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Coronalage in DeutschlandKeine Panik, trotzdem Vorsicht

Die Inzidenz steigt wieder rasant, die Zahl der Co­ro­na­pa­ti­en­t:in­nen in den Krankenhäusern etwas langsamer. Was das heißt und wo wir stehen.

Eine Mitarbeiterin desinfiziert Audioguides im Pergamon-Museum in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die Temperaturen gehen zurück, die Inzidenz steigt wieder. Allein am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut binnen 24 Stunden 8.400 Corona­neuinfektionen. Der 7-Tage-Mittelwert liegt damit um 61 Prozent höher als noch vor einer Woche. Auch die Zahl der Co­ro­na­patient:innen in den Krankenhäusern nimmt wieder zu.

Zugleich wird eifrig gelockert. Restaurants, Kneipen und selbst Clubs öffnen ihre Innenräume. In Berlin sind Veranstaltungen mit bis zu 25.000 (!) Teil­neh­me­r:in­nen erlaubt. Wer nicht bereits genesen oder vollständig geimpft ist, muss offiziell zwar einen Test vorlegen. Doch vielerorts wird nicht einmal das geprüft – zudem schließen immer mehr Testzentren. Selbst so simple Maßnahmen wie Abstandhalten und Masketragen werden oft nicht mehr eingehalten.

Und die Politik? Abgesehen von Plädoyers, alle noch Ungeimpften mögen sich doch endlich die zwei Pikser geben lassen – dazu gibt es auch kostenlos eine Bratwurst –, scheint ihr Motto zu lauten: Bloß schnell Alltag einkehren lassen. Dem mag auch keiner widersprechen.

Denn nach nichts sehnt sich die Mehrheit mehr als nach dem Leben wie in Vor-­Corona-Zeiten. Und wer ist schon freiwillig der Spielverderber? Kanzlerkandidat Laschet, derzeit noch Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erklärte bereits, Inzidenzwerte seien für ihn nicht mehr maßgeblich. Doch auch wer die Coronagefahr ernst nimmt, fragt sich: Wo stehen wir eigentlich? Wie verhalte ich mich angemessen? Was droht im Herbst?

Trügerische Hoffnung

Die gute Nachricht: Impfen wirkt. Trotz Meldungen über Impfdurchbrüche – also über doppelt Geimpfte, die sich dennoch anstecken und auch erkranken – ist die Wirksamkeit der hierzulande verwendeten Impfstoffe selbst bei der sehr viel ansteckenderen Deltavariante hoch. Krankenhauseinweisungen von Menschen mit Durchbruchinfektionen machen nach bisherigem Kenntnisstand weniger als 1 Prozent der Immunisierten aus. Das ist extrem wenig. Wer also geimpft ist, kann entspannt im Biergarten sitzen und muss keine schwere Covid-19-Erkrankung befürchten.

Auch Auffrischungsimpfungen werden nach bisherigem Wissensstand für die Mehrheit nicht nötig sein. Zwar weiß man inzwischen, dass nach einem halben Jahr das Antikörperlevel sinkt. Charité-Virologe Christian Drosten empfiehlt eine Auffrischung im Herbst aber erst mal nur für alte Menschen sowie bestimmte Risikogruppen. Alle anderen brauchen eine solche Auffrischung zunächst nicht.

Was die Situation auf jeden Fall auch anders macht als noch im Frühjahr: Mehr als 58 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind inzwischen vollständig geimpft, weitere 5 Prozent stehen kurz davor. Seit der Stiko-Empfehlung der vergangenen Woche, mRNA-Impfstoffe auch an Jugendliche zu verimpfen, hat auch in dieser Altersgruppe die Impfbereitschaft deutlich zugenommen. Das heißt: Eine Inzidenz von 50 ist damit nicht mehr ganz so dramatisch wie noch zu Beginn des Jahres, als kaum einer geimpft war und für jeden fünften Hochbetagten eine Infektion tödlich verlief.

