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Angeklagte im geplatzten G20-VerfahrenAuf den richtigen Weg gebracht

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Das Jugendstrafrecht soll Heranwachsende erziehen. Beim geplatzten Rondenbarg-Prozess passiert genau das, aber anders als vom Gericht beabsichtigt.

Soli-Kundgebung für die Betroffenen der G20-Prozesse vor dem Hamburger Landgericht Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

W as zunächst wie eine gute Nachricht klingt, ist auf den zweiten Blick nur eine halb gute: Die Jugendkammer des Hamburger Landgerichts hat den G20-Rondenbarg-Prozess eingestellt – vorerst. Wegen der anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen und des Lockdowns will das Gericht die Hauptverhandlung erst fortsetzen, wenn die Pandemielage es zulässt. Wann das sein wird, weiß keine*r, sicher aber nicht mehr innerhalb der rechtlichen Frist, in der ein Strafverfahren pausieren darf. Der Prozess muss dann von vorn beginnen.

Zwar haben erst zwei Termine stattgefunden. Trotzdem wäre es lächerlich, die Anfang Zwanzigjährigen aus Stuttgart, Bonn und Halle vier Jahre nach den Gipfelprotesten erneut wöchentlich nach Hamburg zu zitieren. Für die Angeklagten ist die Belastung jetzt schon enorm. Seit Sommer 2017 leben sie mit der negativen Erwartung, sich einer juristischen Prozedur unterziehen zu müssen, die zermürbend und erniedrigend ist.

Hätten sie schwere Straftaten begangen, könnte man sagen okay, das hätten sie sich früher überlegen sollen. Aber das ist ja nicht der Fall. Ihnen wird lediglich vorgeworfen, demonstriert zu haben.

Unverhältnismäßiger Eingriff ins Leben Heranwachsender

Als Steine und Böller aus der Demo in Richtung von Po­li­zis­t*in­nen flogen, diese aber verfehlten, hätten sie durch ihre Anwesenheit und das einheitliche Auftreten psychologisch mitgewirkt, behauptet die Staatsanwaltschaft. Zu Schaden kam allerdings auch niemand, vielmehr wurden die De­mons­tran­t*in­nen buchstäblich von einer Polizei-Sondereinheit zerlegt.

Vor diesem Hintergrund so stark in das Leben heranwachsender, damals Minderjähriger einzugreifen, ist nicht nur völlig überzogen, sondern auch ein trauriges Zeichen für den Rechtsstaat. Zumal das Jugendstrafrecht ja den erzieherischen Gedanken in den Vordergrund stellt. Es zielt nicht vorrangig aufs Strafen, sondern darauf, Jugendliche auf den richtigen Weg zu bringen. Das dürfte schon gelungen sein – aber auf einen Weg gegen die ungerechte Gesellschaft, in der bestraft wird, wer für seine Rechte auf die Straße geht.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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7 Kommentare

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  • Ja das ist das Gewaltmonopol des Staates, das durch den Polizeibeamten ausgeübt wird. Darauf sind unsere deutschen Polizeibeanten auch stolz. Dass sie dürfen. Hm. Eingentlich geht die Gewalt vom Volke aus--- und manschmal wird da verwechselt, dass Politiker nicht das Volk sind, sondern nur vom Volk gewählt, ihre Willkür auf die Poliezeibeamten übertragen dürfen geht also eigentlich nicht. Und wer kobtrolliert heute die Politiker und wer die Polizisten? Nach so vielen Jahren Demokratie wird es Zeit für ein paar Auffrischungen. Und Verfehlungen der Polizeibeamten bleiben auch nach Jahrzehnten strafbar, da sie ja Beamte sind und die Verfehlungen der Politiker auch. Da verjährt nichts. Wir vergessen hier nicht, was täglich passiert

    • @StefanMaria:

      Hier geht es aber nicht um die Polizei sondern um die Justiz.

  • Ich finde, dass Folgendes zur Wahrheit dazu gehört, den kaum einer versteht den Streit um diesen Prozess sonst richtig:

    Der Rondenbarg ist eine fast ringförmige Straße in einem außerhalb gelegenen Gewerbegebiet im Hamburger Westen, Richtung Autobahn. Hier gibt es fast keine Anwohner und es ist schlecht erreichbar, außer eben mit dem Auto. Lediglich eine Buslinie führt hindurch.

    Mitten in diesem Gewerbegebiet liegt allerdins ein recht wenig bekannter Bauwagenplatz, der aufgrund von abweisenden, selbstgemalten Schildern ein wenig so wirkt, als würde dort eine Mischung aus linksautonomen und Reichsbürgern leben.

    Jugedliche, die nichts getan haben, bestrafen zu wollen, bleibt absurd. Aber man sollte nicht denken, dass diese zufällig, als Passanten die spontan mitlaufen, oder ohne jeden Hintergedanken an dieser Demo teilgenommen haben.

    • @nfantilla:

      Sie insinuieren also, dass die Demo-Teilnehmenden allesamt mit irgendwelchen Hintergedanken mitgelaufen sind. Dann frage ich Sie doch, welche Hintergedanken dass denn Ihrer Meinung nach gewesen sein sollen. "Barrikadenbau im Gewerbegebiet"? "Riot am Stadtrand"?

      Auch die Zusammensetzung der Teilnehmer*innenschaft der Demo lässt Ihre Andeutungen in meinen Augen fraglich erscheinen. So wurde z.B. nach eigenen Angaben fast der gesamte Jugendvorstand der ver.di Jugend NRW-Süd, die mit etwa 20 Personen aus NRW zu den Protesten nach Hamburg angereist waren, auf der Rondenbargdemo (von der/mit der es zu den Gipfelblockaden gehen sollte) in Gewahrsam genommen und zum Teil später kriminalisiert.

      Das passt m.E. nicht zu dem, was Sie unterstellen.

  • Es gibt kaum wirksamere Methoden, junge Menschen zur Gewalt gegen den Staat zu erziehen, als ihnen ohne rechtliche Legitimation einen Polizeiknüppel über den Kopf zu ziehen.

  • Eine krasse Aktion der politischen Justiz mit vorhersehbarem Verlauf.

    • @nzuli sana:

      Ich empfehle zu eigenen Erdung Gespräche mit Geflüchteten. Dann wird man an die ursprüngliche Bedeutung von Begriffen wie "politische Justiz" erinnert.