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Neue Bürgermeisterin Franziska GiffeyBerlin wird Frauenhauptstadt

Franziska Giffey ist Regierende Bürgermeisterin von Berlin und die erste Frau in diesem Amt seit 1948. Auch ihr rot-grün-roter Senat ist weiblich wie nie.

Die Neue Bürgermeisterin Franziska Giffey mit Bettina Jarasch am Dienstag im Rathaus in Berlin Foto: Michele Tantussi/reuters

Berlin taz | Es ist 11.11 Uhr am Dienstag, da meldet die Nachrichtenagentur dpa etwas, was vor einem Jahr noch als Karnevalsscherz durchgegangen wäre: Franziska Giffey (SPD) wurde vom Berliner Abgeordnetenhaus zur neuen Regierenden Bürgermeisterin gewählt. Sie setzt die rot-grün-rote Koalition fort, die die Hauptstadt bereits seit 2016 regiert. Die 43-Jährige hat damit – wieder einmal – einen lange so unerwarteten wie beispiellosen Karriereschritt hingelegt.

Als Giffey vor einem Jahr von der Berliner SPD zur Landeschefin und damit indirekt zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, lagen die Grünen in Umfragen noch klar vorn; die SPD dümpelte, ähnlich wie im Bund, bei 16 Prozent, meist auch noch hinter der CDU. Giffey war damals Bundesfamilienministerin – ein Amt, das sie wegen der Aberkennung ihres Doktortitels aufgrund von Plagiatsvorwürfen im Mai 2021 aufgeben musste.

Dessen ungeachtet, und beflügelt von der Pro-SPD-Stimmung im Bund, gelang es Giffey mit einem offensiven, inhaltlich auch gegen die alten und nun wieder neuen Ko­ali­tions­part­ner ausgerichteten Wahlkampf das Blatt zu wenden. Sie holte bei den parallel zur Bundestagswahl abgehaltenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus zwar das schlechteste Ergebnis, das die SPD je in Berlin erreichte. Aber mit 21,4 Prozent wurden die Sozialdemokraten stärkste Partei. Giffeys Weg ins Rote Rathaus, wo zuletzt ihr Parteifreund Michael Müller regierte, war gesichert.

Giffey leistete am Dienstag ihren Amtseid mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe“. Sie ist die erste Frau in diesem Amt – und das erste Stadtoberhaupt aus der DDR seit der Wiedervereinigung. Allerdings ist Giffey, deren politische Karriere 2010 im Berliner Bezirk Neukölln als Stadträtin und später Bürgermeisterin begann, nicht die erste Frau, die die Stadtgeschicke leitete: 1947/1948 amtierte die SPD-Politikerin Louise Schroeder kommissarisch als Oberbürgermeisterin im Nachkriegsberlin. Auch Giffeys Riege aus Se­na­to­r*in­nen ist so weiblich wie nie: Sie besteht aus sieben Frauen und vier Männern.

In der Linken rumorte es

In Giffeys politischer Arbeit sind diese biografischen Aspekte wenig sichtbar. Im Wahlkampf setzte sie auf konservative SPD-Politik – „SPD pur“, wie Giffey es nannte – und damit auch den Ton für die Koalitionsverhandlungen. Sie selbst hätte eine Ampelregierung bevorzugt.

In teils zähen Verhandlungen mit Grünen und Linken rangen sich alle drei Parteien schließlich zur Fortsetzung des bisherigen Bündnisses durch. Der Ende November vorgestellte Koalitionsvertrag stieß zwar bei SPD und Grünen auf große Unterstützung. In der Linken aber rumorte es; in einem Mitgliederentscheid votierten nur 75 Prozent dafür. Vor allem der Bereich Mieten- und Wohnungspolitik sowie der Umgang mit dem erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ wurde von vielen an der Basis kritisch gesehen. 57,6 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen hatten dafür gestimmt, Wohnungsbestände großer Unternehmen zu vergesellschaften.

In Giffeys Senat sind daher auch einige klare inhaltliche Gegensätze zu erkennen. Stadtentwicklungssenator wird der bisherige SPD-Innensenator Andreas Geisel. Er hatte dieses Amt schon von 2014 bis 2016 inne und soll das zentrale Wahlversprechen von Giffey umsetzen: den Bau von 20.000 Wohnungen jährlich, um die Wohnungsnot in Berlin zu lindern.

Mie­te­r*in­nen­in­itia­ti­ven und die Linke zweifeln indes daran, dass allein mit Neubau genug Wohnungen auch für ärmere Menschen entstehen, die besonders von den stark steigenden Mieten betroffen sind. Sie fordern deswegen auch eine Politik für jene Klientel. Da zuletzt der vom Senat eingeführte Mietendeckel gekippt und das kommunale Vorkaufsrecht vom Bundesverwaltungsgericht kassiert wurde, bleibt nach Ansicht von vielen nur noch die Umsetzung des Enteignenentscheids. Doch das will Giffey nicht.

Auch Katja Kipping ist dabei

In den nächsten Monaten muss der Senat ein Gremium zusammenstellen, das einen Gesetzentwurf erarbeiten soll – es werden konfliktträchtige Wochen. Immerhin hat Giffey etwas Entgegenkommen signalisiert und Bausenator Geisel eine Staatssekretärin ausschließlich für Mie­te­r*in­nen­schutz an die Seite gestellt.

Die zweite mächtige Frau im Senat wird Bettina Jarasch, als grüne Spitzenkandidatin im Wahlkampf direkte Gegnerin von Giffey. Jarasch übernimmt mit Verkehr, Klima- und Verbraucherschutz ein Superressort. Sie soll damit die in der vergangenen Legislatur nicht immer erfüllten hohen Erwartungen der grünen Basis an eine Verkehrspolitik weg vom Auto erfüllen. Auch hier sind Konflikte mit Giffey wahrscheinlich: Allzu radikale Verschiebungen zuungunsten der Au­to­fah­re­r*in­nen lehnt sie ab.

Mit im Senat dabei ist nun auch die frühere Linken-Chefin Katja Kipping als Sozialsenatorin. Giffey erhebt derweil einen klaren Führungsanspruch, wie sie am Montag bei der Vorstellung der SPD-Senator*innen deutlich machte: Sie wolle für alle Themen Verantwortung übernehmen, auch die, für die grüne oder linke Se­na­to­r*in­nen verantwortlich sind. Eigentlich.

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2 Kommentare

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  • Oder Hauptstadt der CheaterInnen ?

    "... Aberkennung ihres Doktortitels aufgrund von Plagiatsvorwürfen ..."

    Das ist falsch - ihr wurde der Titel nicht wegen der Vorwürfe aberkannt sondern wegen der tatsächlichen „Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung“. [Quelle: Wikipedia, Lemma: Franziska_Giffey]

    "Wenn die Gutachter*innen und die übrigen Mitglieder der Promotionskommission die im Nachhinein festgestellten Verstöße gegen die Gute Wissenschaftliche Praxisrechtzeitig erkannt hätten, hätten sie die vorliegende Dissertation abgelehnt.Daran besteht im Prüfgremium kein Zweifel."



    [Quelle: Schlußbericht des Prüfgremiums zur Überprüfung der Dissertation von Frau Giffey (23.4.2021): (Seite 8) ]

    • @Bolzkopf:

      Danke für die Klarstellung.