Umstrittene Leihmutterschaft: Sorgerecht für Leihmütter

Es funktioniert nicht, die Debatte um Leihmutterschaft auf ein simples Ja oder Nein zu reduzieren. Insbesondere über das Wie muss geredet werden.

Illustration - eine schwangere Frau mit zwei Partner oder vielleicht Partnerinnen

Ein Paternalismus, der vor allem Frauen vor „sich selbst schützt“, steht der Gesellschaft nicht gut zu Gesicht Illustration: Katja Gendikova

Leihmutterschaft ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt klar, dass die Person, die das Kind zur Welt bringt, automatisch die erste Elternstelle einnimmt. Im Klartext also: Wer das Kind zur Welt bringt, wird rechtlich Mutter. Mit dieser Lösung haben wir uns eingerichtet, mit dieser Regelung sind Debatten nicht mehr nötig. So scheint es zumindest.

Denn spätestens seit dem großflächigen Überfall Russlands auf die Ukraine und Berichten über nicht abgeholte Wunschkinder ist das Thema Leihmutterschaft in Deutschland wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. Und damit die simple Einsicht: Leihmutterschaft findet immer schon statt, nur eben nicht hier. Eltern aus Deutschland erfüllen sich in anderen Ländern ihren Kinderwunsch. Wer es sich leisten kann, in den USA.

Wer über weniger Geld verfügt, geht den rechtlich unsicheren Weg in Osteuropa. Leihmutterschaft ist längst Teil der Realität, nur eben ein ausgelagerter Teil. Die Deutschen begnügen sich mit dem schlichten Verbot und verschließen die Augen vor allem, was außerhalb passiert. Diese gesellschaftliche Scheinheiligkeit halten wir für wenig hilfreich und plädieren deshalb eindringlich für eine gesellschaftliche Debatte.

Die aktuelle Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Thema Leihmutterschaft zunächst durch eine Kommission zu „reproduktiver Selbstbestimmung“ bearbeiten zu lassen. Wir möchten hiermit unsere Impulse zur Debatte beitragen. Zu einer Debatte, die deutlich komplexer geführt werden sollte als mit einem simplen Ja oder Nein.

Kein Anspruch auf ein genetisches Kind

Im Zentrum jeder Betrachtung steht für uns die Perspektive des Kindes. Wir sind davon überzeugt, dass es keinen wie auch immer gearteten „Anspruch auf ein genetisch eigenes Kind“ gibt. Ein Kind ist kein Objekt, keine Projektionsfläche eigener Wünsche, kein Besitz. Ein Kind ist spätestes mit der UN-Kinderrechtskonvention ein Träger eigener Rechte, auch wenn wir uns damit in Deutschland noch an zahlreichen Stellen schwertun.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung betont. Diesem Recht müsste also zwingend auch bei einer Regelung zu Leihmutterschaft Rechnung getragen werden – wobei egal ist, ob die zugrundeliegende Eizelle von der Leihmutter kommt oder nicht. Während der Schwangerschaft wird zwischen dem Embryo und der schwangeren Frau Genmaterial ausgetauscht, sodass das Kind in jedem Fall auch im genetischen Sinne von der Leihmutter abstammt.

Wir sind der Überzeugung, dass die Leihmutter deshalb im Leben des Kindes eine Rolle spielen sollte. Rechtlich lässt sich das beispielsweise über ein kleines Sorge- und ein reziprokes Umgangsrecht mit dem Kind lösen. Die Ausweitung des „kleinen Sorgerechts“ auf bis zu zwei Personen neben den rechtlichen Eltern wird ohnehin von der aktuellen Regierung geplant. Im Alltag sind solche Konstellationen schon heute beispielsweise mit Tanten-Bezeichnungen geläufig.

Neben der Verwirklichung des Rechtes auf Kenntnis der eigenen Abstammung hätte eine solche triadische Beziehung als von vornherein eindeutige Bedingung auch den Vorteil einer relativen Absicherung der Freiverantwortlichkeit der Leihmutterschaft. Während das Konzept anonymer Leihmutterschaft immer auch das Potenzial von Ausbeutung beinhaltet, richtet sich das hier vorgeschlagene Model explizit an Menschen, die aus altruistischen Motiven Paare in ihrem Umfeld unterstützen möchten und diesen Familien auch später verbunden bleiben.

Klärung der Elternschaft vor Zeugung

Eine nachträgliche Überprüfung der Freiverantwortlichkeit und Rechtmäßigkeit wie etwa in Großbritannien kommt nach unserem Verständnis in Deutschland nicht infrage: Dort ergeht die Gerichtsentscheidung zur rechtlichen Anerkennung der Wunscheltern erst, nachdem entschieden wurde, dass während der Schwangerschaft alles korrekt abgelaufen ist. Das bedeutet aber auch, dass das Neugeborene im Zweifelsfall nicht den Wunscheltern zugeordnet wird.

Nein, wenn in Deutschland konkret über Regelungen für Leihmutterschaft nachgedacht wird, dann muss damit bereits vor der Zeugung des Kindes rechtliche Klarheit darüber bestehen, wer später die Elternschaft übernimmt. Dass ein Kind von Anfang an zwei Eltern hat, darf nicht an Verfahrensfragen scheitern. Nun plant die aktuelle Bundesregierung mit der Reform des Abstammungsrechts aktuell schon die Möglichkeit einer solchen präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung – nur eben für die zweite Elternstelle.

Das Konzept auf die erste Elternstelle zu übertragen, wäre also immanent. Die Vereinbarung sollte zwar zum Schutz der Leihmutter durch sie anfechtbar sein, wie auch heute die Vaterschaft anfechtbar ist. Aber Rechtssicherheit stärkt in jedem Fall die Situation des Kindes. In den wenigen Debatten, die wir in den letzten Jahren gesellschaftlich geführt haben, kam die Sorge zum Ausdruck, Frauen würden aus einer finanziellen Abhängigkeit Leihmutterschaft anbieten, damit sich selbst schaden und letztlich die Abhängigkeit nur weiter befördern.

