Indiens Reaktionen auf Putins Krieg: Delhi in der Zwickmühle
Indien will seinen Waffenlieferanten Russland nicht verprellen und enthält sich im UN-Sicherheitsrat. Sorge um Inder:innen in der Ukraine ist groß.
Zudem stecken mehr als 10.000 Inder:innen in der Ukraine fest. Die meisten von ihnen sind Studierende. Sie berichten im TV, dass sie keine Hilfe von Behörden bekommen würden. Einige Hundert versuchen sich über die Grenze zu Polen und Rumänien in Sicherheit zu bringen. Berichten zufolge gab es in der Kälte Fälle von Schikanen, in einigen Fällen sollen die Flüchtenden auch geschlagen worden sein. Auch von Bestechungen wird berichtet.
Videos von rassistischen Vorfällen kursieren in sozialen Medien und füllen Zeitungsspalten. Dazu gibt es Berichte von jungen Inder:innen, die in U-Bahnschächten und Kellern mit wenig Vorräten versuchen Hilfe zu bekommen. Indiens Regierung forderte ihre Landsleute auf, Kiew per Zug zu verlassen.
Medizinstudierende zögerten vor Kriegsausbruch, das Land zu verlassen, da sie ihr Studium nicht gefährden wollten. Nun sind sie in Indien zu einem Thema geworden, während dort zugleich in einigen Staaten Lokalwahlen stattfinden.
Vier Minister sollen indische Studierende zurückholen
Die hindunationalistische Regierung von Premierinister Narendra Modi hat jetzt vier Minister zur „Operation Ganga“ in Ukraines Nachbarländer Rumänien/Moldawien, Polen, Ungarn und Slowakei entsandt, um Staatsangehörige zurückzuholen. Auch sollen auf Ersuchen der Ukraine medizinische Hilfsgüter und humanitäre Hilfe folgen.
Damit rückt die Haltung der Regierung zu dem Konflikt in den Mittelpunkt. Modi hatte zwar zu einer „sofortigen Beendigung der Gewalt und einer Rückkehr zum Dialog“ aufgerufen. Im UN-Sicherheitsrat hatte sich Delhi aber am Samstag zum zweiten Mal innerhalb einer Woche bei der Abstimmung über eine Resolution im Zusammenhang mit der russischen Invasion der Ukraine enthalten.
Der Botschafter der Ukraine in Delhi äußerte sich „tief enttäuscht“. Russlands Botschaft twitterte dagegen, dass sie „Indiens unabhängige und ausgewogene Position bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat am 25. Februar sehr zu schätzen weiß“.
Der frühere Diplomat Shashi Tharoor von der oppositionellen Kongresspartei kritisierte Indiens offizielle Position: „Nach unserer Stimmenthaltung bedauerten viele, dass Indien sich auf die ‚falsche Seite der Geschichte‘ gestellt habe“. Freunde wie Indien und Russland müssten ehrlich miteinander umgehen.
Kritik aus der oppositionellen Kongresspartei
„Indien hat nicht einmal Einwände gegen Russlands 'Anerkennung’ der 'Unabhängigkeit’ der beiden separatistischen ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk“, so Tharoor. Er beharrt darauf: „Eine Invasion ist eine Invasion, das sollten wir unserem Freund Russland mitteilen“.
Indien steckt in einer Zwickmühle zwischen dem Westen und Russland. Die USA sind ein wichtiger Partner bei Verteidigung, Handel und Technologie. Der Druck westlicher Staaten auf Delhi, Russland zu „isolieren“, wächst.
Am Samstagabend telefonierte auch Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar, wohl um die Regierung Modi mit ins Boot zu holen.
Putin war zuletzt im Dezember in Delhi
Allerdings ist Russland Indiens größter Waffenlieferant. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI gingen zwischen 2016 und 2020 geschätzte 23 Prozent aller russischen Waffenexporte nach Indien. Erst im Dezember wurden neue Geschäfte vereinbart, als Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich zu einem Kurzbesuch nach Delhi kam.
Moskau zeigte damit, dass es die Beziehungen zu Indien und China unabhängig von deren Rivalität pflegen kann. Damit könnte Indien schnell in einer Reihe mit seinen Gegnern Pakistan und China gesehen werden, die sich auf die Seite Moskaus gestellt haben. Pakistans Premier Imran Khan war am Tag, als der Angriff auf die Ukraine begann, zu Besuch in Moskau und verhandelte unter anderem über eine russische Gaspipeline.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch
„Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte