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Streit um Nawalny und Nord Stream 2Russisches Gas nicht alternativlos

Die Bundesregierung diskutiert, Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Energieexpert:innen sind sich uneins, ob Deutschland sich das leisten kann.

Nur noch wenige Kilometer fehlen: Nord Stream 2, hier zu Beginn der Verlegung 2010 Foto: Dmitry Lovetsky/ap

Im Januar 2009 fehlte mitten im kalten Winter in Europa russisches Gas. Bis hin nach Österreich brach die Versorgung ein, in den Medien kursierten Berechnungen, wie lange die Speicher wohl noch ausreichen würden, bis Heizungen teilweise ausfallen.

Solche Streite gab es in der Vergangenheit immer wieder, doch Europa hat daraus gelernt: Durch den Ausbau von Flüssiggasterminals und der Speicherkapazität könne heute selbst ein kompletter Ausfall russischer Lieferungen kompensiert werden, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Versorgungssicherheit ist eine der Hauptargumente für Nord Stream 2, der fast fertigen Erdgaspipeline durch die Ostsee. Europa sollte damit bei einem erneuten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine nicht mehr um seine Raumwärme bangen müssen. „Die Hauptmotivation für Russland zum Bau von Nord Stream 2 kann nur geostrategisch sein, man will offenbar die Pipelines durch die Ukraine umgehen“, sagt Kemfert.

Man brauche keinen zusätzlichen Strang durch die Ostsee, da der Gasbedarf in Europa nicht steigen werde und die existierende Gasinfrastruktur ausreiche, so Kemfert. Betriebswirtschaftlich mache das Projekt ebenso wenig Sinn.

Gaspreise könnten steigen

Tatsächlich hängt die Wirtschaftlichkeit der Pipeline maßgeblich an der Klimapolitik der EU: Sollte vor allem im Gebäudesektor kräftig investiert werden und die Nachfrage nach Gas zum Heizen sinken, würde auch die Wirtschaftlichkeit der Pipeline leiden.

Kaum einen Effekt dürfte dagegen die geplante Wasserstoffstrategie der EU und der Bundesregierung haben. Die sieht vor, Erdgas oder Kohle in der Industrie durch regenerativ erzeugten Wasserstoff zu ersetzen. Allerdings mit nur 5 Gigawatt bis 2030. Das entspricht weniger als einem Zehntel der Leistung, die Nord Stream 2 abdecken kann.

Dennoch hält der Energieexperte Vitaly Yermakov vom britischen Oxford Institute for Energy Nord Stream 2 nicht für nutzlos. Zunächst hält er den wirtschaftlichen Verlust für Russland bei einem Aus der Pipeline, sieht man von den Investitionskosten ab, für überschaubar: Das geringere Angebot an Erdgas in Europa würde perspektivisch auch die Preise steigen lassen, also die Erlöse erhöhen, die Russland mit seinen anderen Pipelines erzielt.

Auch der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft schreibt: Mögliche Alternativen für das russische Gas wären Fracking-Gas aus den USA, Flüssiggas aus Russland und Katar oder weiteres Pipelinegas aus Algerien, Libyen sowie Aserbaidschan. „Das Gasangebot auf dem Markt wäre aber in jedem Fall geringer als erhofft, die Preise wären für Erdgaskunden höher“, schreibt der Ostausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes. Auch Kemfert sieht in ihren Modellen entsprechende Ersatzlieferungen aus anderen Länder zu höheren Preisen vor.

Ende der Lebensspanne

Yermakov kritisiert zudem: „Der Fehler, den jeder zu machen scheint, ist, dass russisches Gas an jedem beliebigen Exportpunkt erhältlich ist“, sagt er. Das sei aber nicht der Fall: Die Pipelines durch die Ukraine würden mit Gas aus Feldern beliefert, die allmählich an Leistungsfähigkeit verlieren, auch die Leitungen selbst seien am Ende ihrer Lebensspanne.

Nord Stream 1 und 2 dagegen würden Gas aus den neuen Felder auf der Jamal-Halbinsel transportieren – und da seien die neuen Ostsee-Pipelines wesentlich kürzere Transportrouten.

