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Vorm Videogipfel von Biden und PutinAusflug in alte Zeiten

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Washington und Moskau sind keine Weltenlenker mehr. Das heißt auch: Über einen Beitritt zur Nato darf jedes Land selbst entscheiden – auch die Ukraine.

Konferieren am Dienstag nur online: Wladimir Putin und Joe Biden (hier analog im Juni in Genf) Foto: Denis Balibouse/reuters

W as ist das für eine Welt, in der erwachsene Menschen Hoffnung in ein Videogespräch zwischen einem ehemaligen sowjetischen KGB-Offizier mit Minderwertigkeitskomplex und einem 79-jährigen Präsidenten im ersten Amtsjahr setzen? Die Bedeutung des virtuellen Gipfels zwischen Wladimir Putin und Joe Biden besteht ausschließlich im Ereignis selbst.

Für Putin geht es um die immer wieder neu gesuchte Bestätigung, dass er als Führer einer Weltmacht anerkannt wird; für Biden geht es darum, dass er nach Kabul wieder außenpolitisch Tritt fasst und nicht auch noch Kiew verliert, weil er nicht aufgepasst hat. Aber die Idee, Krisen auf der Welt per Telefonschalte zwischen Washington und Moskau zu lösen, ist ein hoffnungslos antiquierter Rückgriff in alte Zeiten – ebenso wie das russische Begehr, von den USA eine Zusage des Verzichts der Nato auf die Aufnahme weiterer Länder zu erwirken.

Die Präsidenten Russlands und der USA verkörpern beide lediglich die Vergangenheit ihrer Länder, nicht die Zukunft, und schon gar nicht die Zukunft anderer Länder. Die Ära, wo die USA und die Sowjetunion die Welt unter sich aufteilten, ging in den Jahren ab 1989 unter und das ist gut so. Weder Russland noch die USA haben zu entscheiden, ob ein Land der Nato betritt oder nicht. Das entscheiden die Länder selbst – und die Nato als Ganzes.

Nach dem Ende des Kalten Krieges fand ja nicht einfach eine „Nato-Osterweiterung“ statt, sondern die frisch der Sowjetdominanz entronnenen Länder Mittel- und Osteuropas beschlossen selbst aus freien Stücken, ihre Sicherheit durch den Beitritt zur Nato zu gewährleisten.

Hätte die Nato das zurückgewiesen, wäre sie im alten Ost-West-Konfrontationsmuster verharrt, als alternder und zunehmend irrelevanter Klub des Westens mit vermutlich zunehmend instabilen und nationalistischen Nachbarn im Osten – ein Rezept für Dauerkonflikt in Europa. Es liegt auf der Hand, warum dieses Szenario Moskau lieber gewesen wäre, und es liegt ebenso auf der Hand, warum es für alle anderen inakzeptabel war.

„Den Farbfilm vergessen, mein Wladimir“

Nur die Nato schützt ehemalige Sowjetrepubliken vor dem zunehmend deutlichen Anspruch der Machthaber in Moskau, die Auflösung der Sowjetunion zumindest im Geiste rückgängig zu machen. Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen traten 2004 der Nato bei – und werden seitdem von Russland in Ruhe gelassen, trotz der großen russischen Minderheiten in ihren Bevölkerungen.

Georgien und die Ukraine stellten daraufhin ebenfalls Beitrittsgesuche, wurden aber unter anderem auf Wunsch Deutschlands zurückgewiesen – und werden seitdem von Russland mit Dauerkrieg überzogen, mit Tausenden Toten und großem Leid für Millionen Menschen, Abspaltung einzelner Territorien unter russischer Vorherrschaft und permanenter militärischer und politischer Destabilisierung.

Kein Wunder, dass die Ukraine jetzt erst recht einen Beitritt zur Nato anstrebt und das sogar in ihre Verfassung aufgenommen hat. Soll man nun ernsthaft erwarten, dass Biden dies ausschließt oder gar die ukrainische Verfassung umschreiben lässt, um Putins Wünsche zu erfüllen? Wieso sollte die Ukraine sich darauf einlassen? Und wem sollte das Stabilität bringen?

Man kann nur hoffen, dass wenigstens in Berlin eine neue Regierung eine neue Außenpolitik führt, die des 21. Jahrhunderts würdig ist. Das Selbstbestimmungsrecht souveräner Staaten sollte eigentlich zum Selbstverständnis des wiedervereinigten Deutschland gehören. Schade, dass Angela Merkel nicht die Chance nutzt, an ihrem mutmaßlich letzten Tag im Amt dieses historische Weltereignis zu moderieren und zur Einstimmung die Bundeswehr „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Wladimir“ spielen zu lassen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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10 Kommentare

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  • Putin wird sich die aktuell "militärisch gute" Chance auf einen Einmarsch und Krieg gegen die Ukraine wohl kaum entgehen lassen, zumal er auf dem Schirm hat, dass die NATO sich in Afghanistan bis auf die Knochen blamiert hat. Die Invasion und Annexion der Krim war nur ein Vorspiel für seine Expansionspläne. Da der Winter sich nähert, wird er Westeuropa mit dem "Gashahn" drohen, sollten zu heftige Reaktionen erfolgen. Putins Untertanen sind derzeit zu keinem effektiven Widerstand fähig.

  • Frau Baerbock wird es Putin schon zeigen, wo es lang geht.

  • "Hätte die Nato das zurückgewiesen, wäre sie im alten Ost-West-Konfrontationsmuster verharrt, als alternder und zunehmend irrelevanter Klub des Westens mit vermutlich zunehmend instabilen und nationalistischen Nachbarn im Osten – ein Rezept für Dauerkonflikt in Europa."

    Und was genau ist jetzt anders?

  • Ich kann dem Tenor des Artikels nur zustimmen. Die Mehrheit der Ukrainer wird schon ihre berechtigten Gründe haben sich dem Einflussbereich Putins entziehen zu wollen. Sie dürften ähnlich denen sein, die die meisten Ostblockstaaten in der Wende dazu bewogen sich mit Hurra dem Westen anzuschließen. Mir ist auch nicht bekannt, dass sie dazu vom Westen genötigt wurden.



    Dass Putin aus geostrategischem Interesse die Ukraine wieder seinem Machtbereich einverleiben will ist genauso nachvollziehbar wie bedrohlich, zeigt dies doch einmal mehr mehr wie wenig ihm dabei die Zukunftsvorstellungen der Ukrainer zu ihrem eigenen Land kümmern.

  • Über ein Bündnis entscheiden alle Vertragspartner. Nicht nur eine Seite.

    Nach anderer Logik müssten wir auch Kims Reich aufnehmen, wenn es einen Antrag stellt.

    PS: Wie die USA reagieren, wenn sich ein Nachbar die "falschen" Verbündeten suchen, haben sie in Kuba der Welt eindrucksvoll demonstriert.

  • "Das Selbstbestimmungsrecht souveräner Staaten sollte eigentlich zum Selbstverständnis des wiedervereinigten Deutschland gehören."



    Ja, das sollte es ! Aber nicht nur für die Ukraine, wenn sie der NATO und der EU beitreten will, dieses Selbstbestimmungsrecht muß auch für die Krim gelten, wenn deren Bevölkerung eben nicht weiter einer Laune Chruschtschows folgen und zur Ukraine gehören will. Es muß auch für die in Bergkarabach lebenden Armenier gelten, deren Gebiet Stalin zu Aserbaidschan gegeben hat und welche nun von der Diktatur in Baku mit Unterstützung des NATO-Mitglieds Türkei, aus ihrer Heimat vertrieben werden sollen.



    Solange das Selbstbestimmungsrecht nur dann zählt, wenn es den Interessen der USA dient und solange "völkerrechtlich anerkannte Grenzen" jene sind, welche Chruschtschow und Stalin einst gezogen haben, solange wird wohl kein dauerhafter Frieden möglich sein.

  • Genauso wie die Ukraine entwcheiden darf, ob sie Mitglied der NATO werden will, haben die Mitgkiedslönder der NATO das Recht zu entscheiden, ob sie aufgenommen werden soll. Sie ist immerhin zur Zeit ein Kriegsgebiet, das nach den Regeln der NATO nicht aufnahmefähig ist.

    Oder würde die NATO Russland oder China bei Amtrag aufnehmen?

  • Der Kommentar unterschlägt aber die faktische Unmöglichkeit eines Natobeitritts solange bereits russische Truppen im Staatsgebiet präsent sind....Ansonsten stimme ich zu.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Verträge sind toll, aber Russland hat mit dem Bruch des Budapester Memorandums gezeigt das es Verträge bricht. Und da ging es um so eine Kleinigkeit wie Atombomben, das war ein Riesen Fehler der Ukraine, mit Atomwaffen in der Ukraine hätte Russland all das nicht gewagt, wird jetzt halt dazu führen das die Ukraine sich wieder Atomwaffen zulegt, Japan, die Balten etc. auch. andere Völker schätzen ihre Freiheit halt mehr als die Deutschen.

    Wenn aber Verträge nicht funktionieren so gibt es nur eine Möglichkeit und das ist das was immer funktioniert militärische Stärke! Will man sicheren Frieden in der Ukraine muss die Ukraine militärisch so gestärkt werden das ein russischer Angriff keine Chance hat.

    Darüber hinaus muss Europa militärisch so stark werden das jeden Angreifer (inkl. USA) alleine zurückschlagen und alle potenziell besetzen Gebiete innerhalb weniger Wochen befreien kann.

    Dann kann man auf Augenhöhe mit den Großmächten verhandeln, gerne auch über Abrüstung.

    Die NATO sollte jetzt unmittelbar erklären das sie bei einem Angriff auf die Ukraine der Ukraine beistehen würde (das ist völkerrechtskonform und im taz forum lieben ja alle das Völkerrecht) und mit Militärschlägen gegen Angreifer auf dem gesamtem Gebiet der Ukraine antworten würde (inkl. Krim) dann weis Russland woran es ist, wenn es dann zum Krieg kommt ist es die Schuld Russlands, dann wollte Russland aber Krieg.

  • Sehr guter Kommentar.