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Sven Schulze enthüllt Ende April ein Wahlplakat der CDU in Magdeburg Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Vor Wahl in Sachsen-AnhaltDie Angst im Nacken

Sven Rosomkiewicz will für die CDU in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Doch es könnte knapp werden. Die AfD-Konkurrenz ist das beherrschende Thema.

M it einer vollgestopften Umhängetasche über der Schulter läuft Sven Rosomkiewicz die schmale Straße entlang, in jeden Briefkasten wirft er einen Umschlag. „Bürgermeister Sven Rosomkiewicz. Für die Region in den Landtag“ steht darauf, daneben prangt sein Bild. Drinnen steckt ein Brief, in dem der 35-Jährige um die Erststimme bei der Landtagswahl am 6. Juni wirbt. Auf den Straßen in Staßfurt, einer Kleinstadt zwischen Magdeburg und Halle, sind kaum Menschen unterwegs. Es ist Freitag vor Pfingsten, später Nachmittag. Am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab.

„Machst du die andere Seite?“, ruft Rosomkiewicz Anna Kreye zu, die auf dem Bürgersteig steht und in ihr Handy tippt. Sie hat gerade ein Video von Rosomkiewicz für Instagram aufgenommen. „Wir haben heute den Insta-Account der Jungen Union Deutschland, 35.000 Follower“, sagt sie stolz. Kreye, Landeschefin der Jungen Union, zählt zu den Helfern von Rosomkiewicz beim Verteilen. Bis zur Wahl soll jeder der etwa 20.000 Haushalte im Wahlkreis einen seiner Briefe bekommen.

Vielleicht stimmt ja auch der eine oder andere für mich, der mit der Zweit­stimme nicht CDU wählt

Sven Rosomkiewicz, CDU-Landtagskandidat

Rosomkiewicz lebt in Borne, einem Dorf gut zehn Kilometer von Staßfurt entfernt. Seit sieben Jahren ist er in der Kommunalpolitik aktiv, seit 2015 ehrenamtlicher Bürgermeister in seinem Dorf. Um die Zweitstimme für die CDU geht es in seinem Brief nicht, wohl aber um die AfD. Rosomkiewicz macht – zwar zwischen den Zeilen, aber doch unmissverständlich – klar, dass er der Einzige ist, der den Direktkandidaten der radikal Rechten schlagen kann. „Vielleicht stimmt ja auch der eine oder andere für mich, der mit der Zweitstimme nicht unbedingt die CDU wählt“, sagt er. Bei der letzten Landtagswahl 2016 hat die AfD der CDU den Wahlkreis abgenommen, mit gut sechs Prozentpunkten Vorsprung. Auch jetzt liegt sie hier in den Prognosen vorn.

Die AfD sitzt der CDU im Nacken

Für die CDU in Sachsen-Anhalt geht es am 6. Juni um viel. Die AfD sitzt ihr nicht nur in Staßfurt im Nacken. Nach den letzten Umfragen liefern sich die beiden Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den ersten Platz. Erklärtes Ziel der radikal Rechten: Stärkste Kraft werden. Für die CDU und ihren Ministerpräsidenten Reiner Haseloff wäre das ein Debakel. Wenn es ganz schlimm kommt, könnte gar die Koalition aus CDU, SPD und Grünen, nach den Farben der Flagge Kenia genannt, die Mehrheit verlieren. Das Land stünde vielleicht vor der Unregierbarkeit.

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Und dann könnten die Stimmen in der CDU wieder lauter werden, die meinen, man sollte eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht länger ausschließen. Hinzu kommt: Die Wahl für den Landtag ist der letzte Stimmungstest vor der Bundestagswahl im September. Schmiert die CDU hier ab, wird das Kanzlerkandidat Armin Laschet noch weiter zurückwerfen.

„Ich bin ganz optimistisch“, sagt Anna Kreye und zieht einen neuen Brief aus ihrem Stoffbeutel. „Wir haben den MP-Bonus.“ Ministerpräsident Reiner Haseloff sei in der Coronakrise seinen eigenen Weg gegangen, habe sich von der Kanzlerin distanziert, das sei in Sachsen-Anhalt gut angekommen. Von Berlin lässt man sich hier nicht gerne reinreden. Allerdings: Nach einer vor einem halben Jahr erschienenen Analyse für die Landeszentrale für politische Bildung treibt zwar das Thema Corona die meisten Menschen um. Gleich dahinter aber folgen Zuwanderung und Flüchtlinge – was sich vermutlich bei der AfD auszahlen wird.

Die AfD ist nah dran: Wahlplakat des CDU-Kandidaten für den Landtag Sven Rosomkiewicz Foto: Sabine am Orde

Wie hält es die CDU mit der radikal rechten Partei? „Mit Reiner Haseloff als Ministerpräsidenten und Sven Schulze als Parteivorsitzenden wird es definitiv keine Annäherung an die AfD geben“, sagt JU-Chefin Kreye. Und das sei richtig so. „Klare Abgrenzung, zu hundert Prozent“, meint auch Rosomkiewicz. „Aber das gilt in beide Richtungen, auch für die Linken.“

Die CDU in Sachsen-Anhalt sei eine Partei, die sich nur noch über Abgrenzung definiere, hat die Süddeutsche jüngst kommentiert. Fragt man den Politikwissenschaftler Benjamin Höhne vom Institut für Parlamentarismusforschung, wohin die CDU im Land treibe, sagt er: „Die CDU in Sachsen-Anhalt will vor allem regieren. Deshalb ist derzeit die Devise: Geschlossenheit herstellen, Zusammenhalten und ein gutes Wahlergebnis erzielen.“ Die große Frage sei, was passiere, wenn das schiefgehe. „Dann wird es eng für Haseloff“, sagt Höhne. „Schwer zu sagen“ sei mit Blick auf die Abgrenzung zur AfD, was geschehe, wenn Haseloff falle, meint der Politikwissenschaftler. „Die CDU in Sachsen-Anhalt ist schwer zu regieren, da gibt es viele unabhängige Geister.“

Zusammenarbeit ausgeschlossen

Sven Schulze ist der Mann, der diese unabhängigen Geister im Zaum halten soll. Seit März ist Schulze, 41, Chef der Landespartei. Geplant war das nicht. Doch als Holger Stahlknecht, sein Vorgänger, während des Koalitionsstreits über die Erhöhung der Rundfunkgebühren Ende vergangenen Jahres über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD spekulierte, warf Haseloff ihn als Innenminister raus, kurz darauf legte Stahlknecht den Parteivorsitz nieder. Schulze, der sich selbst als „Mitte“ und „Mann der Wirtschaft“ bezeichnet, hat bei seiner Wahl eine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken eindeutig ausgeschlossen. Der Ex-Generalsekretär, der im Gemeinderat und im Kreistag saß und die Junge Union im Land angeführt hat, bekam 84 Prozent der Stimmen.

Ein Montagmittag Mitte Mai, Schulze empfängt in der Zentrale der Landes-CDU in Magdeburg, dritter Stock in einem Neubau direkt am Elbufer. Der Wirtschaftsingenieur, offenes, weißes Hemd, Jeans, knallblaue Socken, sitzt locker zurückgelehnt in einem Sessel und plaudert los. Über seine erste Kiwi nach der Wende im Alter von zehn, seine Arbeit im Europaparlament, wo er der einzige Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt ist, und die 100.000 Autokilometer, die er jährlich über die Autobahnen brettert. Seit 2014 pendelt er zwischen Brüssel und Magdeburg. Im Europaparlament, sagt Schulze, könne man nur mithilfe von Kompromissen Politik voranbringen. „Und so will ich das hier auch machen.“

Die Lage der CDU im Osten sei kompliziert, sagt Schulze. „40 Prozent der Landtagsabgeordneten sind unsere politischen Feinde, sie scheiden als Koalitionspartner aus.“ Neben der AfD gehört dazu auch die Linkspartei. Fragt man Schulze nach der AfD, liefert er die Linken immer gleich mit. Im Jahr 2016, als die AfD erstmals in den Landtag einzog und mit 24,3 Prozent ihr bis dahin bundesweit bestes Ergebnis holte, blieb deshalb nur die Kenia-Koalition.

Jetzt spürt man vielerorts in der CDU die Angst, es könne für eine Fortsetzung der Koalition nicht reichen. Und dann? „Es wird reichen“, sagt Schulze dazu knapp. Und dass auch eine Konstellation mit der FDP denkbar sei. Laut Umfragen kann diese mit einem Einzug in den Landtag rechnen.

