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Die Bundeswehr und die DeutschenEine Armee ohne Ziel

Essay von Sönke Neitzel

Olaf Scholz hat Klartext gesprochen. Doch Deutschland ist pazifistisch geprägt – und eine politische Kultur ändert sich nicht so leicht.

Illustration: Katja Gendikova

D er 24. Februar 2022 markiert das Ende der Illusionen. Putins Angriff steht nicht nur für das Scheitern einer von Naivität und Schuldkomplexen getragenen Russlandpolitik. Das Drama, das sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit in der Ukraine abspielt, hat das Potenzial, den Blick der Deutschen auf die Bundeswehr zu verändern. Doch ob es wirklich zur Zeitenwende kommt, erscheint keineswegs ausgemacht. Kulturen verändern sich nicht über Nacht, und die Skepsis gegenüber dem Militär ist tief im politischen Selbstverständnis der Bundesrepublik verankert.

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Schon die Anfänge der Bundeswehr waren von gesellschaftlichen Protesten begleitet. Nach Massenverbrechen, Tod und Zerstörung des Zweiten Weltkrieges hatten viele Deutsche vom Militär genug. Der große Unterschied zur heutigen Zeit ist, dass sich die Regierungen der Bonner Republik allen gesellschaftlichen Protesten zum Trotz klar zur Bundeswehr und zu ihrem Auftrag bekannt hatten. Kein Kanzler und kein Verteidigungsminister zweifelte im Angesicht der zum Angriff aufmarschierten Warschauer-Pakt-Truppen am Sinn der Streitkräfte.

Erleichtert wurde diese klare politische Haltung dadurch, dass die Bundeswehr nur zur Abschreckung gedacht war. Einen Krieg auch zu führen war jenseits aller Vorstellungskraft. Jedem war klar, dass ein atomarer Schlagabtausch nur im globalen Untergang enden konnte. Wer Uniform trug, musste also nicht wirklich damit rechnen, je einen Schuss im Ernstfall abzufeuern. Man spielte den Krieg – und das konnte auch die Gesellschaft mehrheitlich akzeptieren, auch wenn die jährlichen Herbstmanöver zuweilen nervten.

1990/91 war die Welt eine andere geworden. Am Ende der Geschichte angekommen, schien man keine Soldaten mehr zu brauchen. Feinde gab es nicht mehr, und die Landesverteidigung war eine Sache für die Mottenkiste. Deutschland beteiligte sich nun an Aus­lands­einsätzen – zur Friedenssicherung, wie es offiziell hieß. Nach anfänglicher Skepsis akzeptierten die Deutschen diese neue Rolle. 1996 waren nur noch 18 Prozent der Bevölkerung gegen Missionen außerhalb des Nato-Gebietes. Erleichtert wurde diese Zustimmung, weil die deutschen Soldaten nicht kämpfen mussten, sondern eher Polizeiaufgaben übernahmen. Mit dem klassischen Bild des Kriegers hatte die neue Realität wenig zu tun.

An der generellen Haltung, deutsche Soldaten wenn nur irgend möglich aus Kampfeinsätzen herauszuhalten, änderte auch die Episode der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg 1999 nichts, im Gegenteil. Deutsche Tornado-Kampfflugzeuge hatten sich zwar am Luftkrieg gegen Jugoslawien beteiligt, aber dies ließ sich nur gegen massive Widerstände innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition durchsetzen.

Sönke Neitzel

ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Zuletzt erschien von ihm: „Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik“ (Berlin 2020).

Die Bevölkerung war hier im Übrigen weiter: Nur ein knappes Drittel lehnten die Nato-Luftangriffe ab. Fortan schickte die Regierung die Bundeswehr mal hier und mal dort hin. Es ging dabei vor allem darum, mit dabei zu sein und dadurch außenpolitischen Einfluss zu mehren. Die konkrete Ausgestaltung der Missionen richtete sich dann nach innen­politischen Notwendigkeiten. Also: möglichst zivil auftreten und auf keinen Fall schießen. Der Soldat war ein miles protector, der rettet, schützt und hilft, ein bewaffneter social worker. So ging es 2002 auch an den Hindukusch – und das Konzept schien zunächst aufzugehen.

Im Norden des Landes, wo die Bundeswehr eingesetzt war, blieb es weitgehend friedlich, und die Propagandabilder von Soldaten mit glücklichen Frauen und Kindern machten sich gut im Heimatdiskurs. Der Entschluss, sich am Isaf-Einsatz in Afghanistan zu beteiligen, bedeutete auch das klammheimliche Ende der Landes- und Bündnisverteidigung. Beides ließ sich mit den begrenzten Ressourcen nicht mehr stemmen. Man war von Freunden um­geben, wie es Bundespräsident Johannes Rau am 9. Dezember 2002 formulierte. Wozu sich dann also noch auf einen großen Krieg vorbereiten?

Das eigentliche Problem ist in allererster Linie die Politik

Der Afghanistan-Einsatz lief zunächst nach Plan. Deutschland beteiligte sich am Wiederaufbau, Kämpfe gab es nur noch im fernen Süden und Osten des Landes. Doch 2006 war es mit der heilen Welt im deutschen Sektor vorbei. Die Bundesregierung tat sich aber schwer damit, die neuen Realitäten zu akzeptieren. Sie schickte ihre Soldaten in einen Krieg, verbot ihnen aber, Krieg zu führen. Ein Erwachen gab es erst, als am 4. September 2009 ein deutscher Oberst zwei entführte Tanklaster bombardieren ließ und dabei auch Zivilisten ums Leben kamen. Erst jetzt konnte die Regierung vor der hässlichen Seite des Krieges nicht mehr die Augen verschließen und musste sich der öffentlichen Diskussion stellen.

Die Schlussfolgerung im politischen Berlin war klar: So etwas darf nie wieder passieren. Man war in einen Krieg hineingeschlittert, den man nie führen wollte. Werden diejenigen, die damals politische Verantwortung trugen, gefragt, warum es nie eine ehrliche Diskussion über den ISAF-Einsatz gab, berufen sie sich stets auf die kritische Haltung der deutschen Bevölkerung, die mit Kampfeinsätzen partout nichts zu tun haben wollte. Darauf habe man Rücksicht nehmen müssen.

Doch neuere Studien zeigen, dass eine relative Mehrheit der deutschen Bevölkerung selbst Kampfeinsätze nicht ausschloss. Sie wollte nur keinen Blankoscheck für solche Missionen erteilen und erwartete eine nachvollziehbare Begründung. Diese konnte aber weder die Regierung noch das Parlament je liefern. Und weiter: Das freundliche Desinteresse an der Bundeswehr, von dem Bundespräsident Horst Köhler 2005 sprach, hat die so­zial­wissenschaftliche Forschung längst widerlegt. Das eigentliche Problem einer realistischen Betrachtung von Streitkräften und ihren Aufgaben ist somit weniger die breite Gesellschaft, sondern in allererster Linie die Politik.

Dieser Befund gilt auch für die Zeit nach 2014, als sich der sicherheitspolitische Fokus notgedrungen wieder auf die Landes- und Bündnisverteidigung richtete. Auch nach der Annexion der Krim gab es keine wirkliche Kehrtwende Berlins. Die Bundeswehr musste zwar den Offenbarungseid leisten und eingestehen, dass sie zu einer möglichen Verteidigung des Baltikums keinen nennenswerten Beitrag leisten konnte. An diesem Befund hat sich auch in den vergangenen acht Jahren nichts grundlegend geändert. Aber warum eigentlich nicht? Schließlich gab es unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) deutlich mehr Geld und auch mehr Personal.

