Wölfe in Bayern: Wenn ich den erwische
Julia Klöckner fordert den gezielten Abschuss von Wölfen. Den Biobauern Konrad Leibold aus Franken freut das: Der Wolf war in seinem Kuhstall.
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Angriff kommt. Darüber sind sich alle einig: Bürgermeister, Bauer und Förster. Unabhängig davon, was sie sonst so über den Wolf denken. Von dem Rudel im Veldensteiner Forst haben ja alle gewusst. Seit 2018 leben wieder Wölfe in dem Waldgebiet im Nordosten Bayerns.
Drei Jahre lang waren die Wölfe für die meisten Anwohnenden des Forsts geheimnisvolle, unsichtbare Nachbarn, mehr nicht. Das hat sich geändert. Der Wolf hat in der fränkischen Provinz eine emotionale Debatte ausgelöst: Bis zu welchem Punkt ist Natur schützenswert? Und wer bestimmt darüber?
Nach Schätzungen des Deutschen Jagdverbands lebten im Frühjahr 2020 rund 1.800 Wölfe in Deutschland. Expert:innen sagen, dass die Population jährlich um circa 30 Prozent wächst. Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung hat berechnet, dass hierzulande Platz für mehr als 1.000 Wolfsrudel wäre.
In dieser Woche forderte Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) erstmals öffentlich den gezielten Abschuss von Wölfen in einigen Bundesländern wie Niedersachsen, sprach von „regionalem Bestandsmanagement“.
Am Veldensteiner Forst ging alles mit einem getöteten Schaf los. Anfang Februar, am Nordrand des Walds. Der gleiche Wolf war drei Wochen darauf bei einem Angriff auf ein eingezäuntes Wildgatter dabei. Eine Gruppe Wölfe riss sieben Hirsche und sieben Mufflons.
In der gleichen Woche wird Konrad Leibold um kurz nach Mitternacht geweckt. Nicht von einem kurzen Muh, wie es manchmal einer träumenden Kuh im etwa 50 Meter entfernten Stall entfährt. Die Tiere brüllen. Was der 44 Jahre alte Biobauer in der Nacht im Stall sieht, lässt ihn seither nicht mehr schlafen.
Einige Rinder stehen eng gedrängt in einer Ecke, die Köpfe voller Blut. Eine Kuh hat sich das Horn abgerissen, vermutlich blieb sie in Panik in einem der Stahltore hängen. Was Leibold bereits ahnt, bestätigt ein Jäger, der am nächsten Tag einige Spuren entdeckt: Ein Wolf war im Stall.
Wenige Tage später töteten Wölfe zwei Orte weiter 13 trächtige Damhirsche sowie fünf Kitze. Schnell machten Bilder von Traktorschaufeln voller Kadaver, viele mit durchgebissener Kehle, auf Whatsapp die Runde. Spätestens als der Nordbayerische Kurier von einem „Blutbad in der Idylle“ schreibt, ist der Wolf das Gesprächsthema zwischen Nürnberg und Bayreuth.
Seit über 300 Jahren gehören der Familie von Konrad Leibold die Äcker und Waldgebiete rund um Henneberg. Bewaldete Hügel und saftige Wiesen betten das Dörfchen in die Fränkische Alb ein. Insgesamt vier Generationen wohnen hier, die jüngste, fünf und sechs Jahre alt, saust gerade auf dem gepflasterten Hof herum.
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Konrad Leibold klettert die Steigleiter des Getreidesilos hinunter und schiebt seine ausgeblichene John-Deere-Kappe zurecht. Aus dem Metallrohr spritzen tonnenweise Gerste und Hafer auf die Ladefläche eines Anhängers. Es dröhnt wie bei einem Flugzeugstart.
Leibold hat zwei Nachtsichtkameras gekauft, die er neben dem Kuhstall aufhängen möchte. Doch der Bauer sorgt sich nicht nur um seine 70 Rinder, er sorgt sich auch um seine Familie.
Seine Frau kommt von der Arbeit als Schulleiterin einer Grundschule nach Hause und legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn ein Wolf dem Menschen zu nah kommt, gehört er abgeschossen“, sagt sie.
In Bayern endeten die Begegnungen zwischen Menschen und Wölfen bislang nur für eine Seite tödlich. Im Februar wurden zwei junge Rüden aus dem oberpfälzischen Rudel überfahren. In den vergangenen 18 Jahren gab es in der EU keinen einzigen tödlichen Wolfsangriff auf Menschen, fand das Norwegische Institut für Naturforschung heraus. Das Risiko eines Wolfsangriffs ist winzig, so der wissenschaftliche Konsens. Aber wenig ist rational, wenn es um den Wolf geht. Die Kinder der Leibolds dürfen nicht ohne einen Erwachsenen außerhalb des Dorfs spielen.
Vier Rudel in ganz Bayern
Über 100 Jahre lang waren die Wölfe im Tiergarten Nürnberg, eine halbe Stunde Autofahrt südlich vom Hof der Leibolds, die einzigen in der Gegend. Im 19. Jahrhundert rotteten die Menschen den Wolf in Deutschland systematisch aus. Erst mit der Jahrtausendwende wanderte der Wolf wieder aus Polen ein. Zunächst verblieben die Wölfe in Ost- und Norddeutschland, bis heute leben die meisten Rudel in Sachsen und Brandenburg. Dort instrumentalisiert die AfD den Wolf seit Jahren als unerwünschten Migranten, fordert eine „Obergrenze“.
In Bayern wurden 2006 erstmals wieder Wölfe auf Reviersuche entdeckt. Heute leben in acht verschiedenen Regionen Bayerns Wölfe. Es gibt einzelne Tiere in den Allgäuer Alpen und der Rhön, aber auch vier Rudel. Zwei davon sind im Bayerischen Wald beheimatet, eines in der Oberpfalz und eines im Veldensteiner Forst.
„Ich habe den Wolf nicht gerufen“, sagt Claus Meyer und zuckt mit den Schultern. Der ehrenamtliche Bürgermeister sitzt auf einer Holzbank vor dem Rathaus in Betzenstein, einem Städtchen direkt neben der A9.
Zwei der Wolfsattacken ereigneten sich in Meyers Gemeinde. Danach habe er den 62 Seiten langen „Aktionsplan Wolf“ des Freistaats gleich zweimal durchgelesen. Wie man zwischen denen, die gegen Wölfe sind, und denen, die dafür sind, vermittelt, steht nicht darin. Meyer lud Parteifreund und Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern ein. Glauber, selbst Oberfranke, kam, versprach den aufgebrachten Landwirt:innen Unterstützung und brauste wieder ab.
Eine Umfrage im Auftrag des Nabu und des Landesbunds für Vogelschutz ergab, dass 76 Prozent der befragten Bayer:innen die Rückkehr des Wolfs begrüßen. Nur 15 Prozent sehen den Wolf als Bedrohung. Wie ist das zu erklären? Vielleicht mit dem Sankt-Florian-Prinzip: Solange der Wolf nicht in meiner unmittelbaren Umgebung auftritt, habe ich kein Problem mit ihm. Aber wehe, er spaziert durch meinen Garten.
Leibolds Großvater gehörte zu den ersten hundert Demeter-Landwirten in Deutschland. Seit 1952 bewirtschaftet die Familie ihr Land nach den strengen Öko-Regeln. Jetzt kommt mit dem Wolf eine neue Variable dazu.
Abschuss als Ultima Ratio
Viele Menschen haben Wölfe über Jahrhunderte als Bedrohung empfunden: Märchen und Fabeln über den „bösen Wolf“ hatten ihn zum Menschenfresser mystifiziert. Dieses Zerrbild ist im kulturellen Langzeitgedächtnis geblieben. Andere sehen den Wolf als Symbol für die Erholung der Natur. Sie werten seine Rückkehr als Hoffnungszeichen.
Im Veldensteiner Forst leben derzeit acht bis zehn Wölfe. Wie viele es genau sind, das wisse niemand, sagt Sebastian Bäumler. Der Förster lehnt an der Tür seines staubigen Pickups. Vor dem Hauseingang thront ein Hirschgeweih, im Blumentopf daneben blühen Schlüsselblumen.
„Der Wolf machd hald a weng mehr Arbeid“, sagt Bäumler in weichem Fränkisch und nippt an einer Flasche Apfelschorle. Entdeckt der Förster bei seiner Arbeit die Überreste getöteter Tiere oder Hinterlassenschaften, muss er Proben nehmen, Abstriche machen.
Warum aber töteten die Wölfe jetzt das erste Mal eingezäunte Tiere? Das Rudel sei schon immer außerhalb des Forsts unterwegs gewesen, sagt Bäumler. Der Wald mache nur ein Drittel ihres Streifgebiets aus. Auch der Hunger kann es nicht gewesen sein, der Forst sei auf keinen Fall leer gefressen, sagt er.
Nach den Angriffen in Betzenstein forderte Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) bereits im März, die rechtlichen Schutzvorgaben für den Abschuss von Wölfen in Bayern weiter zu senken. Mit ihrer Aussage hat Bundesagrarministerin Julia Klöckner die Forderung bekräftigt.
Erst im Februar hatte die Bundesregierung das Naturschutzgesetz geändert – zum Nachteil des Wolfs. Im bayerischen Aktionsplan ist der Abschuss von „Problemwölfen“ als Ultima Ratio festgehalten. Im rot-schwarz regierten Niedersachsen wurden in diesem Jahr drei Wölfe mit richterlicher Ausnahmegenehmigung erschossen.
Ohne Regulierung gehe es nicht
„Niemand will die Wölfe ausrotten“, sagt Biobauer Leibold und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen. Er findet die Aussagen Klöckners gut: „Wir müssen ins Jagdrecht rein, damit wieder ein Gleichgewicht zwischen Wolf und Mensch da ist.“ Ohne Regulierung gehe es nicht, denn für Kleinbauern wie ihn würden die bisherigen Maßnahmen zum Schutz vor dem Wolf nicht ausreichen.
Weil der Großteil seiner Rinder älter als zwei Jahre ist, bekommt Leibold keine finanzielle Unterstützung für einen Elektrozaun auf seinen Weiden, so sind die Regeln. Der Aktionsplan empfiehlt außerdem die Haltung von Herdenschutzhunden. Aber die müssten mehrere Monaten ausgebildet werden, das könne sein Zweimannbetrieb nicht stemmen, sagt Leibold.
In den vergangenen Monaten gab es keine Wolfsangriffe mehr, die Aufregung in Ober- und Mittelfranken hat sich wieder etwas gelegt. Im Sommer stehen Leibolds Rinder fast 24 Stunden auf der Weide – neue Zäune hat er nicht aufgestellt.
Aber er sagt: „Wenn ich den Wolf in meinem Stall erwische, kommt er nicht mehr raus.“ Förster Bäumler hat eine andere Perspektive auf die Dinge: „Ich finde es spannend, wie sich der Wolf seinen Lebensraum zurückerobert“, sagt er.
Und was sagt Bürgermeister Claus Meyer? „Der Wolf ist nun mal da, und wir müssen das jetzt managen.“
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