Jüdisch-muslimischer Dialog: Unser Miteinander
Ist Krieg in Nahost, verhärten sich auch in Deutschland die Fronten. Wie kann eine neue Basis für das jüdisch-muslimische Miteinander gestaltet werden?
W as ist los bei euch im Nahen Osten? Warum kriegt ihr das nicht hin mit dem Frieden? In Europa haben wir es doch auch geschafft.“ Fragen, die wohl alle hier lebenden Juden und Muslime kennen. Gerade jetzt: Alle sind wir plötzlich wieder Botschafter der Israelis oder Palästinenser, und alle sollen wir gefälligst eine einfache Lösung für ein komplexes Problem aus der Tasche zaubern.
Doch längst schon verlaufen die Konfliktlinien nicht nur „da unten“. In der Migrationsgesellschaft bestimmen globale Konflikte auch immer das Zusammenleben hierzulande. Die Auseinandersetzungen zwischen türkischen Nationalisten und Kurden, zwischen Russen und Ukrainern werden auch auf deutschen Schulhöfen ausgetragen.
Die Besonderheit des Nahostkonflikts besteht darin, dass nicht nur die unmittelbar betroffenen Gruppen, Israelis und Palästinenser, mobilisiert werden. Ganz selbstverständlich stehen sich hier, scheinbar unversöhnlich, Juden und Muslime gegenüber.
Die Demonstrationen der vergangenen Tage sind ein trauriger Beweis dafür, wie dünn das Eis ist, auf dem das Zusammenleben von Juden und Muslimen hierzulande ruht. Auf der einen Seite die blau-weiße Fahne Israels; auf der anderen Seite, neben den Fahnen von Palästina und Hamas, auch die der Türkei, von Pakistan, Syrien und Afghanistan. Vornehmlich islamisch geprägte Staaten, in denen der Hass gegen den israelischen Staat weit verbreitet, oft sogar Teil der Staatspropaganda ist.
Erstarken von Nationalismus
Es ist tragisch, wenn gerade die nationalistischen Stimmen aus den jeweiligen Communities auf die Straße gehen. Wir glauben, dass die große Mehrheit der deutschen Muslime und Juden den Menschen in Nahost eine friedliche Lösung wünschen. Wir glauben, dass das Erstarken von Nationalismus auf beiden Seiten Teil des Problems ist und nicht der Lösung. Wir glauben, dass diejenigen, die ernsthaft für Frieden in Nahost streiten möchten, sich nicht erst einmal hinter Nationalflaggen sammeln sollten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wie schon bei früherer Gelegenheit reagieren die offiziellen Vertretungsorgane beider Religionsgemeinschaften in Deutschland mit reflexhaften Parteinahmen. Sowohl der Zentralrat der Juden als auch der Koordinationsrat der Muslime, der die größten islamischen Verbände eint, wussten beide sehr früh, wer Schuld an der Eskalation trägt, und veröffentlichten gleichzeitig am 12. Mai ihre Statements.
Für die Muslime war klar, dass „der Ausgangspunkt der Gewalt drohende Zwangsräumungen“ durch die israelische Regierung waren. Für die Juden lag die Antwort auf der Hand: „Die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt liegt ganz klar aufseiten der Hamas.“
Genauso schematisch reagierten die üblichen Verdächtigen in den sozialen Medien. Unter #gazaunderattack werden Aufrufe zur Vernichtung des Staates Israel geteilt und von einem „Holocaust gegen Palästinenser“ geraunt. Unter #israelunderattack werden Sharepics geteilt, in denen der Bezug der Muslime zu Jerusalem geleugnet und die israelische Armee angefeuert wird, möglichst hart gegen Gaza vorzugehen.
Der Tunnelblick wird immer enger
Die Lebenswelten von Juden und Muslimen entwickeln sich auseinander und damit auch die Wahrnehmung darüber, was im Nahen Osten passiert. Die einen bekommen nur noch Fotos von ermordeten palästinensischen Kindern zu sehen, die anderen nur noch Videos von zerstörten Häusern in Tel Aviv. Ohne es zu merken, wird der eigene Tunnelblick immer enger, verkriecht sich jeder im rabbit hole der sozialen Medien, die beide Seiten in ihrer jeweiligen Überzeugung und Wahrheit bestätigen. Empathie für die anderen – Fehlanzeige.
Dabei gibt es sie: Juden, die sich solidarisch mit Palästinensern zeigen, und Muslime, die Solidarität mit Israelis äußern. Wahrscheinlich ist es keine Überraschung, dass sie in den sozialen Medien als Verräter der eigenen Community dargestellt werden.
So kritisierte eine jüdische Bloggerin auf Twitter das Handeln der israelischen Regierung und erntete einen regelrechten Shitstorm. Anschließend schreibt sie: „Ich wünsche euch allen, dass ihr niemals mit sowas ganz alleine sein müsst.“ Als eine Muslima die Hamas kritisiert, wird sie als „zionistische Schlampe“ beschimpft und gefragt, ob der Zuhälter sein Geld erhalten hat.
Wer von der Vehemenz auf den Straßen und im Netz überrascht ist, sollte ins Archiv gehen: Im Zuge des letzten Gazakriegs 2014 wirkten ganz ähnliche Dynamiken. Was haben wir in den letzten sieben Jahren gemacht, um die Gräben zwischen Juden und Muslimen zu überwinden? Sehr viel, nur tendenziell in die falsche Richtung.
Dialog auf Banalitäten reduziert
Man hantierte mit hübschen Begriffen wie „Bündnissen“, „Brücken“ und „Allianzen“. Alle konnten schön in der Komfortzone bleiben, wenn jüdisch-muslimischer Dialog auf Banalitäten reduziert wurde: „Wie lässt sich mein Hummusrezept verfeinern“, „wer hat Tipps für den nächsten Anatolien- oder Israelurlaub?“ Keine Fiktion: So berichtete noch vor kurzem stolz der Initiator eines solchen Projekts in der Jüdischen Allgemeinen.
Da gab es eine Tandemtour durch Berlin mit Rabbinern und Imamen, ein Fußballspiel in Düsseldorf mit muslimischen und jüdischen Geistlichen, ein Kochduell mit Imam, Rabbi und Pfarrer. Es gab Begegnungsformate und Dialogprojekte, in denen gekickt und gekocht und gelegentlich auch über Inhalte gesprochen werden sollte.
Besonders bekannt ist das Prestigeprojekt „Schalom Aleikum“, das von der Bundesregierung 2019 mit Millionen ausgestattet wurde. Das Projekt wird allein vom Zentralrat der Juden ohne Beteiligung eines muslimischen Partners geplant und durchgeführt, was im Widerspruch zum eigenen Anspruch steht, jüdisch-muslimischen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen.
Sicher haben die hochkarätig besetzten Podien in repräsentativem Ambiente zu mehr Sichtbarkeit beigetragen. Die Mehrheitsgesellschaft erfreute sich an Wohlfühlnachrichten wie: „Der Muslim Abdul-Jalil Zeitun und der Jude Semen Wassermann teilen sich mit Freude ein Sofa“, gesehen in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 31. Oktober 2019.
Über den Elefanten im Raum sprechen
Fraglich ist jedoch, welchen Einfluss man damit auf das tägliche Miteinander von Juden und Muslimen hatte. Die Auseinandersetzung mit den wirklich unbequemen Fragen fiel dabei zu oft vom Tandemsattel.
Wir hoffen, dass die vereinbarte Waffenruhe in Israel-Palästina anhält. Für uns Juden und Muslime in Deutschland bleibt jedoch die Frage, wie wir die Wunden der letzten Tage heilen und eine neue Basis für unser Miteinander gestalten können. Das wird weder ein Kochduell noch eine Fahrradtour allein schaffen. Wir müssen über den Elefanten im Raum sprechen: den Nahostkonflikt.
ist Historiker und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.
Dafür gilt es zunächst einmal für jede Seite, ihre Grenzen zu kommunizieren: Weder das Existenzrecht des Staates Israel noch das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat sollen in Frage gestellt werden. Die Gesamtschuld für den Konflikt auf die Schultern einer Partei zu legen, ist per se falsch. Auch verbieten wir uns jeglichen Vergleich zwischen dem Handeln des israelischen Staates und den Nazis – genauso wie jede andere Form von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Über alles andere kann gestritten werden.
ist Politologin und Mitglied im Expertenkreis Muslimfeindlichkeit der Bundesregierung.
Ja, das wird schmerzhaft. Es sollte auch nicht primär darum gehen, den anderen von der eigenen Einstellung zu überzeugen. Vielmehr muss man sich darauf einlassen, dass die Erfahrungen und Sichtweisen der Anderen zunächst genauso legitim sind wie die eigenen. Eine Grundlage dafür liefern die Arbeiten des Psychologen Dan Bar-On und des Pädagogen Sami Adwan, die jüdisch-israelische und palästinensische Narrative nebeneinanderstellten. Sie plädieren für mehr Aufklärung über die Geschichte und Hintergründe des Konflikts – und für mehr Empathie.
Ja, es mag banal klingen, für mehr gegenseitiges Verständnis zu werben. Und sicher kann man damit keine Schlagzeilen machen, keine reißerischen Social-Media-Beiträge gestalten. Aber nichts ist banaler, als sich immer noch tiefer in seinen Vorurteilen einzugraben – und die eigene Empathieunfähigkeit mit Radikalität zu verwechseln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen