piwik no script img

Punk – Rebellion gegen den StasistaatVorwärts, vorwärts, nie zurück

Punk wurde in der DDR nicht verstanden, aber brutal verfolgt. Die Kompilation „too much future“ zeigt, wie sich die SED ihr eigenes Grab schaufelte.

Aufruhr im Kinderzimmer: Henryk Gericke von The Leistungsleichen, Ostberlin 1982 Foto: Archiv SUBstitut

Es ist ein großer Popsong, den das Duo Rosa Beton 1983 im Berliner Vorwort Hönow im Kinderzimmer des damals 16 Jahre alten Thomas Wagner mittels einer Vierspurmaschine aufnahm. Eine simple Melodie schraubt sich über stoisch rumpelnden Beats ins Hirn, beim zweiten Refrain singt man schon mit: „Ich bin schon 16 Jahre im Exil. 16 Jahre sind schon viel zu viel.“ Lakonischer kann man Teenagerfrust über das Leben im „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ nicht artikulieren.

Thomas Wagner und sein Bandkollege Ronald „Mausi“ Mausolf singen davon, zu einer Existenz in einem Bunker verbannt zu sein, als handle es sich um eine verflossene Liebe. Rosa Beton traten nie auf, aber ihr Demotape erfreute sich in Ostberlin einiger Beliebtheit. Jetzt ist das Stück erstmals offiziell veröffentlicht worden.

Punk aus der Deutschen Demokratischen Republik war im Westen ein Gerücht. Man konnte in den Achtzigern darüber in der Zeitung lesen, hin und wieder ein paar dunkle Gestalten im Fernsehen betrachten; einzelne Songs wurden von Reportern aus dem Land geschmuggelt und im Radio (West) gespielt. Unter den wenigen im Westen erschienenen Dokumenten dieses Sounds waren unter anderem eine Kompilation und ein Split-Album, die für die Protagonisten im Osten zum Teil üble Folgen hatten.

Inzwischen aber ist die Ostpunkszene in einer Fülle von Publikationen und Filmen durchleuchtet worden. Eines der nachhaltigsten pophistorischen Projekte ist der Forschungscluster „Too Much Future“, der im Jahr 2005 eine Serie von Ausstellungen kuratierte. Dazu erschienen Kataloge und 2007 eine ebenfalls „Too Much Future“ betitelte Kinodokumentation. Dann wurde weiter im Archiv gearbeitet. Ergebnis ist eine nun vorliegende Kompilation, die den letzten Akt des Projekts „Too Much Future“ markiert und die man mit Fug und Recht als Kanon der Punkgeschichte der DDR bezeichnen kann.

Die Kompilation

too much future – Punkrock GDR 1980–1989. Hrsg. von Henryk Gericke & Maik Reichenbach. Edition Iron Curtain Radio #001, 1.000 Exemplare. Major Label / Broken Silence

Warum dieser Titel? „Ob zunächst nur gefühlt und später bewusst, die Verachtung der Punks richtete sich gegen eine Musterutopie, welche die Zukunft für alle Zeiten festschrieb“, schreibt Henryk Gericke. „Ihr ‚No Future‘ hieß ‚Too Much Future‘.“

Henryk Gericke und Maik Reichenbach versammeln in einer Box mit drei Schallplatten ausschließlich Aufnahmen von Bands, „die in der Illegalität aktiv waren und der Pflicht zur staatlichen Einstufung konsequent einen Spieltrieb entgegensetzten, der sich um keine Spielerlaubnis scherte“, schreiben die beiden im Editorial zum Heft, das der Box beigelegt und besser als Buch denn als Booklet beschrieben ist.

Darin hat Gericke zu jeder Band einen Text geschrieben, der kenntnisreich harte Fakten mit Kolportage vermischt, vor nichts Respekt hat, aber viel Humor. Es handelt sich also um veritable Punkliteratur, die ich mit großem Vergnügen gelesen habe und die das akustische Material zum Teil überhaupt erst erschließt. Im Vorwort gibt's zu den Texten eine Triggerwarnung: „Punktradierte Ressentiments werden im Booklet pflichtschuldigst bedient, auf Political Correctness wird verzichtet, Sarkasmus alter Schule verpflichtet.“

Punk wurde von den staatlichen Organen in der DDR nicht verstanden, aber brutal verfolgt. „Halbstarke, Hippies und Punks wurden von einer elastischen Vielfalt berüchtigter Gummiparagraphen gemaßregelt“, schreibt Gericke. „Wiederholt aufgeführte Klassiker im Strafregister der Staatsanwaltschaft waren § 220 Öffentliche Herabwürdigung, § 212 Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, § 217 Zusammenrottung, § 215 Rowdytum, § 219 Ungesetzliche Verbindungsaufnahme, § 214 Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit.“

Überwachung, Rekrutierung von IMs aus der Szene durch das Ministerium für Staatssicherheit, Zugriffe, Verhaftungen, Zersetzung, also Psychoterror – das war das Maßnahmenarsenal, mit dem der Staat auf die künstlerische Produktivität seiner jungen Bürger reagierte und so einer ganzen Generation deutlich machte, dass die DDR nicht nur eine spaßbefreite Zone war, sondern dass der Staatsapparat das eigene Leben jederzeit zugrunde richten konnte, wenn man sich nicht konform verhielt.

Der Umgang mit Punk zeigte die Verknöcherung des Systems und war zugleich einer der Spatenstiche, mit denen dieser Staat sein eigenes Grab schaufelte: „Keine Szene wurde derart intensiv von der Staatssicherheit betreut wie die Punkszene, und keine Jugendbewegung zuvor war davon weniger zu beeindrucken“, schreibt Gericke. Das kann man der Musik noch heute anhören. Die Aufnahmen wurden größtenteils mit Kassettenrekorder getätigt. Aber trotz dementsprechend scheppernden Sounds – die Sänger mussten oft vor dem Aufnahmegerät knien, um sich stimmlich gegen ihre elektrisch verstärkten Bandkollegen durchsetzen zu können – transportiert sich die Energie.

Ein Song wie „DDR Terrorstaat“ verließ aus naheliegenden Gründen den Berliner Proberaum nie: „DDR Terrorstaat, wir haben deine Scheiße satt / DDR, mein Vaterland, du raubst uns nochmal den Verstand.“ Andere, wie „Friedensstaat“ von l’Attentat aus Leipzig, waren in der Szene Hits. Es gibt neben erstklassigen Lyrics grobschlächtige Slogans von den Sham 69 der DDR, Schleim-Keim, zu hören, stumpfer Prollpunk folgt auf den avantgardistischen No Wave von Torpedo Mahlsdorf. Aus Bands wie Rosa Extra wuchsen viele Äste eines verzweigten Stammbaums bis in die Gegenwart.

Ironisch und sehnsuchtsvoll zugleich klingt der New-Wave-Sound von Ernst F. All: „Vorwärts, vorwärts, nie zurück / Das ist die Zeit / Leben für den Augenblick / Das ist die Zeit / Immer nach vorn / Nicht daran denken / wer verliert, wenn der Mensch gewinnt.“ Das Stück wurde 1981 in Weimar aufgenommen. Ernst F. All waren aus den Creepers hervorgegangen, eine der ersten DDR-Punkbands, schon 1979 im Punk-Hotspot Thüringen gegründet. Punk hat im Osten wie im Westen gerade in der Provinz die klügsten und die radikalsten Elemente zusammengebracht. Und schon begann der alchemistische Prozess der Rebellion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • " Es gibt neben erstklassigen Lyrics grobschlächtige Slogans von den Sham 69 der DDR, Schleim-Keim, zu hören,"



    Beiträge mit Youtube-Links bekomm ich desöfternen hier ned ans Licht der Öffentlichkeit; aber wer das mal hören will, nach den Bands suchen; Schleim-Keim waren (sind) näher bei New Wave als bei Sham 69.



    Lustigerweise wird auch der "stumpfe Prollpunk" von Schlem-Keim im Gegensatz zu vergessenen "avantgardistischen No Wave" -Bands wie der von Sham 69 auch außerhalb deren Landesgrenzen gehört...



    Für die Aufarbeitung nach 1989 ist übrigens Abfallsozialprodukt aus Leipzig oder Versaute Stiefkinder aus Freiberg so als Einstieg zu empfehlen. Für die, wo es poppiger mögen; N.O.E. (aus Dessau oder so, irgendwo in Anhalt halt. Und natürlich die in den mainstream (ohne das böse zu meinen *lol*) reingerutschten Dritte Wahl.



    Und als Band aus dem "Punk-Hotspot Thüringen" die auch noch aktiven Punkroiber aus Jena.

    • @Hugo:

      Huhu! N.O.E. waren aus Delitzsch mit tz und schön war's mit ihnen! Und das ging zB so: www.youtube.com/wa...m_KAgrJwU&index=6- Weiterhin von hier aus auch 'nen schönen Gruß an Otze, jetzt hoffe ich grad doch mal, dass es 'nen Himmel gibt und du das hier evtl. doch lesen kannst? SK=Sham69 der DDR, haha, ob Dir das gefallen hätte, Otze? Antworte mit bitte ausschließlich persönlich! www.youtube.com/watch?v=x4akdPotOK0

      • @raupenpogo:

        *oops*@ Anhalt.

  • Nicht zu vergessen auch HIP (Herbst in Peking), die für meine Kreise den alternativen (eigentlichen) Titel im Sommer für den Herbst 1989 produzierten, "Bakschischrepublik" ("Man wird die roten Götter schleifen, viele werd'n es nicht begreifen"), hier allerdings in einen etwas skurilen Fernsehauftritt 1990: www.youtube.com/watch?v=viRZn4DAB94

  • Shanghai Drenger, der Gründer der Punkband Vitamin A (später Anti-X), wurde in der DDR in den 80ern wegen seiner Kirchenmusik und subtilen Systemverweigerung verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Wende arbeitete er für Radio Lotte in Weimar. Ich empfehle seinen Roman "Minol-Pirols" über die Punkzeit in der DDR.

    • @Ataraxia:

      Vitamin A



      Weimar



      Radio Lotte



      Minol-Pirol

      Allet ausgezeichnet!

      Punks in the GDR



      www.youtube.com/watch?v=cc1QWmF1wNM

      (dit is d. schöne Dialekt- Silly?!, ick wees aber schöne alte Aufnahme.)

      • @Ringelnatz1:

        Hast Du des wegen Tamara Danz verlinkt? Tststst...

        Lustiger ist die Arbeitsmoral von Flake (Feeling B/Rammstein) im Filmschnipsel vor Tamara.

  • Ein guter Artikel zu einem interessanten Thema!

    Punks waren mir mit ihrer radikalen Non- Konformität immer schon sympathisch...

  • Interessanter Beitrag!

    Für Interessierte zur Ergänzung:

    ....Preuß wurde am Tag nach dem Mauerfall freier Reporter bei der Tageszeitung "taz", ... betreibt einen Youtube-Kanal, auf dem er aufklären will und dafür kämpft, dass die DDR nicht idealisiert wird......



    ...Ostalgie" verspüren die früheren Rebellen genau so wenig, wie sie damals in den 1980ern die Haltung der West-Punks verstanden haben: "No Future sagen und dabei alle Möglichkeiten haben … bei uns wurde die Zukunft vorgegeben," sagt Stracke. In der DDR wurden sie verfolgt, weil sie frei leben wollten. "Wir standen mit unserem Gesicht und unserem Namen für unsere Sache ein und haben dafür gezahlt."....

    www.dw.com/de/euch...zu-sein/a-51141603

    • @Ringelnatz1:

      Ok & Ach was!

      Vllt verbindet aber das - heutzutage:



      “Mehr als ein Akkord is - Angabe!“ - 👹 -