piwik no script img

Jungtier-Abschuss in NiedersachsenVerunglückte Wolfsjagd

Niedersachsen lässt wieder Jagd auf „Problemwölfe“ machen. Dabei wird statt des gesuchten Paares erneut versehentlich ein Jungtier erschossen.

Gerät leicht zu Unrecht ins Visier: der Wolf Foto: Carsten Rehder/dpa

Göttingen taz | Wieder ein Abschuss – und wieder ein Fehlabschuss. Ein Jäger hat am 8. Januar im Auftrag des Landes Niedersachsen in der Gemeinde Amt Neuhaus (Kreis Lüneburg) einen Wolf erlegt. Die nach Angaben des Umweltministeriums „ein- bis zweijährige“ Fähe war allerdings nicht das gesuchte Tier. Vielmehr galt die vom Land erteilte Ausnahmegenehmigung zur „Entnahme“ für die beiden Eltern des dort ansässigen Rudels, die mindestens sieben Jahre alte Fähe mit der Kennung GW 872f und den Rüden GW 1532m.

Das im Amt Neuhaus ansässige Rudel wird für Angriffe auf Nutztiere verantwortlich gemacht. Seit 2017 habe es dort „vermehrt“ Übergriffe gegeben, teilte das Ministerium mit. Bei den Rissen vor allem von Schafen sollen Schäden in Höhe von insgesamt rund 6.000 Euro entstanden sein. DNA-Analysen hätten die Mitwirkung der beiden rudelführenden Wölfe nachweisen können.

Weil Herdenschutztiere, Vergrämung und weitere Mittel nicht geholfen hätten, erteilte das zuständige Landesamt für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz am 29. November die Ausnahmegenehmigung zur Entnahme der beiden Wölfe: „Dadurch sollte verhindert werden, dass die Tiere untypische Jagdtechniken weitergeben.“

Die Abschussgenehmigung ist bis Ende März 2022 befristet. Nach dem Abschuss des Jungwolfes wurde der Vollzug zwar zunächst ausgesetzt, er könne aber „unmittelbar wieder aufgenommen werden“, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Identität der mit dem Abschuss beauftragten Jagdleute hält das Ministerium geheim, um sie zu schützen.

Aus Meyers Sicht ist Lies’ Abschusspraxis rechtlich zweifelhaft und zudem völlig wirkungslos

Trotz des Fehlabschusses sieht sich das Ministerium rechtlich auf der sicheren Seite. Da die Wölfe im Gelände nicht zweifelsfrei identifiziert werden können, müssten sich die Jäger am „räumlich-zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die Schadensereignisse“ orientieren. Die Tötung des weiblichen, nicht trächtigen Wolfs aus dem Rudel sei demnach vom Bundesnaturschutzgesetz gedeckt.

Scharfe Kritik am Vorgehen des Umweltministeriums kommt von den Grünen und vom Freundeskreis freilebender Wölfe. „Die tote Wölfin in Amt Neuhaus ist der fünfte Fehlabschuss in Folge“, sagt der naturschutzpolitische Sprecher der Landtagsgrünen und Ex-Agrarminister Christian Meyer. Wie in den vorausgegangenen Fällen sei erneut keiner der beiden gesuchten „Problemwölfe“ getötet worden, sondern eine Jungwölfin, die nicht an Nutztierrissen beteiligt gewesen sei. Meyer: „Wir fordern ein sofortiges Moratorium für die irrlichternde Wolfsjagd von Umweltminister Lies.“

Aus Meyers Sicht ist dessen Abschusspraxis rechtlich zweifelhaft und zudem völlig wirkungslos. Die bisherigen Wolfstötungen verhinderten keinen einzigen Nutztierriss. Auch bei der EU-Kommission gebe es Zweifel, ob Abschüsse beliebiger Wölfe rechtmäßig seien. Die Kommission habe daher im vergangenen Jahr mit Verweis auf eine Häufung der Wolfstötungen in Niedersachsen ein Pilotverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

Weil das Ministerium die Abschussgenehmigungen im Vorfeld geheim hielt, hätten diese auch nicht gerichtlich überprüft werden können, bemängelt Meyer. Die Grünen halten dies für verfassungswidrig und klagen dagegen beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof. Eine Entscheidung will das Verfassungsgericht des Bundeslandes am 8. Februar verkünden. Anhängig ist zudem eine Klage des Naturschutzbundes (Nabu) gegen die vor einem Jahr in Kraft getretene Wolfsverordnung.

