piwik no script img

UN-GeneralversammlungUnterschiedliche Motivlagen

Afrika, Asien, Lateinamerika haben eigene Interessen gegenüber Russland. Dennoch stimmen die meisten Länder der Verurteilung des Krieges zu.

11. Sondersitzung der 193 Mitglieder zählenden Generalversammlung der Vereinten Nationen Foto: Eduardo Munoz/imago

Kampala/Mumbai/Buenos Aires taz | Deutlich wie nie zuvor hat die UN-Generalversammlung am Mittwoch den Angriff Russlands auf die Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt und den sofortigen Abzug der Truppen gefordert. Allerdings fiel das Abstimmungsverhalten in den verschiedenen Weltregionen durchaus unterschiedlich aus.

Afrika: Alte Solidarität und neue Geschäfte

Russland hat in der UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen Rückendeckung aus Afrika erhalten. Nur 28 der 54 afrikanischen Staaten stimmten dafür, den russischen Krieg in der Ukraine zu verurteilen.

Das kommt nicht von ungefähr. Angola, Mosambik oder Simbabwe hatten bereits in der Zeit der Sowjetunion enge Beziehungen zu sozialistischen Staaten, auch der regierende ANC in Südafrika. Die Befreiungsbewegungen, die im südlichen Afrika bis heute an der Macht sind, wurden damals von Moskau unterstützt und bewaffnet. In vielen Ländern besteht noch heute eine gewaltige Abhängigkeit des gesamten Militärapparats von russischen Lieferungen: vom Kampfjet über Training und Wartung bis zu jeder einzelnen Kugel Munition.

Uganda und Algerien gehören hier zu den Vorreitern. Mehr als drei Viertel ihres Waffenarsenals stammt von russischen Herstellern. Dann folgen Angola, Südsudan und Ägypten.

Russische Militärdelegationen gingen im vergangenen Jahr in Uganda ein und aus. Sie trafen dort auch Muhoozi Kainerugaba, Sohn von Präsident Yoweri Museveni und Chef des ugandischen Heeres. Er twitterte in den vergangenen Tagen seine Unterstützung für Putin.

Auch Sudans stellvertretender Leiter des Regierungsrats, General Mohamed Hamdan Dagalo, meldete Unterstützung für Russland. Als der russische Einmarsch in der Ukraine begann, war er gerade mit einer großen Regierungsdelegation zu Besuch in Moskau. 2020 hatten die beiden Länder vereinbart, dass Russland einen Militärhafen im Port Sudan am Roten Meer bauen darf – es wäre Russlands erste ständige Militärbasis in Afrika, direkt an der wichtigsten Handelsroute zwischen Asien und Europa. Simone Schlindwein, Kampala

Asien: Zurückhaltend und beobachtend

Dass Indien sich bei der jüngsten Russland-bezogenen Abstimmungen erneut zurückgehalten hat, überrascht nicht. Mit dem Besuch des russischen Präsidenten Putin im Dezember in Neu-Delhi bauten Indien und Russland erst ihre militärischen Beziehungen aus. Berichtet wurde von einem Verteidigungsabkommen über 5 Milliarden Dollar und der gemeinsamen Produktion von Sturmgewehren im Norden Indiens. Es sind Rüstungsgüter, auf die Indien nicht verzichten möchte, denn der Konflikt an den Grenze zu China und Pakistan scheint allgegenwärtig – auch wenn er nur gelegentlich ein Thema in den Medien ist.

Dabei ist Indien nicht das einzige Land in Südasien, das sich bei der UN-Abstimmung enthielt: Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka reihten sich ein, ebenso wie Nachbar China. Nepal, die Malediven und Afghanistan bezogen eine klare Konterstellung.

Der indische Premier Narendra Modi mahnte zu Beginn des Krieges bei einem Telefonat mit Putin, die Gewalt zu beenden. Er forderte alle Seiten zu gemeinsamen Verhandlungen auf. Doch sonst war die Reaktion verhalten, Kritik nur leise zu hören. Laut dem Konfliktforscher Ashok Swain unterstützten rechte hinduistische Gruppierungen gar den Angriff Russlands.

Während Pakistans Präsident Imran Khan zum Kriegsauftakt in Moskau zu Besuch war und Abkommen über den Einkauf von Gas und Weizen schloss, hieß es vonseiten Bangladeschs, man beobachte die Lage. Denn auch Bangladesch pflegt enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Vielmehr sind Länder wie Indien, Pakistan und Bangladesch derzeit noch mit der Evakuierung von Studierenden in der Ukrai­ne beschäftigt, die vom Krieg überrumpelt wurden. Natalie Mayroth, Mumbai

Lateinamerika: Putins Freunde im Schlingerkurs

Gegenstimmen aus Lateinamerika und der Karibik gab es bei der von UNO-Generalversammlung verabschiedeten Resolution gegen den Einmarsch in die Ukraine nicht. Aber auf geschlossene Ablehnung trifft Russlands Krieg auch nicht: Bolivien, Nicaragua, Kuba und El Salvador enthielten sich, Venezuela nahm gar nicht erst teil.

Ein klein wenig überraschend sind die Zustimmungen von Brasilien und Mexiko. Beide Regierungen hatten in den Tagen zuvor jegliche Sanktionsmaßnahmen abgelehnt. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hatte Putin noch vor zwei Wochen in Moskau besucht. „Brasilien hängt in großen Teilen von Düngemitteln aus Russland ab“, rechtfertigte er die Visite. Das erklärt den Eiertanz der vergangenen Tage.

Jetzt hat Bolsonaro eine alte Gesetzesvorlage ausgepackt, die es „ermöglicht, die Ausbeutung von Mineralien, Wasser und organischen Ressourcen in indigenen Ländern“ im Amazonas voranzutreiben. Putins Einmarsch in die Ukraine nutzt Bolsonaro für die Besetzung des Amazonas, so die bissige Kritik.

Auch Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte zunächst auf die traditionelle Neutralität seine Landes verwiesen, wohl wissend, dass das bilaterale Handelsvolumen knapp 2,5 Milliarden Dollar umfasst. Am Tag der Abstimmung dürfte er sich aber an Mexikos Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada erinnert haben, das für sein Land weitaus wichtiger ist.

Venezuela hatte schon zuvor Solidaritätserklärungen abgeben. „Der russische Präsident hat moralische Stärke, Venezuela hat die gleichen Maßnahmen ertragen, die gegen Russland angewendet wurden, und hier stehen wir bei Fuß, das habe ich Putin gesagt“, so Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro. Jürgen Vogt, Buenos Aires

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare