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Getöteter Feuerwehrmann in AugsburgEin Schlag und seine Folgen

Im Dezember 2019 stirbt ein Feuerwehrmann auf dem Nachhauseweg vom Augsburger „Christkindlesmarkt“. Alle meinen, die Täter zu kennen – bis ein Gericht seine Arbeit macht.

Feuerwehrleute trauern um ihren verstorbenen Kollegen Foto: Stefan Puchner/dpa

Was wäre gewesen, wenn …?

Meistens bringt eine solche Frage nicht viel, wenn etwas vorbei ist. In meiner Heimatstadt Augsburg wurde vor einem Jahr, am 6. Dezember 2019, einem Freitagabend, ein Mann erschlagen. Sieben junge Männer zwischen 17 und 20 Jahren kamen daraufhin in Untersuchungshaft. Dem Hauptverdächtigen wurde Totschlag, den sechs anderen Beihilfe zum Totschlag vorgeworfen. Dabei hätte dank Videoaufnahmen schon zu Beginn der Ermittlungen klar sein müssen, dass bei dieser Tat kein Vorsatz – der für einen „Totschlag“ erforderlich ist – vorlag; und, dass sechs der sieben Verdächtigten am Tod des Mannes unbeteiligt waren.

Warum es in dem Fall zu einem enormen Medienrummel und zu juristischer Verwirrung kam, lässt sich daher vielleicht doch am besten beantworten, wenn man fragt: Was wäre gewesen, wenn …?

1 … das Opfer kein Feuerwehrmann gewesen wäre?

Der Augsburger Fall hat international Schlagzeilen gemacht. Dabei war eines zentral: der Beruf des Opfers. Warum?

Die Tat in der Vorweihnachtszeit hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Da der Getötete bei der Berufsfeuerwehr in Augsburg gearbeitet hatte, gedachten auch Mitglieder zahlreicher anderer Feuerwehren bundesweit dem Opfer. Zum Zeitpunkt der Tat war der Mann privat unterwegs.“ (dpa)

Wer schon einmal in einem Newsroom gearbeitet hat, weiß, dass eine Meldung über ein lokales Ereignis bundesweit nur so viel wert ist wie das Bild dazu. In diesem Fall ist das Bild News-Gold wert: Über 100 „Kamerad:innen“ – so nennen sich die Mitglieder der Feuerwehren untereinander – stehen am Sonntag nach der Tat am Tatort zusammen, Arm in Arm um einen Baum herum, an dem sie Kränze niedergelegt und Kerzen angezündet haben. Alle tragen Uniform.

Welche mediale Aufmerksamkeit hätte der Fall ohne dieses Bild erhalten? Außerhalb von Bayern wahrscheinlich keine. Hinzu kommt, was das Bild unterschwellig transportiert. Auf den Punkt bringt das die Verteidigerin der Witwe des Opfers, die im Prozess als Nebenklägerin auftrat. Sie sagt in ihrem Plädoyer: „So etwas bestürzt, ganz besonders, wenn einer von den Guten stirbt.“

2 … die jungen Männer einen anderen sozialen Background hätten?

Wenn ein Guter stirbt und ein anderer daran schuld ist, muss der andere ein Böser sein. So kennen wir es aus Literatur und Film. In der Realität und auch im deutschen Strafrecht ist es nicht ganz so einfach. Das scheinen die Augsburger Ermittler:innen im Rausch ihres „schnellen und herausragenden Fahndungserfolgs“ vergessen zu haben.

Den vermeintlichen Erfolg lobt am Montag nach der Tat Polizeisprecher Michael Schwald in einer Pressekonferenz. Der Druck der Öffentlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt bereits gewaltig. Schwald bittet um Verständnis dafür, dass man aus ermittlungstaktischen Gründen nicht alle Informationen zu den Tatverdächtigen sofort herausgegeben habe. Er meint damit Informationen zu ihrem Aufenthaltsstatus und einem etwaigen Migrationshintergrund. Man habe deshalb in den sozialen Medien „unerträgliche Anfeindungen“ zur Kenntnis nehmen müssen.

