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Niedersachsen vor 43 JahrenV-Männer spielen Terroristen

Um die Bedrohung durch die RAF glaubhaft zu machen, lässt der niedersächsische Verfassungsschutz 1978 ein Loch in das Celler Gefängnis sprengen.

Mahnmal staatlicher Dummdreistigkeit: Ex-Gefängnisdirektor Paul Kühling vor dem „Celler Loch“ Foto: Fabian_Matzerath/dpa

Hannover taz | Die Geschichte des „Celler Lochs“ ist so dusselig und verworren, dass davon vor allem eines im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben ist: Irgendwie ist der niedersächsische Verfassungsschutz selbst für „false flag“-Operationen zu ungeschickt.

Dabei war die Tat – von der bis heute ein Stückchen Mauer mit einem circa 40 Zentimeter großen Loch vor der JVA Celle zeugt – an sich nicht einmal wahnsinnig spektakulär.

In der Nacht des 25. Juli 1978 knallte es. Offenbar ein Sprengstoffanschlag auf die Außenmauer des Gefängnisses. Allerdings kein sonderlich erfolgreicher, durch dieses Loch wäre niemand rein- oder rausgekommen.

Aber natürlich schien sofort klar, mit wem das zu tun haben musste: In Celle saß zu diesem Zeitpunkt Sigurd Debus ein, mutmaßliches RAF-Mitglied, verurteilt wegen diverser Überfälle und der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen.

Widersprüche kümmern keinen

Seine Zelle wurde noch in der Nacht durchsucht, Ausbruchswerkzeuge gefunden, zack, klarer Fall. Dass Debus zum Zeitpunkt des angeblich geplanten Ausbruchs schlief, schien nur ein kleiner Widerspruch, mit dem sich niemand weiter befassen musste.

Die Stümperhaftigkeit des Anschlages erschien vielleicht seltsam. Aber, behauptete das LKA wenig später, das war ja auch bloß eine Strategie – um die Zusammenlegung der RAF-Gefangenen zu erzwingen, die auch mit den Hungerstreiks eingefordert wurde. So stehe es in dem „Dellwo-Papier“, das man abgefangen habe.

Seltsam nur, dass dieses Papier offenbar weder dem angeblichen Verfasser Karl-Heinz Dellwo, der für den terroristischen Überfall auf die Botschaft in Stockholm zu zweimal lebenslänglich verurteilt worden war, noch sonst irgendeinem RAF-Häftling bekannt war. Es gab auch keine weiteren Anschläge dieser Art, obwohl die doch eine Serie hätten ergeben sollen.

Aber immerhin gab der Anschlag einen willkommenen Vorwand ab, um den Hochsicherheitstrakt noch einmal weiter hochzurüsten – in den übrigens kurze Zeit später ausgerechnet Dellwo einfuhr und die nächsten 17 Jahre verbrachte.

Ministerpräsident rechtfertigt die Aktion

Erst acht Jahre später, 1986, gewinnt die Geschichte einen neuen Dreh. Es ist kurz vor der Landtagswahl und Ulrich Neufert (damals Reporter, später Chefredakteur der Hannoverschen Allgemeinen) erhält Informationen, die belegen, dass der Verfassungsschutz in jener Nacht GSG9-Beamten in Marsch setzte, um den Anschlag zu fingieren.

Weil Neufert seine Quellen bis heute schützt, ist unklar, was sie zu dieser Auskunft bewegt hat. Die Informationen kamen aber, so viel hat der Journalist verraten, aus Geheimdienstkreisen. Die „Aktion Feuerzauber“ sollte dazu dienen, zwei V-Leute in die RAF beziehungsweise ihre Unterstützerkreise einzuschleusen.

