piwik no script img

Bewegung für die Rechte der NaturRobben und Seepferdchen

Die europäische Rechte-der-Natur-Bewegung will das Denken auf den Kopf stellen. In Amsterdam und Den Haag ist zu besichtigen, wie.

Versteinerte Geschichte, zu sehen in „From the Court for Intergenerational Climate Crimes“ Foto: Ruben Hamelink

Könnte die Nordsee nach ihrer Meinung befragt werden, ob sie weiterhin XXL-Handelsschiffe und Tanker in ihren Gewässern akzeptieren möchte, was würde sie dann wohl sagen? „Super, dass ich mich nützlich machen kann“? Oder würde sie sich an sämtliche Havarien und deren Folgen für ihre Be­woh­ne­r:in­nen erinnern?

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Daran, wie viel Arbeit es ist, Kühlschränke und Tonnen von anderem Kunststoff und Plastik aus über Bord gegangenen Containern an den Strand von Borkum zu spülen? An all die Meeresgrundausschürfungen aufgrund ständig größer werdender Schiffe? Die Ölteppiche? Was würde sie andererseits zu Windparks und Deichen sagen? Sähe sie die Niederlande sowie sämtliche ost- und nordfriesische Inseln vielleicht lieber von oben?

Vermutlich würde sie gar nichts sagen, weil Sprechen nicht so ihr Ding ist. Wie aber würde sie sich ausdrücken, wenn sie Rechte hätte, wie würde sie ihre Interessen vertreten? Ähnliche Fragen werden seit knapp 15 Jahren vermehrt gestellt. 2008 nahm der Staat Ecuador Grundrechte für die Natur in die Verfassung auf. Ein Paradigmenwechsel. Seitdem gibt es weltweit immer mehr erfolgreiche Initiativen, Entitäten der Natur als juristische Personen anzuerkennen. Dieses Recht soll bis 2030 auch die Nordsee erhalten.

Initiativnehmer dafür ist The Embassy of the Northsea, eine zivilgesellschaftliche Organisation von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Ju­ris­t:in­nen sowie politisch Aktiven, die 2018 ihre Räumlichkeiten im Botschaftsviertel Den Haags eröffnete. Neben dem Ziel, das Meer zur juristischen Person zu machen, soll die Nordsee bis 2030 außerdem mit einem Sitz im Parlament vertreten sein – letzteres Vorhaben ist inspiriert vom viel beachteten Werk „Das Parlament der Dinge“ des Philosophen Bruno Latour.

Das Meer als Klägerin

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Eine Etappe dazu wurde in der letzten Woche mit der Vorstellung des von der „Botschaft der Nordsee“ beauftragten Buchs „Rights for Nature“ genommen. Sie fand im gesellschaftspolitisch engagierten Amsterdamer Kunstraum „Framer Framed“ im Rahmen der Ausstellung „Court for Intergenerational Climate Crimes“ des Künstlers Jonas Staal und der Aktivistin, Autorin und Anwältin Radha D’Souza statt.

Jonas Staal ist wie der Theaterregisseur Milo Rau unter anderem dafür bekannt, im künstlerischen Kontext mit realen Ak­teu­r:in­nen politische Präzedenzprozesse zu inszenieren. Die Inszenierungen gelten dem Versuch, komplexe rechtliche Situationen für die gesellschaftliche Diskussion zugänglich zu machen. Für den Kontext der aktuellen Ausstellung geht es darum, in den Niederlanden ansässigen Firmen sowie auch der Regierung in fingierten Prozessen Klimaverbrechen anzulasten.

Wird die Initiative der „Botschaft der Nordsee“ erfolgreich, könnte das Meer in einigen Jahren nicht nur in solch einem fingierten Prozess, sondern sogar real als Klägerin auftreten. An anderen Orten der Welt ist Ähnliches bereits der Fall. In Ecuador kann je­de:r Bür­ge­r:in im Namen der Natur einen Prozess eröffnen. In Bolivien, Kolumbien, Indien oder Neuseeland können Re­prä­sen­tan­t:in­nen dies im Namen von Mutter Erde, Wäldern, Bergen und Flüssen tun.