Doch trotz aller vollmundig angekündigter „Wenden“ blieb die große Reform aus. Die Bundeswehr ist nach wie vor dysfunktional organisiert, und vor allem gab die Regierung kein Ziel vor, was die Bundeswehr können und welche Rolle sie innerhalb der Nato einnehmen sollte. Rückblickend zeigt sich, dass die Streitkräfte nur dann besser hätten aufgestellt werden können, wenn sich das ganze Kabinett dieser Aufgabe angenommen hätte. Doch wichtige Reformschritte wurden von der SPD blockiert, und bei Angela Merkel hatte das Thema keine Priorität.

In Merkels Russlandpolitik spielte das Militär keine Rolle. Begriffe wie „Kriegsbereitschaft“ waren im politischen Berlin nicht zu vermitteln, auch wenn alle wussten, dass es in letzter Konsequenz genau darum ging. Zwar forderten Experten geradezu flehentlich, endlich mehr zu tun. Gehör fanden diese Äußerungen nicht. Letztlich beließ es die Regierung bei einer Ankündigungsrhetorik; das Parlament nahm es achselzuckend hin. Schließlich glaubte praktisch niemand, dass die Bundeswehr je wirklich gebraucht werden würde.

Häme über kaputtes Gerät

Gewiss waren die hämischen Kommentare über Panzer, die nicht fuhren, und Flugzeuge, die nicht fliegen, peinlich. Aber sie erzeugten nicht den öffentlichen Druck, den es gebraucht hätte, um etwas grundsätzlich zu ändern. Die Einsätze von Nato, UN und EU konnte man noch durchführen. Das reichte aus, um international Flagge zu zeigen. Aus Konflikten in Libyen und Syrien hielt man sich ganz heraus und überließ Autokraten das Feld.

In Mali und im Kampf gegen den IS leistete Deutschland einen zweit- oder drittrangigen Beitrag. Mehr schien nicht notwendig zu sein, zumal andere Themen wie Migration, Klima und Corona bald die ganze Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zogen. Die Bundesrepublik kam aus ihrem „strukturellen Pazifismus“ (Joseph Verbovsky) nicht heraus.

Deshalb ist die Regierungserklärung von Olaf Scholz so bemerkenswert. Die Ankündigung, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und fortan mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitzustellen, ist erstaunlich. Unerwartet ist aber auch seine Wortwahl, etwa dass die Bundeswehr jeden Quadratmeter des Nato-Territoriums verteidigen werde. In dieser Klarheit hat dies seit mehr als dreißig Jahren niemand ausgesprochen.

Fraglich bleibt, was diesen Worten folgt. Eine politische Kultur verändert sich nicht mit einer Regierungserklärung. Man wird sehen, ob Scholz es ernst meint, die Bundeswehr kriegsbereit zu machen und so einen Beitrag zum Schutz der europäischen Werte und der Demokratie zu leisten. Zwei Drittel der Deutschen befürworten dies. Die Gesellschaft ist also erneut nicht das Problem. Die Verantwortung liegt bei der Politik. Es bleibt zu hoffen, dass sie ihr diesmal gerecht wird.

Der Autor ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Zuletzt erschien von ihm: „Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik“ (Berlin 2020).

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26 Kommentare

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  • Eine Armee ohne Ziel

    Prof Neitzel vergisst in seiner kurzen geschichtlichen Zusammenfassung zu erwähnen, dass Herr Gorbatschow schon 1990 vorgeschlagen hatte, eine neue und gerechte Weltordnung zu schaffen. Die westlichen Eliten haben leider in ihrem Machtanspruch über uns und die Welt abgelehnt.







    Herr Neitzel sollte auch klar die Risiken und Nebenwirkungen von nationalen Armeen beschreiben. Sie werden auch schon mal gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, wenn diese der politischen Richtung der staatlichen Elite nicht (mehr) folgen will. Syrien hat dies hinreichend demonstriert. Aber es passiert auch in demokratischen Staaten, wie das Beispiel des Vereinigten Königreiches (Grossbritannien) und der brutale Einsatz der Armee in Nordirland gegen die katholische Bevölkerung gezeigt hat.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Welche intelligente Spezies ist da nochmal der Auffassung, mehr Waffen zu schaffen?