Und der damalige CDU-Landesvater, Ernst Albrecht, hält das Vorgehen auch für überhaupt nicht problematisch, im Gegenteil. „Der Zweck heiligt die Mittel“, lautet die Devise. Der anständige Bürger erwarte gar nichts anderes. Man habe so Anschläge verhindert, Menschenleben gerettet, RAF-Verstecke aufgestöbert, die als „Volksgefängnisse“ für weitere Entführungen hätten dienen sollen.

Die Opposition ist fassungslos, unter Juristen entspinnt sich eine lebhafte Debatte darum, wie weit der Geheimdienst außerhalb des Gesetzes steht und welche „nachrichtendienstlichen Mittel“ wohl gerade noch okay sind.

Albrecht wird trotzdem wiedergewählt

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss lässt an der vermeintlichen Erfolgsgeschichte kein gutes Haar. Den beiden V-Leuten ist es nie gelungen, wirklich an die RAF heranzukommen. Wenn sie überhaupt Straftaten aufgedeckt haben, dann nur solche, die sie selbst vorher angestiftet und inszeniert haben.

Ministerpräsident Ernst Albrecht, der Vater der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, wird trotzdem wiedergewählt. Sein damaliger Konkurrent, der spätere SPD-Ministerpräsident und Kanzler Gerhard Schröder, braucht noch drei Anläufe, um ihn zu besiegen. Immer wieder entgeht Albrecht in seiner 14 Jahre andauernden Karriere knappsten Abstimmungen, einem Misstrauensvotum, wechselnden Landtagsmehrheiten.

Erst bei der Landtagswahl 1990 gelingt es dem rot-grünen Bündnis unter Schröder, ihn abzulösen. In die niedersächsische Geschichte geht Ernst Albrecht ein als der Ministerpräsident, der Niedersachsen mit der fragwürdigen Entscheidung für Gorleben einen der zähesten und lang anhaltendsten Konflikte überhaupt beschert hat.

Da fällt der absurde Affärenreichtum seiner CDU kaum noch ins Gewicht.

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19 Kommentare

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  • ich weiß grad nicht was ich davon halten soll.

  • "Erst acht Jahre später, 1986, gewinnt die Geschichte einen neuen Dreh."

    Ach wissen Sie, mit der RAF, den Revolutionären Zellen (Selektion in Entebbe, im Juli 1976 durchgeführt von Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann), den Tupamaros Westberlin (Bombenanschlag vom 09. November 1979), deren Gründer Dieter Kunzelmann war, hatte die Geschichte ihren Dreh der 30er fortgesetzt. Wie sagte Dieter Kunzelmann,



    Zitat: „[Die Linken haben] das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. […..] Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ‚Zionismus‘ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“



    Zitat Ende



    Hier im Brief von Amman ist das Zeug nachzulesen: plakat.nadir.org/8..._42_27_11_1969.pdf



    Aber kümmern wir uns um das Wesentliche....um das "Celler-Loch".

    • @Günter:

      Diese Whataboutismen ändern nicht das Geringste an den illegalen und verbrecherischen Machenschaften des rechts durchsetzten Verfassungsschutzes.

      Und wenn wir über die Fortsetzung der 30er Jahre reden, dann gibt es nur einen relevanten Zusammenhang: Den Rechtsextremismus.

  • Schwarzen Operationen

    Es ist dankenswert, daß die Taz sich gelegentlich auf ihre Wurzeln besinnt und an diesbezügliche politische Ereignisse erinnert, die man heutzutage gewöhnlich unter dem Etikett „Verschwörungstheorie“ abheftet. Dabei handelt es sich seit ewigen Zeiten um eines der wichtigsten Instrumente aus dem Werkzeugkasten der Intelligence Community aller Länder. Die Liste ist lang und wäre eine eigene Artikelserie in der Taz wert.

    Umberto Ecco hat diese Praxis am Beispiel der französischen politischen Polizei Ende des 19. Jhs. beschrieben: „Ein guter Agent der Nachrichtendienste ist verloren, wenn er in etwas bereits Geschehenes eingreifen muß. Unser Metier ist, dafür zu sorgen, daß es früher geschieht. Wir geben nicht wenig Geld dafür aus, Tumulte auf den Boulevards zu organisieren, Dazu braucht man nicht viel, ein paar Dutzend entlassener Zuchthäusler und einige Polizisten in Zivil genügen, sie plündern drei Restaurants und zwei Bordelle, auf den Lippen die Marseillaise, zünden ein paar Zeitungskioske an, dann kommen die Unseren in Uniform und verhaften sie alle nach einem Anschein von Handgemenge.“ („Der Friedhof in Prag“, S. 254)

    Die (sehr fragmentarische) Liste dieser geheimdienstlichen Roßtäuschertricks in der jüngeren Zeitgeschichte ist lang und reicht vom Mukden-Zwischenfall in Nordchina, dem Mainila-Zwischenfall und den inszenierten Überfall auf den Sender Gleiwitz durch die SS (jeweils als inszenierter casus belli), der „Operation Ajax“ 1953 zum Sturz des iranischen Präsidenten Mossadeq durch CIA und MI6, der Operation PBSUCCESS 1954 zum Sturz des demokratisch gewählten guatemaltekischen Präsidenten Arbenz über die 1962 gegen Cuba geplante Operation Northwoods und die den „Roten Brigaden“ zugeschriebenen Terrorakte in Italien der 70er Jahre („Strategie der Spannung“) bis hierzulande zur Lieferung der Molotow-Cocktails gegen die Springer-Lieferwagen 1968 durch den LAV-IM P. Urbach, die Schmücker-Affäre und das Oktoberfest-Attentat. A suivre.

  • Vielen Dank für diesen Artikel. Einmal mehr ist dargelegt, wie wichtig es ist, Verschwörungstheorien unverzüglich und entschieden entgegenzutreten, bevor noch jemand anfängt, sich ernsthaft damit zu beschäftigen.

    Danke nochmals.

  • "am längsten anhaltenden" wäre hier richtig.

    • @Cristina Nissen:

      Ach was! © Loriot - Frau Lersche 🙀



      Elativ is relativ & lieber Hyperlativ als -



      Hyperventilieren - wäre “besser is das“ -



      Gewesen - eben. - 😹 -



      vgl - Die Enden der Hyperbel o.s.ä. by



      Thomas Pynchon - 🧐 -

      (ps btw aus dem Skat - weiß das - wa!



      Bin ich doch im “k’Nissenhaus“ born!;)))

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch schlenztein:

    “Loch doch

    Was Mensch so macht, hat er die Macht...



    Der Michel ruht zur Nacht, als es plötzlich kracht.



    Er hat keinen Verdacht.



    Loch



    loch



    loch doch



    so loch doch



    so loch doch schon



    so loch doch



    loch doch



    loch







    üch loch müch kronk.



    (Ernst Jandl)“

    Schonn besser - eh Mops kotzt!



    Ochottochott

    • @Lowandorder:

      Loch an Loch,



      und es hält doch...

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Ich vergass, es sprach die Schweißnaht:



        "Loch an Loch,

        und es hält doch..."

    • @Lowandorder:

      WIEN - HELDENPLATZ - Bitte Jandelns -

      m.youtube.com/watch?v=GZqbr_WnQNE 🕳ens nich - 👹 -

      Näher dazu - “Kindheit in Wien“ - aus:



      “Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ von Eric Kandel - Kapitel 2 S. 28 ff

      kurz - “… Was Mensch so macht, hat er die Macht...

      Der Michel ruht zur Nacht, als es plötzlich kracht.

      Er hat keinen Verdacht.…“

      Ooch wieder wahr - leider.



      Normal •

      “…Mein Vater musste mit einer Zahnbürste die letzten Spuren österreichischen Unabhängigkeitsstrebens beseitigen: das Wort “Ja“, das Wiener Patrioten auf das Pflaster gekritzelt hatten, damit ihre Landsleute für Österreichs Freiheit und gegen die Annexion stimmten…“



      Eric Kandel ebenda

      So geht das

      Ende des Vorstehenden

  • Das "Celler-Loch" mag zwar 43 Jahre her sein, ich glaube allerdings, dass sich seitdem kaum - wenn überhaupt! - irgendetwas verändert hat in der leidvollen Geschichte der BRDigung...



    Deswegen ist es ja auch nach wie vor in gewissem Sinne brandaktuell was die gesellschaftlich-politischen Bedingungen betrifft.



    Aber ein Dankeschön ans Erinnern. Tut oft genug einfach mal Not...

    • @Dahli:

      ...und gerade WEIL sich seitdem nichts verändert hat, macht eine gewisse kriminelle schwarzbraune Vereinigung immer so weiter und wird, es ist nicht zu fassen, von bisher Oppositionellen sogar noch als ernst zu nehmder Gesprächspartner behandelt, ja, in einigen Regionen als gleichwertiger Partner.



      Ich wähle die Grünen erst wieder, wenn sie endlich keine faulen "Kompromisse" mehr eingehen.



      "Da wendet sich der Gast mit Grausen..."

    • @Dahli:

      Anschließe mich.



      Auch von mir ein Dankeschön an die Redaktion.



      Mal dringen die Nachrichtendienstler nicht zu den Spitzbuben durch (s.o.), mal kann man sie gar nicht so richtig von den Spitzbuben unterscheiden (s. thüringischer Verfassungsschutz im NSU-Umfeld).

  • Ist eigentlich für den Terroranschlag jemand vom Verfassungsschutz vor Gericht gekommen? Schließlich ist Bomben legen doch verboten. Oder bin ich da falsch informiert?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Bomben legen ist nicht verboten wenn man vorher den Justizminister informiert:



      taz.de/Durchs-Cell...-ins-BKA/!1832972/

      Fun Fact: Der Mann hat später das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachens gegründet, wo der weltbekannte Kriminologe Pfeiffer zu den Auswirkungen von Killerspielen oder den Töpfchentraining in den DDR Kindergärten forschte...

      de.wikipedia.org/w...ans-Dieter_Schwind

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Du meinst die eigenen Dienstherren, werden von Staatsanwaltschaft und Co. vor Gericht gezogen? Das klappt doch heute genauso wenig, wenn man allein die letzten 2-4 Wochen zurückschaut wieviele Polizei-Aktionen/VS-Beobachtungen als rechtswidrig geurteilt wurden. Aber scheinbar haben die Staatsanwälte kein TV oder Zeitungsabo, deswegen wissen die das scheinbar noch nicht. Für unsere Politiker und Dienstherren bei Polizei, VS und Co. herrschen halt andere Regeln.

  • Ja, dä Albrecht war schon enne fiese Möb.

  • “Das Celler-Loch!“ Danke.

    “… Und der damalige CDU-Landesvater, Ernst Albrecht, hält das Vorgehen auch für überhaupt nicht problematisch, im Gegenteil. „Der Zweck heiligt die Mittel“, lautet die Devise. Der anständige Bürger erwarte gar nichts anderes.…“

    kurz - & Im Hier&Jetzt - Gilt das für SMS auch - naturellement - 🙀🥳 •

    unterm——btw but not only ——



    Polizeigrundsätze -



    1. Was wir können. Machen wir auch!



    2. Wieso! Ich darf das. Bin doch Polizist!



    3. Die Politikaster sehn&hören nix!



    Und decken alles •



    & nochens =>



    Sowas nennt frauman in der Physik einen Schwingkreis!



    (Abi 1966!;)

    kurz2 - Grundgesetzlicher sozialer Rechtsstaat?=>



    Sieht anders aus • 🍌 🍌 Republik Schland -