Abtreibungen in Deutschland: Ein ideologisches Kampffeld
Abtreibungsverbote wirken aus der Zeit gefallen, doch sie bestehen weiterhin, nicht nur in Polen. Selbst wenn sie das Leben der Schwangeren gefährden.
S eit Tagen muss ich an dieses Demoschild denken mit der Aufschrift: „I can’t believe I’m still protesting this shit.“ Eine Freundin von mir wurde ungewollt schwanger. Sie ging zur Schwangerschaftskonfliktberatung und bekam dort ihren Beratungsschein. Den braucht man, um in Deutschland eine Schwangerschaft abzubrechen, ohne sich strafbar zu machen. Sie wartete die gesetzlich vorgeschriebenen 72 Stunden Bedenkzeit ab und konnte dann erst mit ihrem Schein zu ihrer Gynäkologin gehen.
Meine Freundin wusste nicht, ob ihre Gynäkologin überhaupt Abbrüche durchführt. Seit der Reform des Paragrafen 219a dürfen Ärzt_innen zwar auf ihrer Website schreiben, ob sie Abtreibungen durchführen, jedoch keine weiteren Informationen bereitstellen. Doch nicht alle Gynäkolog_innen informieren darüber, ob sie Abbrüche vornehmen.
Also fragte meine Freundin in der Praxis persönlich nach. Sie bekam keine eindeutige Antwort. Die Gynäkologin druckste herum, bis sie ihre Patientin schließlich per Unterschall untersuchte. Manchmal führe sie Abbrüche durch, erklärte die Ärztin, doch in diesem konkreten Fall wolle sie es nicht tun: „Es gibt schon einen Herzschlag. Ich persönlich finde, es ist zu spät.“
Mit eine Freundin war in der achten Woche schwanger. Und zwar nicht im US-amerikanischen Bundesstaat Texas, sondern in Berlin-Kreuzberg. Abbrüche stehen in Deutschland bis zur 12. Schwangerschaftswoche nicht unter Strafe. Aber die Einschätzung ihrer Ärztin hatte nichts mit dem Gesetz zu tun. Es war auch keine medizinische Einschätzung. Es war eine persönliche. Eine, nach der niemand gefragt hatte.
Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung betrifft alle
Abtreibung ist und bleibt ein ideologisches Kampffeld. Selbst wenn Menschen mit Uterus hierzulande deutlich mehr Optionen haben, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen als in vielen anderen Ländern, wird es ihnen dennoch unnötig schwer gemacht. Wer beispielsweise die Schwangerschaftskonfliktberatung googelt, kriegt unter den ersten Treffern das Angebot der Caritas angezeigt – den für den Abbruch nötigen Schein stellt der katholische Verband am Ende des Gesprächs natürlich niemandem aus.
Wer wiederum schwer krank im Krankenhaus landet, darf damit rechnen, dass lebensrettende Maßnahmen nicht durchgeführt werden, falls sie den Embryo gefährden könnten.
Sowie kürzlich in Polen. Eine 30-Jährige in Pszczyna starb nach einer Fehlgeburt, da Ärzt_innen sich geweigert hatten, den schwer geschädigten Fötus abzutreiben. Die Journalistin Sibel Schick erzählt in ihrer aktuellen nd-Kolumne von einer ähnlichen Erfahrung – allerdings in einem deutschen Krankenhaus. Ärzt_innen durften ihre beidseitige Lungenarterienembolie nicht per Strahlung untersuchen, weil sie schwanger war. Dass Schick sowieso abtreiben würde, änderte nichts daran. Sie wurde tagelang nicht behandelt, obwohl die Krankheit eine Sterberate von 30 Prozent hat – sie hätte sterben können, weil die Aufrechterhaltung ihrer ungewollten Schwangerschaft Priorität für die Ärzt_innen hatte.
Solche Geschichten sollten uns zu denken geben. Das Abtreibungsverbot in Polen oder das Herzschlag-Gesetz in Texas mögen weit weg und aus der Zeit gefallen wirken. Doch sie sind es nicht. Diese Verbote sind ein Merkmal unserer Zeit, und die Motivationen, aus denen sie entstehen, sind weiter verbreitet als viele glauben wollen. Trotz De-facto-Straffreiheit sind Abtreibungen nach dem Strafgesetzbuch immer noch rechtswidrig. Ein Skandal, der immer wieder benannt werden muss.
Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung betrifft uns am Ende alle, weil es ein Grundpfeiler der Gleichberechtigung ist. Wir müssen es immer wieder aufs Neue verteidigen, wenn auch mit dem inneren Mantra: I can’t believe I’m still protesting this shit.
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