    In Deutschland gleich zwei Drittel?

    Die neue "NAT-Oh(!)-Friedensbewegung" oder wie jetzt?



    Wusste gar nicht, dass wir so viele verkleidete Scheriffs unter uns haben ...

  • Also, als Spaziergänger mit Hund red ich mit relativ vielen Leuten, mehr als noch ohne Hund. Und erstaunlicherweise über alles mögliche, auch Putin, vor dem Überfall und jetzt. Die Mitbürger sind zutiefst entsetzt und erkennen deutlich die Wehrlosigkeit Deutschlands und Europas, außer Frankreich und England. Die Bundeswehr so auszurüsten, dass sie uns und andere schützen kann ist bei allen mit denen ich rede ein großes Bedürfnis. Und Putin ist für diese Leute gestorben. Leider nur für diese.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @shitstormcowboy:

      Ja, mal den Hund von der Leine lassen. Dann kommen die Menschen auch ins Gespräch. Ihre Einleitung ist fast so grotesk wie „das Ende der Illusionen“ von Professor Neitzel. Kriegsbereit sein. Das ist das „neue Normal“, und Diplomatie ist wieder nur eine Illusion.

  • Das ist doch mal eine knackige Analyse! Angesichts der Wortmeldungen der letzten Tage aus SPD und Grünen schwant mir allerdings, dass die ehrgeizigen Ziele doch wieder kassiert werden.

  • Ein guter, interessanter Beitrag von Herrn Neitzel. Es erscheint mir wichtig zu unterstreichen, dass neben der Politik auch die Bundeswehr und ihre Soldaten zur Kenntnis nehmen sollten, dass der Rückhalt für sie in der deutschen Bevölkerung weitaus größer ist, als immer wieder behauptet wird. Viel zu oft höre und lese ich von deren Seite, dass sie ja nicht respektiert und nicht gewollt seien. Das scheint so nicht zu stimmen, und angesichts der großen Resonanz z.b. beim "Tag der Bundeswehr" hätte mich auch alles andere überrascht.

  • Sorry - But.

    “ An der generellen Haltung, deutsche Soldaten wenn nur irgend möglich aus Kampfeinsätzen herauszuhalten, änderte auch die Episode der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg 1999 nichts, im Gegenteil. Deutsche Tornado-Kampfflugzeuge hatten sich zwar am Luftkrieg gegen Jugoslawien beteiligt, aber dies ließ sich nur gegen massive Widerstände innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition durchsetzen.“

    Den ersten post WK II - verfassungs&völkerechtswidrigen Kriegseintritt Schlands belieben Sie eine “Episode“ zu nennen.



    Als ich mit Kollegen damit befaßt war - & die des OVG Münster too - ist allen - insbesondere angesichts der unfaßbaren - teils auch verlogenen schriftsätzlichen Aggressivität des BMV - vieles eingefallen! Aber sicher niemanden - Ihr Unsägliches.

    kurz - Voll für die Tonne •



    “Pervers“ - wie Norman Mailer die Bombardierungen außerhalb jeglicher Abwehrreichweite genannt.



    &



    Die Verlogenheit - Hufeisenplan* - etc - der Politikaster - allen voran - Fischer Schröder Scharping* - als Bezugsrahmen neben Grundgesetz & Völkerrecht noch dazu.



    Schlicht unfaßbar •

    • @Lowandorder:

      Interessant auch.

      Mit keiner Silbe erwähnen Sie -



      “Deutschland - verfassungs&völkerrechtswidrig - Kriegspartei im Irakkrieg - wider die offiziellen Lügen - banal - um eine Wahl zu gewinnen!



      www.bverwg.de/210605U2WD12.04.0



      Mutti wollte ja bei Freund Dubbelju gleich mitmarschieren - klar lassen!;((

      unterm——- schlimmer geht immer a taz!!



