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Jahresbericht Deutsche EinheitÜberholen ohne einzuholen

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Der Osten hinkt in Sachen Wirtschaftskraft dem Westen weiter hinterher. Dafür ist die GroKo mitverantwortlich. Die AfD freut sich über Zulauf.

30 Jahre nach der Einheit: alte und neue Bundesländer gleichen sich wirtschaftlich nur langsam an Foto: Rainer Jensen/dpa

W er hätte gedacht, dass Walter Ulbrichts belächelte Forderung: „Überholen ohne einzuholen“ tatsächlich mal zur aktuellen Zustandsbeschreibung taugen würde. Der am Mittwoch veröffentlichte Jahresbericht zur Deutschen Einheit liest sich jedenfalls so. Die Wirtschaftskraft liegt im Osten nach wie vor stabil hinter der im Westen – die Menschen in Ostdeutschland – Berlin ausgenommen – erwirtschaften pro Kopf gut 20 Prozent weniger als jene im Westen.

In anderen Punkten hat der Osten den Westen dagegen überholt. So ist das verfügbare Haushaltseinkommen in Potsdam mittlerweile höher als im Saarland. Auf einem weiteren Feld liegt der Osten leider auch vorn: Die Menschen hier sind skeptischer und distanzierter gegenüber der Politik, bis hin zur Demokratiefeindlichkeit. Die Wahlergebnisse der AfD sprechen Bände. Sie hat sich im Osten auf hohem Niveau eta­bliert und erreichte jüngst in Sachsen-Anhalt über 20 Prozent.

Bei der Ursachenforschung wird gern auf die untergegangene DDR verwiesen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung sprach von diktatursozialisierten Ostdeutschen. Das ist bequem. Die DDR kann ja nicht mehr widersprechen.

Es ist aber auch billig, denn es lenkt von eigenen Versäumnissen ab. Der aktuelle Jahresbericht zur Deutschen Einheit, den man auch als eine Bilanz dieser Regierung lesen kann, zeigt, dass es der Groko nicht gelungen ist, die wirtschaftliche Kluft zwischen dem Osten und dem Westen zu schließen – im Gegenteil.

Anfang der 90er erlebten die Ostdeutschen, wie politische Entscheidungen dazu führten, dass eine Volkswirtschaft abgewickelt und der massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf genommen wurde. Diese Radikalität lässt die Politik in Bezug auf einen wirtschaftlichen Aufbau Ost nun schon seit Längerem missen. Dass die Menschen im Osten skeptischer gegenüber der Politik sind, verwundert daher nicht. Es rechtfertigt allerdings auch nicht die Wahl einer rechtsextremen Partei.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • Nicht die Regierung oder der Staat ist für die Wirtschaft verantwortlich sondern freie Bürger.



    Umsomehr Freiheit man denen läßt, man schaue nach Kalifornien, umsobesser läuft es.

    Man hätte weniger(!) Staat im Osten Deutschlands gebraucht, damit dort ein Facebook, Apple oder Google entsteht.

  • Die politischen Entscheidungen, die dazu führen, dass die ostdeutsche Volkswirtschaft nicht wettbewerbsfähig war, wurden im wesentlichen nicht in den 90ern, sondern in den 50ern, 60ern, 70ern und 80ern getroffen.

    Leider wird hier nicht genauer ausgeführt, worin die Verantwortung der Bundesregierung dafür liegt, dass nicht alle Regionen im Osten gleichermaßen gut dastehen. Mich würde interessieren, was die Bundesregierung da hätte anders, besser machen können, wenn man diesen Vorwurf erhebt.

    Dass 30 Jahre nach der Wende ein größerer Anteil an Menschen im Osten nicht wirklich in der Demokratie angekommen ist, hat natürlich Gründe, die nicht nur mit der DDR zu tun haben. Aber es sind nicht unbedingt wirtschaftliche Gründe. Es sind nicht in erster Linie die Armen, die AfD wählen. Hier versagt vor allem das Bildungssystem in den neuen Ländern, hier wurde seit der Wende viel zu wenig Wert auf politische Bildung gelegt. Das ist aber die Verantwortung der ostdeutschen Landesregierungen, nicht der Berliner Koalition.

    • @Ruediger:

      Fehlender Unternehmer:innen Geist ist nicht politisch zu verantworten. Selbst zu Zeiten der Treuhand waren zu wenige ostdeutsche Unternehmer da. Die Träume von der angeblich konkurrenzfähigen DDR-Wirtschaft behinderten leider auf breiter Ebene. Der relativ hohe Anteil von AfD-Wähler ist nicht die Folge, sondern einer der Gründe für Nachteile, die sich in den ostdeutschen Regionen aufgeschaukelt haben.

  • Leider vermisse ich in diesem Beitrag einen wichtigen Aspekt: Die DDR-Staatspartei SED pries ihren Staat bei allen Gelegenheiten als „Hort des gelebten Antifaschismus“. Neonazis gab es gemäß der DDR-Propaganda nur in Westdeutschland.



    Hat eigentlich mal jemand untersucht, wie es kommen konnte, dass dennoch wenige Jahre nach dem Ende der DDR neofaschistische Ideologien im Osten auf fruchtbaren Boden fielen? Inzwischen erzielt die AfD im Osten mehr Prozente als im Westen.



    Man hätte erwarten können, dass sich die Linkspartei, Nachfolgerin der damaligen SED, dazu äußert. Aber das tut sie nicht, sondern macht nur die gegenwärtige Regierungspolitik verantwortlich. Das ist einfacher.

  • .....Auf einem weiteren Feld liegt der Osten leider auch vorn: Die Menschen hier sind skeptischer und distanzierter gegenüber der Politik..



    Den ersten Teil des Satzes finde ich auf Grund der gemachten Erfahrungen im Osten verstehenswert.



    Den zweiten Teil.. bis hin zur Demokratiefeindlichkeit...



    30 Jahre



    Könnte es sein, das die demokratischen Parteien Fehler gemacht haben?

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Das Haushaltseinkommen in Potsdam? Wirklich? Der Wohnort von Joop und SAP Gründer Hasso Plattner?

    Vielleicht sollte man Sachsen-Anhalt mit dem Saarland vergleichen. Und Potsdam mit München. Das wäre ehrlich!