Hobbyjäger auf der Pirsch

Der Freundeskreis freilebender Wölfe kritisiert, dass das Land seine Wölfe nach eigenen Kriterien beurteile. Eigentlich gelte die Definition „Problemwolf“ für Tiere, die mehrfach empfohlenen Herdenschutz überwunden hätten. „In Niedersachsen reicht es, dass sie einen Grundschutz mehrfach überwunden haben“, sagt der Freundeskreis-Vorsitzende Ralf Hentschel.

Auch würden in dem Bundesland nicht ausgebildete Hobby­jäger auf die Pirsch geschickt. „Es gibt aber geschulte Leute, die Welpen und erwachsene Wölfe unterscheiden können, bei guten Bedingungen auch das Geschlecht“, sagt Hentschel. „Das würde Fehlabschüsse extrem minimieren.“

Abschüsse störten zudem das Sozialgefüge in einem Wolfsrudel. „Sie können dafür sorgen, dass schlechte Erfahrungen mit Herdenschutz-Maßnahmen wie etwa Schmerzen durch Stromlitzen nicht weitergegeben würden und die Risse dadurch zunehmen.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Und wir lernen: Jäger-Logik ist einerseits das Bestehen auf den Abschuss von "Problem-Wölfen" (das sind Tiere, die ihrem "Beruf" (jaja ... 😁) nachgehen) und gleichzeitig (siehe Artikel) das Eingeständnis, dass man nicht in der Lage ist, die Tiere zu identifizieren.



    Aber gut, Jäger sind bekanntlich Leute, die zum eigenen Vergnügen genau so viele Tiere töten, dass im nächsten Jahr wiederum Jagden veranstaltet werden können bzw. "müssen".

  • Naja, man darf diese Sachverhalte nicht ohne den historischen Hintergrund betrachten.

    Das Recht zur Jagd war und ist ein Privileg der Reichen und Mächtigen.



    Kaum ein Privileg wurde mit so rabiaten Strafen [peinliche Befragung (aka Folter], Todesstrafe] belegt wie der Jagdfrevel [also Wilderei]

    Noch heute ist es verboten im Wald Reisig zu sammeln oder Pilze zu sammeln [Ausnahme bei Pilzen: "geringe Mengen für den eigenen Bedarf"]. Selbst das Sammeln von Schnecken [die ja in vielen Ländern aus ausgesprochene Delikatesse gelten] ist hierzulande verboten.



    Das Ganze natürlich hinter dem Feigenblatt des Tierschutzes.

    Auf der anderen Seite entschädigt der Staat die Jäger nach wie vor für Wildschweinefleisch dass auf Grund der radioaktiven Strahlenbelastung nicht "in den Verkehr gebracht§ werden darf.



    weather.com/de-DE/...adioaktiv-belastet

    Und vor diesem historischen Hintergrund wollen die Jäger:Innen natürlich auch mal des eine oder andere "gefährliche" Raubtier vor die Flinte [sorry: Büchse natürlich] bekommen.

    • @Bolzkopf:

      Wen wundert's denn, wenn sich im Jäger*innenmilieu durch die 'Ausnahmegenehmigung zur „Entnahme“' ausreichend Mensch*innen dazu animiert fühlen, auf alles zu schießen, was mit dem Spezifikationskriterium "Problemwolf" bei dessen großzügiger Auslegung wenigstens teilkongruent ist.