Insbesondere mit Blick auf Länder in Osteuropa sehen wir dieses Potenzial. Wir sehen die strukturelle Asymmetrie und damit das Problem, wenn sich wohlhabende Menschen aus Deutschland mit Geld ihren Kinderwunsch in anderen Ländern erfüllen. Und wir sehen auch, dass es in Deutschland trotz aller rechtlicher Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter noch erhebliche strukturelle Benachteiligungen gibt: Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein eklatantes Problem.

Nicht unbedingt altruistisch

Aber auch bei Bildung, Einkommen und damit Armut sind erhebliche Unterschiede zwischen Geschlechtern noch immer Realität. Wir halten es jedoch für entschieden unterkomplex, paternalistisch und falsch, aus einer moralischen Überzeugung und aus einer privilegierten Position heraus das Selbstbestimmungsrecht der Menschen einzuschränken.

Vor allem, weil die Erfahrung in zahlreichen anderen Ländern auch deutlich zeigt: Ein Kind insbesondere für nahestehende Menschen auszutragen, ist für einige Frauen auch etwas aus tiefer Überzeugung Vorstellbares – das ist die Zielgruppe für das von uns vorgeschlagene Regelungsmodell. Klar ist: Wir müssen dringend gesellschaftliche Benachteiligungen zwischen den Geschlechtern abbauen. Aber wir sollten ebenso dringend das Selbstbestimmungsrecht achten.

Ein Paternalismus, der vor allem Frauen vor „sich selbst schützt“, steht uns als Gesellschaft nicht gut zu Gesicht. Hinsichtlich der Rechte und der Position von Frauen, die für nahestehende Menschen ein Kind austragen wollen, spricht die von der Ampel beauftragte Kommission von „altruistischer Leihmutterschaft“. Der Gedanke dahinter ist simpel: Ein Geschäftsfeld, in dem Frauen mit Leihmutterschaft Geld verdienen, könnte Ausbeutung befördern und soll deswegen ausgeschlossen werden.

Ob dieser Gedanke der Komplexität der Lebensrealität gerecht wird, sollte debattiert werden. Schließlich leben wir in kapitalistischen Gesellschaften, in denen man insbesondere mit Geld und eigenen Einnahmen Abhängigkeiten hinter sich lassen kann – in denen also finanzielle Ressourcen Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein bringen können.

Vorsicht vor Geschäftemachern

Und ist es nicht auch ein zutiefst abstoßender Gedanke, dass ausgerechnet Frauen, die noch immer so unendlich viel unbezahlte Care-Arbeit leisten, dann auch diesen Dienst noch unbezahlt leisten sollen? Im Zusammenhang mit Geld ist für uns aber eine andere Frage viel entscheidender: Leihmutterschaft, wie sie gewöhnlich gedacht und in einigen Ländern praktiziert wird, findet medizinisch assistiert statt.

Eine oftmals von einer dritten Person gespendete Eizelle wird eingefroren, später in vitro befruchtet und der Leihmutter eingesetzt. Das bringt im Vergleich zu einer konventionellen Zeugung für alle beteiligten Frauen und möglicherweise auch für das Kind erhöhte medizinische Risiken mit sich. Und das bedeutet vor allem exorbitante Gewinne für reproduktionsmedizinisch tätige Privatunternehmen, die vom Kinderwunsch der Menschen profitieren.

Wir finden es medizinisch nicht sicher, aber vor allem moralisch fragwürdig, Leihmutterschaft zu einem solchen Geschäftsmodell für Dritte zu machen: Im Zusammenhang mit Sterbehilfe haben wir gesellschaftlich längst anerkannt, dass ein Geschäftsfeld diametral der unabdingbaren Voraussetzung einer Freiverantwortlichkeit gegenübersteht. Der freie Wille wird beeinflusst, wenn marktwirtschaftliche Unternehmen ein finanzielles Interesse an einer spezifischen Entscheidung haben.

Wir plädieren vor diesem Hintergrund eindringlich für ein Verbot geschäftsmäßiger Förderung von Leihmutterschaft zum Schutz der Freiverantwortlichkeit. Ein solches Verbot sollte jedoch selbstverständlich nicht Information, gemeinnützige Vermittlungsplattformen oder auch Routineuntersuchungen während der Schwangerschaft umfassen. Wenn Menschen sich vorgeburtlich und verbindlich einigen, wer die rechtliche Elternschaft übernimmt.

Wenn einer solchen Vereinbarung zum Schutz der Freiverantwortlichkeit womöglich auch das positive Votum eines Ethikkomitees vorausgegangen ist. Wenn dann im Sinne des Kindes auch von vornherein rechtlich klargestellt ist, dass mit einem Abtreten der Elternschaft ein kleines Sorgerecht für die Leihmutter und ein reziprokes Umgangsrecht mit dem Kind entstehen – dass die Leihmutter also auch später im Leben eine Rolle spielt.

Wenn diese Bedingungen klar gesetzlich geregelt sind, dann sehen wir nicht, dass die Verantwortung für ein mittels privater Becherspende gezeugtes Kind nicht auch auf Wunscheltern übertragen werden kann.

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ist stellvertretende Bundesvorsitzende der SPDqueer und Referentin für die AG Queer der SPD-Fraktion. Sie ist Expertin für feministische Rechts- und Außenpolitik.

ist stellvertretende Bundesvorsitzende der SPDqueer sowie diplomierte Sozialpädagogin. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im Unterbezirk Gelsenkirchen.

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