Und trotzdem: Die Annahme, dass die bereits begonnene nächste Welle das Gesundheitssystem nicht bald schon wieder an Belastungsgrenzen bringen werde, könnte sich als trügerisch erweisen. Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind hierzulande noch nicht vollständig geimpft, das sind fast 30 Mil­lio­nen. Und angesichts der ansteckenderen Deltavariante und der Tatsache, dass Geimpfte zwar sehr viel weniger schwer erkranken, aber sehr wohl unentdeckt das Virus weitertragen können, wären die Kranken­betten dann doch rasch wieder alle belegt. Jeder, der dann – egal ob wegen ­Covid oder wegen etwas anderem – eine Krankenhausbehandlung benötigt, wäre von der Überlastung der Krankenhäuser unmittelbar betroffen.

Eine Pandemie lässt sich nur weltweit bekämpfen

Und warum es letztendlich auch weiterhin wichtig bleibt, die Infektionszahlen niedrig zu halten: Die wahrscheinlich größte Gefahr droht uns mit neuen Mutationen, die die Immunabwahr durch den bestehenden Impfschutz möglicherweise doch komplett umgehen könnten. Und je höher die Fallzahlen sind, desto größer ist auch die Gefahr, das genau das passiert. Das Virus könnte dann auch für die Geimpften wieder lebensgefährlich werden.

Umso wichtiger ist es daher, die hierzulande nicht verwendeten Impfdosen auf keinen Fall zu horten, womöglich gar wegzuschmeißen, sondern rasch an die Länder weiterzureichen, wo Impfstoffknappheit herrscht. Und das ist in den meisten Ländern der Welt der Fall. Eine Pandemie lässt sich eben nur weltweit bekämpfen. Oder, wie es der WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan formuliert: Menschen eine Auffrischimpfung anzubieten ist so, als würde man Menschen mit Rettungswesten noch eine weitere Weste dazugeben – während viele Millionen sich ohne jegliches Hilfsmittel über Wasser halten müssen.

Was der Herbst und der Winter aufgrund dieser unsicheren Entwicklungen bringen wird, kann niemand seriös beantworten. Es bleibt zu wiederholen: Impfen hilft. Nicht zuletzt angesichts der ökonomischen und sozialen Verwerfungen, die ein weiterer Lockdown mit sich bringen würde, sollte die Einführung einer Impflicht kein Tabu mehr sein.

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15 Kommentare

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  • Die vierte Welle hat begonnen die Bundes- und Länderregierungen trauen sich offenbar nicht, die Testpflicht auch für Geimpfte wieder einzuführen trotz eindeutiger Erkenntnisse, dass auch Geimpfte andere anstecken können oder sogarsuperspreader werden, wie in Israel passiert. Jede:r kann hier die kostenlosen Testangebote weiter nutzen und mithelfen, den naechsten Lockdown zu verhindern und den Abgeordneten des eigenen Wahlkreises schreiben, dass es sicher billiger wird, das kostenlose Testangebot zu erhalten als weitere Lockdowns abzufedern. Während kostenpflichtige Tests für Ungeimpfte einzuführen, billige Polemik und epidemologisch betrachtet kompletter Unsinn ist.

  • Man kann es drehen und wenden, wie man will:



    Die Impf-Kampagne ist gescheitert, die Pesimisten und Skeptiker haben mal wieder Recht behalten und die Verdienstkreuze dafür sind voreilig verteilt worden.



    Aber das war ja mit der Corona-Warn-App letztes Jahr nicht anders ...

    • @Denkender_Buerger:

      Die Impfkampagne ist nicht gescheitert, die Impfung schützt nach wie vor Menschen sehr effektiv vor schwerer Erkrankung, auch wenn Auffrischungsimfpungen für gefährdete Menschen angezeigt sein könnten. Auserdem ist der Impfstoff nicht perfekt in der Effizienz, aber das ist nun mal so bei den meisten Impfstoffen. Möglicherweise kann er auch noch verbessert werden.

      Was gescheitert ist, ist vielleicht die Strategie, darauf zu vertrauen, dass sich so viele andere Menschen impfen lassen, dass man selber die Impfung nicht braucht. Das wird so nicht funktionieren - wie zahlreiche Experten sagen, wird praktisch jeder der die Impfung nicht hat, früher oder später die Infektion bekommen, mit allen bekannten Risiken, inklusive Long Covid.

  • > "Wer also geimpft ist, kann entspannt im Biergarten sitzen und muss keine schwere Covid-19-Erkrankung befürchten."