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25 Kommentare

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  • Bei den Ausgaben für die nicht gerade erfolgreiche Energiewende sollte das Geld kein Problem sein.

  • Bei vollen Auslastung würde das Gas von Nord Stream 2 rund 110 Mio. Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen jährlich verursachen.

    Würde die unveränderte (!!) Importmenge von Nord Stream 1 auf zwei Pipelines verteilt, würde der geminderte Pumpenaufwand nach meiner Überschlagsrechnung zu 1 Million Tonnen weniger CO2-Emissionen führen. Grund genug, die Pipeline in Betrie zu nehmen, aber mit klaren Auflagen, und zugleich die Energiewende voranzutreiben.

  • Mit dem Absatz über Nord Stream 2 sollen auch neue Felder im Nordmeer / Beringsee "erschlossen" werden. Das sollte verhindert werden, ebenso wie jegliche zusätzlichen Gasimporte aus Rußland.

    Eine zu 90% fertige Pipeline wird aber irgendwann doch fertig gebaut. Dann war die ganze Aufregung umsonst.



    Es wäre besser, auf Rußland jetzt anders zu reagieren, nämlich mit deutlichem Ausbau der erneuerbaren Energien als Alternative (auch) zum Erdgas. Das wirkt dauerhaft.

  • Ich kann die angeblich betriebswirtschaftlichen Argumente nicht nachvollziehen.

    Da die Pipeline fast fertig gestellt ist, entstehen durch die Fertigstellung kaum weitere Kosten. Dem stehen jedoch ganz erhebliche jährliche Transitgebühren der derzeitigen Transitländer gegenüber.

    Nur wenn und soweit die Transitländer auf diese Gebühren verzichten würden (im Gegenzug zur Nichtfertigstellung) würde dieses Argument wirklich Sinn ergeben.

  • Was im Artikel völlig fehlt ist der Pipelinestreit mit den USA. Die Bauarbeiten stehen seit Wochen still weil die USA beteiligten Firmen mit Sanktionen droht. Ähnliches Vorgehen im Iran hatte Erfolg. Vielleicht ist Deutschland bereits eingeknickt und nimmt den Giftanschlag in Russland jetzt als offiziellen Grund um das fast fertige Projekt zu beenden.



    www.ndr.de/nachric...nordstream418.html

  • "Nord Stream 1 und 2 dagegen würden Gas aus den neuen Felder auf der Jamal-Halbinsel transportieren "



    Diese Aussage ist zweifelhaft. NS1 und NS2 schließen in Russland an die bestehenden Pipelines an und nicht an neue Gasfelder:



    www.gazprom.com/projects/yamal/

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Gas aus Fracking und Flüssiggas aus Russland als Alternative? Im Ernst?



    Mit irgendwas müssen wir heizen. Die Alternative wäre Strom, aus Atomkraftwerken, wie in Frankreich. Toll.



    Wärmepumpen, wie weiter unten vorgeschlagen, sind etwas für die reichen Vorstadtbewohner. Wie das im Fünfstöckigen Altbau in der Stadt gehen soll, würde ich gerne wissen.



    Wie wäre es mit Häuser zwangswärmeisolieren?

  • Wenn es denn unbedingt Gas sein muss, wäre Norwegen eine Alternative (Goliat, Snøhvit osv.)

  • Die Frage ist, ob das amerikanisches Fracking Gas alternativlos ist...

    • @yurumi:

      Ist es zum Glück nicht. USA sind nur ein LPG Exporteur von vielen.

  • Zum mitschreiben: „ohne Erdgas gibt es keine Energiewende“



    Grund: durch Abschaltung der Atom- dann Kohlekraftwerke, und weil Nachts keine Sonne scheint und wenig Thermik ist (ich weiß, das ist für viele neu), fehlen Nachts oder auch tagsüber etwa 50-60 Gigawatt an elektrischer Energie.



    Aus diesem Grunde werden jetzt überall Gaskraftwerke gebaut bzw., dort wo’s geht, andere auf Gas umgebaut. Und neue Windkraftanlagen und Solarkraftwerke werden es nicht reißen.



    Ergo, wir brauchen also noch Nordstream 3.

