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Nachruf auf Gerd RugeEiner der Wichtigsten

Der Journalist Gerd Ruge ist im Alter von 93 Jahren in München gestorben. Er war Chronist von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis heute.

Ruge in der Talkshow von Günther Jauch, 2014 Foto: Paul Zinken/dpa

Dieses Nuscheln. Käme heutzutage ein Nachwuchsjournalist daher, der so wie Gerd Ruge dazu neigt, Worte mehr zu kauen als zu sprechen, er oder sie hätte wohl keine Chance, jemals ein Mikrofon auch nur aus der Nähe zu betrachten. Bei Ruge aber war sein Mundwerk eines seiner Markenzeichen, so wie die einfachen Fragen und seine unstillbare Neugier. „Ich finde, wenn man zu deutlich spricht, hat das so etwas Lehrerhaftes“, sagte er einmal.

Am Freitag vergangener Woche ist Gerd Ruge im Alter von 93 Jahren in München gestorben. Einen Nachruf über diesen großen Reporter zu schrei­ben, birgt die Gefahr, sentimental zu werden, gar von den „guten alten Zeiten“ zu schwärmen, die bekanntlich gar nicht so gut waren. Denn Ruge war das Gegenteil eines Reporters, wie sie heute in aller Regel im Fernsehen auftreten. Der gebürtige Hamburger neigte niemals zur Hektik, er lehnte geistige Schnellschüsse ab, spielte sich nicht auf, sondern blieb seinem Stil treu: mit ruhigen Fragen dem Zuschauer Einsicht in Entwicklungen in der Welt zu geben. Nicht er selbst gab die großen Analysen ab, er überließ es den Menschen vor Ort, ob in Sibirien, Texas oder Peking, zu erklären, wo ihnen der Schuh drückt.

Dieses Fragende und Zurückhaltende machte den Ruge-Stil aus. Eines seiner Markenzeichen war es, sich selbst nicht in den Vordergrund zu hieven.

Es gab wohl nur wenige Momente, in denen er von dieser Erzählweise abwich. Das Attentat auf Robert Kennedy im Jahr 1968 war so ein Augenblick, als Ruge gestand, dass ihm die Worte fehlten, den Mord hier und sofort einordnen und kommentieren zu können.

Freundlich und niemals belehrend

Ruges wichtigste Eigenschaft war seine Neugier. Noch im Alter von über 80 Jahren drehte er für den WDR Reportagen unter dem Titel „Mit Gerd Ruge unterwegs“, die das deutlich machten. Er war das Gegenteil eines Rentners, schrieb Bücher über Bücher. Im persönlichen Gespräch aber blieb er zurückhaltend, freundlich und niemals belehrend, auch jüngeren Kollegen gegenüber.

Gerd Ruge war ein Chronist von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis heute. Er hat die ganze Welt bereist. Als erster westdeutscher Reporter durfte er ab 1950 aus Jugoslawien berichten, und auch in Moskau war Ruge der erste ARD-Vertreter überhaupt.

Von 1964 bis 1969 arbeitete Ruge als ARD-Korrespondent in den USA, später sah man ihn wieder in Russland, mit dessen Menschen er sich besonders verbunden fühlte. Fast vergessen ist seine Zeit als Leiter des WDR-Hauptstadtbüros in Bonn ab 1970, nahezu zeitgleich mit dem Beginn der ersten sozialliberalen Koalition. Danach zog es ihn nach Peking, diesmal für die damals noch wichtige Tageszeitung Die Welt.

Fenster zur Welt

Viel später gestand Ruge, dass der journalistische Umgang mit regierenden Politikern schwierig sei, weil sich der Erkenntnisgewinn doch in aller Regel sehr in Grenzen hielte. Interessanter fand er da schon gerade entmachtete oder erst kurz vor ihrer Karriere stehende Frauen und Männer.

Vor allem aber hat Gerd Ruge den Westdeutschen – und auch manchem DDR-Bürger – das Fenster zur Welt weit geöffnet. Seine Berichte aus dem Ausland machten den jungen Bundesrepublikanern deutlich, dass sie eben nicht am Nabel der Welt sitzen und dass anderswo Menschen lebten, die ganz andere Probleme hatten. Ruges Auslandsreportagen kann man deshalb auch als Teil der Demokratisierung von Deutschland nach dem Krieg lesen.

Gerd Ruge hat den Deutschen beigebracht, sich nicht so wichtig zu nehmen in der Welt. So, wie er selbst sich nicht so wichtig genommen hat. Dabei war er einer der Wichtigsten.

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12 Kommentare

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  • Einer der Wichtigsten, der sich selbst nicht wichtig nahm. So isses. Und damit der Gegenentwurf zu all den eitlen Gecken, auf die man getrost verzichten kann, allen voran der unsägliche Lanz.