Die Ermittler:innen betonen wiederholt, wie wichtig bei der Aufklärung der Tat die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras gewesen seien. Tatsächlich haben die Aufzeichnungen in diesem Fall einen wertvollen Beitrag geleistet: Sie haben die haltlose Geschichte entlarvt, die die Ermittler:innen der Öffentlichkeit zunächst präsentierten. Die Geschichte, in der das „Umringen“ des Mannes zentral ist, obwohl es gar nicht stattgefunden hat.

Stattdessen ist auf den Aufnahmen zu sehen, wie der Feuerwehrmann umkehrt, nachdem er an der Gruppe bereits vorbeigelaufen war. Er geht auf einen der Jugendlichen zu und schubst ihn, sodass dieser nach hinten taumelt. Daraufhin versetzt ihm der inzwischen verurteilte Täter einen einzigen Schlag von der Seite. Der Mann geht zu Boden. Warum der Mann noch einmal zur Gruppe zurückgegangen ist, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Später wird klar: Einer der Jugendlichen hatte ihn nach einer Zigarette gefragt. Es gab ein kurzes Wortgefecht.

Schwald lobt in der Konferenz auch die gute Zusammenarbeit mit den Medienvertreter:innen. Es ist aber nicht die Aufgabe der Medienvertreter:innen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Es ist die Aufgabe der Presse, die Arbeit der Polizei kritisch zu begleiten und zu hinterfragen.

Die Medienvertreter:innen fragen in Augsburg unter anderem nach Vorstrafen und Nationalitäten der Verdächtigen. Sie fragen nicht, wie es möglich sein soll, dass sich alle sechs neben dem Hauptverdächtigen anwesenden Jugendlichen der Beihilfe zum Totschlag schuldig machen. Wer von ihnen hätte absehen können, dass ein einziger Schlag tödlich endet? Selbst ein Gutachter nennt das später eine „medizinische Rarität“. Wie hätten sie ahnen sollen, dass dieser Schlag überhaupt fällt? Schon zu diesem Zeitpunkt ist klar: Das Ganze ereignete sich innerhalb weniger Sekunden.

Als Reaktion auf die tödliche Attacke am Königsplatz will die Polizei nun auch Jugendgruppen wie die „54er“ genauer in den Blick nehmen. Es gehe auch darum, dass Gruppen teils nachts in der Stadt unterwegs seien und in angetrunkenem Zustand pöbelten. (…) Bestätigt wird, dass die Angehörigen der Jugendgruppen vielfach einen Migrationshintergrund – also Wurzeln im Ausland – haben.“ (Augsburger Allgemeine, vier Tage nach der Tat)

Polizei, Staatsanwaltschaft und die Presse erschaffen das Narrativ einer gewaltbereiten Gang von jungen Männern mit Migrationshintergrund. Beweis dafür soll ein Tattoo mit der Zahl „54“ am Oberschenkel eines der Jungen sein – es sind die beiden letzten Ziffern der Postleitzahl des Stadtteils Oberhausen, in dem 70 Prozent der Einwohner:innen einen Migrationshintergrund haben. Insgesamt haben den gut 40 Prozent aller Augsburger:innen. Dass es sich bei den Beschuldigten um eine „Gang“ handeln soll, dafür gibt es später keine Beweise. Die Beteiligten selbst sagen im Prozess aus: Sie kannten einander zum Teil nur flüchtig, waren am Tatabend zunächst in kleineren Gruppen unterwegs und seien dann über den Kumpel von X und den Cousin von Y in dieser Konstellation in der Innenstadt gelandet.

3 … die Tat woanders passiert wäre?

Augsburg ist die zweitsicherste Großstadt Deutschlands. Wenn hier eine Gewalttat verübt wird, geht das nicht unter in einer Flut an Meldungen über lokale Kriminalität. Die Augsburger:innen machen solche Taten betroffen, weil sie selten sind. Sie machen aber offensichtlich auch wütend.

Augsburgs damaliger Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) und die Stadtverwaltung veröffentlichen kurz nach der Tat eine Traueranzeige, in der sie das Geschehene einen „tragischen Vorfall“ nennen. Gribl erhält daraufhin Morddrohungen. Es wird ihm vorgeworfen, die Tat zu verharmlosen. Er sagt: „Die Gesamtkulisse der Beiträge auf den Social-Media-Kanälen war durch eine inakzeptable Aggressivität, Respektlosigkeit, Pietätlosigkeit und Übergriffigkeit geprägt.“

Woher kommt diese Wut – wenn wir die üblichen Trolle und Instrumentalisierungsversuche mal außer Acht lassen? Das Opfer war ein 49-jähriger, weißer Mann, ein Familienvater, erschlagen auf dem Weg vom Weihnachtsmarkt nach Hause, mitten in der Stadt.

Innerhalb von Augsburg geht es nicht nur darum, dass das Opfer ein Feuerwehrmann war, sondern auch darum, dass es jeden hätte treffen können: Das hätte ich sein können. Oder mein Mann, mein Vater, mein Sohn. Ein Satz, den ich Weihnachten 2019 nicht nur einmal und nicht nur im Kreis der Familie gehört habe: „Stell dir mal vor, du gehsch aufn Grischkindlsmarggd und kommsch nimmer zruck!“

Am selben Dezemberwochenende spielte sich in Augsburg noch eine andere Tat ab: Ein damals 35-Jähriger griff einen damals 50-Jährigen unvermittelt von hinten an. Der 35-Jährige schlug dem Opfer mehrfach heftig gegen den Kopf und hörte nicht auf, als der Mann bereits am Boden lag. Der Mann überlebte knapp. Die Tat ereignete sich vor einem Rock-Club außerhalb der Innenstadt, in den wahrscheinlich nur sehr wenige Augsburger:innen je einen Fuß gesetzt haben. Sie erhielt nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit.

Nach drei Monaten kamen sechs der sieben jungen Männer nach einer Haftbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht frei. Eine Anklage wegen Totschlags und Beihilfe dazu ließ die Augsburger Jugendkammer nicht zu. Der Haupttäter wurde zu viereinhalb Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Dabei wird juristisch gesehen der Tod des Opfers zwar fahrlässig in Kauf genommen, aber nicht vorsätzlich verursacht. Richter Lenart Hoesch leitete den Prozess mit den Worten ein: „Es ist nicht Aufgabe der Kammer, irgendwelche vermeintlich bestehenden gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.“

Es wäre auch nicht die Aufgabe der Polizei, Staatsanwaltschaft und der Presse gewesen.

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19 Kommentare

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  • Danke taz, ich dachte schon, dass ich mit meiner Meinung alleine wäre.



    Interessant war noch die Aussage, "er kam als Retter und ging als Engel".



    Der Versuch, einen Feuerwehreinsatz aus dem Besuch des Weihnachtsmarkt zu machen passt mittlerweile in die Opferrolle, in der sich Feuerwehr, Sanitäter und Polizei gerne sehen.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @thomys:

      Das ist ja ein bisschen widerlich, was sie hier schreiben. Hat ihrer Meinung den Richtigen getroffen?

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Bitte bleiben Sie mit Ihren Mutmaßungen und Unterstellungen in den (a)sozialen Medien.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Notwehr war es also nicht? Hätte ich in dieser Situation zugeschlagen? Nein. Wegen Schubsen ist das wohl ziemlich überreagiert. Das die Presse durchdreht ist widerlich, beeinflusst aber hoffentlich nicht das Strafmaß.

  • Mich würde mal das "Wortgefecht" interessieren, gibt es dazu keine Aussagen?



    Sind da Beleidungen gefallen? Von welcher Seite?

  • Ist diese Schilderung/Fragestellung vollständig? Ich will nicht als Leugnerin erscheinen und halte mich üblicherweise nur durch relativ seriöse Medien (taz, ZEIT, FAZ ...) auf dem Laufenden, fernsehen tue ich überhaupt nicht. Nun meine ich mich zu erinnern, dass noch mehr vorfiel, vielleicht waren die Schilderungen aber auch falsch oder ich täusche mich. Ist ja auch schon ein Jahr her.

  • RS
    Ria Sauter

    Guter Beitrag. Richtig hinzuschauen ist immer gut.



    Was mich allerdings immer wieder verzweifeln lässt sind die geringen Strafen, die beim töten eines Menschen verhängt werden.

  • In den "sozialen" Medien kommt es leider schnell zum Hexenjagd-Effekt, wenn die Fakten angeblich allen bekannt sind... vor allem wenn Verdächtige zu einer Randgruppe gehören...

    Die Mentalität hat sich in diesem Punkt in den letzten paar hundert Jahren nicht verändert, nur daß sich der Mob nun auf Facebook, 4chan und wie sie alle heißen zusammenrottet und nicht mehr auf dem Dorfplatz... zum Glück gibt es heute einen funktionierenden Rechtsstaat, in dem Gerichte entscheiden und nicht der örtliche Kirchenführer... hätte sonst böse enden können.

    Auch die Vertreter der Presse müssen sich von diesen Verhaltensmustern erst noch trennen. Kann sich nur um ein paar hundert Jahre handeln, bis es soweit ist.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Dank für den Beitrag! Guter Journalismus!

  • Man könnte noch hinzufügen, dass der Täter im Gefängnis bereits damit prahlte schon "einen totgeschlagen" zu haben, wie die lokalen Zeitungen wissen, aber das würde wohl nicht in diese verharmlosende Narrative passen. Das Strafmaß wurde aufgrund dieser Aussage nach oben hin angepasst.

  • Wenn das Opfer zunächst einMitglied der Gruppe des Täters geschubst hat, also zuerst körperliche Gewalt anwendet, frage ich mich (als juristischer Laie), ob das nicht ein minder schwerer Fall ist.

  • Guter Beitrag. Klar, ohne dauernde Klagen, der Bogen passt vom Anfang bis zum Ende.

    Zu den Fakten gibt dann nicht mehr viel zu sagen. Außer das das Bild trotzdem in den Köpfen hängen bleibt.

    • @fly:

      anschließe mich.

  • "Verteidigerin der Witwe des Opfers, die im Prozess als Nebenklägerin auftrat"

    Was soll das heißen? Warum Verteidigerin? Sollte da nicht Anwältin stehen?

    • @Banane:

      Es gibt einen sprachlichen Unterschied zwischen Berufsbezeichnung und Rolle in einem Prozess.

    • @Banane:

      Naja - helf mal.

      “ Der Nebenkläger darf nicht nur selbst an der Hauptverhandlung teilnehmen, sondern sich auch einen Rechtsanwalt (den sog. Nebenklägervertreter) als Beistand hinzuziehen oder diesen als Vertreter in die Verhandlung entsenden.



      www.justiz.nrw.de/...nklaeger/index.php …servíce

      • @Lowandorder:

        Das ist dann aber keine Verteidigerin bzw. kein Verteidiger, sondern ein Anwalt.



        Der Nebenkläger muss sich ja nicht verteidigen.

      • @Lowandorder:

        ? Also hat BANANE recht und es müßte "...Anwältin der Witwe des Opfers, ..."



        heißen?!?



        Hatte die Geschichte unter: "Junge männliche "Ausländer" greifen Feuerwehrmann in Zivil, der dadurch stirbt, an." archiviert. Danke@Tanja Mokosch für den Erinnerungsartikel, daß es ned so war wie erst gemeldet, ging halt schon unter in der nachfolgenden Berichterstattung.

  • Hervorragend geschrieben.



    Herzlichen Dank.