      “ Zuletzt erschien von ihm: „Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik“ (Berlin 2020).“



      & aus ganz unerfindlichen Gründen:



      “Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“



      Von Dr. Josef Goebbels - fiel mir ein.



      & Waschzettel



      “ Ein Leutnant des Kaiserreichs, ein Offizier der Wehrmacht und ein Zugführer der Task Force Kunduz des Jahres 2010 haben mehr gemeinsam,* als wir glauben. Zu diesem überraschenden Schluss kommt Sönke Neitzel, der die deutsche "Kriegerkultur" in all ihren Facetten untersucht. ...“



      *Das will ich nicht hoffen & “Kriegerkultur“ - wie pervers ist das denn! Aber Hallo



      &



      “Deutsche Krieger: Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte | Der Bestseller zur Bundeswehr: In welcher Tradition stehen unsere Soldaten?“



      & himself



      de.wikipedia.org/w...S%C3%B6nke_Neitzel



      Ah die Epidisode =>



      “ Auf dieser Grundlage schrieb er, „dass inoffiziell schon seit 1991 rund 200 bis 300 Bundeswehrsoldaten als Freiwillige im jugoslawischen Bürgerkrieg kämpften. Insbesondere aus den Garnisonen in Süddeutschland fuhren viele Männer auf ein verlängertes Wochenende oder im Urlaub an die Front, um Kampferfahrung zu sammeln. Das war zwar illegal, wurde von den Vorgesetzten in vielen Fällen aber gedeckt, da man die Eigeninitiative als wertvolle Bereicherung der Gefechtsausbildung betrachtete.“



      Für den Historiker Wolfram Wette, selbst viele Jahre am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr tätig, pflegt Neitzel in seinem Buch das Narrativ vom jeden politisch-historischen Hintergrund und Kontext ausblendenden Soldaten als bloßer „Krieger“. Zweifel am Kriegshandwerk oder Traumatisierungen blende Neitzel

      • @Lowandorder:

        … die Literaturauswahl sei fragwürdig. So werde der schwer NS-belastete Autor Paul Carell mit fünf Buchtiteln seiner Nachkriegsbestseller angeführt, Fehlanzeige herrsche hingegen beim wichtigen Werk Carl Friedrich von Weizsäckers über „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“ von 1971. Statt das im Anschluss an Weizsäcker in der Gesellschaft dominierende Leitbild vom „Ernstfall Frieden“ bediene der „Bellizist und Revisionist“ Neitzel mit einer „wissenschaftlich eingefärbte[n] Krieger-Nostalgie“, die Rede vom „Ernstfall Krieg“.[20]

        Unter der Überschrift „Loblied auf den archaischen Kämpfer“ kritisiert Johannes Klotz, dass Neitzel sich mit diesem Buch vom Leitbild des Soldaten als „Bürger in Uniform“ weitgehend gelöst habe. In seiner Kritik bezieht sich Klotz nicht nur auf den Inhalt des Buches, sondern zitiert Neitzel auch aus einer Radiosendung mit Jörg Thadeusz: „Wir brauchen Soldaten als Kämpfer und Krieger, müssen das Kriegshandwerk wieder lernen.“ Dabei habe Neitzel zwar eingeräumt, dass die Verbrechen der Wehrmacht nicht traditionsbildend sein könnten, abgesehen davon aber in allen Kriegen Verbrechen geschehen.[21]

        Einer sehr grundlegenden Kritik unterzieht Eckart Conze das Buch von Neitzel. Der Marburger Historiker bemängelt, dass den von Neitzel präsentierten soldatischen Ego-Dokumenten „kein substantielles Quellenkorrektiv“ gegenübergestellt werde, was nicht unproblematisch sei, da etwa Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg von den Beteiligten als „vermeintliche Kriegsnotwendigkeit“ marginalisiert würden. Conze weist zudem darauf hin, dass Neitzel – entgegen seinem eigenen Anspruch – das Sterben im Krieg (von Soldaten und Zivilisten) weitgehend ausblende und auch das Elend des Krieges kaum thematisiere. Conze schreibt, in dem Werk verberge sich eine Agenda, die er „im Ziel einer Militärpolitik und einer Militärgeschichtsschreibung ohne normativen Friedensbezug“ erblickt.“

        kurz - Anders gefragt - BRECHEN JETZT SÄMTLICHE DÄMME INNE TAZ?!!

        • @Lowandorder:

          Okay. In der Vergangenheit ist es falsch gelaufen. So weit so schlecht.

          Wir stehen aber im Augenblick, seit dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine, vor der Frage, wie wir mit dieser aktuellen Situation umgehen. Die Position der Bundesregierung ist: Kombination aus Stärkung und neuer Positionierung der Bundeswehr sowie wirtschaftliche/technologische Sanktionen gegen Russland. Zusätzlich Waffenlieferungen an die Ukraine. Zumindest Sanktionen und Waffenlieferungen scheinen bei Putin einen gewissen Eindruck zu hinterlassen, was ich gerne aus seiner Reaktion schliessen würde.

          Ich wage keine Prognose, ob dies der richtige Weg ist. Aber wäre eine weiterhin bewusste Position der Schwäche gegenüber Putin wirklich die bessere Alternative?

          • @Flachköpper:

            Mit Verlaub.

            Zu sojet Fragen:



            “Ja - bin ich Jesus? Wachsen mir Haare auf der Brust? Meinescheißenocheins!



            Woher soll ich das denn wissen?!“



            Hab ich schon meinen Paukern auf solche Anmutungen geantwortet.

            kurz - Was ich hier zu dem Beitrag & dessen Platzierung hier (ausgerechnet?) in dem selbsternannten “Linken Portal“ anzumerken & vorzuwerfen habe:



            Ist handwerklich unsaubere Arbeit - damit steh ich ja was sonstige Elaborate wie dargelegt nicht allein - & ebenso wie dort - ein dem grundgesetzlichen Menschenbild & damit auch Soldatenbild zuwiderlaufender vordemokratischer Militarismusansatz •

            kurz - Sollte mal reichen.

  • Das Problem der Bundeswehr ist nicht fehlendes Geld. Wie der Artikel bereits andeutet liegt das woanders: eine teure bürokratische zivile Verwaltung mit Kompetenzenhickhack und keine klare Ausrichtung und Aufgabenstellung. Dazu muss man sehr weit zurück gehen, bis man wieder einen Verteidigungsminister findet, der Ahnung von seinem Fach hatte und nicht zig teure Berater, die ebenfalls keine Ahnung haben, brauchte. Es ist schon bezeichnet, wie viel Monate und bürokratischen Aufwand es braucht, damit ein Kampffliegerpilot einen neuen Anti-G-Anzug bekommt, wenn der Alte ihm nicht mehr passt. Und die einfachsten Verschleißteile werden nicht im Lager vorrätig gehalten sondern erst dann bestellt, wenn sie benötigt werden. Selbstverständlich geht auch so was durch zig Instanzen hoch und runter, bevor das Ersatzteil dann endlich da ist. Andere Länder schaffen mit weniger Geld eine leistungsfähigere Armee.

  • Ich frage mich immer noch, welcher Schalter da genau gekippt ist, also warum die Ukraine ein Thema ist, wenn Tschetschenien, Krim, Syrien, Jemen etc. letztlich irrelveant waren und "westliche Werte" übewiegend was mit guten Geschäften zu tun haben. Ist es das "Krieg in Europa" Gefühl, das die einschläge näher kommen. Wird in den Hunterzimmern klar, dass auch vor dem Hintergrund der Klimakrise existenzielle Verteilungskämpfe anstehen, in denen die Ukraine als Schlüssellieferant von Getreide eine erhebliche Rolle spielt? Oder wird gar, wenn die Ukraine besiegt und besetzt ist und die Russen dann signalisieren, dass sie Polen und Baltikum in Ruhe lassen, die aktuelle Erregung abflauen und zur Tagesordnung zurückgekehrt?



    Ich kann mir in diesen Zusammenhängen eine Neuorganisation der Bundeswehr nur in einem europäischen Kontext vorstellen, mit einer engen Vernetzung besonders nach Frankreich, was Militärtechnologie angeht (schwierig) und einer engen strategischen Kooperation mit den östlichen Nachbarn (auich schwierig) und einem Grundtenor der Abschreckung und Verteidigung.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Eigentlich könnte mir das als Karl-Jesus-Pazifist ziemlich egal sein - bis jetzt war die Bundeswehr relativ nutzlos in Auslandseinsätzen und ich lege großen Wert darauf, dass das so bleibt.

    Es muss ja auch mal einen Lerneffekt haben, dass in den vergangenen zwei Jahrhunderten Deutschland mehrfach und katastrophal den Krieg nach Europa getragen hat - und auch Russland zweimal überfallen wurde, aber bisher selbst nie Europa überfallen hatte - und eigentlich zähle ich die Ukraine jetzt auch nicht als Überfall auf Europa.. aber das ist ein anderes Thema.

    Öffentliche Investitionen sind aber praktisch immer gut - vielleicht nicht immer zwingend für alle und eine bessere Balance wäre wünschenswert - aber in einem Umfeld wo privatwirtschaftliche Unternehmen kaum noch investieren, ist es fast egal, wofür der Staat Geld ausgibt - Hauptsache er gibt Geld aus und viel davon.

    Volkswirtschaftlich gesehen wäre das eine gute Sache - wenn das aus den Überschüssen der Unternehmen und Shareholder, aus Vermögens- und Erbschaftssteuern bezahlt würde.

    Und da nähern wir uns dem Kern des Problems: Diese Ausgaben stehen in Konkurrenz zu den viel wichtigeren Investitionen - etwa in die Dekarbonisierung oder in ein Gesundheitssystem ohne die bizarren Gewinnausleitungen oder in öffentlichen Wohnungsbau - aus den Steuertöpfen, die Konsumenten bzw. Mittelschicht befüllen (müssen).

    Und dann übersteigt - und ich hab' nicht das mindeste Vertrauen darin, dass Olaf Scholz oder Christian Lindner klug genug dafür sind, diese Unterschiede zu erkennen - der verteilungspolitische Schaden den volkswirtschaftlichen Nutzen wahrscheinlich bei Weitem...

    Also doch nicht egal.. sondern Nein!

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "... aber bisher selbst nie Europa überfallen hatte ..."



      Polen, die baltischen Staaten, Finnland, Rumänien gehören also Ihrer Meinung nach nicht zu Europa??

  • RS
    Ria Sauter

    Was soll denn verteidigt werden, im Kriegsfall.



    Angesichts von Atomsprengköpfen, Atombomben ist DIESES Denken völlig naiv.



    Da braucht es keine Soldaten und keine Panzer. Einige, die den roten Knof drücken, reichen da völlig aus.

    • @Ria Sauter:

      Sie gehen davon aus dass nukleare Waffen dann auf jeden Fall eingesetzt werden…es kann aber auch gut sein dass es einen größeren konventionellen Krieg beispielsweise zwischen Russland und der NATO gibt in dem bewußt keine Seite auch nur eine einzige Atombombe einsetzt: Eben damit es _nicht_ zu einer gegenseitigen Komplettauslöschung kommt.

  • Ich bin da nicht so pessimistisch wie der Autor. Wenn ich mit Freunden und Bekannten rede (und mir selbst gehts auch so), ist das Gefühl von geradezu grenzenloser Naivität im Kontext Putin ziemlich weit verbreitet. Der Mann ist schließlich nicht erst seit 10 Tagen von dem gleichen Eroberungswahn befallen, unter dem fast alle russischen "Führer" in den letzten Jahrhunderten litten. Tschetschenien, Georgien, Transnistrien, Krim, Ost-Ukraine und Syrien waren vorher "Stationen" dieses Wahns.



    Die Konsequenzen daraus liegen nahe: Auch D muss sich verteidigen können.

  • Unser Budget ist nur 20% hinter dem Russlands. Weltweit sind wir Nummer 8.

    Ich verstehe das Gejammere nicht.

    • @tomás zerolo:

      Och. Sie erklären uns dann aber noch, wie Russland mit nur 20% mehr Budget als D knapp 1 Mio aktive Soldaten, mehr als 12.000 Kampfpanzer, hunderte von Atomraketen, diverse Flottenstützpunkte etc. pp. finanzieren kann ja?

    • @tomás zerolo:

      Haben Sie dabei auch Ineffizienzen, die Kaufkraftbereinigung und in anderen Haushaltspositionen versteckte Militärausgaben rein- bzw. rausgerechnet?

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Das liegt aber eher daran, dass die Russen so klamm sind... ;)

    • @tomás zerolo:

      Demnach müsste die BW ja in der Lage sein es mit 80% des russischen Militärs alleine aufzunehmen. Eine Vorstellung die selbst dann komplett absurd wirkt wenn man deren atomare Bewaffnung dabei bewusst ignoriert. Das Problem ist also offenbar nicht die Finanzierung, sondern die Frage wie und wie effizient dieses Geld eingesetzt wird. Mit den derzeitigen Strukturen kann man da auch völlig problemlos die angekündigten 100 Mrd. zusätzlich ausgeben und am Ende fehlt es in der Truppe immer noch an langen Unterhosen.

    • @tomás zerolo:

      Na ja, guter Versuch, aber falsch:

      Was ist Russland's BIP?



      Und wie viel mal größer ist BIP von Deutschland als Russland?

      Antwort: DE hat 3800 Milliarden USD.



      RU hat 1700 Milliarden USD.



      Wir sind mehr als Doppel als RU.

      RU verbringt 4.3% des BIP (d.h. ca 62 Milliarden) für Militär-Abgaben.



      DE verbringt 1.4% des BIPs (d.h. ca 52 Milliarden USD).

      Viel kleiner BIP Russland gibt mehr Geld aus. Also, sie militärisieren sich enorm..



      Bitte erst Russland schimpfen.. Dann können Sie Deutschland..



      Oder quittieren wir besser aus NATO..

      NATO hat z.B. den Held(!) "Slobodan Milosevic" bombardiert...

      Quelle [1]



      de.wikipedia.org/w...uttoinlandsprodukt

      [2] en.wikipedia.org/w...itary_expenditures

  • wenn es stimmt, was ich gehört habe, wären wir mit diesem Militäretat eine der großen Armeen in der Welt/der westl. Welt.. habs nicht mehr genau im Kopf, der Punkt ist, was macht D mit solch eine Armee? Ein Land das keine militärische Rolle in der Welt spielen will. Folgt daraus, das D sich dann doch weiter extern beteiligt oder bleibt eine überdimensionierte Armee mit der niemand etwas anfangen kann... Beide Varianten wären Unfug.



    Ja, jetzt in dieser Situation, die wohl auch noch auf Jahre andauern kann brauchen wir eine stärkere Armee, dies aber in alle Ewigkeit festzuschreiben, als Sonderetat im Grundgesetzt verankert...? Und das nur damit die FDP ihre heilige Kuh, die Schuldenbremse formal umgehen kann?

    • @nutzer:

      Die Sipri-Liste, von der diese Zahlen (vermutlich) stammen, ist ganz schlicht völliger Nonsens.



      Nur ein Argument unter vielen für die These: Die Zahlen werden in Dollar berechnet. Wenn also der Rubel gegenüber dem Dollar an Wert verliert, sinken also die Rüstungsausgaben Russlands. Völlig plemplem IMHO.