piwik no script img

Ganz besondere TalenteDisruptiv begabt in Küche und Politik

Die Woche im Rückblick. Diesmal über die Gemeinsamkeiten von TikTok-Rezepten, Parteichefs und Impfempfehlungen.

Disruptiv, das ist wie eine Schneekugel, die brutal durchgeschüttelt wird Foto: Arno Burgi/dpa/picture alliance

D ie Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich sehr begabt. Sie hebt hierbei besonders meine Talente im Bereich Putzen, Kochen, Aufräumen und Katzenklo hervor. Warum also sollte sie im Haushalt zur Hand gehen, etwa die Spülmaschine ausräumen oder den Müll raustragen, wenn ich derart mit Begabungen gesegnet bin? „Du kannst das einfach besser als ich.“

Neuerdings treibt sich die Minderjährige jedoch auffällig häufig in der Küche herum. Da werden kurze Anweisungen erteilt, welche Zutaten zu besorgen sind, und bitte ohne wieder herumzutrödeln, und dann geht es ans Werk. Ich soll mich derweil woanders aufhalten, nur nicht im Weg stehen oder gar Ratschläge erteilen. Gekocht wird nach Tiktok-Rezepten, wie ich erfahren durfte. Daraufhin habe ich mir vorsichtshalber schon mal einen kleinen Notvorrat im Schlafzimmerschrank angelegt.

Für Dinge wie diese neue Tiktok-Küche sind Adjektive wie disruptiv erschaffen worden. Hier wird etwas zerstört und nach und nach vollständig ersetzt durch etwas Neues. Disruptiv ist beispielsweise, wenn ein Technologieunternehmen Autos baut, ein Discounter Strom anbietet oder ein grüner Parteichef Defensivwaffen in ein Krisengebiet liefern will. Die jeweilige Infektionsgemeinschaft, Branche oder Partei sieht in diesem Augenblick aus wie eine Schneekugel, die brutal durchgeschüttelt wird.

In etwa so wie ein Teenager­gehirn mehrmals am Tag. Zur Tiktok-Küche und den betroffenen Branchen lässt sich noch nichts Abschließendes sagen, aber Robert Habeck hat ganz offensichtlich keine Lust, mit dem Schütteln aufzuhören. Im Schneegestöber ist diese Woche plötzlich einer zu sehen, von dem man gehofft hatte, er sei vollauf damit beschäftigt, sich aus recycelten Pfanddosen ein Denkmal zu bauen: Jürgen Trittin, der Mann mit dem großem Talent dafür, die Wahlergebnisse der Grünen nach unten zu korrigieren.

Auf diese Weise gelang es ihm schon, die Bundestagswahlen 2013 und 1998 zu versemmeln. Warum sollte es nicht auch dieses Mal klappen? Trittin möchte nun also, dass Habeck nicht mehr schüttelt, sondern der Partei bitteschön nur noch das sagt, was sie gerne hört, damit sie es sich mit ihren wunderbaren Grundsätzen in der duftig-grünen Kuschelecke gemütlich machen kann. Diese Hoffnung wird sich wohl nicht erfüllen. Trittin hätte vielleicht eines der letzten vier Bücher seines Parteichefs lesen sollen, dann wüsste er:

Disruption ist Habecks besondere Begabung. Eher würde er beim Kühemelken Völkerrecht studieren als davon abzurücken, dass Europa die Ukrai­ne sicherheitspolitisch allein gelassen hat und Hilfe zur Selbstverteidigung braucht. Begabungen können allerdings sehr verschieden sein. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz etwa ist sehr speziell talentiert. Er kann den Charakter und Klang von Worten beeinflussen.

Jüdische und amerikanische Versuchskaninchen

Es ist die reinste Zauberei. Beispiel: Scholz nannte jüngst das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen „coolen Spruch“. Das Wort „cool“ aus dem Mund von Scholz hat ungeheure Wirkung. Wer das gehört hat, wird cool nie wieder cool finden. Oder nehmen wir Prof. Dr. Rüdiger von Kries von der ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut. Er hat eine herausragende Begabung dafür, das Vertrauen in staatliche Zulassungsstellen zu untergraben.

Auch wenn Biontech für 12- bis 15-Jährige zugelassen werde, könne er die Impfung nicht empfehlen. Es sei besser, erst einmal „die Erfahrung aus anderen Länder, wo schon geimpft wird, abzuwarten“. Zu diesen Ländern gehört bekanntermaßen Israel. Ich übersetze mal: Wir fänden es besser, wenn zuerst einmal die jüdischen Kinder als Versuchskaninchen dienen. Zur Not gehen natürlich auch amerikanische Impflinge. In den USA wird Biontech ebenfalls massiv an Jugendliche verabreicht.

Laut New York Times haben dort bereits fast vier Millionen 12- bis 15-Jährige Biontech erhalten. Von schwerwiegenden Nebenwirkungen ist bisher nichts bekannt. Auf Tiktok hat Prof. Dr. Rüdiger von Kries glücklicherweise bisher keine nennenswerte Gefolgschaft. Die Minderjährige kann es gar nicht abwarten, geimpft zu werden. Das Stichwort „Long Covid“ wird mir entgegengeschleudert. Sogar Jugendliche im Schneekugelzustand sind offenbar vernunftbegabter als die Stiko.

Zurück nun zu meinen Talenten. Es gibt da noch ein bisher unerwähntes: Konfliktbewältigung. Sobald das Tiktok-Rezept Gestalt angenommen hat, etwa in Form eines rosa Kuchens mit zentimeterdickem Zuckerguss und halb durchgebackenem Teig, ist Geschicklichkeit und gutes Timing gefragt. Immer dann, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt, wird ein Stück abgeschnitten und schnellen Schrittes zusammen mit dem sorgsam herausgefilterten Katzenklo-Unrat zum Müll getragen. Wie wunderbar sich Begabungen bisweilen doch ergänzen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
Mehr zum Thema

0 Kommentare