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Hamburg bekämpft öffentliches FeiernDie neuen Trinkregeln

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

In Hamburg werden Orte, an denen junge Menschen Alkohol trinken, zu „Hotspots“ erklärt und von der Polizei geräumt – aber Kneipen dürfen öffnen.

Gekommen, um zu bleiben: Alkoholverbotsschild im Schanzenviertel Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

E s klang gut, was der Erste Bürgermeister seinen Hamburgern in dieser Woche zu sagen hatte, nach Mutmachen am vorläufigen Ende der Entbehrungen, wie wir sie kannten: „Wir können den Sommer genießen“, sagte Peter Tschentscher (SPD) und schaffte es damit prompt auf die Titelseite des Hamburger Abendblatts. Und dann folgten allerlei Lockerungen des Pandemie-Regimes.

Unter freiem Himmel dürfen sich wieder zehn Menschen treffen, Sport treiben, Veranstaltungen wie der „Hamburger Dom“ sollen möglich sein. Drinnen sind Chorproben, Kultur- und Sportveranstaltungen erlaubt; Hotels dürfen wieder voll belegt werden, sogar die Prostitution kann wieder losgehen, also legal. Nur mit Test und Maske zwar, aber Küssen ist bei den meisten Se­xarbei­te­r:in­nen ja ohnehin tabu.

Klingt alles toll und nach echtem Leben. Aber gleichzeitig geschieht etwas, das nicht recht dazu passen will: In Hamburgs Ausgehvierteln St. Pauli und Schanze werden neue Verbotstafeln aufgehängt. „Alkoholverbot“ steht darauf, zur Sicherheit auch noch mal auf Englisch. Und dazu ein Stundenplan, den man zweimal lesen muss, bis man die ganze Tragweite verstanden hat: Mo–Fr 0–6 und 14–24 Uhr; Sa, So, Feiertage 0–24 Uhr.

Das heißt: Trinken darf man beispielsweise auf dem Schulterblatt vor dem linken Zentrum Rote Flora noch montags bis freitags von sechs Uhr morgens bis 14 Uhr. Aber wer tut das schon? Vielleicht die Wohnungslosen, die auf den Treppen der Flora ihr Lager aufgeschlagen haben, aber was tun die danach? Und was am Wochenende?

Ordentlich verschraubte Verbotsschilder

Es sind nicht mehr diese Do-it-yourself-mäßig laminierten und mit Kabelbindern fixierten Schilder, die vor Monaten am selben Ort die Maskenpflicht angekündigt hatten, nicht diese eilig aufs Pflaster gesprühten Piktogramme. Es sind solide, ordentlich bedruckte und fest verschraubte Verbotsschilder. Gekommen, um zu bleiben.

Nur eine Woche vorher hatte Tschen­tschers Stellvertreterin, die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), den politischen Boden dafür bereitet: „Was sich am Wochenende in der Schanze abgespielt hat, war total daneben“, ließ sie in lockerem Ton per Pressemitteilung wissen, nach dem ersten Partywochenende, dem die Polizei ein Ende bereitet hatte. „Klar wollen jetzt alle raus, Leute treffen, den Frühling genießen. Aber das war eine rücksichtslose Massenparty mit Potenzial für ein mögliches Corona-Superspreader-Event“, so Fegebank, die auch einen Vergleich zur Hand hatte, der viel über ihre Weltsicht verrät: „Das Virus ist nicht weg und auf dem Ballermann geht es zurzeit gesitteter zu als auf dem Schulterblatt.“ Igitt!

Ihrer Analyse ließ Fegebank eine Drohung folgen: „Wir werden im Senat über Maßnahmen beraten müssen, wenn sich die Lage nicht durch Einsicht entspannt.“ Der Senat tagte genau einen Tag später – und beschloss das Alkoholverbot an sogenannten „Hotspots“ wie der Schanze und an vielen anderen Orten der Stadt. Ob sich also nach dem ersten Partywochenende so etwas wie Einsicht einstellen würde, ob die jungen Leute auch „gesittet“ feiern können – das konnte sich vorher gar nicht zeigen.

Genauer gesagt handelt es sich um ein „Alkoholverkaufs- und Konsumverbot“, noch genauer ist sogar schon das „Mitführen“ von Alkohol verboten. Außer natürlich, wenn man in einer Kneipe sitzt oder in einem Restaurant. Die dürfen schon seit zwei Wochen wieder draußen ausschenken – an Gäste mit Sitzplatz. Seit einer Woche kann man dort sogar wieder drinnen trinken, wenn auch unter Auflagen, die für viele kleine Gastronomen ähnlich ruinös sind wie der Lockdown vorher.

Schlimmer trifft es nur die Kioske, meist von Migrantenfamilien betrieben. Ihr Geschäftsmodell ist im Eimer, wenn der abendliche Alkoholverkauf dauerhaft wegfällt. Das „Alkoholverbot“ ist also vor allem ein „Billigalkoholverbot“. Wer es sich leisten kann, kann aus der Kneipe am Schulterblatt bei Aperol Spritz gemütlich zuschauen, wie die Polizei den Pöbel vertreibt.

Dass das nicht oder zumindest nicht in erster Linie dem Infektionsschutz dienen kann, ist klar, denn das Risiko, sich über Aerosole zu infizieren, ist in geschlossenen Räumen weitaus höher als an der frischen Luft. Worum es eigentlich geht, hat Fegebank in ihrem kurzen Pressestatement auch schon mitverraten: „Das ist nicht nur ein Problem für die Eindämmung der Pandemie, sondern auch für die Menschen, die in der Schanze leben.“

Pandemiemaßnahmen könnten bleiben

Offenbar hat der Hamburger Senat vor, die Pandemiemaßnahmen in die Zeit nach Corona zu verlängern, um ein „Problem“ zu lösen, das lange vor der Pandemie erkannt war: dass die Menschen in Amüsierviertel gehen, um sich zu amüsieren.

Viel war während der Pandemie von überzogenen Grundrechtseinschränkungen die Rede, manchmal auch zu Recht – etwa bei der phasenweise fast völlig ausgehebelten Versammlungsfreiheit. Kann sein, dass das Recht auf den öffentlichen Raum nun an ungeahnter Stelle zurückerkämpft werden muss. Wahrscheinlich kommt dem Hamburger Schanzenviertel, wo die Grenzen zwischen politischem Protest und Party von jeher fließend sind, dabei eine zentrale Rolle zu.

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12 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Das alte Spiel. Ein Dutzend Idioten hauen über die Strenge und die gesamte Bürgerschaft muss darunter leiden - VERBOTE.



    Beim Grillen in den Parks in Berlin war es das gleiche Spiel.

  • Warum muss man überhaupt auf der Straße trinken? Als Bayer finde ich die Trinkhallen und Kioske in Hamburg, Berlin oder Köln befremdlich, wenn schon früh um 8 der Dornkaat gekippt wird. Das sind doch nur Saufbuden - und an Alkohol sterben definitiv mehr Menschen als an Corona. Also sperrt die Dinger zu und gut isses.

  • Ich habe nichts gegen gemeinsames Feiern, Grillen oder Biertrinken, sehr wohl aber dagegen, daß Nachfolgende statt einer einladenden öffentlichen Fläche nur noch eine verdreckte Müllhalde vorfinden. Solche Pauschalverbote helfen in meinen Augen wenig, aber Ordnungstragen für wilden Müll wie in Singapur verbunden mit dem Willen und der Fähigkeit, sie auch durchzusetzen, könnten das Leben in der Stadt für alle wieder angenehmer machen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Axel Berger:

      Sie haben völlig recht.



      Hohe Strafen, ab 500 €, würden helfen.



      Die Singapurianer sind sogar stolz auf ihre saubere Stadt - zu recht!



      Berlin ist und war schon immer eine dreckige Stadt - weil nicht durchgegriffen wird. In Hamburg dürfte es ähnlich laufen.

  • Noch so ein Blödsinnsbeitrag: Es gibt durchaus mehr als amüsieren oder nicht amüsieren. Es trifft die ärmeren Kiezbewohner am meisten, wenn die Billigalkohol Verkauf unterbunden wird.Es war aber klar, dass das kommen würde. Ich wohne jetzt > 30 Jahre "auf Sankt Pauli", in den 90igern noch in der Schanze. Niemand der Alteingesessenen hier hat etwas gegen Party, Bars, Konzerte. Das gehört dazu. Das kann aber nicht bedeuten, dass Urin, Kot, Scherben und Müll in Mengen nun an jedem wärmeren Wochenende unser Schicksal bleiben. Es kann nicht sein, dass sich ältere Bewohner nicht mehr auf den Bürgersteig trauen, weil besoffene MASSEN einem die TRÖPFCHEN ins Gesicht gröhlen. Nix Aerosole, es geht zur Not auch noch eine Tröpfchen Infektion. Es ist bei weitem nicht so schwarz-weiss, wie Sie es scheinen lassen möchten.

  • Die Pläne, den Kiosken dort das Wasser abzugraben, gibt es schon seit vielen Jahren.

    Bislang hatte die SPD-Mitte davor zurückgeschreckt, weil das ganze mit Verkaufsverboten in den Läden umgesetzt werden sollte - und das wäre mit dem Ladenschlussgesetz nicht vereinbar gewesen.

    Nun also dieser Weg. Die Gastronomen freut es. Die haben sich durch die Konkurrenz nämlich in ihrer Existenz bedroht gesehen.

    Was bei der ganzen Diskussion seit Jahren zu kurz kommt, ist, dass viele, wenn nicht alle, der Kioske in der Hand von Einwanderern sind.

    Es trifft also fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund.

    • @nfantilla:

      Ja, das stimmt, aber auch das ist so einfach nicht. Es gibt eine Menge Kioske, die erst durch die Gentrifizierung entstanden sind. Selbstausbeutung und Alkoholverkauf ohne sanitäre Einrichtungen sind eben eine Möglichkeit, die mittlerweile astronomischen Ladenmieten noch zu finanzieren. Es sind auch tatsächlich nur einige Kioske, und eben häufig auch rel. junge solche, extrem abhängig von den Alkoholverkäufen. Mit Ausnahme des grünen Jägers und vielleicht am Silbersack. Das Geschäftsmodell niedriger Lohnkosten durch Familienarbeit ist jetzt auch nicht wirklich etwas, was im Interesse der Menschen unbedingt zu unterstützen wäre. Besser antirassistische Arbeit leisten, so dass auch diese Form der Ausbeutung nicht mehr nötig ist.



      Das Alkoholsverkaufsverbot ist Mist. Keine Frage. Aber die Ballermannisierung ist auch Fakt und das hat Sankt Pauli nicht verdient.

      • @Pancho:

        Noch eine Ergänzung: Ballermanisierung ist eigentlich eine hübsche Wortschöpfung. Aber sie ist eben völlig polemisch und hat mit Fakten wenig zu tun.

        Die Frage, die ich mir stelle ist eigentlich, ob es sich bei dem Gesetz nicht um unerlaubte Wettbewerbsverzerrung handelt zu Gunsten der Gastronomen und zu ungunsten der Kioskbetreiber handelt.

        Denn in dem Punkt ist der Kommentar von Kahlcke ja gut, denn er beschreibt den Preiskampf zwischen Gastronomie und Kiosken - in dem im Übrigen auch die Tankstellen und Supermärkte mitmischen, die sich jetzt ebenfalls freuen.

      • @Pancho:

        Die Ballermanisierung ist eine ultra-linke Übertreibung, die seit Jahren immer mal wieder gezogen wird. Die ist nicht Fakt, sondern Quatsch.

        Das ist in etwas so, als würde ich eine Großraumdisko im Umland Hamburg's mit dem Golden-Pudel-Klub vergleichen.

        Das die Mieten dort sehr hoch sind, höre ich auch seit Ewigkeiten. Aber immer von den Gastronomen und den Befürwortern von irgendwelchen Anti-Kiosk-Verbotsmaßnahmen - nie von den Kioskbesitzern.

        Toiletten gibt es auf der Schanze nun wirklich genug, nämlich in jedem Laden, nur eben in den Kiosken meist nicht. Das Problem ist, dass die Gastronomen nicht wollen, dass da Menschen auf die Toilette gehen, die nichts kaufen. Und das die Stadt die öffentlichen Toiletten privatisiert hat. Da sind jetzt halt Gastronomien drin, siehe "Grüner Jäger" oder "Alsterperle".

        In einem Punkt gebe ich dir aber völlig Recht: Es wäre besser, wenn es mehr Chancen für Einwanerer gäbe und da ist sicherlich auch mehr antirassistische Arbeit nötig.

        • @nfantilla:

          Eine "ultra-linke" Übertreibung. Ist klar. Keine weiteren Fragen, Landei.

        • @nfantilla:

          Sie werden auch mal alt werden (ich würde es ihnen zumindest gönnen!)



          Und dann werden Sie sehen, dass sie nicht jedesmal einen Kaffee reinschütten wollen wenn die Beine eine Pause brauchen oder die Blase drückt.

          Aber ich muss gestehen, dass ich den Vergleich auch nicht so recht verstehe ...



          de.wikipedia.org/wiki/Golden_Pudel_Club

  • Man muss bei jeder politischen Entscheidung einfach im Hinterkopf behalten dass für politische Ämter keine Mindestqualifikation erforderlich ist.



    Selbst jeder Müllwerker, Bestatter, Asphaltleger muss eine Qualifikation nachweisen.



    Aber diese Gestalten, die über unser Wohl und Wehe und natürlich unseren Alltag entscheiden, brauchen nichts zu können. Gar nichts. Sie brauchen nur eins: Ein Parteibuch.