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Interne Vorwürfe gegen Julian Reichelt„Bild“-Chef beurlaubt

Mehrere „Bild“-Mitarbeiterinnen werfen Julian Reichelt offenbar Nötigung und Mobbing vor. Nun lässt sich der Chefredakteur vorerst freistellen.

Erst einmal beurlaubt: Julian Reichelt Foto: Roland Weihrauch/dpa

Der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, ist nach Vorwürfen von Nötigung und Mobbing vorläufig beurlaubt. Das teilte am Samstag der Axel Springer-Verlag mit. Die Beurlaubung geschehe auf Reichelts Wunsch. Er weise die Vorwürfe nach wie vor zurück.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hatte zuvor den Screenshot einer internen Chatnachricht Reichelts an die Bild-Mitarbeitenden auf Twitter geteilt. Demnach schrieb Reichelt offenbar: „Ich habe immer alles dafür getan, dass es BILD, dass es uns gut geht und das tue ich auch heute, auch wenn es mir schwerfällt.“ Deswegen habe er den Vorstand gebeten, ihn vorerst zu beurlauben, um zur „unangreifbaren Aufklärung“ beizutragen. Und: „Die Vorwürfe sind falsch.“

Vergangene Woche hatte das Magazin Spiegel zuerst über ein internes Verfahren gegen den Bild-Chefredakteur berichtet. „Rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen“ hätten Beschwerden gegen Reichelt vorgebracht, es gehe um Mobbing, Nötigung, Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen. Kurzum: Das, was etwa die MeToo-Bewegung immer wieder über Machtverhältnisse am Arbeitsplatz anprangert.

Allerdings gilt auch dann, wenn die Muster altbekannt scheinen, die Unschuldsvermutung. Ein Compliance-Team kümmert sich derzeit um die Aufklärung. „Compliance“ ist in großen Unternehmen der Bereich, der darum bemüht ist, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Alexandra Würzbach übernimmt

Die Führung der Redaktion übernimmt Alexandra Würzbach, Chefredakteurin der Bild am Sonntag und Mitglied der Bild-Chefredaktion. Das bedeutet, dass Würzbach fürs erste die Entscheidungen über alle Bild-Kanäle fällt, also die Papierzeitungen Bild, BamS und B.Z., die Webseite bild.de und den Videokanal Bild-TV. Die Funktion Reichelts als „Sprecher der Geschäftsführung“ übernimmt sie hingegen nicht, wie Springer auf Anfrage mitteilt, sondern Vorstand Jan Bayer. Darüber hinaus möchte der Verlag „bis zum „Abschluss des Verfahrens“ keine weiteren Auskünfte abgeben, die Sprecherin bittet um Verständnis, man nehme Rücksicht auf alle Beteiligten.

Falls einige Vorwürfe sich bestätigten, wäre das ein schwerer Imageschaden für die Bild-Gruppe, besonders falls Sexismus oder Frauenfeindlichkeit dabei eine zentrale Rolle spielen sollten.

Julian Reichelt ist seit drei Jahren alleiniger Chef aller Bild-Redaktionen, nachdem es zuvor ein gleichberechtigtes Leitungsteam mit der damaligen Chefredakteurin Tanit Koch gegeben hatte. Kurz nachdem Koch 2018 den Verlag verließ, offenbar wegen Unstimmigkeiten mit Reichelt, machten Geschichten über sexuelle Übergriffe im Verlag die Runde: ein Verfahren gegen Ex-Chef Kai Diekmann (bereits eingestellt wegen fehlender Beweise) und der Fall eines Springer-Managers, der mehrere Angestellte offenbar sexuell belästigt hatte.

