piwik no script img

Tagebuch des taz-WahlcampsGeneration Tilman

Man kann es sich leicht machen und die Junge Union cringy finden. Man kann aber auch versuchen, diese jungen Leute zu verstehen.

Zero Probleme: Tilmans schöne heile Welt Foto: dpa

Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der taz Panter-Stiftung.

Gen Z hat ein Problem. Es kommt nicht von rechts und auch nicht von links. Sondern direkt aus der nichtssagenden Mitte dieser Generation, die von 1996 bis 2010 zur Welt gekommen ist. Das Problem liegt dort, wo sich junge Menschen tummeln, die sich so sehr weigern, jung zu sein, dass sie sich angesprochen fühlen von der „Jungen“ Union (JU).

Ihr Z in Gen Z steht für zero Polemik, zero Interesse an Veränderung, zero Kritik am System. Das Einzige, was nicht zero ist, ist ihr Interesse an Fußball und die Fritz Kola, die beim FIFA21-Zocken auf dem Tisch steht. Das weiß auch er:

Tilman Kuban, der Vorsitzende der JU, ist 34 Jahre „jung“, hat die Ausstrahlung eines 50-Jährigen und die Weltanschauung eines 70-Jährigen, doch vielleicht ist es auch einfach nur die eines durchschnittlichen jungen Deutschen. Immerhin ist seine JU mit seit Jahrzehnten konstanten 110.000 Mitgliedern die größte politische „Jugend“organisation Deutschlands. Und diese hat sich für ihre Follower (für die JU'ler: Anhänger) nun zum Wahlkampf ein catchy (für die JU'ler: griffiges) Format überlegt – „Tilman zockt“.

Um die hundert Zu­schaue­r:in­nen sind live zugeschaltet zu dem wohl passivsten Event, das es je gegeben hat. Sie alle sind hier, bereit ihren Donnerstagabend für die Gaming Night der JU zu opfern. Um sich anzuschauen, wie der junge, locker-lässige, ich-öffne-zum-E-Sport-immer-den-ersten-Knopf-meines-Hemdes Tilman Kuban gegen einen von ihm ausgewählten Bewerber Fußball auf der Konsole spielt. Übertragen wird das Match aus dem JU-Wohnzimmer in Berlin, auf der Wohlfühl-Skala ungefähr auf Höhe eines Aufenthaltsraums eines Großraumbüros.

Warum gibt es heutzutage noch die JU?

Was bringt einen jungen Menschen dazu, in die JU einzutreten? Während der Meeresspiegel kontinuierlich steigt, die EU Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt und rassistische Morde in der Bundesrepublik erneut Schlagzeilen machen, suchen anscheinend nicht alle junge Menschen eine Veränderung, eine Verbesserung der Lage.

Was sind das für junge Erwachsene, die jetzt schon zufrieden sind? Kein Bedürfnis nach Rebellion haben? Keinen jugendlichen Hass, kein Verlangen danach, anti zu sein? Nicht einmal auf der rechtsextremen Position?! Ja, nicht einmal bei den Liberalen?!

Junge Frau mit blonden Haaren
Ruth Fuentes

Ruth Fuentes ist Teil des taz-Wahlcamps. Sie hat Mathematik in Madrid und Heidelberg studiert. Schrieb dort über Unipolitik, Feminismus und Kino für die Studierendenzeitung und lernte Lokaljournalismus bei der Rhein-Neckar-Zeitung (Foto: privat)

Frustriert schaut man zu, wie zwei junge, gesunde, gebildete Menschen gleich teilnahmslos und semi-interessiert zur gleichen Zeit an ihrer Fritz-Kola nippen, virtuelle Tore schießen und über Menschenrechte plaudern. Immer nur ein bisschen, ja nicht zu wertend oder verurteilend, immer nur, bis das nächste Tor fällt oder die nächsten Teams gewählt werden müssen.

Bei einem Thema kommt dann doch selbst Kuban aus sich heraus. Es ist ein Thema, bei dem er sich sicher ist, dass es wirklich allen jungen Menschen am Herzen liegt: das Eigenheim mit 30. Das soll sich jeder leisten können. Dafür kämpft er. Außerdem auch für Anerkennung von E-Sport als offiziellem Sport mit allen Privilegien des deutschen Vereinsrechts.

Deutschland – ein Aufstiegsland?

Die „jungen“ Männer der JU suchen in ihren krisengeschüttelten Hemden ohne Krawatte vor allem eines: Sicherheit. Die Bestätigung, dass im Großen und Ganzen doch alles ganz okay ist. Die Bestätigung einer heilen bürgerlichen Welt, wie es sie für sie schon immer gegeben hat. Zocken und E-Fußball passen somit perfekt zusammen mit ihrer Politik. Zu einem „Aufstiegsland“ will die JU Deutschland machen. Passiv dasitzen und in eine Traumwelt flüchten fühlt sich einfach gut an und konservativ sein auch.

Vielleicht ist es unfair, zu behaupten, dies sei keine rebellische Jugend. Beim Zocken erfährt man nämlich, was für ein frecher Kerl Kuban eigentlich ist. Er sei schon von Anfang an ein progressiver Verteidiger der „Homo-Ehe [sic]“ gewesen. Zum „Genderwahn [sic]“ findet er indes, es werde dem viel zu viel Bedeutung gegeben. Es solle einfach jeder (!) machen, was er (!) will. Dann fällt leider wieder ein Tor gegen Kuban, und das Thema ist erschöpft.

Man kann es sich natürlich leicht machen und die JU lächerlich bis cringy (für die JU’ler: Fremdschämen auslösend) finden. Doch die Resonanz, die sie vor allem im dörflichen Raum hat, ist mitunter besorgniserregend. Ihre Politik des „Mitgestaltens“ beruht auf zufriedenem Augenverschließen vor der Realität, auf unreflektiertem Sein-Lassen und unkritischem Zuschauen. Politik ist einfach; wie ein lockeres E-Sports-Turnier unter Freunden. Oder noch besser: Der Stream eines E-Sports-Turniers.

„Alles Extreme ist schlecht“, pflegen lebenserfahrene Menschen der jungen Generation zu raten. Tatsächlich? Ja, einen Stein in den Polizeiblock zu werfen, ist wahrscheinlich nicht die konstruktivste Herangehensweise, wenn man etwas ändern möchte. Aber sich beim entspannt-verkrampften Gaming gegenseitig zu bestätigen, dass alles gut ist, wird ganz sicher nicht die Menschheit retten.

Oder in Erich Frieds Worten: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Noch steht oder besser gesagt chillt die JU auf der Gewinnerseite. Lange werden sich Tilmans Gaming-Freunde aber nicht mehr in ihrer heilen Welt verstecken können.

Auf eine paradoxe Weise ist die Beliebtheit der JU gerade ein Zeichen dafür, dass Zeiten des Umbruchs auf uns zukommen, die ein Großteil der wohlbehüteten jungen Generation lieber nicht wahrhaben möchte. Sie kann aber mit Augen-zu-Strategie nicht verhindern, dass sie in naher Zukunft mit den Auswirkungen von Klimawandel, Massenmigration und Neoliberalismus konfrontiert sein wird – und zwar im real life.

Und da gibt es nach einem Game Over keinen Neustart mehr.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Eine "Generation Tilman"? Im Ernst? Wohl eher eine Generation "Bologna".



    @ROSENGROB: Ein Blick ins Archiv lehrt, dass sich doch wenig ändert? taz.de/Umgang-der-...bb_message_4122746 "Ich überblicke jetzt auch schon schlappe 5 Jahrzehnte Minderheitenbashing und den erfreulichen, generationsbedingten Paradigmenwechsel der Betroffenen, die jetzt einfach selber kundtun, dass Ihnen das nicht passt." Hmmmh. Bologna war ein Paradigmenwechsel. Gravierend wie die Einführung des Privatfernsehens.

  • taz: "Tilman Kuban, der Vorsitzende der JU, ist 34 Jahre „jung“, hat die Ausstrahlung eines 50-Jährigen und die Weltanschauung eines 70-Jährigen."

