Der Umweltbeitrag der Ökolandwirtschaft trage zum Tierschutz bei: „Auch Wildtiere wie Feldhase, Biene oder Rebhuhn bekommen mit Ökolandwirtschaft gesunde Lebensräume. Denn Bio kommt ohne chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger aus.“

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14 Kommentare

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  • Um daran zu erinnern, um welche Ausmaße es geht, wie groß das Tierleid und die Zahl der tierlichen Individuen ist, die in Deutschland geschlachtet werden:



    Es sind 759 Millionen Tiere!! Wobei Kaninchen, Wirbellosen und Wassertieren nicht in dieser Zahl enthalten sind.[1] Da kommt also noch bspw. eine sehr große Zahl an Fischen dazu.



    albert-schweitzer-...chlachtzahlen-2020

  • Die Forderung keine Extrawurst für Bio zu braten, ist doch laut Artikel gerade keine "Verwaschung der Bestnote". Für ein Tierhaltungslabel sollten auch nur Tierhaltungsaspekte eine Rolle spielen und nicht welcher Dünger oder welche Pestizide beim Futteranbau verwendet werden.

  • Wir kaufen unser Fleisch direkt beim Erzeuger, wo man die Tiere artgerecht von April-November auf der Weide hält, die Kälber nicht von der Mutter trennt und eine lokale Schlachtung hat.

    Man kann das jederzeit vor Ort anschauen, muss man sogar, weil es keine Auslieferung gibt und man sich an den Schlachttagen das Fleisch abholt.

    Die Weiden und die im Winter hinzugekaufte Grassilage sind nicht biozertifiziert, das ist der einzige Unterschied.

    Nur als kleines Beispiel dafür, dass die Kommission in dem Fall richtig liegt.

  • Dürfen Kühe ihre Hörner nicht behalten und mindestens die Hälfte des Jahres auf eine gescheite Wiese, ist das sowieso nur Tierquälerei.

    Und mit Gefängnis bestraft werden.

    Und selbstverständlich wollen auch Schweine eine Wiese und Auslauf haben.

    Die für Tierquälerei Verantwortlichen schaffen sich ein Karma, dass ihnen eine Zukunft sichert, die an Edvard Munchs "Der Schrei" erinnert.

    Nicht intelligent was diese Leute da machen.

    • @shantivanille:

      Dann muss aber auch jeder der in der Stadt Hunde, Katzen, Vögel, Fische, Reptilien hält eingesperrt werden, weil davon ist auch NICHTS Artgerecht !!

    • @shantivanille:

      Ich frag mich auch immer wie Eltern ihre Kinder in einer Stadt halten können. Vielleicht sollte man Fernseher in die Schweineställe stellen. Dann haben die mindestens so git wie die Menschen.

  • Und einmal mehr landet ein Verbrauchersiegel auf dem Friedhof der Kuscheltiere ...

    ... dahingerafft von Verwässerung,

    ... kaputtlobbyiiert von denen, die den Verbrauchern fortlaufend Sand in die Augen streuen.

    R.I.P.

  • Damit man mal eine Ahnung davon bekommt, was das alles bedeutet anhand der im Lebensmittelhandel üblichen Einstufung:

    "So könnte man beispielsweise denken, dass 100 Prozent mehr Platz für die Tiere in der höchsten Haltungsstufe 4 eine große Verbesserung ist. Doch man muss bedenken, dass ein 100 Kilo schweres Schwein auch in dieser Haltungsstufe lediglich 1,5 m2 Platz zur Verfügung hat (statt 0,75 m2). "

    www.peta.de/neuigk...altungsform-label/

    Für das Elend der Kreatur hat es keine große Bedeutung, es geht wohl um das Gewissen derer, die das Fleisch des im Schlachthof grausam getöteten Tieres essen.

    • @Jim Hawkins:

      Ja, diese "Verbesserungen" sind wirklich lächerlich, ein Hohn für die Tiere. Aber wie Sie bereits schreiben, es geht um Kapitalinteressen, nicht um die Tiere. Würde mensch Schweine und deren Wesen respektieren, würde mensch sie frei lassen. Und Tierausbeuter*innen würden sich beschämt einen neuen Job suchen bzw. auf biovegane Nahrungsmittelproduktion umstellen.

    • @Jim Hawkins:

      "1 = Auslauf"

      Ich verstehe Sie nicht so ganz. Verstehen Sie unter 0,75 qm mehr aAuslauf"?

      • @Rudolf Fissner:

        Das meint sie Klassifizierung des Handels. Ist aber alles Banane, 98 % der Fleischproduktion stammt aus Massentierhaltung.

        Und das ist nichts, bei welcher Form auch immer etwas, dass man den geliebten Bello oder der geliebten Mieze zumuten würde.

        Und das ist eben die Schizophrenie des Fleischkonsums.

        • @Jim Hawkins:

          Sie meinen also, es macht keinen Unterschied ob die Massentierhaltung mit Stufe größer 1 (Auslauf) oder ohne jede Stufe "0,75qm"erfolgt?

          • @Rudolf Fissner:

            Keinen großen und vor allem das Ende der Geschichte ist auch Teil des Skandals.

            Sie finden ohne Probleme Videos aus Schlachthäusern, in denen die Tiere, aus welcher Haltung auch immer, auf eine Art getötet werden, die man keinem Lebewesen wünscht.

            Es ist eben kapitalistische Warenproduktion, die keine Empathie für lebende Ware aufbringen kann.

  • 2G
    27814 (Profil gelöscht)

    Die Bio-Lobby versucht natürlich die Behauptung der generell besseren Haltung aufrecht zu erhalten, aber das Neuland-Beispiel zeigt ja ziemlich eindrücklich, dass es irreführend wäre Bio besser einzustufen, wenn die Behandlung der Tiere vergleichbar ist. Die Tiere stört es nicht kein Biofutter zu bekommen.

    Das Argument des Artenschutzes ist auch nur halb gedacht, wenn man niedrigere Produktivität der Bio-Betriebe berücksichtigt. Dadurch ist die Frage komplex.

    Ich halte es deswegen auch für sinnvoll Tierwohl- und Biokennzeichnung zu trennen.