Besuch aus Bayern: Reiner Haseloff besucht mit Markus Söder das Fraunhofer-Zentrum in Leuna Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Schulzes Problem: In zahlreichen Punkten ist die AfD den Christdemokraten deutlich näher als ihren jetzigen Koalitionspartnern, das gilt sowohl inhaltlich als auch habituell. Neben „substanziell Trennendem“ sieht Politikwissenschaftler Höhne auch „deutliche Schnittmengen“, etwa die Nähe bei der Selbstverortung auf der Links-rechts-Achse oder dem Verständnis,wie Politik gefühlt und gemacht werde. CDU-Landeschef Schulze will von diesen Schnittmengen nichts wissen. „Das würde ich nicht so sehen“, sagt er knapp.

Auch Sven Rosomkiewicz und Anna Kreye weisen diese These zwischen zwei Briefkästen in Staßfurt brüsk zurück. „Die AfD hat einzelne von uns als Volksverräter bezeichnet, das geht gar nicht“, sagt Kreye. „In zwei Wochen tritt hier Björn Höcke auf“, ergänzt Rosomkiewicz. „Da sieht man doch, wo die stehen.“

Bevor Sachsen-Anhalt als erstes Bundesland mit einer Kenia-Koalition aus einer Landtagswahl hervorging, hatten Christdemokraten und SPD gemeinsam regiert, doch Verluste bei der CDU, besonders aber bei den Sozialdemokraten und das gute Ergebnis der AfD zwangen die Grünen mit ins Kabinett. Eine Wunschkoalition war das nicht – und entsprechend konfliktreich die Regierungszeit.

„Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“

Der Streit über die Erhöhung der Rundfunkgebühren Ende vergangenen Jahres, der die Koalition an den Rande des Bruchs brachte, war da nur der letzte Höhepunkt. Die Christdemokraten setzten sich durch, auch gegen die Bundespartei, Haseloff galt plötzlich als Macher. Das alles sei auch „Symbolpolitik, die die ostdeutsche Seele streichelt“, sagt Politikwissenschaftler Höhne.

Ärger aber gab es auch vorher schon. Als Ex-Innenminister Stahlknecht etwa kurz vor dem Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle sinngemäß sagte, es gebe in Sachsen-Anhalt auch deshalb zu wenige Polizist:innen, weil diese jüdische Einrichtungen schützten. Der Zentralrat der Juden warf ihm Antisemitismus vor und forderte seinen Rücktritt, die Ko­ali­ti­ons­part­ne­r:in­nen waren entsetzt. Stahlknecht beteuerte, „ein Missverständnis“ – und durfte bleiben.

Oder als im Dezember 2019 bekannt wurde, dass der CDU-Kreispolitiker Robert Möritz eine rechtsextreme Vergangenheit samt Nazi-Tattoo hat und Mitglied des Vereins Uniter war, in dem sich zahlreiche Rechtsextreme tummelten. Die Grünen fragten mit Bezug auf das Tattoo plakativ: „Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“, die CDU stellte die Koalition infrage. Möritz trat zurück, die Koalition regierte weiter.

Anfang Mai, die Landesregierung hat zur Bilanzpressekonferenz geladen, Ministerpräsident Haseloff sitzt in einem Saal der Staatskanzlei zwischen seinen Stellvertreterinnen von SPD und Grünen und lobt die „sehr gute, kollegiale Zusammenarbeit“. Man habe „in erheblichem Maße zur Stabilität beigetragen“. Auch seine Vizes ziehen eine positive Bilanz, würdigen die Umsetzung vieler anvisierter Projekte. Für eine Verbindung, von der die meisten dachten, sie würde die Legislaturperiode niemals überstehen, ist das keine schlechte Bilanz. Alle drei machen klar: Sie würden die Koalition fortsetzen. Von Streit ist keine Rede.

Mittendrin in all den Auseinandersetzungen war Markus Kurze, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Kurze hochgegelte Haare, bubiges Gesicht und eine große Portion Regionalstolz, ist er ein redseliger Mann. Stolz präsentiert er sein Büro mit Blick auf den Magdeburger Dom und ein gemeinsames Foto mit Angela Merkel. Kurze sagt, in einer Volkspartei müsse es auch unterschiedliche Auslegungen von Konservatismus geben dürfen. Wie weit das gehen kann, das ist ein Streitpunkt innerhalb der CDU Sachsen-Anhalts.

