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Szene der „Querdenker“Booster für Rechtsextreme

Matthias Meisner
Kommentar von Matthias Meisner

Die Coronaproteste sind erst der Anfang eines von Rechten orchestrierten „Widerstands“. Dennoch wird die Gefahr von Politik und Medien verharmlost.

Draußen ein Kostüm aus Masken, im Bundestag die Diskussion zur Impfpflicht. Berlin am 16. März Foto: Florian Boillot

T riggerwarnung: Dieser Text wird „Querdenker:innen“ verstören. Er soll es auch, gerade in diesen Tagen, in denen ein Hebel umgelegt werden soll. Die Maskenpflicht weitgehend aufgehoben, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, wenigstens ab 60, gescheitert – und nun sollen auch die Coronaproteste neu bewertet werden.

Sind sie nun doch ein berechtigter „Freiheitskampf“ von „Maßnahmen-Kritiker:innen“ und „Impfskeptiker:innen“ seit 2020 im Netz und auf der Straße? Sind es doch bloß „friedliche Spaziergänge“ und vielerorts gar nicht von Neonazis angezettelte gewalttätige Proteste? Ist die während der Pandemie von So­zio­lo­g:in­nen beobachtete Radikalisierung auch bürgerlicher Milieus eine Desinformation aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm?

Um die Frage zu beantworten, lohnt ein Rückblick in die Wochen, als alles anfing. Im April 2020 sagte Jörg Schönenborn als Moderator im ARD-„Presseclub“: „Ich habe gestern in der ‚Tagesschau‘ Bilder gesehen von Demonstranten in Berlin, die abgeschleppt wurden, weil sie gegen die Coronabeschränkungen demonstrieren. Da läuft’s mir schon ein bisschen kalt den Rücken runter.“

Die Tagesschau hatte über eine „Hygiene-Demo“ vor der Berliner Volksbühne berichtet – ohne einzuordnen, wer sich dort tummelte: nämlich Rechte, Querfront-Aktivist:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, Impfgegner:innen. Im Interview kam ein Demonstrant zu Wort, der sich über „den ganzen Aufruhr“ rund um die Coronakrise beklagte. So sollte sich die Legende entwickeln, laut der eine neue Bürgerbewegung am Entstehen ist, die sich gegen staatliche Willkür berechtigt zur Wehr setzt.

Die Aggressivität wächst

Zum Glück gab es zunächst einen weitgehenden Konsens: Coronaproteste sind nicht ohne. Wenn Leute in den Fußgängerzonen der Innenstädte ohne Maske „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandieren, sind sie egoistisch und verweigern sich der gesellschaftlichen Solidarität. Corona könnte „Einstiegsdroge“ werden, damit „normale bürgerliche Menschen“ in einen Widerstandsmodus versetzt werden, warnte 2020 der CDU-Politiker Sven-Georg Adenauer, Landrat des Kreises Gütersloh und Enkel des ersten deutschen Bundeskanzlers: „Das Thema hat Potenzial, der Nährboden ist bereitet.“

Die De­mons­tran­t*in­nen tragen gern das Grundgesetz vor sich her. Aber sie gerierten sich, als würden sie darauf spucken

Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen wurden und werden bedroht, Wissenschaftler:innen, Medienleute. Die Aggressivität wächst. 2021, nach dem tödlichen Schuss eines „Maßnahmenkritikers“ auf einen Tankstellenkassierer in Idar-Oberstein, sagte Burkhard Jung (SPD), Leipziger Oberbürgermeister und damals Präsident des Deutschen Städtetags, er erlebe eine „Verrohung, wie wir sie bisher nicht kannten“. Was 2015 mit der Flüchtlingsdebatte begann, habe sich „in der Pandemie fortgesetzt, von den Reichsbürgern bis zu den Coronaleugnern“.

Letztere hatten zwar bei den Demonstrationen oft das Grundgesetz unterm Arm, im übertragenen Sinn. Aber sie gerierten sich, als würden sie darauf spucken. Von einer „Corona-Diktatur“ wurde schwadroniert. Protestierende erklären die Maske zum „Maulkorb“, das „Regime“ sei „totalitär“. Sogar von einem „Staatsstreich“ war im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie schon die Rede. Kein Vergleich ist zu absurd, zu maßlos.