    > "Und angesichts der ansteckenderen Deltavariante und der Tatsache, dass Geimpfte zwar sehr viel weniger schwer erkranken, aber sehr wohl unentdeckt das Virus weitertragen können, wären die Kranken­betten dann doch rasch wieder alle belegt."

    Das übersieht zwei wichtige Aspekte:

    1. auch jüngere Menschen ohne Impfung können an Long Covid erkranken oder - wenn auch seltener - schwer erkranken. Und dazu gehören auch Kinder. Und das passiert natürlich viel eher bei hohen Inzidenzen.

    Das ist genau das, was im Süden der USA, also Florida, Missisippi, Louisana, Texas, momentan passiert - da sind sowohl Intensivstationen als auch pädiatrische Kliniken voll ausgelastet.

    Ins Verhältnis setzen muss man das allerdings damit, dass immer noch die meisten Kinder von der neuen Welle in den USA auf die Weise betroffen sind, dass sie einen Elternteil verlieren. Das ist sehr bitter, weil es nicht nötig ist.

    2. Der zweite Aspekt sind die Durchbruchinfektionen, die auch Menschen mit vollständiger Impfung betreffen können. Nach Aussage von Karl Lauterbach passiert das normalerweise erst nach sechs oder mehr Monaten nach der Impfung, wird im Herbst also noch kein großes Problem sein. Aber einer (ziemlich kleinen) israelischen Studien zufolge waren rund 20% der Menschen mit solchen Durchbruchinfektionen von Long Covid betroffen - und das ist eine ernsthafte Erkrankung, die zu Arbeitsunfähigkeit und drastisch verminderter Lebensqualität führen kann.

    Implizit ist bei alldem, dass die Politik die, wie man sagt, "Durchseuchung" der Bevölkerung in Kauf nimmt, die da scheinbar - wir leben ja in Merkel-Land - "alternativlos" ist. Die andere Möglichkeit wäre, die Impfung zusammen mit einem Bündel der effektiveren Maßnahmen zu nutzen, um die Infektionszahlen so weit wie möglich zu drücken. Und letztendlich könnte das auch für die viel angeführte Wirtschaft besser sein.

  • Es sollte kein Tabu sein, darüber nachzudenken die Leute nicht selbst darüber bestimmen zu lassen was wie von wem in ihren Körper hingegeben wird, soso. ("Pornoproduzenten gefällt dieser Trick") Das nenne ich mal eine linke Haltung! Aber Kaiser Wilhelm hat in der schönen deutschen Monarchie ja auch die Impfpflicht gehen die Pocken eingeführt! ...und jetzt finde den Fehler lieber Freund der Demokratie...

    • @Eva :

      Eigentlich ist es recht einfach:

      Es gibt zwei Interessengruppen: Eine, die vor Ansteckung geschützt werden will und eine, die keinen Bock auf Impfen hat. Das ist ein typischer Interssenskonflkt und nun gilt es abzuwägen, wessen Interessen schwerer wiegen.

      Nebenbedingung:



      Die These "wer geimpft ist, ist doch schon geschützt und damit gibts auch keinen Konflik" zieht etwas kurz.

      Sollte Corona unter Ungeimpften "wüten", ist dies auch eine gute Basis für neue Mutanten, gegen die dann evtl. die bisherigen Impfungen nict mehr helfen. Ein weltweites Problem übrigens, kein deutschlandbegrenztes.

    • @Eva :

      Impfpflichten gab und gibt es auch in der Bundesrepublik schon gegen verschiedene Erkrankungen wie Pocken und Masern.

      Viele Menschen haben offenbar vergessen, wozu die massenhaften Impfungen gut sind. Es ist noch nicht so lange her, da gab es Polio-Epidemien, die zahlreiche Kinder gelähmt und getötet haben. Meine Mutter hat kurz nach dem Krieg einen kleinen Bruder durch Diphterie verloren, zu einer Zeit als es eigentlich schon Impfungen gab. Sie hat so oft von ihm gesprochen, dass man nur erahnen kann, wie weh das getan hat.

      Impfflichten können also durchaus legitim sein, und ich verstehe immer noch nicht, ob die Impfgegner wirklich in diese Zeit zurück wollen? Noch vor hundert Jahren war die Kindersterblichkeit extrem hoch und Infektionskrankheiten haben damals eine große Rolle gespielt.