Das Soziale mit dem Nationalen versöhnen?

Denn manche liebäugeln mit einer Annäherung an die AfD. Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas, die beiden Fraktionsvizechefs zum Beispiel. Im Jahr 2019 veröffentlichten sie eine Denkschrift, in der sie Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD forderten. Die CDU müsse „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“, hieß es darin. Weder Zimmer noch Thomas wollen mit der taz reden. Eine Sprecherin sagt, alle überregionalen Medienanfragen würden abgelehnt, wegen fehlender Objektivität. Die CDU hat Zimmer und Thomas auf Platz drei und vier auf ihrer Landesliste gewählt, Kurze steht auf Platz fünf.

Die Wahl in Sachsen-Anhalt

Die Wahl Bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl im September sind am 6. Juni rund 1,8 Millionen Menschen in Sachsen-Anhalt zur Stimmabgabe aufgerufen. Derzeit regiert dort eine sogenannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen, in der Opposition sitzen AfD und Linke.

Die Umfrage In einer Umfrage vom 26. Mai ermittelte das Institut Insa, dass die AfD die CDU überholt. Demnach erhält die AfD mit 26 Prozent etwas über einen Prozentpunkt mehr als vor fünf Jahren. Die CDU liegt bei deutlichen Verlusten nur noch bei 25 Prozent. Die Linke verliert rund 3 Prozent und landet bei 13, die Grünen gewinnen fast 6 Prozentpunkte und erzielen 11 Prozent. Die SPD bleibt mit rund zehn Prozent in etwa gleich. Die FDP könnte bei starken Gewinnen und 8 Prozent die außerparlamentarische Opposition verlassen und wieder in den Landtag einziehen.

Die Zukunft Bei einem solchen Ergebnis wäre eine Fortsetzung der Kenia-Koalition wahrscheinlich möglich. Denkbar wäre auch, dass die FDP hinzukommt und ein Viererbündnis entsteht. (taz)

Auch ihm wird zuweilen eine Nähe zum rechten Flügel der Partei nachgesagt. Fragt man ihn, ob er wertkonservativ sei oder die Denkschrift unterstütze, verneint er. „Das Bewährte bewahren und Modernes wagen“ sei sein Credo. Kurze sagt aber auch, die CDU büße an Glaubwürdigkeit ein, weil straffällig gewordene Asylbewerber nicht konsequent abgeschoben würden. Wo da der Unterschied zum „kriminelle Ausländer abschieben“ der AfD ist? „Wir haben diese Forderungen schon viel länger“, sagt Kurze. Und: Die CDU stehe für Weltoffenheit.

Es gibt noch weitere Anzeichen einer Annäherung an die AfD, im Kommunalen sowieso, aber auch auf der Landesebene. Etwa die Zustimmung der Christdemokraten zur Einsetzung einer Enquetekommission zum Thema „Linksextremismus“, die die AfD 2017 beantragt hatte. Markus Kurze erklärt das so: Bevor es die AfD gab, sei die CDU das erste Angriffsziel der Linksextremen gewesen. Diese näher untersuchen zu wollen, sei deshalb nachvollziehbar.

Kurze hatte sich, wie viele Christ­de­mo­kra­t:in­nen in Sachsen-Anhalt, erst Friedrich Merz als Parteichef, dann Markus Söder als Kanzlerkandidaten gewünscht. Bekommen haben sie Armin Laschet. „Er ist hier zu unbekannt“, sagte Kurze. Und dass Laschet gut daran täte, sich in Magdeburg sehen zu lassen. „Für Ostdeutsche reicht eine Charmeoffensive als Karnevalsfrohnatur nicht.“

Auch Anna Kreye, die JU-Chefin, die am Freitagnachmittag weiter fleißig Umschläge in Briefkästen steckt, hatte sich für Söder stark gemacht. In der entscheidenden Sitzung im Bundesvorstand, dem sie seit Januar angehört, sagte sie, dass Laschet bestimmt ein guter Kanzlerkandidat sei, aber nicht vor der Wahl in Sachsen-Anhalt. Von Söder, sagt sie jetzt, habe sie sich Rückenwind und „zwei, drei Prozentpunkte obendrauf“ erhofft. „Aber jetzt müssen wir uns alle hinter Armin Laschet stellen, um die Bundestagswahl zu gewinnen.“ Söder hat am Vormittag mit Haseloff den Chemiestandort Leuna besucht, am Tag darauf erscheint ein Interview in der Lokalpresse. Auch Merz war schon mit Haseloff unterwegs. Laschet wird am Wochenende erwartet.

Nach den jüngsten Umfragen könnte es für eine Kenia-Koalition mit Ministerpräsident Haseloff an der Spitze knapp werden. Doch selbst wenn es reicht, wäre damit die Sache noch nicht entschieden. Denn der Landesparteitag der CDU hat im März überraschend beschlossen, dass die Parteimitglieder der Fortsetzung der Koalition zustimmen müssen. Bei vielen von ihnen aber ist das Bündnis unbeliebt, sind besonders die Grünen nicht gut gelitten.

Frage an CDU-Landeschef Schulze in der Parteizentrale am Magdeburger Elbufer: Was ist, wenn Sie beim Mitgliederentscheid baden gehen? „Wir gehen nicht baden“, sagt Schulze. „Die Mitglieder wissen, dass wir gute Arbeit gemacht haben, nicht nur in der letzten Legislaturperiode. Wir führen seit fast 20 Jahren die Staatskanzlei“, das sei nicht in vielen Ländern der Fall. „Wenn wir eine Koalition ausgehandelt haben, ist es auch meine Aufgabe, gemeinsam mit Reiner Haseloff den Mitgliedern zu erklären, was wir bekommen haben und was nicht.“ Sie müssten dann eben viel in die Kreisverbände gehen und reden.

Einigen Mitgliedern aus Halle und Magdeburg, die sich zur Initiative „Für eine neue CDU Sachsen-Anhalt“ zusammengeschlossen haben, reicht das nicht. In einem offenen Brief fordern sie von der Parteispitze wie von allen Kandidatinnen und Kandidaten für die Landtagswahl eine strikte Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD. Sie befürchten, dass die Parteimitglieder eine Neuauflage der Kenia-Koalition durchfallen lassen könnten und dann, damit das Land nicht unregierbar wird, eine Zusammenarbeit mit der AfD doch kommen könnte – und verweisen dabei auf die Wahl des Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP in Thüringen.

Es ist doch ganz klar: Wir machen mit der AfD nichts, dafür gibt es Beschlüsse. Und das hab ich gesagt und Reiner Haseloff auch

Sven Schulze, CDU-Landesvorsitzender

„Unnötig“ nennt Schulze das. „Das können wir jetzt gar nicht brauchen, dass der Eindruck entsteht, wir könnten mit der AfD etwas anfangen“, wettert er und sitzt plötzlich ganz aufrecht in seinem Sessel. „Es ist doch ganz klar: Wir machen mit der AfD nichts, dafür gibt es Beschlüsse. Und das hab ich gesagt und Reiner Haseloff auch.“

Sabine Wölfer, die Landesvorsitzende der Frauenunion, hat den offenen Brief unterschrieben. „Wir sind eine Mitmachpartei, da darf man mitdenken und das mache ich“, sagt sie am Telefon. Ihre ehemalige Stellvertreterin Kerstin Rinke ist gar wegen „dieses Austestens von Grenzen, dieser kontinuierlichen Verschiebung nach rechts“ aus der Partei ausgetreten, so hat sie es selbst formuliert. Auslöser war die Aufstellung der Landesliste, bei der die Verfasser der Denkschrift auf den Plätzen drei und vier landeten, aber nur eine Frau es auf einen der ersten 14 Plätze schaffte. Dies sei die „frauenfeindlichste Liste, die die CDU Sachsen-Anhalt jemals aufgestellt hat“, kritisierte Rinke. „Ich musste erleben, dass sämtliche Bemühungen, engagierte und kompetente Frauen stärker in verantwortliche Positionen zu bekommen, die nicht nur im Ehrenamt ausgeführt werden, gescheitert sind.“ Wölfer teilt diese Kritik an der Liste. „Da standen wir als Frauenunion zusammen.“

Fragt man CDU-Chef Schulze, der sich in der CDU-Zentrale inzwischen wieder gemütlich in seinem Sessel zurückgelehnt hat, danach, sagt er: „Wir haben erkannt, dass das eine Herausforderung ist.“ Man sei aber besser, als unterstellt werde. „Ein Riesenproblem ist das nicht.“ Schon die nächste Fraktion werde weiblicher sein. Insgesamt kandidieren neun CDU-Frauen für Direktmandate. Derzeit sind zwei der dreißig CDU-Angeordneten weiblich. Schlechter ist der Schnitt nur bei der AfD. Anna Kreye, die JU-Landeschefin, sieht das anders als Schulze. „Zu Recht“ habe es die Kritik an der Landesliste gegeben. „Die Liste sieht nicht gut aus. Das muss anders werden, dafür werde ich mich einsetzen.“

Kreye, Rosomkiewicz und die anderen JU-ler:innen haben in Staßfurt die für heute geplanten Straßen abgeklappert. Inzwischen hat sich die Abendsonne durchgesetzt, aus einem Garten zieht der Geruch von gegrilltem Fleisch herüber. „Ich mach mir nicht vor, dass es einfach wird“, sagt Rosomkiewicz zum Abschied. Der AfD-Kandidat werde 25 bis 30 Prozent holen. „Aber vielleicht bekomme ich am Ende doch mehr.“ Dann geht er zurück zu seinem Fiat, der immer noch voller Kisten mit Briefen ist. Auf dem kleinen Auto steht neben einem großen Foto von ihm: „Für die Region in den Landtag. Mit Ihrer Erststimme.“

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16 Kommentare

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  • Das wird ja immer brauner.

  • Es wirkt immer wieder, als ob der Zulauf der AfD ein politisches Problem ist; ein Problem der Parteien.

    Ist das tatsächlich so? Wenn die AfD mit ihrem Populismus trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen erfolgreich ist, ist das nicht eher ein gesellschaftliches Problem? Ein Problem, dass Bürger angehen müssten, und nicht Politiker?

    • @Heinrich1:

      Sag‘ ich doch die ganze Zeit!



      Aber über in den Sozialwissenschaften diskutierte Phänomene wie „Extremismus der Mitte“ oder „rohe Bürgerlichkeit“ will doch niemand ernsthaft reden … eher ernten Sie einen Shitstorm, wenn Sue zaghaft darauf hinweisen, dass Rechtsextremismus und Rassismus kein Problem nur der politischen Ränder seien.



      In den Spiegel schaut nur derjenige gerne, der sich schon gewaschen und rasiert hat.

  • Man muss nach der Lektüre dieses Artikels jetzt aber kein Mitleid mit der sachsen-anhaltinischen CDU haben, oder?



    Ohne Not hat diese Partei vor kurzem - und auf Bundesebene noch assistiert von der Mittelstandvereinigung der Union - eine Debatte über eine Reform des ÖRR angestoßen, in der sich einiges Richtige mit viel Falschem vermischt … eine Debatte, die aber in erster Linie geeignet ist, viel medienpolitisches Wasser auf die Mühlen der AfD zu lenken.



    Oder wollte man da in der Ost-CDU nur einen Testballon starten, um zukünftige Gemeinsamkeiten mit der AfD schon mal auszuloten … es hat sich ja insofern ausgezahlt, als es in S-A eine stabile Mehrheit für eine Mitte-Rechts-Koalition schon jetzt gäbe, was sicherlich zumindest die Basis beider Parteien erfreuen dürfte, in welche Bredouille die Bundes-CDU eine solche Konstellation auch immer bringen könnte.



    Der Wunsch nach separat(istisch)er Ost-Identität, um notfalls auf Kosten der Spaltung der eigenen Partei Seit an Seit mit der AfD durchzumarschieren und es dem (West-)Establishment mal richtig zeigen zu können, scheint größer als alle Vernunft zu sein.

  • wieso werden in einer wehrhaften Demokratie eigentlich rechtsnationale Parteien zur Wahl zugelassen?

    • @danny schneider:

      Den politischen Gegner per Verbot aus dem Weg zu räumen, ist nicht sehr demokratisch.

      • @Christof Abt:

        Das sind keine "politischen Gegner", das sind rechtsnationale.

    • @danny schneider:

      In Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren erklärte das BVerfG ja, dass ein Verbot nur dann in Betracht kommt wenn eine solche Partei realistische Chancen hat eine Wahl auch zu gewinnen. Fraglich dabei bleibt wie der Nachweis dafür erbracht werden soll. Im Zweifelsfall weiß men es erst nachdem es geschehen ist. Wie sich das BVerfG die Umsetzung eines Verbots dann noch vorstellt, nachdem eine solche Partei tatsächlich eine Wahl gewonnen hat und ggf. die Regierung stellt, ist mir jedoch bislang auch unklar geblieben.

  • Jetzt rächt sich, dass man die AfD nicht schon längst verboten hat. Dann würden sich die 26% auf die demokratischen Parteien verteilen.

    • @C.O.Zwei:

      Sie wollen eine Partei verbieten, die in manchen Ländern ein Viertel der Wähler abbildet? Nur zu. Wenn das woanders passiert, nennen wir es Unterdrückung der Opposition.

      Ich würde die Nasen nicht wählen, aber verbieten scheint mir nicht der weiseste Weg.

  • "Schmiert die CDU hier ab, ..."

    Wer die Bürger ständig anschmiert und sich auch schonmal kräftig schmieren läßt, wird ... irgendwann mal derbe abschmieren.

    • @Bolzkopf:

      Wobei mir die 26% tatsächlich mehr Bauchschmerzen bereiten als die AfD selbst, bei welchen anderen Parteien auch immer sie dann Unterschlupf fänden … ein Problem, das seit 1945 nicht wirklich gelöst wurde, und zwar in beiden deutschen Staaten nicht.

  • Die Sachsen CDU ist seit jeher am ganz rechten Rand verortet und immer mal wieder zu einem kleinen Grenzverkehr hinüber zur AFD bereit. Schlichtere Gemüter entscheiden sich dann halt gleich für das Original und verprellen dadurch nach deren eigener Denke nicht mal die CDU, weil diese ja die selben Thesen vertritt.

    Was dann auch noch dazukommt ist diese unerträgliche‘ Hufeisenmentalität‘.



    Man kann von den LINKEn halten was man will, ihnen Populismus und vieles mehr vorwerfen.



    Aber dieses reflexhafte ‚in einen Topf werfen‘ mit der AFD ist zum Kotzen.

    In Abwandlung dieses wiederlichen Spruches in jener Denkschrift von 2019 kann man nur festhalten: diese CDU in Sachsen ist dabei ‚das Soziale durch das Nationale zu verhöhnen‘.

    • @Klaus Waldhans:

      Mmh, es geht hier um die CDU in Sachsen-Anhalt und nicht in Sachsen. Wenn Sie schon das nicht auseinanderhalten können - genau diese Ignoranz befeuert die Lage in Osten zusätzlich.

    • @Klaus Waldhans:

      "Aber dieses reflexhafte ‚in einen Topf werfen‘ mit der AFD ist zum Kotzen."

      Aber mit eben der selbigen rühren Sie dann ihre eigene Hufeisentheorie zusammen?

      Interessant wird die Wahlanalyse danach sein. Bei der letzten Wahl in Sachsen punktete die AfD vor allem bei vormalige Wählern der Linkspartei und der CDU www.mdr.de/nachric...wanderung-100.html

      Man kann besonders diesen beiden Parteien vorwerfen, Bei der Abwanderung von Wählern zur Linkspartei versagt zu haben.

      • @Rudolf Fissner:

        Der letzte Satz Ihres Kommentars macht allerdings nur Sinn, wenn Sie die AfD meinen, nicht die Linkspartei, da deren ehemalige Wähler ja doch zur AfD abgewandert sind.



        Ich denke mir jedoch, dass die Motive von CDU- und Linken-Wählern, zu einer völkisch-nationalistischen Partei umzuschwenken, doch recht unterschiedlich sein dürften: die einen fühlen sich durch den nationalkonservativen Anstrich der AfD angesprochen, den sie in der Merkel-CDU zusehends vermissen, die anderen … tja, was vormalige Wähler der Linken reitet, jetzt aufs braune Pferd zu setzen, da bin auch ich ein bisschen ratlos?



        DDR-Nostalgie, des (Ost)Deutschen Hang zum Autoritären, die nationalrevolutionäre Rhetorik des Höcke-Flügels? Weitere Vorschläge?



        Zumindest aber all diejenigen, die sich in der liberalen parlamentarischen Demokratie nicht behaust fühlen.