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Leihmütter in der UkraineDeutschlands exportiertes Dilemma

Schwangere Leihmütter sollen in der Ukraine bleiben, Babys liegen in Luftschutzbunkern. Eine Situation, an der auch Deutschland eine Mitschuld trägt.

Spezieller Bunker für neugeborene Babys von Leihmüttern in Kyjiv am 15. März Foto: Gleb Garanich/Reuters

Kartons voller Windeln und Konservendosen stapeln sich vom Boden bis zur Decke. Auf dem Fußboden sind Schlafsäcke in Tarnmuster aneinandergereiht, an einer Seite des Raumes liegen Gasmasken. Eine Frau führt durch die Räume eines Luftschutzbunkers, vorbei an herumstehenden Menschen und sagt: „Es gibt genug Schlafsäcke und Gasmasken für alle Beteiligten.“ Und weiter: „Die Neugeborenen werden sich hier sehr wohlfühlen“.

Diese skurril wirkenden Szenen sind in einem Video zu sehen, das von BioTextCom, dem größten Dienstleister für Reproduktionsmedizin in der Ukraine, vor ein paar Wochen bei YouTube hochgeladen wurde. Es richtet sich an werdende Eltern aus dem Ausland, die ihr Baby von einer Leihmutter in der Ukraine ausgetragen lassen. Es soll ihnen das Gefühl vermitteln: Ihr Baby ist in guten Händen – komme, was wolle. Das Video erschien drei Tage vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Die gezeigte Situation ist mittlerweile Realität. Mindestens 18 Babys befinden sich laut Medienberichten momentan in dem Bunker in einem Vorort von Kyjiw, werden von Krankenpflegerinnen versorgt und warten darauf, von ihren Wunscheltern aus dem Ausland abgeholt zu werden. Aber nicht nur die Neugeborenen sind im Krieg gefangen. Hunderte Frauen in der Ukraine sind momentan schwanger mit einem Kind, das nicht ihres ist. Sie sind als Leihmütter tätig, bekommen also Geld dafür, ein Kind für jemand anderen auszutragen. BioTexCom warnt sie in einem Facebook-Post: Sie sollen trotz des Krieges nicht ins Ausland gehen, denn das könnte ihre Lage erheblich erschweren. Also bleiben sie im Kriegsgebiet. Dass sie das müssen, dafür ist neben anderen Ländern auch Deutschland verantwortlich.

Denn Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Häufig wird das Verbot damit begründet, dass die Praxis nicht mit der Würde des Menschen vereinbar sei. Konkrete Zahlen dazu, wie viele ungewollt kinderlose Paare deswegen auf Leihmütter im Ausland zurückgreifen, fehlen. Laut Medienberichten reisen 15.000 Paare aus Deutschland jedes Jahr ins Ausland, um eine Leihmutter zu beauftragen, 6.000 von diesen Paare gehen in die Ukraine.

Austragen verboten, austragen-lassen erlaubt

Seitdem mehrere asiatische Länder, wie Indien und Thailand, in den vergangenen Jahren die Gesetzeslage diesbezüglich verschärft haben, ist die Ukraine noch mehr zu einem Hotspot für Leihmutterschaft geworden. Hinzu kommt, dass das Geschäft dort verhältnismäßig günstig ist. 40.000 bis 60.000 Euro müssen Wunscheltern zahlen, in den USA ist es ungefähr das Doppelte. Nach Abzügen für die Gesundheitsversorgung und die Vermittlungsagentur bekommt die Leihmutter das Geld in Raten ausgezahlt, die größte gibt es erst nach der Geburt des Babys.

Ausbeutung bleibt auch dann Ausbeutung, wenn sie in der Ukraine und nicht in Deutschland stattfindet

Die deutsche Gesetzgebung erleichtert es kinderlosen Paaren, Leihmütter im Ausland zu beauftragen. Hierzulande werden nämlich nicht die Wunsch­eltern, sondern die Ver­mitt­le­r:in­nen und behandelnden Ärz­t:in­nen bestraft. Aber wenn die Wunscheltern wollen, dass das Kind bei ihnen leben kann, dann muss die Geburt und der anschließende bürokratische Prozess in dem Land stattfinden, wo die Schwangerschaft beauftragt worden ist. Das hat damit zu tun, dass Mutterschaft in Deutschland danach definiert ist, wer das Kind austrägt, nicht aus welcher befruchteten Eizelle es entsteht.

