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EU und die Parlamentswahl in UngarnEisiges Schweigen

Statt Premier Orbán zum Sieg zu gratulieren, will Brüssel Ungarn jetzt doch die Mittel kappen. Dafür soll der Rechtsstaatsmechanismus genutzt werden.

Viktor Orbán nach der Stimmabgabe in Budapest Foto: Petr David Josek/ap

Brüssel taz | Der Wahlsieg von Viktor Orbán ist in Brüssel mit eisigem Schweigen quittiert worden. Weder EU-Ratspräsident Charles Michel noch Kommissionschefin Ursula von der Leyen wollten dem Wahlsieger gratulieren. Im Europaparlament spendeten nur die AfD und andere Rechtsnationalisten Beifall. Ansonsten hagelte es Kritik – auch an der EU.

Orbán habe „seine Macht so umfassend wie noch nie missbraucht“, schrieb die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), auf Twitter. Nur auf diese Weise habe er gegen die Opposition gewinnen können. Die EU-Kommission trage eine Mitschuld, da sie es versäumt habe, gegen Rechtsstaatsverstöße in Ungarn vorzugehen.

Ähnlich äußerten sich die Europaabgeordneten Daniel Freund (Grüne) und Moritz Körner (FDP). Die Brüsseler Behörde habe es „über Jahre“ nicht geschafft, „gegen einen Autokraten in den eigenen Reihen vorzugehen“, so Freund. Die „Beschwichtigungspolitik“ von Kommissionschefin von der Leyen sei gescheitert, meint Körner.

Die CDU-Politikerin war mit den Stimmen Orbáns zur Kommissionschefin gewählt worden – und hat seitdem auffällig viel Geduld mit dem Rechtspopulisten bewiesen. So vermied sie es, den Anfang 2021 neu eingeführten Rechtsstaatsmechanismus zu nutzen, der die Kürzung von EU-Geldern erlaubt, wenn europäische Grundwerte verletzt werden.

Lange Zeit untätig

Das Europaparlament war darüber so empört, dass es vor dem höchsten EU-Gericht eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission einreichte. Doch auch danach tat sich lange Zeit gar nichts. Erst im Februar kündigte die Brüsseler Behörde an, dass sie den Rechtsstaatsmechanismus scharf stellen wolle. Orbán bekam jedoch weiter sein Geld.

Doch das könnte sich nun ändern. Noch in dieser Woche wolle die EU-Kommission gegen Ungarn vorgehen, heißt es in Brüsseler EU-Kreisen. Haushaltskommissar Johannes Hahn bereite bereits die nötigen Schritte vor, auch von der Leyen wolle nicht länger bremsen. Es wäre das erste Mal, dass der Rechtsstaatsmechanismus zur Anwendung käme.

Ungarn könnte sogar allein an den Pranger gestellt werden – und nicht zusammen mit Polen, wie bisher geplant. Zwar hat Brüssel auch gegen Warschau genug Material gesammelt, das Verstöße gegen den Rechtsstaat belegen soll. Doch im Ukrainekrieg ist eine neue Lage entstanden. Orbán hat sich mit Polen verkracht – und steht plötzlich allein da.

Bereits am Dienstag oder Mittwoch soll die Entscheidung zum Mittelentzug fallen. An der Niederlage der EU in Ungarn würde sie allerdings nichts mehr ändern. Jahrelang hat Orbán gegen „Brüssel“ und die „EU-Eliten“ Stimmung gemacht, immer wieder hat er außenpolitische Entscheidungen mit seinem Veto im Ministerrat blockiert.

Zuletzt hatte er sogar den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zu seinem Gegner erklärt. „Es ist davon auszugehen, dass Orbán die Putinisierung Ungarns nun für vier weitere Jahre fortsetzen wird“, fürchtet der FDP-Politiker Körner. Kremlchef Wladimir Putin hatte Orbán prompt zu seinem Wahlsieg gratuliert. Auch das könnte das eisige Schweigen in Brüssel erklären.

