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Sexuelle Belästigung im AlltagWarum ändern sich die Männer nicht?

Mit 18 wurde ich begrabscht und verbal belästigt. Das ist lange her, aber es hat sich seitdem nichts geändert. Es ist Zeit, noch wütender zu werden.

Aktion gegen Belästigung in Mainz: Eine Aktivistin schreibt auf, was Frauen zu hören bekommen Foto: dpa / Patrick Seeger

L etzte Woche unterhielt ich mich mit einer Siebzehnjährigen, die sehr aufgebracht war. Ein ungefähr vierzigjähriger Mann hatte sich ihr in den Weg gestellt, sie blöd angequatscht und sie dann auch noch verfolgt. Es geschah am Tage und sie hatte auch nicht viel Angst dabei, aber sie hätte die Nase so voll, erklärte sie mir, denn so etwas passiere ihr ständig. Sie hielten im Auto neben ihr an und kommentierten ihren Körper, sie versperrten ihr den Weg und machten ihr Angebote oder sagten ihr, was sie gern mit ihr täten. „Männer sind solche Schweine!“, stieß sie hervor, ratlos, angewidert, verzweifelt, und ich hatte auch keine Lösung parat.

Ich bin einundfünfzig Jahre alt und habe solche Erlebnisse seltener. Dachte ich vielleicht, dass sich das Verhalten der Männer mittlerweile geändert, dass es eine Entwicklung gegeben hat? Als ich als Achtzehnjährige in der Landwirtschaft arbeiten musste, empfand ich es als „normal“, dass ich immer wieder am Busen oder am Po begrabscht wurde. Es war „normal“ in meiner Welt, in der, wie ich glaubte, Männer nicht anders konnten.

Das war damals. Aber wie ist es heute? Heute, so lese ich in unzähligen Kommentaren zu ähnlichen Erfahrungsberichten von Frauen, sollten diese Frauen doch froh sein, dass „Mann“ sie attraktiv finde, sie begehre. Die so etwas sagen und denken sind übrigens Arschlöcher, egal welchen Geschlechts.

Als ich siebzehn war, ging ich einmal wöchentlich schwimmen. Ich war eine gute Schwimmerin, aber es war auch etwas sehr Schlimmes an diesen Schwimmbadbesuchen. Denn ich hatte einen großen Busen. Ich trug, aus diesem Grund, nie einen Bikini, sondern immer feste, sportliche Badeanzüge. Dennoch war der Schritt von den Umkleideräumen in das Bad immer ein sehr schwieriger. Würden viele Männer im Schwimmbad sein? Würden sie wieder pfeifen und grölen? Ich habe mich nicht vom Schwimmen abhalten lassen. Aber das Demütigende daran, die Wut und Scham, bis ich in das Wasser tauchen konnte, das kann ich nicht vergessen.

Wenn ein Mann auf der Straße einer vollkommen fremden Frau mitteilt, dass sie hübsch ist, dann ist er ein Arschloch
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

All das ist nicht nur unangenehm, es ist eine Form von Machtausübung, von Gewalt. Wenn ein Mann gegenüber einer Frau, zu der er keine intime Beziehung hat, Bemerkungen über ihren Körper macht, dann übt er bereits Gewalt aus. Wenn ein Mann auf der Straße daherkommt und einer vollkommen fremden Frau mitteilt, dass sie „hübsch“ ist, dann ist er zweifelsfrei ein Arschloch. Es ist nichts anderes, als wenn er ihr seinen Schwanz ins Gesicht hält, und nichts anderes hat es auch zu bedeuten.

Was soll man aber jetzt einem jungen Mädchen raten, das nicht mehr glaubt, wie ich damals, dass Männer „halt so sind“, sondern weiß, dass jeder Mann die Möglichkeit hat, sich zwischen arschlöchigem und nicht arschlöchigem Verhalten zu entscheiden? Was nützen diesem Mädchen diese Informationen auf den Straßen dieser Stadt, die leider immer noch voller Arschlöcher sind? Hat sie vielleicht nicht das Recht, unbelästigt ihren Weg zu gehen? Natürlich gibt es praktische Tipps und so weiter. Aber warum braucht sie Tipps, warum ändern sich Männer nicht?

Und das ist nur eines von vielen Dingen, die sich einfach nicht bessern, obwohl wir hier doch diese Gleichberechtigung haben. Heute, da ich dies schreibe, ist Weltfrauentag. In der DDR gab es an diesem Tag Nelken und Weinbrandbohnen für unsere Mutti, morgens, bevor sie zur Arbeit ging.

Was es im Westen an diesem Tag früher gab, weiß ich nicht. Aktuell sind jedenfalls ein paar Frauen in den Nachrichten abgebildet, die was geschafft oder was geworden sind. Guck mal einer an, eine Frau kann auch was werden.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius erzählt derweil dem NDR zur Entwicklung häuslicher Gewalt in Pandemiezeiten: „Der Trend zeigt nach oben. Das heißt: mehr Taten.“ Der Status quo: Jede dritte Frau in der EU hat schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Allen Frauen und Mädchen wünsche ich zum Frauentag, dass sie sich niemals an diese „Normalitäten“ im Leben einer Frau „gewöhnen“, sondern wütend bleiben und sogar noch viel wütender werden.

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4 Kommentare

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  • Falscher Ansatz. Nicht Wut... mehr Mut!



    Die Bacardi-Insel der Glückseligen ist eine Illusion, und Wut und nur Plakate helfen nicht weiter.



    Besser Vorbild sein ohne Illusionen:



    Fände sich eine Mehrheit entschlossener taz-LeserInnen und -KommentatorInnen zur Gründung einer makellosen Aktivisten-Community à la Kibbuz zusammen, erst nur Frauen, später evtl. auch einige ausgesuchte Männer - ich wär‘ sofort konstruktiv dabei! Gewaltfrei und demokratisch, ein Traum! Warum nicht beginnen, Schwestern?



    Die ersten 100,-€ von mir! Wer bestimmt den Kurs?

  • Es macht in der Tat unglaublich wütend, dass sich in dieser Hinsicht noch nicht Entscheidendes getan hat.

    Der Frage, warum Männer sich nicht ändern, müssten sie sich auf einer sehr breiten Basis halt mal selbst stellen. Aber da kommen ja ganz schnell die Abwehrreflexe schon in den Kommentarspalten bei ähnlichen Themen.

    Die allseits beliebte Eiermetaphorik möchte ich jetzt nicht bedienen, aber zu wenige Männer haben den Arsch in der Hose, sich mit dem wenig ruhmreichen Thema männlicher Unarten, diesem Drang, Macht zu demonstrieren und Erniedrigung von Frauen zu genießen, überhaupt ehrlich auseinanderzusetzen.

    • @cazzimma:

      Wut!



      „Es macht in der Tat unglaublich wütend...“



      Zumeist macht etwas nicht einfach so irgendwas im luftleeren Raum wütend, sondern irgendwen in persona.



      Empfundene Wut ist das häufigste Motiv für Gewalt, daher:

      Erziehende und Medien aller Kulturen, bitte bringt Männern den unschädlichen Umgang mit Wut bei (allen anderen Wütenden mit verbaler, seelischer und anderen Gewaltformen entsprechend).

  • Zitat: „Aber [...] warum ändern sich Männer nicht?“

    Ganz einfach: Weil Männer anderen Männern seit Jahrtausenden mehr oder weniger gewaltsam beibringen, dass sie sich weder der eigenen, noch einer fremden Vernunft und auf gar keinen Fall einem eventuellen unguten Gefühlen unterwerfen dürfen, sondern allenfalls der überlegenen Gewalt des jeweils Mächtigeren. Zumindest, wenn sie als Mann (und nicht als Maus oder Muschi) wahrgenommen und als per es wertvoller angesehen sowie entsprechend privilegiert werden wollen. Wer kämpft, heißt es dann regelmäßig, der könne selbstverständlich auch verlieren. Wer aber nicht kämpft, hätte schon verloren. Wobei das Tätigkeitswort kämpfen nach keinem anderen Sinn fragt als dem Sieg um seiner selbst willen.

    Manche Traditionen sind einfach Mist - und genau deswegen wahnsinnig zäh. Im Übrigen kenne ich auch einzelne Frauen, die stolz drauf sind, von Männern diese Art des Siegens gelernt zu haben - und (zumindest vor sich selber) damit angeben, dass in ihrem Wohnzimmer neben etlichen Frauen-Köpfen auch der eine oder andere Kopf eines Mannes, der sich der Tradition nicht beugen konnte oder wollte, zum Beweis ihrer Potenz an der Wand hängt.