      Und dazu kommt eben, dass ein Virus das eine Pandemie verursacht, kein individuelles Problem ist. Es ist - genauso wir übrigens der Klimawandel - ein kollektives Problem, das wir auch nur kollektiv lösen können. Die Menschen in asiatischen Ländern können eigentlich nur noch mit dem Kopf schütteln, wie wir an diese Sache ran gehen.

    • @Eva :

      Vernunft ist weder monarchistisch noch demokratisch. Es handelt sich also um eine Fangfrage. Erste Klasse Rhetorik.

    • @Eva :

      Eine Impfpflicht ist weder etwas neues noch etwas ungewöhnliches. Im konkreten Fall erscheint sie mir sinnvoll und angemessen.



      ABER eine Impfpflicht wird in Deutschland nach Bewertung und Analyse im relevanten Ausschuß und nach Debatte im Plenum mir qualifizierter Mehrheit vom Deutschen Bundestag beschlossen. Sie wird nicht von einem gelernten Bankkaufmann in selbsterklärter Vollmacht nach Gutdünken angeordnet.

  • > Krankenhauseinweisungen von Menschen mit Durchbruchinfektionen machen nach bisherigem Kenntnisstand weniger als 1 Prozent der Immunisierten aus. Das ist extrem wenig.



    Ein Prozent der vollständig Immunisierten machen derzeit rund 500 000 aus. Ist das wenig? Derzeit wird täglich ein Promille der Gesamtbevölkerung positiv getestet. Von denen erkrankt höchtens ein Viertel symptomatisch und von disen wiederum müssen höchsten 20 % ins Krankenhaus. Für das o.g. eine Prozent müssen bezogen auf die Gesamtbevölkerung also 200 Tage vergehen, das ist auf jeden Fall länger als der Zeitraum, in dem man voll Geimpfte überhaupt betrachten kann.



    Ist also die Impfung komplett wirkungslos? Ziemlich sicher nicht. Stattdessen muß aber die Redaktion den sinnvollen Umgang mit Zahlen auf jeden Fall noch üben. Auf gar keinen Fall ist ein volles Prozent aller vollständig Geimpften in der kurzen Zeit, die seitdem vergangen ist, schwer genug erkrankt für eine Klinikeinweisung -- und das zu erkennen würde ich von jedem mäßig begabten Mittelstufenschüler erwarten, wenn der in die nächte Klasse versetzt zu werden hofft.

    • @Axel Berger:

      > Derzeit wird täglich ein Promille der Gesamtbevölkerung positiv getestet.

      ...

      > ... und das zu erkennen würde ich von jedem mäßig begabten Mittelstufenschüler erwarten, wenn der in die nächte Klasse versetzt zu werden hofft.

      Glashaus und Steine... Vielleicht läuft es bei Ihnen nächstes Jahr mit der Prozentrechnung besser. ;-)

      • @Trollator:

        Sie haben peinlicherweise völlig recht, es sind 0.1, nicht 1 Promille. Allerdings stärkt das mein eigentliches Argument erheblich, statt es zu schwächen.



        Das Glashaus muß ich mir tatsächlich anziehen, so unangenehm das ist. Danke für die Richtigstellung.

    • @Axel Berger:

      Da steht aber weniger als 1 Prozent.



      Es könnten also 0,3 oder 0,5 oder 0,8 Prozent sein, aber eben nicht 1 Prozent.

      • @t-mos:

        Sie haben recht. Es sind auch weniger als 100 % und auch das ist eine korrekte Aussage. Die Behauptung weniger als 1 % sei "extrem wenig" bleibt Blödsinn.

  • "Krankenhauseinweisungen von Menschen mit Durchbruchinfektionen machen nach bisherigem Kenntnisstand weniger als 1 Prozent der Immunisierten aus."



    Schräg formuliert. Also knapp 1 Prozent der Immunisierten gehen ins Krankenhaus?



    Auch müsste man die Zahlen der Nichtimmunisierten gegenüberstellen.



    Jedenfalls haben wir das gesellschaftliche Problem, nach den neuesten Aussagen der CDC, daß sich Geimpfte zu sicher fühlen und wenig vorsichtig sind.