Natur als Subjekt des Rechts

Das Kompendium „Rights for Nature“, das von den Juristinnen Laura Burgers und Jessica den Outer für eine allgemeine Leserschaft mit großer stilistischer und inhaltlicher Klarheit verfasst wurde, versammelt in dieser Beziehung die interessantesten Fallbeispiele aus der ganzen Welt. 70 Prozent der irdischen Wirbeltiere seien, so das Vorwort, seit den 1970er Jahren ausgestorben: Zeit, fundamental neu nachzudenken über unsere Beziehungen zur Natur.

Das Buch

Laura Burgers, Jessica den Outer: „Rights of Nature. Case Studies from Six Continents. Embassy of the North Sea“, 15 Euro. Erhältlich über www.embassyofthenorthsea.com.

Nächste online Veranstaltung am 10. Februar, „A seat for the sea“, https://www.youtube.com/watch?v=ws3VXbdXHR0

Die Initiative, aus der Natur als Objekt des Eigentums ein Subjekt des Rechts zu machen, ist eine Möglichkeit dazu. Sie stellt das Denken auf den Kopf. Beziehungsweise ist sie eine der möglichen Wege, anders zu denken.

Die Tatsache, dass in Europa dieses Denk-Wegenetz noch weniger ausgebaut ist als in anderen Kontinenten, hat Gründe. Bei den Panels zur Buchvorstellung erinnerte sich die in Indien aufgewachsene Radha D’Souza: „Wenn ich als Kind ein Bad nahm, musste ich sämtliche Flussnamen der Region aufsagen.“ In nichteuropäisch geprägten Kulturen ist oder war das Verhältnis zwischen Mensch und Natur oft weniger auf Ausbeutung als auf Zusammenleben ausgerichtet. Von daher wurzelt die „Rights for Nature“-Bewegung in der Emanzipation vom Kolonialismus.

Gutes Leben, Wohlbefinden

Die kosmologischen, soziologischen und anthropologischen Hintergründe hinter den Gesetzesinitiativen werden jeweils von den Autorinnen mit angeführt. Für Ecuador, Bolivien und Peru wird zum Beispiel der Begriff „sumak kawsay“ für „gutes Leben“ oder „Wohlbefinden“ erklärt, der sich vor allem auf ökologische Nachhaltigkeit und nicht auf ökonomischen Wachstum beziehe.

In Neuseeland, wo der Fluss Whanganui, der Berg Taranaki und der Wald Te Urewera als Rechtspersönlichkeiten anerkannt wurden, sei in der maōrischen Kultur das Konzept eines Geleitetwerdens durch Naturkräfte zentral. Maōri betrachten Te Urewera als ihren Vorfahren – „seine Landschaft strömt über von Mysterium, Abenteuer und entlegener Schönheit“ heißt es im Gesetzestext. Lernen von solchen Prozessen und Wissensformen, nicht transplantieren – so lautet der Tenor bei den Panelgesprächen zur Buchvorstellung.

In den Niederlanden, in Deutschland und anderen europäischen Ländern haben die Aktivitäten für die Rechte der Natur in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Neben der „Botschaft der Nordsee“ gibt es Initiativen für das Wattenmeer, für die Maas oder die Dommel. In Deutschland baut sich die inzwischen landesweite Bewegung auf die Basis eines Volksbegehrens für das Recht der Isar auf. Bereits 1988 gab es einen ersten Versuch, Seehunde zu Rechtspersonen zu erklären. Gescheitert.

Die erste europäische Implementierung eines Gesetzesentwurfs könnte in nächster Zeit in Spanien erfolgen. Dort war ein Volksbegehren erfolgreich, das sich für das Recht der Mar-Menor-Lagune einsetzt, wo in den letzten Jahren jeweils mehrere Tonnen Fische verendeten und unter anderem fast die gesamte Seepferdchenpopulation ausstarb.

