Verschwörungstheorien von Stars: Nicht egaaal
Nach Schlagerstar Wendler zeigt sich auch Nena offen für Verschwörungserzählungen. Das ist gefährlich, die Trauer mancher Fans aber verständlich.
Die Corona-Leugnerschaft freut sich über ein neues Promigesicht. Am Dienstag hat Popikone Nena auf Instagram eine weiße Fahne gepostet und geschrieben, sie habe ihren „gesunden Menschenverstand, der die Informationen und die Panikmache, die von außen auf uns einströmen, in alle Einzelteile zerlegt“. Deshalb werde sie sich nicht „hypnotisiert von Angst“ in die Dunkelheit ziehen lassen.
Dabei tappt sie mit diesem Beitrag, den sie schließlich mit einem wirren Satz über „Liebe“ beendete, schon längst im Dunkeln; in der stockdunklen Nacht der Verschwörungsmärchenerzähler:innen, die meinen, mit ihren Wahnvorstellungen den Lichtschalter für die ultimativen Erkenntnis gefunden zu haben.
Während einige Medien am Donnerstag noch rätselten, ob Nenas Beitrag als Bekenntnis zu den dunklen Verschwörungsrittern verstanden werden kann, sorgte der Verschwörungsideologe Xavier Naidoo zumindest in dieser Frage für Klarheit: Auf Instagram antwortete er Nena mit der gemeinhin als Danke-Zeichen verstandenen Gebetshand und einem Herz, Nena wiederum schickte ihm ein Herzchen zurück und antwortete auf einen anderen Kommentar mit einem Songtext von diesem.
Letzte Woche erst war der Schlagersänger Michael Wendler zu den Corona-Leugner:innen übergelaufen. Auf Instagram hatte er von der angeblichen Pandemie, vermeintlichen Verstößen gegen das Grundgesetz und gleichgeschalteten Medien schwadroniert. Mit dem Statement, in dem er auch seinen Rückzug als DSDS-Juror bekannt gab, sorge er für ein großes Medienecho.
Nicht ganz ernst nehmen
Eine Supermarktkette, für die er einen Werbespot gedreht hatte, distanzierte sich von ihm und kündigte an, alle Wendler-Inhalte zu löschen. Mit einem Statement hielt ein paar Tage später seine Verlobte, die Influencerin Laura Müller, das Thema warm: Beim Thema Corona sei sie „wie die Schweiz“, also „neutral und unpolitisch“.
Als taz- oder FAZ-Leser:in mag man diese „Stars“ nicht ganz ernst nehmen, dennoch geht gerade in Zeiten steigender Infektionszahlen eine Gefahr von ihnen aus. Wendler hat über 300.000 Follower auf Instagram, seine Ehefrau Laura Müller über 600.000; was sie verbreiten, erreicht viele Menschen.
Manche von ihnen sind möglicherweise schon affin für Verschwörungserzählungen, da das aktuelle Geschehen sie tatsächlich verunsichert. Von einer Wendler-Telegram-Gruppe ist es dann kein weiter Weg mehr zu rechtsextremen und antisemitischen Verschwörungsideologien, wie die Corona-Querfront und ihre prominenten Sprecher in den letzten Monaten immer wieder bewiesen haben.
Ein Effekt, der die Verbreitung dieser Inhalte verstärkt, ist der Meme-Charakter, den Fälle wie Wendler und auch Nena annehmen: Nicht nur aus Zustimmung, sondern auch zur allgemeinen Belustigung werden ihre Aussagen in sozialen Medien geteilt. So kommen auch jene damit in Berührung, die Wendler bisher nur als „Egaaal“-Einspieler aus einer deutschen Late-Night-Show kannten.
Große Aufmerksamkeit
Andererseits gibt es Menschen, die um ihre Stars trauern: Unter Nenas Beitrag freuen sich verschwörungsaffine Fans, einige kommentieren aber auch schockiert – als ob sie einen lieben Menschen verloren hätten.
Ein Fan von Wendler und Laura, die deren öffentlich geführte Beziehung „zum Abschalten“ verfolgte, weil man „neben dem ganzen Schlechten auf der Welt auch so was“ brauche, sagte der taz, dass nach Wendlers Äußerungen ihr „Trash-Herz“ gebrochen sei: „Vorher war er eine nicht ernstzunehmende Witzfigur, jetzt ist er ein gefährlicher Vollidiot“.
Ob Zustimmung, Entsetzen, Trauer oder Wut: Dass die wirren Corona-Statements der Promis über ihre Fangemeinschaften hinaus große Aufmerksamkeit erregen, die keineswegs ihre gesellschaftliche Bedeutung widerspiegelt, irritiert.
Stars sind Projektionsflächen, Wohlfühlfaktoren in einer unangenehmen Welt, die durch die Pandemie noch unangenehmer geworden ist. Wenn wir sie sehen, können wir unsere Zerrissenheit und Ängste als gestresste Lohnarbeiter:innen und gekränkte Mitglieder einer Gesellschaft voller Zumutungen einen Moment lang vergessen.
In einer komplizierten Welt bieten uns Stars Vereinfachung – egal, ob wir sie ernsthaft bewundern oder uns bei ihrem Anblick fremdschämen. Auch deswegen sind die Gefühle, die Stars, wie Michael Wendler, Nena & Co auslösen, verständlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen