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Globale Wende in der WeltpolitikHybris und weiße Ruinen

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Das Scheitern des War on Terror markiert einen Schritt zur Dekolonisierung von Weltpolitik. Doch die Militarisierung des Denkens bleibt.

Soldaten der Bundeswehr nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan am 30. Juni in Wunstorf Foto: Hauke-Christian Dittrich/reuters

S o sieht das Ende einer Ära aus: Die Nato verlässt Afghanistan; Frankreich kündigt den Abzug seiner Spezialkräfte („Operation Barkhane“) aus Mali an. Wir können die volle Bedeutung dieser Rückzüge erst begreifen, wenn wir sie im Rahmen jenes Umbruchs betrachten, der unsere Epoche prägt: Europa und US-Amerika haben immer weniger die Kraft, den Lauf der Dinge auf der Welt zu bestimmen.

Das Scheitern des War on Terror markiert diese globale Wende besonders deutlich, denn in kaum eine andere westliche Strategie wurden in diesem Jahrhundert solche immensen Mittel investiert. Zugleich wurden wir über die Jahre Zeugen des sukzessiven Verfalls von zwei Annahmen, die trotz ihrer grotesken Selbstbezüglichkeit einmal weithin geteilt wurden.

Die erste Annahme lautete: Die Terroristen führen einen Krieg gegen den Westen, weil sie dessen Lebensstil und Freiheitsliebe hassen. Vom Podest dieser Bedrohtheit aus reklamierte der Westen ein globales Interventionsrecht. Letzteres wurde gesalbt durch die zweite Annahme: Wir sind die Guten, unsere Gewalt ist legitim, sie rettet, sie schafft Ordnung. Längst wissen wir: Auf den allermeisten Schauplätzen ist Dschihadismus kein Krieg gegen den Westen.

Die Opferzahlen sind eindeutig; wo immer Terror wütet, sterben vor allem Muslime – anders gesagt: Nicht-Weiße. Es handelt sich vorwiegend um einen Krieg, der innerhalb der muslimischen Welt ausgetragen wird. Dass der politische Islam im 19. Jahrhundert einmal als eine Art Abwehr-Identität gegenüber einem übermächtig wirkenden Europa entstand, das versteht man heute nur in der Rückblende. So bedeutend sind wir nicht mehr.

privat
Charlotte Wiedemann

hat sich als Reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst. Letztes Buch: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“.

Was nun die Legitimität der Gewalt betrifft: Dieser Tage verstarb Donald Rumsfeld, als US-Verteidigungsminister die treibende Gestalt bei der Erfindung des War on Terror, der Kriege in Afghanistan und im Irak. Weder für den dort inszenierten Staatszerfall noch für die Folterungen in Abu ­Ghraib wurde Rumsfeld je zur Rechenschaft gezogen.

Zum Kennzeichen des War on Terror wurde eine Kultur der Straflosigkeit, die General-Immunität einer Seite, wie sie aus kolonialen Zeiten bekannt ist. Die Invasion im Irak hatte mindestens 150.000 zivile Tote zur Folge; so die konservative Schätzung einer offiziellen britischen Kommission; andere Studien kamen auf nahezu eine Million Tote. Durch den Krieg des Westens starben zigfach mehr Menschen als durch jene, die man zu bekämpfen gedachte.

Die Kriegstreiber gingen straflos aus

Dennoch galt es als geradezu irre, die Verantwortlichen der Invasion, Bush und Blair, wegen Kriegsverbrechen in Den Haag anzuklagen. Die Kultur der Straflosigkeit prägt bis heute Frankreichs Haltung in Mali. Als die Spezialkräfte halbwüchsige Hirten bombardierten, die ihre Rinder zu einer Wasserstelle trieben, wurde den Teenagern zum Verhängnis, dass sie Gewehre trugen, um Vögel fürs Abendessen zu schießen.

Es bleibt das Bild des Vaters, der nach den Körperteilen seiner Söhne sucht, um sie beerdigen zu können. „Neutralisieren“, so nennt Frankreich das Töten tatsächlicher oder vermeintlicher Dschihadisten. Die Sprache des totalen Kriegs: Sie hat in Mali nie überzeugt. Den Feind zu einem quasi außerplanetarischen Wesen zu erklären, mit dem keinesfalls verhandelt werden darf, das ist zwangsläufig auch hier gescheitert.

Und wie vernebelt sind nun überhaupt die Maßstäbe, nach denen der Westen die Bedeutung von Toten bemisst! Die EU trainiert in Mali eine Armee, die im vergangenen Jahr für mehr zivile Opfer verantwortlich war als der dschihadistische Terror. 160.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen haben einen Einsatz in Afghanistan durchlaufen: ein gewaltiges Trainingsprogramm und ein Instrument zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Parallel hat sich das Meinungspanaroma im politischen Raum beispiellos verengt.

Ein Nein zu Kampfeinsätzen gilt heute als verantwortungslos, obwohl eine Mehrheit im Wahlvolk solche Einsätze weiter ablehnt. Während das Militär an seinen Aufgaben scheiterte, gruben sich militarisierte Glaubenssätze ein, bestens illustriert durch den Umstand, dass sich die Grünen nun für bewaffnete Drohnen erwärmen. Welch eine Absurdität: Die Niederlage militärischer Strategien, auf großer Bühne vor aller Augen aufgeführt, nutzt nicht dem Anliegen der Zivilität. Warum nicht?

China wird zum neuen Feindbild

Weil zu wenige das Offensichtliche einklagen. Zwei Jahrzehnte War on Terror haben das intellektuelle Erbe der Friedensbewegung weitgehend vernichtet. Wo stehen wir also nun, am Ende dieser Etappe, einem Ende, das weniger durch Einsicht als durch Erschöpfung herbeigeführt wurde? Global betrachtet ist die Niederlage des War on Terror ein Schritt zur Dekolonisierung der Weltpolitik. Aber was diese 20 Jahre uns selbst angetan haben, unserer Kultur, unserem Denken, das zieht nicht vorüber.