„Aber passt es überhaupt zur Nordsee, sie zur Rechtspersönlichkeit zu erklären?“, fragen ihre Botschafter. Diese große Frage ist der Grund, warum für die Rechte-der-Natur-Bewegung Aktivismus, Wissenschaft und Kunst eng zusammenarbeiten. So hat die „Botschaft der Nordsee“ ein Programm entwickelt, in dem zunächst das Zuhören und dann das „Sprechen“ mit der Nordsee, beziehungsweise der Austausch zwischen Pflanzen, Tieren, Mikroben und Menschen, geübt wird. Es geht darum, durch die Schulung von Sinnen und Vorstellungskraft zu komplett neuen Denkansätzen zu finden. Eines der künstlerischen Projekte ist beispielsweise ein Parcours durch ­Amsterdam aus der Perspektive von Aalen.

Auch der Kulturort Framer Framed präsentiert weitere künstlerische Zugänge. Die nächste, auch online zu verfolgende Veranstaltung ist „A sea for the sea“, initiiert vom belgischen Journalisten-Aktivisten-Künstlerduo Greet Brauwers und Raf Custers. Die Präsentatio­nen und Performances, die auch auf Tournee gehen, finden vor dem Hintergrund des steigenden Interesses an kommerziellem Tiefseebergbau statt. Die Gebiete der Tiefsee, die in internationalen Gewässern liegen, sind die letzten noch nicht kolonisierten Gegenden der Erde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Absurd.



    „Rechtsträgerschaft“, die weder artikulationsfähig sind, noch einen Bevollmächtigten selbst bestimmen können, werden durch diese Rolle nicht geschützt.



    Was passiert denn?



    Menschen ermächtigen sich selbst, diese „Personen“ zu vertreten. Also Menschen erheben sich über andere Menschen unter Berufung auf ein höheres Gut.



    Klingt wie Religion?



    Ja, es gibt mehrere juristische Personen, die sich berufen fühlen, Gott vertreten zu wollen.



    Es war ein großer Fortschritt der Aufklärung, diese Gruppen als Vereinigung von Menschen zu behandeln. Sie sollten keine Macht mehr haben, anderen ihr Bild aufzuzwingen.



    Materie zu Personen zu erklären, kehrt diesen Prozess um!



    Das ist eine Einladung zum Missbrach!



    Darf ich mich zum Vertreter der Nordsee erklären, und das Recht mich zu verschmutzen, verkaufen? Gegen Provision? Und als Treuhänder den Ertrag verwalten???



    Nein, nur der Staat vertritt sein Territorium.



    Als natürlicher Treuhänder in klarer Verantwortung gegenüber seinen Bürgern.



    Ja, das ist unvollkommenen, aber effektiv in das globale Rechtssystem einbindbar.



    Und es verhindert die beliebige Privatisierung von Naturschutz, die öffentliches Recht durch Zivilrecht ersetzt - viel weniger leistungsfähig!

  • Die Nordsee ist aber keine Natur-Einheit.



    Ist es dem aus dem Ärmelkanal einströmenden Wasser recht, wenn "die Nordsee" in seinem Namen spricht? Sagt der Heringsschwarm "Tschüss", wenn ihm die Meinung der Nordsee nicht passt? Wie wird wohl der langjährige Rechtsstreit "Sylter Strand" gegen "Blanker Hans" ausgehen? Wird die Nordsee zu Ersatzlieferungen für den abgetragenen Sand verurteilt? Mit Schadensersatz für die verlorengegangen Krebshöhlen und Wattwurmlöcher? Fragen über Fragen.

    • @fly:

      Nach einer Überschwemmung muss der beklagte Fluss für 50 Jahre sein Wasser als Schadenersatz abgeben.



      Was öff.Naturschutz verhindert hat, kann das Zivilrecht leicht schaffen.



      Und die Juristen haben ein weiteres Feld zur Ausbeutung der Wertschöpfung durch wohlfeiles Geschwätz…

  • Freut mich sehr, dass es diese Bewegung gibt.

    Nachdem 2012 die Bewohner der japanischen Insel Toshima den weltweit bis dahin einmaligen Schritt wagten, die in den Gewässern um die kleine Insel lebenden Delfine zu Mitbürgern zu erklären und sie damit als nicht-menschliche Personen anzuerkennen, ist 2013 ein ganzes Land diesem Schritt gefolgt: In Indien wurden Delfine offiziell als nicht menschliche Personen anerkannt. Ihre Rechte und Lebensbedürfnisse müssen respektiert werden.

    Das zuständige indische Ministerium erklärte, es gäbe ausreichend viele wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Meeressäuger hoch intelligente und emphatische Lebewesen seien und sie als nicht menschliche Personen anerkannt werden müssen.

    Bravo.

    Das wünsche ich Tausenden von Tierarten weltweit. Allen Tieren. Jedem einzelnen.

    Von Windanlagen halte ich nicht viel. In dem Bürokomplex, in dem ich arbeite, unterhalte ich mich manchmal mit einem Ingenieur, der früher Windkraftanlagen gebaut hat, mittlerweile davon weg ist. Er sagt, die Vibrationen von Off-Shore-Windanlagen reichen über Hunderte von Kilometern. Was für ein Stress für die Meerestiere!

    Ich glaube, Buddha trifft es sehr gut mit dem Satz: "Die Wesen mögen alle glücklich leben, und keines möge ein Unheil treffen! Möge unser ganzes Leben Hilfe sein an anderen. Ein jedes Wesen scheuet Qual, und jedem ist sein Leben lieb. Erkenne dich selbst in jedem Sein, und quäle nicht und töte nicht."

    Leider wird auf dieser Welt zu über 95 Prozent das Gegenteil praktiziert.

    • @shantivanille:

      Physikalisch ist ihre Anti-Wind-Propaganda offenkundig falsch: überlegen Sie mal, welche ungeheuere Energiemengen nötig wäre, um Wellen in solchem Maße zu streuen!



      Die Dämpfung ist leicht berechenbar.



      Daher kann aus der Vibration direkt am Absender genau berechnet werden, welche Reichweite die abgestrahlten Wellen haben.

      Zu den Delphinen:



      Hat es schon mal einer in ein Gerichtsgebäude geschafft? Oder werden sie einfach weiter durch öffentliches Recht von Staats wegen geschützt?



      Staatliches Schädigungs- und Tötungsverbot kennt unser Naturschutzgesetz übrigens auch - für jedes Individuum geschützter Arten.

      • @mensch meier:

        Zu den unter Wasser fortsetzenden Vibrationen kann ich Ihnen nichts sagen. Gebe nur die Meinung des Ingenieurs wieder.

        Zu den Delfinen.

        Was brongt es spöttisch zu fragen ob es schon mal ein Delfin ins Gerichtsgebäude geschafft hat?

        Die Forderung, Delfine als Personen zu betrachten, nahm 2010 ihren Anfang in Helsinki, wo die weltweit führenden Meeresbiologen eine Erklärung unterzeichneten, die einen neuen Rechtsstatus für Delfine forderte. „Wir erkennen alle Wal- und Delfinarten als Personen an, mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit.“

        Hintergrund ist, dass Delfine alle Formen von Intelligenz zeigen, die gewöhnlich gebraucht werden, um Tiere von Menschen zu unterscheiden: Sie besitzen Selbstbewusstsein, haben eine Sprache, verwenden Namen für einzelne Individuen, erkennen sich im Spiegel, sind zu abstrakter Logik fähig, gebrauchen Werkzeuge, drücken Emotionen aus, haben eine eigene Kultur und enge familiäre Bindungen. Dieser Umstand veranlasste viele Wissenschaftler zu der Überzeugung, dass es keine wissenschaftliche Begründung gibt, die es ethisch erlauben würde, Delfinen die Persönlichkeitsrechte vorzuenthalten, die für Menschen gelten.