In Ostdeutschland erklären „Querdenker:innen“ ihre Proteste zur „Revolution 2.0“, die „Spaziergänge“ sollten in einer würdigen Nachfolge der Montagsdemonstrationen 1989 stehen. In ganz Deutschland wird Antisemitismus zum ideologischen Kitt der Proteste. Die gelben Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ kommen über einen Neonazi-Versandhandel aus Halle an der Saale zu den Protestierenden.

Konjunkturprogramm für Rechte

All das ist nicht Geschichte. Bloß dass ausgerechnet jene Menschen, die die angeblich fehlende Meinungsfreiheit anprangern und Deutschland mit Nordkorea vergleichen, nun weitere Themen suchen, um ihre Widerstandsromantik zu pflegen: beispielsweise, indem sie sich zu Propagandamarionetten von Putin machen und behaupten, der Angriff auf die Ukraine sei „aus Notwehr“ erfolgt.

So etwas war zuletzt immer wieder bei Coronaprotesten zu hören, während russische Fahnen geschwenkt wurden. Wie in den USA dürften verstärkt auch hierzulande Zweifel am menschengemachten Klimawandel laut werden. Es wird geleugnet, wo immer es geht. Und zugleich das „Lügenpresse“-Narrativ gepflegt.

In Stuttgart meldete sich vor ein paar Monaten bei einer Veranstaltung zum Thema Coronaproteste eine Frau zu Wort: „Ich bin Anthroposophin. Meine Tochter ist bei der Antifa.“ Das mag es geben. Aber die Frau relativiert so, dass Rechtsradikale in der Coronakrise die gesellschaftliche Stimmung gedreht haben.

Die als „Spaziergänge“ verharmlosten Demonstrationen sind zum Konjunkturprogramm für die extreme Rechte geworden. Zugespitzt: Viele „Querdenker:innen“ behaupten, die Demokratie sei bedroht, während von ihnen selbst eine Bedrohung der Demokratie ausgeht. Das wird kaum ernst genommen. Verharmlosung ist wieder in Mode. Medien warnen vor einer „pauschalen Stigmatisierung“ von Protestierenden.

Weite Teile der Politik nehmen solche Erzählungen auf. Sie gehen der Konfrontation mit einem heterogenen Milieu aus dem Weg, das den Abstand zu Nazis nicht einhält. Könnte ja bei Wahlen schaden. Ein Grünen-Bundestagsabgeordneter fand, die #allesdichtmachen-Schauspieler:innen hätten „einen Nerv getroffen“.

Immer wieder wird die Szene bedient: von der FDP, der AfD, von Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht. Selbst die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte, „nur eine ganz kleine Minderheit“ bei den Coronaprotesten sei „radikal unterwegs“. Was angezeigt wäre: ein gesellschaftlicher Klimawandel, wie ihn der Präsident des Zentralrats der Juden als Resultat der Coronakrise angeregt hat. Doch die Forderung von Josef Schuster ist verhallt.

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Matthias Meisner
Freier Journalist und Autor
Matthias Meisner schreibt über Menschenrechte, Geflüchtete, Rechtsextremismus. Und mehr. 2023 erschien von ihm im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt - wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“.
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11 Kommentare

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  • "Triggerwarnung: Dieser Text wird „Querdenker:innen“ verstören.*

    Wie sollte er denn? Dazu müssten sie ihn 1. lesen, und zwat vollständig, und 2. etwas erwarten, was sie nicht verstören würde. Wieso sollte das der Fall sein? Was ist das für eine Erwartung, dass taz.de von "QuerdenkerInnen", die beim Lesen nicht verstört, also dann logischerweise bestätigt werden wollen, gelesen wird? Wäre ein Text des von Tagesspiegel und taz bekannten Autors für "QuerdenkerInnen" nicht eher dann wirklich verstörend, wenn er sich auf ihre Seite schlagen würde?

  • Es ist eines der vielen Probleme des Herrn Scholz: Die Versagensängste dieses Kanzlers sind angesichts der stärker werdenden rechten Szene voll berechtigt in seiner Einsamkeit in Bezug auf die Wahrnehmung seiner Verantwortung und dem grottenschlechten Widerhall gegenüber fast allen Vorhaben der Sozialdemokraten in den Öffentlichkeit. Funktionäre, die um ihren privaten Ruf und um ein Vorwärtskommen in der Konkurrent auch innerhalb ihrer Partei, die Genossen also, sind in diesen so krisenhaften Zeiten völlig deplatziert, zumal sie sich ja auch vor Allem im Schaulaufen mit anderen Gruppen befinden und da sind an allererster Stelle die Grünen zu nennen, die ihnen an vielen Stellen den Schneid abkaufen, weil deren Themen noch etwas näher an tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen, wie das Klima, die Geschlechterparität und neu die Angst vor Putin und Despoten dran sind. Auch die Vernachlässigung der sozialen Situation vieler Mitmenschen, die sich in einem Erstarker von rechten und queren Bewegungen bemerkbar machen, nagen am Kern einer früheren Arbeiterpartei. In einer solchen Situation ist der Blick von einem Kopf im Sand halt sehr eingeschränkt, da wirkt man besonders leicht eher kopflos. Grottig das Ganze !

  • Die Hetze ist langfristig angelegt: unlängst hörte ich drei Verschwörungstheorien in einem Gespräch. 1. Corona ist inszeniert für Big Pharma, 2. Wer in Buschta massakriert hat, ist absolut ungeklärt, 3. Mit dem neuen Lastenausgleichsgesetz werden Immobilienbesitzer ab 2024 zwangsenteignet. Man könne sich kostenpflichtig beraten lassen und das umgehen.

  • Dieser Artikel verstört Menschen wie mich, weil die rechten Spinner und Covidioten am Ende gewonnen haben:

    Bei Inzidenzen im hohen dreistelligen Bereich lockern wir so wie wenn die Inzidenz 0 wäre; vor zwei Jahren haben wir uns bei 50 in die Hosen gemacht. Die Politik hat keinen Bock mehr, sogar Lauterbach plädiert erst für eine Lockerung und dann wieder gegen eine. Ich-habe-es-euch-ja-gesagt-Menschen, die jetzt bereits vor noch tödlicheren Varianten warnen aufgrund unserer Nachlässigkeit werden heute schon von Querdenker-Gegnern ausgelacht.

    All das ist Wasser auf den Mühlen der Querdenker. Und es ist schade, dass diese nun mehr und mehr auf ihre Mühlen bekommen werden.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Dass das so kommen wird (nach und nach weniger Probleme durch zunehmende Impfungen/Immunität trotz höherer), war realistisch betrachtet von Anfang an klar und ist der logische Endpunkt der Pandemie. Dazu gab es unter Virologen/Epidemiologen auch zu keinem Zeitpunkt eine andere vorherrschende meinung, außer ab und an in Einzelfällen.

      Deswegen war unser Kurs mit an vielen Stellen länger als nötig aufrecht erhaltenen nichtmedizinischen Maßnahmen auch der langfristig gesellschaftlich gefährlichere, da er mehr Menschen und diese stärker aufgestachelt hat. Die fühlen sich irgendwann logischerweise im Recht, weil die Art in der die Pandemie endet, bekannt war; nämlich mit der endemischen Situation, in der eine breite Immunität in der Bevölkerung vorhanden ist und Infektionswellen daher normal zyklisch ablaufen, ohne noch eine große Gefahr darzustellen.

      Sollte der Omikron-Strang vorherrschend bleiben, haben wir diesen Punkt wohl bereits erreicht. Dass es so schnell gehen würde, konnte man im Herbst natürlich noch nicht wirklich absehen und ob weiterhin hauptsächlich Omikron-Varianten kursieren, wissen wir auch noch nicht.