    • @Der Cleo Patra:

      Nut ein kleiner Teil des Erdgasverbrauchs in Deutschland geht in die Stromerzeugung. Hauptverbraucher ist die Industrie.

  • Es geht bei Nord Stream 2 nicht vornehmlich um mehr Gas. Davon kommt schon genug aus der seit Jahrzehnten bestehenden Pipeline Nord Stream (1). Die Russen wollen den vielen Ländern, durch die die bereits bestehende Pipeline läuft, schlicht keine Durchleitungsgebühren mehr zahlen und verhindern, dass diese im Streitfall auf ihrem Territorium den Hahn zudrehen. An Zweiterem hat auch die Bundesrepublik ein Interesse. Denn der Hahn würde uns zugedreht werden. Und Schiffe voller Gas aus den USA sind irgendwie auch keine Lösung

  • Hier fehlt, dass das Heizen mit Gas klimaschädlich ist und nicht weiter geplant werden kann. Um den Kohlenstoffausstoss zu senken, braucht es Wärmepumpen, die Wärme aus dem Boden ziehen und elektrisch betrieben werden. Vom Verbrennen, ob Gas, Holz oder Kohle, muß die Wärmeversorgung weg.

    • @Kahlschlagbauer:

      // Vom Verbrennen, ob Gas, Holz oder Kohle, muß die Wärmeversorgung weg. //

      Schöne Worte und auch richtig. Aber bis es soweit ist, dass fossile Brennstoffe ersetzt werden können dauert noch einige Jahrzehnte wenn überhaupt.

    • @Kahlschlagbauer:

      Heizen mit Strom ist aufgrund der Leitungs- und Umwandlungsverluste noch um ein vielfaches Klimaschädlicher. Die Wärmepumpe ist leider nur in Temperaturbereichen effizient, in denen man eigentlich keine Heizung braucht. Deshalb wird bei jeder Wärmepumpe im Winter zusätzlich elektrisch zugeheizt - zur Freude der Energieversorger und zum Schrecken der Umwelt und des eigenen Geldbeutels.

      • @Samvim:

        Bei Bodensonden als Wärmetauscher und mit niedrigen Vorlauftemperaturen (die erreicht man u.a. durch bessere Dämmung und Abbau von Schwachpunkten im Heizsystem, hier und da ein größerer Heizkörper) sieht das schon besser aus.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Jetzt wieder aussteigen aus Nordstream wird dem Steuerzahler Milliarden kosten.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Die Pipeline ist zu 100% Eigentum vom Gazprom, da ist kein Steuergeld involviert. Allerdings wird Erdgas irrsinnigerweise subventioniert. Gleichzeitig stehen die Investitionen für den Ausbau der Erneuerbaren so oder so an. Diese Ausgaben sollte man vorziehen um sowohl Klima als auch Steuerkasse zu entlasten. Unterm Strich wäre mit einem Ausstieg also langfristig eher Geld zu sparen, aber ein Jahr vor der Wahl fürchtet man wohl temporär steigende Verbraucherpreise bei den Energiekosten.

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Ingo Bernable:

        Was hat Deutschland dazu ab an Polen gezahlt?

      • @Ingo Bernable:

        Gazprom wird auf den Kosten nicht sitzen bleiben. Wenn Deutschland unbedingt Verträge brechen muß, gibt's Strafzahlungen. Ist ja auch rechtens, denn wo kommen wir hin, wenn Milliardenprojekte einfach gekündigt werden. Und wer bezahlt's? Der Steuerzahler, das Dummerchen. So, wie kein Aufschrei über den Wahnsinn zu hören ist, hat er es auch verdient. Und für's Fracking-Gas wird noch mal kräftig gezahlt.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Ob es irgendwelche Zahlungen geben muss ist völlig offen. Das Risiko tragen überwiegend die beteiligten Firmen.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Weiterhin fossile verbrennen noch viel mehr. Ungleich viel mehr.

      Und das wissen wir schon länger.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Nö, hat bisher alles Gasprom alleine bezahlt

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Samvim:

        Beim Stopp durch DE haftet der deutsche Steuerzahler mit 600 Mrd Euro.



        Pro Jahr.