  • Kaum vorstellbar, dass er heute einen Platz in einer Redaktion, geschweige denn auf dem Bildschirm bekommen würde... Hier beherrschen heute Schnell- und Vielschwätzer das Revier.

  • Achtung, off topic, aber es bedarf der Kommentierung, wenn der Ressortleiter einer Tageszeitung ein anderes Blatt so einordnet: „die damals noch wichtige Tageszeitung Die Welt.“

    Nun, der Auflage nach haben alle Tageszeitungen Federn lassen müssen, die taz weniger als Die Welt. Nach Auflage liegt sie immer noch vor der taz. Aber Wichtigkeit richtet sich nicht nur nach der Auflage.

    Als die taz die Medienbühne betrat, brachte sie als notwendiges Gegengewicht frischen Wind in eine Presselandschaft, die von konservativen Blättern dominiert war. Die FAZ etwa galt vielen noch als Sprachrohr der Großbanken.

    Die taz eroberte sich ihre Position, Die Welt konnte sie bis jetzt halten, wenn auch auf andere Weise. Sie ist wichtig als ergänzender Ausgleich in einer inzwischen nach links gerückten Umgebung, indem sie anderen Stimmen Gehör verschafft.

    Dass man bestimmte Meldungen und Positionen abseits der politischen Randzonen nur noch in einem Springer-Blatt findet, entbehrt nicht der Ironie. Für Krawall hat man ja auch noch die bewährte BILD, die nicht verschwinden will, weil Versimpelung einer komplexen Welt als Geschäftsmodell immer noch funktioniert wie am ersten Tag.

  • Ruge war immer da. Bin mit ihm gross geworden. Ach, wie schade.



    Heutzutage hätte er es wohl nicht nur wegen nuscheln schwerer....

  • Eine gut geschriebener Nachruf ist wie eine schöne Erinnerung. Danke.

    PS. „Ich finde, wenn man zu deutlich spricht, hat das so etwas Lehrerhaftes“ :-)

  • "Vor allem aber hat Gerd Ruge den Westdeutschen – und auch manchem DDR-Bürger – das Fenster zur Welt weit geöffnet." Und Letzterem das mit samt der Hauswand. Ich erinnere mich: Kaff in Grenznähe mit Vollprogramm West. Da war Ruge Teil meiner Jugend - Nadel an der Propaganda-Blase.



    Gerd Ruge, ruhe in Frieden!

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

    “ Er war ein Ausnahmejournalist.



    WDR TV gestern am Abend. Gerd Ruge zum 80ten mit einer (zu Recht) Verehrung ausstrahlenden Tina Hassel. Ein Glanzstück.







    RIP - Ruge In Paradise

    unterm——



    anschließe mich als 📺Spätsozialisierter



    War gestern auch hin&weg



    &=> “Erinnerung an Gerd Ruge“



    www.ardmediathek.d...tzpl3Yr30oorGfmHX/

  • Ein toller, ein mutiger Mann. Er liebte die Menschen, über die er berichtete, von ganzem Herzen. Das war es vor allem wohl auch, was ihn so einzigartig werden ließ. R.I.P.

  • ... und auch manchem DDR-Bürger – das Fenster zur Welt weit geöffnet. ..



    Ich kann mich zu den Manchen zählen.

    Gute Reise - Gerd Ruge

    • @Ringelnatz1:

      Ich war einer der Manchen im Westen.



      Merci dafür.



      "RIP - Ruge In Paradise" ©️ mailtütenfrisch

  • Gute Reise - Gerd Ruge -

    Die Reihen haben sich längst & unwiderruflich gelichtet.



    So - wie seit langem Montag nicht mehr Spiegel- & Donnerstag nicht mehr Zeit-Tag ist •

    • @Lowandorder:

      Schließe mich an!

      Ich habe seine Reportagen geliebt.

      "Dieses Nuscheln. Käme heutzutage ein Nachwuchsjournalist daher, der so wie Gerd Ruge dazu neigt, Worte mehr zu kauen als zu sprechen, er oder sie hätte wohl keine Chance, jemals ein Mikrofon auch nur aus der Nähe zu betrachten."

      Ganz genau, heute darf jeder Depp seine Textbausteine in leidlichem Deutsch ins Mikrofon plappern.

      Ruge nahm sich nicht so wichtig, den Gegenstand seiner Arbeit hingegen sehr.

      Und dass er seinen Job liebte, das war immer zu spüren. Er brachte einem die Welt auf eine unaufdringliche, aber eindringliche Art nahe.

      "Glück ist ein bisschen die Kunst, kein Pech zu haben."

      Gerd Ruge