Die obsessive Beschäftigung mit „dem Islam“ hat ein westliches Welt- und Selbstbild ermöglicht, in dem die Bedrohung drinnen und draußen, daheim und in der Ferne, identisch zu sein schien. Das Böse war exterritorialen Ursprungs, es gehörte nicht zu unserem säkularen, rationalen Raum, nicht zu unserer Zivilisation, unserem Universalismus.

Die These, der Islam habe den Ostblock als Bedrohung abgelöst, als das ewige Gegenüber, dessen der Westen anscheinend bedarf, mag immer etwas schrill gewesen sein. Doch fällt das Ende des War on Terror jetzt nicht zufällig zusammen mit dem neuen Konfrontationskurs gegenüber China. Nun verkörpert China den Totalitarismus, eine neue, frische, gewaltige Bedrohung. Da gilt es, Sandsäcke abzuwerfen, und der War on Terror ist ein teurer alter Sandsack.

So zieht sich der Westen nun zurück aus den Ruinenlandschaften vermessener weißer Strategien. Nur die Hybris, die so viel zum Scheitern beitrug, sie wird auf den letzten Panzer geladen und gerettet.

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7 Kommentare

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  • Ja der Westen zieht sich zurück.



    Damit ziehen sich auch die Rechte von Frauen zurück, die Rechte von Homosexuellen und Trans Gender Menschen ziehen sich zurück, es zieht sich zurück die Idee vom Rechtstaat, es zieht sich zurück die Idee von selbstbestimmten Leben. Der Raum wird eingenommen von feudalen Verhältnissen, WarLords, Frauenunterdrückung, wiederEinführung der Sklaverei, dem Recht des Stärkeren etc. etc.



    Ich finde es völlig unverständlich wie man auch nur einen Hauch von Zustimmung oder auch nur heimlicher Genugtuung zeigen kann, in Hinblick auf das zukünftige Schicksal jener Menschen die jetzt ein Nicht-westliches Leben als Zukunft haben. Insbesondere wenn diese z.B. nicht-heterosexuell orientiert sind.

    • @Paul Rabe:

      So wie ich das wahrgenommen habe ist auch vor dem Truppenabzug im den meisten Teilen des Landes "Nichtwestliches Leben" Realität gewesen.Überspitzt gesagt war Kabul die einzige Oase westlicher Werte in einem von alten Traditionen geprägten konservativen islamischen Land. Ein Grund warum die Taliban auf wenig bis gar keinen Widerstand treffen,ist das sich ihre Werte von denen der Bevölkerung nicht sehr unterscheiden.

  • Zitat: „Aber was diese 20 Jahre uns selbst angetan haben, unserer Kultur, unserem Denken, das zieht nicht vorüber.“

    Hat es jemals eine größere Zahl von Menschen interessiert, was Siege und Niederlagen mit dem Denken und der Kultur der Sieger bzw. der Besiegten machen? Waren denn nicht immer der Gewinn und der Verlust das, was nach den Kriegen der Vergangenheit gezählt oder gewogen wurde, das, was die Leute interessiert hat? Sind Siege und Niederlagen nicht schon so lange „Dinge an sich“ nach dem Verständnis der aller meisten Menschen, dass nach ihren Konsequenzen für die Psyche der Nationen wie der Einzelnen gar nicht gefragt wird? Weil Fragen dieser Art nirgendwo hin führen, außer vielleicht ins Abseits, ganz an den Rand, da hin, wo niemand gerne sein möchte, weil Menschen ohne Menschen nicht gut leben können?

  • was ist an dem sieg der taliban dekolonialistisch?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    China wird zum Feindbild? Ich habe nichts gegen Taiwan und hatte nichts gegen Hongkong. China wird durch sein Verhalten zum Feind, weil es zunehmend aggresiv agiert.



    Ihr Westler habt die Taliban gegen die Russen groß gemacht und China auch, des billigen Plunders wegen, der in Arbeitslagern hergestellt wurde. Jetzt baut China Atomraketen und wird nicht zögern diese gegen schwächere Nachbarn einzusetzen.

  • 1. Warum sollte die BRD nicht an einer militärischen Intervention zum Schutz der lokalen Bevölkerung vor Völkermord, ethnischer Säuberng und Kriegsverbrechen teilnehmen, wenn die Intervention vom UN-Sicherheitsrat beschlossen worden ist, wie z..B. in Ruanda, und Bosnien? Die UN-Responsability to Protect (R2P) wurde genau dsfür geschaffen:



    www.globalr2p.org/what-is-r2p/

    2. "Nun verkörpert China den Totalitarismus, eine neue, frische, gewaltige Bedrohung"....ironisiert die Autorin.

    Wer sich das faschistoide "Big Brother"- System in China anschaut, dazu den chinesischen Imperialismus mit agressiver weltweiter wirtschaftlicher Expansion (z.B. land grabbing oder die Zerstörung ganzer Nationaler Industrien mit Dumpingpreise), die immer stärker werdenden militärischen Drohungen Richtung Taiwan, die nassive Aufrüstung...



    der sollte allerdings "Sandsäcke gegen die Gefahr abwerfen". Dies alles nicht sehen zu wollen, halte ich für naiv und zynisch.

  • Was haben die vielen Jahre Krieg in Afghanistan gebracht? Tote und schwerverletzte Soldaten. Traumatisierte Soldaten. Eine Niederlage. Man hätte es wissen müssen! Die Russen wurden auch aus dem Land gejagt. Scheiss Kriege!