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10 Kommentare

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    Die Moderation

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Das eisige Schweigen kann nicht eisig genug sein. Orban ist was längeres - Ukraine ist momentan dringender und wichtiger.

    Von der Leyen und Borrell reisen diese Woche nach Kiew

    EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen plant, noch in dieser Woche zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kiew zu reisen. Sie werde vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell begleitet, teilte ihr Sprecher Eric Mamer auf Twitter mit.

    Das Treffen werde vor der für Samstag in Warschau geplanten Geberkonferenz stattfinden, bei der Geld für die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen des Ukraine-Kriegs gesammelt werden soll. Den genauen Tag wollte von der Leyens Büro auf Nachfrage nicht nennen.

  • Orban ist ein gewiefter Machtpolitiker. Um an die EU-Gelder zu kommen, wird er jetzt wieder demokratische Kreide fressen - wie sein Kumpel in Waschau. Der Wahlkampf ist nicht nur vorbei, sein Sieg und der Einzug der Rechtsradikalen ins Parlament zeigen, dass chauvinistische Politik in Ungarn mehrheitsfähig ist. Ungarn hat in den letzten Jahren einen massiven Rückgang der jüngeren Bevölkerung - bis 2014 alleine 600 000 Menschen. Das wird weiter zunehmen und das Land vergreist. Diese Entwicklung dürfte Orban zu schaffen machen, leider nicht das Demokratie-Defizit.

  • Machen wir uns nix vor: die Zersetzung des Staates von Orban, Kaczyński, Trump, Erdogan gleicht 1:1 dem Vorgehen von Putin.



    Der eine kommt schneller voran als der andere, die Ziele sind identisch. Antidemokraten sind sie alle.

    Genau wie die Russen schneidet Orban systematisch seine Bevölkerung von freier Information ab. Freie Wahlen gibt es nicht, die Opposition wird noch nicht inhaftiert - das ist aber auch das einzige.

    Da muss man sicher nicht Beifall klatschen und ganz sicher nicht gratulieren.

    Eher sollten wir uns die Putinfrage stellen: warum zur Hölle finanzieren wir diese Autokraten, diese Diktaturen noch?

  • Demokratie als Farce. Aber ich warne davor, Ungarn zu bestrafen, weil das in gewisser Weise das Ganze für alle Ungarn nur schlimmer macht. Die EU ist auf so einen Politiker weder eingestellt, noch kann sie damit umgehen. Ungarn ist wirklich politisch auf Orba getrimmt worden. Es endet - sollte nix passieren - dann mit einer Revolution oder dem Tod von Orban. Damit verliert dieses Land Jahrzehnte an Entwicklung ...

    • @Andreas_2020:

      "Aber ich warne davor, Ungarn zu bestrafen, weil das in gewisser Weise das Ganze für alle Ungarn nur schlimmer macht. "

      Stimmt, diese Art der Politik war in der Vergangenheit sehr erfolgreich... bei Putin z.B.

      Wie wäre es mal mit aus den eigenen Fehlern lernen?

  • Immer und unermüdlich öffentlich darauf hinweisen, dass Orbán ein Freund Putins und damit ein Verräter Europas ist.

    Übrigens: wie steht eigentlich die polnische Regierung zu Orbán? Wird da mal kritisch nachgehakt?

  • Ist halt ziemlich stumpf nach der nicht genehmen Wahlentscheidung die Mittel zu kappen. Was macht denn Orban nach der Wahl anders als davor?

    • @FancyBeard:

      Es ist ein Signal an die Fidesz-Wähler. Seht her, ihr hattet eure Chance, aber ihr wolltet euch ja unbedingt falsch entscheiden. Hier sind die Konsequenzen.

      • @Suryo:

        So ist das aber schon immer: wenn irgendwo ein bei einer freien Wahl Gewählter nicht so regiert, wie es die restlichen Demokraten erwarten, wird mit Sanktionen gedroht.

        So funktioniert Demokratie aber nicht.