Neuer Berliner Senat: Politische Weißheit
Etwa 35 Prozent der Berliner:innen haben eine Migrationsgeschichte. In der neuen Regierung sind es jedoch nur 13,79 Prozent.
Damit hat es sich dann aber auch schon mit der ausgewogenen Bevölkerungsrepräsentanz in der neuen Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken. Etwa 35 Prozent der Berliner:innen haben eine Migrationsgeschichte – unter den neuen Regierungsverantwortlichen sind es nur 13,79 Prozent, in Personen: vier. Davon im Übrigen keine:r als Senator oder Senatorin.
Warum auch, könnte man zynisch fragen: Viele von denen mit Migrationsgeschichte sind ja auch noch Ausländer! Und die dürfen doch eh nicht wählen – außer auf Bezirksebene und das auch nur, wenn sie EU-Bürger:innen sind. Dass vielleicht andersherum ein Schuh draus wird: dass man Menschen durch Repräsentanz zu mehr gesellschaftlicher und politischer Partizipation motiviert – dieser Weg widerspricht dem klassischen deutschen Integrationsprinzip, das lautet: „Integriert euch gefälligst! Aber flott!“
Dabei fehlt es dem ja eigentlich schon seit Jahrhunderten ebenso multikulturellen wie multireligiösen Berlin keineswegs an fähigem Politpersonal mit Einwanderungshintergrund. Im Berliner Abgeordnetenhaus saß mit Sevim Çelebi-Gottschlich von der Alternativen Liste 1987 die erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund in einem deutschen Landesparlament. Von hier aus zog die profilierte Grünen-Abgeordnete Canan Bayram in den Bundestag ein, der ebenfalls grüne Abgeordnete Turgut Altug machte jahrzehntelang bürger:innenahe erfolgreiche Umweltpolitik in der Stadt. Einwanderersohn ist etwa auch Raed Saleh, seit nunmehr bereits zehn Jahren Fraktionschef der SPD.
Staatssekretär:innen mit Migrationsgeschichte
Auch nicht erst seit gestern in der Politik ist Ülker Radziwill, ebenfalls SPD, die dem Berliner Abgeordnetenhaus von 2001 bis September 2021 angehörte. Die Tochter türkischer Einwander:innen, gestandene Sozial- und Mietenpolitikerin ihrer Fraktion, hat es nun immerhin auf den Posten einer Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen geschafft.
Radziwill ist damit eine von vier Staatssekretär:innen mit Migrationsgeschichte in der neuen rot-grün-roten Landesregierung. Drei davon kommen übrigens von der SPD: Neben Radziwill sind das Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Schuldigitalisierung, Jugend und Familie in der Senatsverwaltung für Bildung, und Ana-Maria Trăsnea, Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Senatskanzlei. Die Grüne Armaghan Naghipour wird Staatssekretärin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung.
Einwanderungsstadt Berlin: Auf politischer Ebene ist die multikulturelle Hauptstadt damit kein gutes Vorbild. Man könnte auch sagen: An der dominanten Weißheit ihrer politischen Machtelite lässt sich zwar kaum zweifeln – an deren politischer Weisheit aber schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video