      Gerade hier in der taz-Kommentarspalte laufen leider noch viele komplett an der neuen Realität vorbei.

  • Dem kann ich nur zustimmen. Darüber hinaus ist es zutiefst verstörend, wie sich dieses Gedankengut innerhalb Europas, aber auch der restlichen Welt verbreitet.

    War Nordkorea bis vor einiger zeit noch der menschenverachtende, diktatorische Staat, den man als Beispiel für Antidemokratie herzeigen konnte, so haben mittlerweile andere Protagonisten das Feld bereitet:

    - Russland



    - Ungarn



    - Türkei



    - China



    - Myanmar



    und einige andere...

    Ich reise demnächst zu meiner Familie in die USA. Innerhalb der Family herrscht zwar auch Religiosität, aber noch in normalem Maße.



    Wirft man den Blick aber nur ein paar Häuserblocks weiter, wirds einem Angst und Bange....



    Kleine Anekdote:



    Bei meinem letzten Besuch 2017 zeigte mir ein Neffe ein US-Schulbuch von 2012: Dort war allen Ernstes noch die DDR eingezeichnet und dies wurde im Unterricht auch noch so gelehrt.



    Auf seinen Einwand hin, die Karten seien ja veraltet, hiess es nur: "Muss ja stimmen, schließlich hat es der Verlag freigegeben!"

    Oder um es mit einem ehemaligen Kumpel zu sagen: "Vorsicht! Es laufen mehr bekloppte rum, als ihr denkt!"

  • Nicht jeder Feind kommt von rechts.



    In der Querdenker-Scene kommen die Extremen leider von allen Seiten.



    Richtig ist, dass viele Rechtsextreme auf den Querdenker-Zug aufgesprungen sind, um dort ihr wirres Gedankengut zu propagieren.

    • @Rudi Hamm:

      Das liegt einfach auch daran, dass Extreme es eher gewohnt sind, auf Demos mitzulaufen.

      Der übergroße Teil der mit der Corona-Politik Unzufriedenen ist nie auf irgendeiner Demo gewesen, sei es, weil sich die allermeisten eben nicht mit Rechten gemein machen wollten oder davon ausgingen, dass aus dem Grund, dass Rechte mitlaufen würden, die Kritik eh abgebügelt wird oder weil man auch einfach erstmal die Zeit dafür haben muss.

    • @Rudi Hamm:

      Wer bei den Coronatruthern mitläuft und früher Mal links war, hat ab dem Zeitpunkt seine linke Biografie verlassen.



      Hat so sinngemäß der taz Autor Andreas Speit gesagt und der Analyse ist zuzustimmen.

      Mal ganz davon abgesehen, dass das Gerede von den Extremen von allen Seiten für ne fundierte Analyse untauglich ist.

  • "Selbst die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte, „nur eine ganz kleine Minderheit“ bei den Coronaprotesten sei „radikal unterwegs“."

    Und wie sehen die korrekten Zahlen aus? Es kann doch nicht sein, dass ein vielleicht richtige Aussage schon falsch ist. Welche quantitativen Untersuchungen gibt es da, die behaupten, dass es eine Mehrheit ist?

    Und waren es nur Rechte, die die Stimmung gedreht haben? In den frühen Berichten in der taz war auch von Linken und "Hippies " die Rede, die an den Protesten teilnahmen. Auch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das. Hat man vielleicht von Anfang an ignorieren wollen dass es nicht allein Rechte waren, die in Opposition zu den Coronamaßnahmen standen

    • @Rudolf Fissner:

      In Zeiten, wo ein Schamane den Capitol Storm anführt und Spiritualität international und im Netz als Einstiegsdroge in Verschwörungserzählungen missbraucht wird, sind viele Hippies nicht wirklich links. Da haben ein paar einfach die Globalisierung/white privilege/genderthemen verschlafen und sind mit maximalfreiheits Forderungen für Weiße Mittel- und Oberschichtler auf kosten anderer selbst im vergleich zu liberalen Partein iwie eher rückwärtsgewandt/konservativ. Links ist immer auch progressiv für mich.