Auch deswegen können die Leihmütter nicht nach Deutschland fliehen. BioTexCom warnt: „Die Geburt des Kindes außerhalb der Ukraine ist nicht legal und wird rechtliche Konsequenzen haben: Die Leihmutter wird als Mutter gelten und der Versuch der Übergabe des Kindes wird als Kinderhandel bezeichnet.“

Verurteilungen wegen Kinderhandels sind zwar eher selten. Aber es gibt noch andere, größere Hindernisse für die schwangeren Frauen, aktuell nach Deutschland zu fliehen: bürokratische Hürden. Der Adop­tions­pro­zess nimmt viel Zeit in Anspruch. Bis er abgeschlossen ist, gilt die Leihmutter als rechtmäßige Mutter des Babys, erhält die letzte Auszahlung für ihren Job noch nicht – und ist gleichzeitig in jeglicher Hinsicht verantwortlich für das Neugeborene.

Sicherheit Schwangerer hat Vorrang

Die internationale Leihmutterschaft und Deutschlands Umgang damit ist nicht erst ein Problem, seitdem Babys und Schwangere in Bunkern sitzen müssen. Der Krieg in der Ukraine wirft nur erneut ein Schlaglicht darauf. Die deutsche Argumentation, dass Leihmutterschaft wegen Frauenrechten und Menschenwürde verboten gehöre, wird unterlaufen durch die Tatsache, dass mittels Schlupflöchern zugelassen wird, die Praxis ins Ausland zu verlagern. Das ist scheinheilig. Ausbeutung bleibt auch dann Ausbeutung, wenn sie in der Ukraine stattfindet.

In der aktuellen Situation sollte die Sicherheit der schwangeren Frauen und der Neugeborenen aus der Ukraine Priorität haben. Ausnahmeregelungen müssen her: beispielsweise ein bürokratisch unaufwendiger und beschleunigter Adoptionsprozess, damit die austragenden Frauen nach Deutschland fliehen können.

Doch auch langfristig muss das Thema angegangen werden. Kommerzielle Reproduktion ist für viele ungewollt kinderlose Menschen die einzige vorstellbare Möglichkeit, ein biologisch eigenes Kind zu haben (wobei in der Ukraine das Beauftragen einer Leihmutter wohlgemerkt nur verheirateten heterosexuellen Paaren gestattet ist). Aber diese Möglichkeit hängt eben meist zusammen mit einem großen sozioökonomischen Gefälle zwischen Wunsch­eltern und Leihmutter, welches Ausbeutung begünstigt. Umso mehr, wenn das Geschäft mit Menschen aus ärmeren Regionen gemacht wird.

Den moralischen Fragen, die daran hängen, ist nicht aus dem Weg zu gehen. Könnte eine Lösung die altruistische, also unbezahlte Leihmutterschaft sein, wie sie die FDP fordert und wie sie in einigen europäischen Ländern wie Griechenland und den Niederlanden schon Alltag ist? Gibt es ein Recht auf ein genetisch eigenes Kind? Was braucht es, um Ausbeutungsverhältnisse zu verhindern? Wollen wir Menschen mit Gebärmutter wirklich vorschreiben, was sie mit ihrem Körper tun dürfen und was nicht?

Solchen Fragen der reproduktiven Gerechtigkeit muss eine Gesellschaft sich stellen. Sie muss sie in einer Debatte aufwerfen, in der alle Beteiligten zu Wort kommen; muss prüfen, welches Modell die Interessen aller berücksichtigt. Was sie nicht darf, ist, das Dilemma säuberlich outsourcen.

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6 Kommentare

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  • BioTexCom warnt: „Die Geburt des Kindes außerhalb der Ukraine ist nicht legal und wird rechtliche Konsequenzen haben: Die Leihmutter wird als Mutter gelten und der Versuch der Übergabe des Kindes wird als Kinderhandel bezeichnet.“ Darum müssen die Leihmütter in der Ukraine bis Geburt bleiben.

  • Die sich ob der Leihmutterschaft Entrüstenden sind Musterbeispiele an Wohlstandsbigotterie.



    Denn gegen Armut an sich haben sie ja nichts - ähnlich wie die Masse der Kinderarbeits- und Prostitutionsempörten, die nicht Elend und Armut verbieten, sondern nur für ein ´anständiges´ Vegetieren sind (´Putzen statt Puff´).



    N. B. Anderen Menschen zum Kind zu verhelfen ist m. E. nicht würdelos und eine Schwangerschaft ist kein schwerwiegender Eingriff wie z.B. eine Lebendorgan´spende´. (Auch hier der christliche Moralrigorismus, wonach eine Spende seitens des Gebenden uneigennützig zu sein hat, keiner verlangt dies von den Ärzten oder gar dem Empfänger (Neue Niere nur bei freiwilligem sozialen Jahr).



    Gegen ( selbst)Ausbeutung hilft nur eine Änderung der ökonomischen Realität

  • zur „reproduktiven Gerechtigkeit“

    aus der Werbung:



    „Qualitativ hochwertige medizinische Leistungen, langjährige Erfahrung und verantwortungsbewusste Leihmütter- all dies macht die Ukraine zu einem Zentrum des medizinischen Tourismus. Die Paare aus der ganzen Welt kommen zu uns, um Unfruchtbarkeit zu behandeln.







    Die Leihmutterschaft für Ausländer



    Erlaubt



    Die Leihmutterschaft für Homosexuelle



    Verboten



    Die Leihmutterschaft für Alleinstehende



    Verboten“

    Auf der Firmenseite gibt es noch eine ganze Reihe andere ‚feiner‘ Sachen zu erfahren:



    vittoriavita.com/d...ft-in-der-ukraine/

    „Anforderungen an die Leihmutter

    Wir übernehmen die Verantwortung für die Gesundheit der Leihmutter und den Erfolg des Programms und führen daher eine strenge Auswahl von Kandidatinnen für die Rolle der Leihmutter durch.



    Um ein Baby auszutragen und es zur Welt zu bringen, soll man eine feste körperliche und geistige Gesundheit haben. Folgende Anforderungen werden an Kandidatinnen gestellt“



    „Eine Leihmutter hat kein Recht auf das Kind.“



    usw.usf.

    Ein Artikel in der NZZ beleuchtet die Angelegenheit übrigens deutlich kritischer als die TAZ:



    „Nicht nur wird der Körper der Frau auf einen Brutkasten reduziert. Sondern es wird auch vertraglich festgelegt, auf was die Leihmutter alles verzichten soll, um das entstehende Leben zu schützen. Auf Sport, Sex, Kaffee, Flugreisen.



    Das Dilemma, dass der Bauch zwar ihr gehört, das Kind darin aber anderen, akzentuiert sich im Krieg. Denn nun gibt es für die Schwangere eigentlich nur eines: Sie muss ihren Körper in Sicherheit bringen. Flüchten. Das geht aber nur bedingt. Und sie wollen auch nicht immer.“



    www.nzz.ch/gesells...t-babys-ld.1673686

  • Man kann immer über die Problematik der Leihmutterschaft diskutieren Vielleicht sollte man es auch. Ich verstehe auch die Arguente derer, die sie ablehnen. Aber es ist doch an den Haaren herbeigezogen, wenn man -egal welcher Meinung man zum oben angesprochenen Problem steht, jetzt irgendeine Mitschuld konstruiert.

    Es ist ein Dilemma, dass der russische Kriegsverbrecher ohne Grund die Ukraine mit Krieg überzieht. Dafür trägt nur er und seine widerlichen Schleimer und Spießgesellen die Verantwortung. Das hat aber nichts mit der Diskussion über Leihmutterschaft zu tun!

  • Strengere Verbote würden helfen. Wir sind doch sonst so strikt mit "Menschenhändlern", selbst wo diese in Wahrheit Leben retten.

  • Was für ein Trauerspiel - und was für ein Armutszeugnis für unser Land und jene die es regieren.

    Wenn es um Verbraucherschutzrechte geht, oder um Datenschutz oder natürlich auch um Umweltschutz winden sich die Politiker immer sehr schön damit raus, dass man nichts tun könne denn man müsse die Angelegenheit auf europäischer oder gar internationaler Ebene klären.

    Aber wenn es um die eigenen, vorzugsweise schwarzen, Dogmen geht spielt es keine Rolle.

    218, ..19, ..19a ich hör Dir trapsen.