Damals sagte Verlags-Chef Mathias Döpfner auf entsprechende Fragen: Man habe sich als einer der ersten Verlage in Europa dafür eingesetzt, Frauen in Führungspositionen zu bringen und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie zu ermöglichen. Dass es „bei 16.000 Mitarbeitern“ immer wieder solche Fälle geben könne, damit müsse man leben. „Aber wer derartige Kontrollstörungen hat, soll wissen, dass so etwas hier nicht toleriert wird.“

Zuletzt hat der Verlag versucht, dem Image entgegenzuwirken, dass Bild eine autoritäre One-Man-Show von Reichelt ist. Zuletzt sogar mit einer Amazon-Dokuserie. Die internen Ermittlungen könnten dazu mehr Informationen zutage fördern.

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7 Kommentare

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  • An all diesen Paradoxen wird Bild wohl scheitern. Zumal sich die Leute ihre Fehlinformationen, Hetze und Hass billiger bei den neuen Medien abholen.

  • Was ist Chuzpe? Wenn ein Elternmörder vor Gericht mildernde Umstände erfleht, weil er Vollwaise sei.

    Und wer bei der Bildzeitung arbeitet, mithin sich zum gewissenlosen Handlanger teuflischer Demagogie und nachrichtengetriebener Hetze gegen potenziell jeden macht, und sich DANN über Mobbing beschwert, dem muss man ob seiner Chuzpe wirklich Respekt zollen.

    Es ist angerichtet: Die MeeToo-Bewegung (die es ohne Boulevard-Presse wohl so kaum gäbe) frisst ihre Kinder. Bon appetit!

  • "Falls einige Vorwürfe sich bestätigten, wäre das ein schwerer Imageschaden für die Bild-Gruppe, besonders falls Sexismus oder Frauenfeindlichkeit dabei eine zentrale Rolle spielen sollten."

    Wenn das Image aus Sexismus und Frauenfeindlichkeit besteht, wie kann es dann durch Sexismus und Frauenfeindlichkeit beschädigt werden?

  • Machen wir uns nichts vor. Gerade in Medienunternehmen - Privat wie Öffentlich-Rechtlich- geht es immer noch hierarchisch, patriarchal und autoritär zu - in jeder Hinsicht. Aggressive Chefs werden immer noch anerkennend 'Alphatiere' genannt, siehe Online-Branchendienst Meedia zum BLÖD-Chef. Viele Journalisten - und nicht nur männliche - halten das Pittbull-Gehabe und das ledernacken-Image ihrer Chefs für journalistische Kompetenz. Dahinter verbirgt sich oft Versagensangst und Unfähigkeit zur Selbstkritik - eine Berufskrankheit. Ändert sich was? Man erinnere sich nur an die Vorfälle beim WDR, den Lügenjournalisten Relotius, beim Spiegel oder die Fake-Skandale bei Stern-TV, Günther Jauch der Chef war - von den Hitler-Tagebüchern beim Stern ganz zu schweigen. Seitdem hat sich vielleicht kosmetisch etwas geändert - die 'Alphatiere' haben etwas Kreide gefressen - mehr nicht. Wir haben in jeder Hinsicht die Medien, die wir verdienen - ach und wie ist das eigentlich bei der taz? Last but not least: Entlarvend der Ausschnitt aus BILD-TV in Böhmermanns-Show vom vergangenen Freitag.

  • Am besten an der Sache ist die Stellungnahme des Axel-Springer Verlags:

    "Axel Springer hat immer und sehr grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Gerüchten, Hinweisen und Beweisen. Wenn aus Gerüchten über andere Personen konkrete Hinweise von Betroffenen selbst werden, beginnt das Unternehmen – wie im aktuellen Fall – sofort mit der Aufklärungsarbeit. Wenn aus Hinweisen Beweise werden, handelt der Vorstand. Diese Beweise gibt es bisher nicht. Auf Basis von Gerüchten Vorverurteilungen vorzunehmen, ist in der Unternehmenskultur von Axel Springer undenkbar."

    Satire pur!

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @Phili:

      Satire pur 👍



      UNGLAUBLICH!

  • #haltdiefressebild

    Schadenfreude gibt's kostenlos und Karma ist ein Bumerang.