    Zum Glück sind nicht alle jungen Menschen so, wie die ewig Gestrigen der Jungen Union (JU), die immer noch glauben, dass sie in der neoliberalen Union irgendwann auch an die Fleischtöpfe der Wirtschaft kommen und dafür die klimaschädliche Politik der Union kritiklos beklatschen. Die JU wollte ja auch den BlackRock-Lobbyisten Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten - und mehr muss man über die JU dann auch nicht mehr wissen, um sie dort einzuordnen, wohin die JU auch gehört.

  • und ich dachte, es ginge um einen ernsthaften Versuch, die Gründe für die JU zu sein nachzuvollziehen.



    peekig reden ist einfach und bringt immer Applaus, verstehen ist dreckiger..

  • Ach so -- und ein dickes Dankeschön an die Artikelschreiberin: danke, dass Sie [1] sich in Dantes Höllenkreise begeben, um darüber zu berichten. Ich hätte den Magen dazu nicht und bräuchte danach meine Medikamente.

    Schön geschrieben, auch :-)

    [1] Ich fühle mich mit dem "Sie" nicht wohl, aber auch nicht mit dem "Du". Whatever.

  • Sehr polemischer Artikel. Viele Zuschreibungen und Bewertungen. Und mal eine kleine Anmerkung: Genauso wie viele U30 sinnsuchend einen Platz im Leben und der Arbeitswelt suchen, gibt es genügend für die eine Immobilie wichtig ist. Mehr als die Hälfte studieren nicht, viele wohnen ländlich bzw. in Mittelstädte und fangen nach Studium oder Ausbildung einfach Vollzeit an zu arbeiten. Chance verpasst ein diverses Bild und Lebenswirklichkeiten abzubilden…

    PS: Persönlich halte ich die JU für befremdlich, wahrscheinlich geprägt durch die Amthors und Kubans, die in jeder Ortsgruppe rumschwobeln.

  • @MEISTER PETZ, @JOCHEN LAUN:

    Jaja. Früher war alles besser.

    Sonst alles gut, im Altenheim? Alle schon durchgeimpft? Grüsst mir Schwester Agathe!

    Ach ja, früher.

    :-P

    • @tomás zerolo:

      Früher war es nicht besser, nur die Vorzeichen waren umgekehrt.

      Und Schwester Agathe redet nicht mehr mir, seit ich sie "Hipsterina" genannt habe :(

  • Jupp, die JU-Passivisten sind schon immer etwas seltsam gewesen. Aber eben auch sehr zahlreich (110.000 ist übrigens mehr als vier Mal so viel wie die taz Abo's hat - damit sich hier jeder selbst Spiegeln kann, wer wirklich seltsam ist 😉).



    Noch lächerlicher, spießiger und "more cringy" (gibt es da eigentlich ne Steigerungsform von?) ist es allerdings, sich über die junge Generation zu mokieren. Das klingt nach beigefarbener Funktionsbekleidung und hat schon beim Pyramidenbau nur Gähnen hervorgerufen.

  • "Was sind das für junge Erwachsene, die jetzt schon zufrieden sind? Kein Bedürfnis nach Rebellion haben? Keinen jugendlichen Hass, kein Verlangen danach, anti zu sein?"

    Das kommt darauf an, wogegen rebelliert wird. Die Gen Z neigt dazu, Rebellion gleichzusetzen mit gegenseitigem Schulterklopfen in ihrer woken Insta-Blase mit gleichzeitigem Austauschen von Tiny House Plänen und veganen Rezepten. Der einzige Kontakt mit dem Politischen Gegner beschränkt sich auf das Teilen des täglichen Shitstorm unter dem Hashtag Unfuckingfassbar.

    Ich kann mir derzeit für einen Studenten. bevorzugt an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät der HU nichts tatsächlich rebellischeres vorstellen als eine offen gelebte JU-Mitgliedschaft. ;)

    • @Meister Petz:

      Wunderbar zusammengefasst, nicht zu vergessen einen Twitterblockingliste die praktisch alle anderen Meinungen ausschließt.

    • @Meister Petz:

      So ist es. Wenn du heute jung bist, aus einem akademischen Milieu kommst und deine Eltern maximal ärgern willst, gehst du am besten in die JU. Wenn du aber zur FFF-Demo gehst, fährt dich der Papa hin und die Mama packt dir geschälte Selleriestangen und Möhrchen ein, dass du nicht verhungert...

  • Rätselhaftes Volk, diese Jungunionisten.

    Bei uns in der Schule gab es auch ein paar Exemplare davon. Das waren die, die mit einem Aktenkoffer in die Schule kamen, teuer, aber Scheiße angezogen waren und immer etwas teigig wirkten.

    • @Jim Hawkins:

      Dank le petit cheflereporter PU -



      &Fjutscher2 - Wissemerja nu -



      “Rinkslechts hat ausgedient!“ -



      Sonst könnt ich statt schwatz-grii sagen:



      Zu meinen Studi-Tagen - Gegriint:



      Waren RCDS & Junge Union. Ohne Hohn



      Doch gut links vonne CDU - Das schon.



      Doch Nù. Sinse kongruent dazu! - 🙀😱 -

      kurz - Alle diese postLindner Superperformer - Superhyperpiper



      Hier im Bayernkurier di taz -



      Denke bis zu ehra Nasespitz - 🤥 -



      Un kaa Millimeter weiter •



      Doch ist im September Kehrgewoch 🧹



      Mit Lasset Merz & Koboldina noch - 😫 -



      Wird sein ein Greinen - Zähneklappern -



      😭 🥚jòò 🥚jòò - Aber Hallò! 🥺 🤢🤑 -

      • @Lowandorder:

        Einmal gerieten wir mit denen aneinander.

        Das war 1980 auf einer Anti-Strauß-Demo in Ravensburg.

        Sie standen am Straßenrand und blökten: "Kommunisten raus, wir wollen Strauß".

        Daraufhin machten wir lautstarke Bemerkungen bezüglich ihres Sexuallebens und dann griffen sie an. Nazis waren auch dabei.

        Im Zuge der Auseinandersetzungen riss einer der Typen einem unserer Mädchen einen Ohrring heraus und das auf blutige Art und Weise.

        Darauf gab es dann von uns ein paar auf die Acht und dann griff die Polizei zu ihren Gunsten ein und ich machte das erste Mal im Leben Bekanntschaft mit einem Knüppel.

        • @Jim Hawkins:

          Ich bin Jahrgang 61 und kann mich noch gut an den Wahlkampf 1980 erinnern. Bei uns auf der Schule lief einer mit einem Pro Strauß Sticker rum. Das war der Mutigste. Der musste am meisten einstecken. Wer dem Zeitgeist hinterherläuft, egal in welche Richtung, hat immer am Wenigsten zu befürchten.

        • @Jim Hawkins:

          FJS - war auch in den 70ern in Mbg/L!



          Eine Ansage (schon msl ausführlicher!;))



          Marktplatz - die Mütz&Bändchenträger hatten sich erstmals aufan Biertisch rausgelümmt & (Fensterplatz Teppich-Schramm!;)) & Däh - der (inne taz abgefeierte;( Dummkopf Bubi Bohl & Wally Wallmann hielten die Schirme & hei wie die Tomaten 🍅 flogen🍅🍅🍅 -



          “Alles Chaoten Alles Chaoten!“ schnaufte “der BMW - mit den Bremsen eines Goggo! => Willy Brandt!;)) Gelle! But.



          Um Wally Wallmann als Bezirksvorsitzender CDU zu verhindern:



          “Mensch komm - tret in die CDU ein!“



          “Uuuuhh! Nö. Könnt ihr nichh von mit verlangen! “Wenn auch nur kurzfristig Mitgl. der CDU!“ Nö. Nich meine Party!“

    • @Jim Hawkins:

      Stimmt! Genauso war's. Herr Kuban ist geklonter Wiedergänger der Generation "Pausbäckchen" aus den 80zigern plus Regenbogenwinkelement, das aber auch ratzfatz unter den Tisch fallen wenn der grosse Leader FM- Friedrich Merz mit der Augenbraue zucken sollte. Wer die braucht war damals so unklar wie heute. Aber die FDP lebt ja auch ewig.

      • @rosengrob:

        Herr Kuban!



        Wenn ich den sehe und höre tobe ich auch immer los.



        Der hat was von ner Reiherfeder!

        • @Ringelnatz1:

          Kitzelt bis man reihert?