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Parteitag der GrünenNoch kurz durchhalten

Die Umfragen geben es nicht her, trotzdem reden die Grünen auf dem Wahlparteitag von der Kanzlerinnenschaft. Eine gewisse Nöligkeit ist aber zu spüren.

Don't Stop Me Now: Annalena Baerbock lässt sich am Sonntag von den Delegierten feiern Foto: dpa

Berlin taz | Die Grünen machen sich Mut. Zum Wahlsieg brauche „es noch deutlich mehr Stimmen“, räumt Annalena Baerbock beim Kurzparteitag in Berlin zwar ein. Aber bei den Unentschlossenen sei in der letzten Wahlkampfwoche noch etwas zu holen. „Jeder Dritte ist noch unentschieden. Das sind 20 Millionen Menschen.“ Um tatsächlich noch stärkste Partei zu werden, müssten die Grünen zwar unglaublich viele davon auf ihre Seite ziehen, aber das ficht viele der Red­ne­r*in­nen an diesem Sonntag nicht an. Ihre Message: Wir sind weiter entschlossen.

Dafür sind solche Veranstaltungen ja auch da. Auf dem kleinen Parteitag mit rund 100 Delegierten werden eine Woche vor der Wahl weder wegweisende Beschlüsse getroffen noch Grundsatzfragen ausdiskutiert. Stattdessen hält die versammelte Parteiprominenz vier Stunden lang Wahlkampfreden, die als Parteitag gelabelt mehr Sendezeit erhalten als es bei einem beliebigen Marktplatzauftritt der Fall wäre. Winfried Kretschmann spricht zu diesem Anlass, Claudia Roth, die Spitzenkandatinnen der Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Robert Habeck und natürlich Annalena Baerbock. Von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wird sie trotz Umfragewerten um die 16 Prozent nach wie vor als „unsere erste Kanzlerkandidatin“ anmoderiert.

Die zentrale inhaltliche Botschaft in der Rede der Parteichefin: Vor uns und unserer Klimapolitik muss niemand Angst haben, wir können sowohl als auch. Sowohl die Wirtschaft als auch die soziale Gerechtigkeit hätten die Grünen im Blick. „Das geht Hand in Hand. Klimaschutz sichert Arbeitsplätze, unseren Industriestandort und damit den sozialen Wohlstand“, sagt Baerbock.

Um den Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit zu entkräften – auf dem parallel stattfindenden FDP-Parteitag warnt Christian Lindner mal wieder vor „Klimaschutz by Bullerbü“, der den Wohlstand gefährde – war vor Baerbock schon der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Bühne gestiegen. „Wenn eine Partei weiß, wie man klimagerechten Wohlstand schafft, dann sind wir es“, sagte er und setzte zu einer Aufzählung an, die mit Next-Generation-Batterien startete und mit Quantencomputern endete.

Gegen den Vorwurf wiederum, in sozialen Fragen einen blinden Fleck zu haben, bieten die Grünen am Nachmittag unter anderem Frank Bsirske auf. Der Ex-Verdi-Chef kandidiert als Grüner für den Bundestag. Demokratien seien stärker, sagt er, wenn die Ungleichheit gering ist. Außerdem stimmt der Parteitag dem Leitantrag des Bundesvorstands zu. Er trägt den Titel „Sozialpakt für klimagerechten Wohlstand“ und beinhaltet ein Best-of der sozialpolitischen Forderungen aus dem Wahlprogramm, zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, eine leicht verschärfte Mietpreisbremse und 50 Euro mehr im Monat beim Hartz-IV-Regelsatz.

Die Fehler der anderen

Neben diesen Inhalten und den Durchhalteparolen schwingt an diesem Sonntag zwischendurch aber auch noch etwas anderes mit: eine gewisse Nöligkeit angesichts des Wahlkampfs und der aktuellen Lage der Partei. „Man liest schon so einiges, auch die Wahlanalysen, auch wenn die Wahl erst in einer Woche stattfindet, aber spannend“, klagt Baerbock zwischendurch. Später am Tag wird sich Co-Parteichef Robert Habeck dann noch darüber beschweren, dass wegen der anderen Parteien im Wahlkampf nicht die richtigen Themen diskutiert worden seien.

„Irgendwas war nicht richtig in diesem Wahlkampf“, sagt er zu Beginn seiner Rede. Dieser Satz klingt erst einmal spannend, eine ehrliche Fehleranalyse der Grünen wäre ja tatsächlich interessant. Eine Woche vor der Wahl liefert Habeck das in aller Öffentlichkeit aber natürlich doch nicht. Stattdessen beklagt er sich darüber, dass trotz bester Ausgangsbedingungen der Klimaschutz in den letzten Wochen nicht den richtigen Stellenwert bekam. „Es wurden Popanze aufgebaut, die verhindern sollten, dass ein Wettbewerb um die zukünftige Gestaltung dieses Landes beginnt.“ Am Ende ruft er die Partei dann übrigens noch dazu auf, „für Annalena“ zu kämpfen. Vom Kanzleramt sagt er aber nichts mehr.

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17 Kommentare

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  • Kopf hoch, noch nicht aufgeben!



    Erst wählen, dann zählen. Eine Regierung ohne CDU ist möglich.



    Trauern können wir dann hinterher, wenn es doch schief laufen sollte.

  • Ja, es wurden, wie immer, "Popanze" aufgebaut, da hat Habeck recht.



    Einer der größten "Popanze" ist die Idee, daß staatliche Transferleistungen irgendwie "sozial" seien.



    Diejenigen die sonst gerne (und völlig zurecht) die Wissenschaft bemühen, haben da einen blinden Fleck und schauen nicht hin, wenn Sozialwissenschaftler, Psychologen etc. den Effekt auf Menschen untersuchen wenn Menschen vor der Alternative "Arbeit versus Sozialtransfer" stehen.



    Das Motto der FDP: "Sozial ist was Arbeit schafft" ist vor dem Hintergrund, wenn es klappt, auf jeden Fall die bessere Sozialpolitik.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Ich leide nicht so hart darunter, dass ALB nicht Kanzlerette wird - aber darunter, dass die Mehrheitsverhältnisse im Moment auf weitere 4 Jahre Groko hinauslaufen.

    Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das abfuckt...

  • Achtung Wortspiel! Wer hats verbockt?

    Tut mir leid, aber das ist einfach hausgemacht. In einer fairen Welt sollte der Kandidat allein nicht so viel ausmachen, aber dem ist nun mal nicht so!

    Nun denn, hoffentlich hält Habeck noch 4 Jahre durch.

    • @insLot:

      Ja, nur in welchem Haus?



      Ich denke ja, das im Hause konservativer Thinktanks und Co. haben Sie sich in den letzten Monaten sehr großen Mühen gemacht und kein Pulver gespart, um den Grünen und die Frau Baerbock Steine in den Weg zulegen. Sie können ja auch nichts anderes, weil CDU kaum Inhalte für die Zukunft haben, die für jemand wirklich interessant sein könnte.

  • „Das geht Hand in Hand. Klimaschutz sichert Arbeitsplätze, unseren Industriestandort und damit den sozialen Wohlstand“, sagt Baerbock.

    Alles läuft so weiter wie es ist, die ganze Welt strebt zu solch einem Konsum hin und nebenbei auch noch Klimaschutz, Artenschutz, Naturschutz.

    ROFL

  • Am Sonntag wird gewählt dann wuird gezählt. Ist alles noch offen.

  • ..... und natürlich Annalena Baerbock. Von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wird sie trotz Umfragewerten um die 16 Prozent nach wie vor als „unsere erste Kanzlerkandidatin“ anmoderiert.

    Robert als erster Kanzlerkandidat würde m.M. nach die Wahl gewinnen - der Zug ist aber abgefahren...

  • "Eine Woche vor der Wahl liefert Habeck das in aller Öffentlichkeit aber natürlich doch nicht. Stattdessen beklagt er sich darüber, dass trotz bester Ausgangsbedingungen der Klimaschutz in den letzten Wochen nicht den richtigen Stellenwert bekam."



    Tjo, wenn mensch ehrlicher wäre, könnte mensch ein bloßes Telefonat mit den Hungerstreikenden und abgekartetes Spiel sich mit CDU- und SPD-Kandidaten zusammenzutun und mit ihnen Privatgespräche nach der Wahl anzubieten eben auch so deuten, dass bei den Grünen selbst nicht viel Wille da ist, das Thema Klima die notwendige Dringlichkeit einzuräumen. Auch wenn durchaus einige Grüne sich solidarisch(er) gegenüber den Hungerstreikenden verhalten - wie bspw. Hans Josef Fell.

  • Tja wenn halb westdeutschland unter wasser steht vor allem wegen der Klimakatastrophe dann muss man da hin mit den Leuten reden und klar machen dass das durch Klimaschutz verhindert wird und dieser laschet und Scholz diese ja zu katastrofe Befeuert haben

    • @prius:

      Wenn Leuten das Wasser bis zum Hals steht, werden sie sicherlich Verständnis dafür haben, wenn man ihnen lang und breit erklärt, warum ihnen das Wasser bis zum Hals steht. [/sarkasmus]



      Lieber wäre es ihnen vermutlich, wenn man ihnen hilft, wieder trockene Füße zu bekommen.

  • Baerbock (zit. nach Artikel): „Das geht Hand in Hand. Klimaschutz sichert Arbeitsplätze, unseren Industriestandort und damit den sozialen Wohlstand“.

    Das ist der Kern des grünen Konzepts, und der ist alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal. Alle Parteien mit Ausnahme der AfD wollen das "grüne Wachstum", doch vermutlich checken viel mehr Leute, als man so denkt, dass das reines Wunschdenken ist. Oder ahnen es wenigstens. Allerdings propagieren die Grünen diesen Schwachsinn viel intensiver als andere Parteien - ist ja schließlich ihr Markenkern.

    Hinzu kommt, dass Annalena Baerbock nicht so gut darin ist, den Unsinn zu verkaufen. Bei ihr wirkt alles irgendwie rechthaberisch - Habeck hätte die Botschaft viel besser an den Mann gebracht.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Zum Titelfoto: Das gibt prima Haltungsnoten. Warten wir mal auf die B-Wertung für den künstlerischen Gesamteindruck.

  • Warum scheuen die GRÜNEN eigentlich die attacke? Die kandidatin hält sich erwartbar zurück, anderes widerspräche ihrem charakter und ihrer klugheit. Aber warum haut kein/e andere/r spitzengrüne/r der aachener grinsekatze ihre zahlreichen skandale um die ohren? Die verschlampten klausuren, gewürfelte klausurnoten für abwesende, die auflösung der stabsstelle umweltkriminalität, die räumung des hambacher forsts, seine zahllosen lügen und und und.

    Oder sind wir, wie das beispiel des trotz vorbelastungen in sachen tönnies immer noch amtenen osnabrücker leitenden oberstaatsanwalts vermuten läßt, in sachen orbánisierung und putinisierung dabei die österreicher zu überholen? Die polizeiführungen vollziehen illegale maßnahmen mit tödlichen konsequenzen, der WDR löscht das geständnisvideo "„Ich brauche auch einen Vorwand, sonst kann man doch nicht tätig werden. Ich wollt' den Wald räumen“, der Springer-Konzern etabliert mit BLÖD-tv eine deutsche fox-kopie....

    Oh, oh, was für gefährliche gedanken. Träume ich? Wache ich?

  • wenn halt selbst die CDU im Weltweiten Vergleich als Ökopartei dastehen würde ist das Klima schon ein sehr bestimmendes Thema bloß wieviel Gewicht dem zugestanden wird ist halt die andere Sache….

  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Was die Wirtschaftskompetenz der Partei Die Grünen angeht, mache ich mir keine großen Sorgen. 'Hessen vorn zeigt', was geht.

    Dies aus der Tastatur eines sozialen Menschen zu lesen, der Tag für Tag die soziale Inkompetenz a l l e r etablierten Parteien erlebt, bitte ich nicht als Lob miss-zu-verstehen.

    Apropos: von einer sehr spöttischen Bekannten hörte ich neulich, Frau Baerbock könne sich ja nach der Bundestagswahl stehenden Fußes als "Miss Verständnis" bewerben.

    Nee - oder?

  • Ganz interessant, dass im "Sozialpakt" jetzt schon wieder etwas andere Schwerpunkte gelegt werden als "noch" im Wahlprogramm. Mehr Schotter, das muss wohl die Hauptsache sein, aber gleich raus aus Hartz IV - dann vorsichtshalber doch erst mal nur Jugendliche und Kinder. Das klingt schon eher wieder so SPD-like, hat man sich schnell in passend Schale geworfen? Ich muss gestehen ich bin schon ganz froh, dass bis zur Wahl jetzt nicht noch drei Parteitage anstehen. Auf die fünfte Überarbeitung kann man dann auch echt mal verzichten, zumal ja noch immer die Grundlage fehlt, nämlich die Annahme durch die Wähler, also wo sie denn können, liebe Saarländer. Und was das angeht sollen wir schon froh sein, wenn sie wenigstens über die FDP kommen, außerdem waren da ja doch auch ein paar eigene Fehler. Nicht alle groß, insbesondere nicht die von Baerbock selbst, aber in der Summe erscheint mir Habecks Lesart einigermaßen forsch, auch wenn z.d.Z. keine Selbstkritik erwartet wird. Was mich stört und irritiert ist, dass sie eigentlich seit Wochen gefühlt Wahlkampf machen für die SPD, ausgerechnet, jedenfalls nicht mehr gegen sie. Man hat viel, viel früher absehen können, dass das Kanzleramt, wenn, nur dort überhaupt streitig gemacht werden würde und das haben sie sehr wohl auch gesehen. Offenbar sogar auch in Kauf genommen, eigene Stimmen an die SPD zu verlieren und danach sieht's ja aus. Deshalb glaube ich lange nicht mehr an die Behauptung dieser Ambition. Die Grünen wollen (zweiter) Junior werden und haben sich längst damit arrangiert. Das wenigstens nicht mehr auf Jamaika, aber ein bisschen Ernüchterung (und Besorgnis) müssen sie uns einräumen.