Naturschutzexperte über Nord Stream 2: „Erdgas ist keine Lösung“

Die Deutsche Umwelthilfe will Nord Stream 2 vor Gericht kippen. Das Projekt sei klimapolitisch unverantwortbar, sagt der DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Verlegung der Pipeline in der Ostsee im September 2019

Die Anlandestation für die Nord-Stream-2-Pipeline in Lubmin ist seit 2019 betriebsbereit Foto: Uwe Koch/Eibner Pressefoto/imago

taz: Herr Müller-Kraenner, ist es sinnvoll, jetzt die Umweltgesetzgebung zu instrumentalisieren, um ein politisches Ziel zu erreichen: Nord Stream 2 beenden, als Reaktion auf den Anschlag auf Alexei Nawalny?

Sascha Müller-Kraenner: In der Klage, die wir gegen des Bergamt Stralsund eingereicht haben, geht es nicht um Nawalny oder die vielen politischen Argumente gegen Nord Stream 2. Diese Pipeline passt nicht zu den Klimaschutzzielen der EU. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es bei der Förderung und dem Transport von Erdgas deutlich höhere Methanemissionen gibt als bisher angenommen. Deshalb hätte die Umweltverträglichkeitsprüfung bei Nord Stream 2 anders ausfallen müssen, dann hätte es auch keine Genehmigung geben dürfen.

Aber Sie sehen jetzt gerade eine Gelegenheit, ihre Forderung neu zu platzieren und der Bundesregierung augenzwinkernd zu sagen: Weist doch mal das Bergamt Stralsund darauf hin, dass es neue Umweltprobleme bei Nord Stream 2 gibt.

57, ist seit 2015 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Experte für Naturschutz, Klimapolitik und Energiepolitik.

Wir haben schon lange gesagt, dass diese Pipeline klimapolitisch nicht verantwortbar ist. Wir freuen uns, dass dieses Argument in den letzten Tagen wieder mehr Gewicht findet. Der Hintergrund, der Mordanschlag auf Alexei Nawalny, ist natürlich furchtbar. Es ist traurig, dass die Bundesregierung jetzt erst aufwacht. Sie überlegt sich nun, wie man aus der Pipeline-Geschichte mit geringen Entschädigungen rauskommt und dass man mit Umweltschutz rechtlich die besten Karten hat. Aber dass es diesen bitteren Hintergrund gibt, macht die sachlichen Klimaschutz-Argumente nicht weniger wichtig.

Es gibt eine Studie aus den USA, die sagt: Bei Förderung und Transport von Erdgas tritt wesentlich mehr klimaschädliches Methan aus als bisher angenommen. Wie soll eine einzelne Studie aus den USA zu einem rechtssicheren Ausstieg aus Nord Stream 2 in Europa führen?

Auf Grundlage dieser Studie sind die Schätzungen zu Methanemissionen in der Öl- und Gasindustrie in den USA um 60 Prozent nach oben korrigiert worden. Das ist keine Studie, die am Schreibtisch entstanden ist. Man hat sich schon lange gewundert, warum in der Luft über Öl- und Gasförderregionen deutlich höhere Methan-Konzentrationen gemessen werden, als zu erwarten wäre. Deshalb ist anzunehmen, dass auch in anderen Regionen der Welt, in denen Öl und Gas gefördert wird, deutlich mehr Methan austritt. Also auch in der russischen Arktis. Was uns dort fehlt, sind die unabhängige Messungen. Die verlangen wir. Erst dann wissen wir, ob die Angaben der Betreiber bei der Genehmigung von Nord Stream 2 auch stimmen. Wenn die Methanemissionen nach oben korrigiert werden müssen, dann stellt sich die Klimabilanz von Erdgas ganz anders dar. Wir sind der Meinung, das Bergamt Stralsund muss diese Prüfung verlangen.

Gibt es einen Präzedenzfall, nach dem eine staatliche Stelle nach einer Genehmigung sagt: Ups, da gibt es eine neue Klimastudie, die Investition sind futsch? Kann das in einem Rechtsstatt funktionieren, ohne dass die öffentliche Hand regresspflichtig wird?

In der Genehmigung für Nord Stream 2 gibt es ausdrücklich eine Öffnungsklausel, nach der wissenschaftliche Erkenntnisse zu Umweltauswirkungen auch nachträglich berücksichtigt werden müssen und die Genehmigung aufgrund dessen überprüft werden kann. Genau das ist hier der Fall: Die höheren Methanemissionen sind gravierend. Das ist im Übrigen ein gängiges Verfahren. Auch bei der Genehmigung von Atomanlagen sind Betriebserlaubnisse später immer wieder überprüft worden.

Bei Atomkraftwerken ging es um Sicherheit, Methanemissionen sind keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben.

Erstens IST Klimawandel eine Gefahr für Leib und Leben von hunderten Millionen Menschen in den kommenden Jahrzehnten. Zweitens ist Klimaschutz eine der Hauptbegründungen für die politische Unterstützung von Nord Stream 2 gewesen. Weniger klimaschädliches Erdgas soll importiert werden, um die Kohle zu ersetzen. Wenn jetzt der begründete Verdacht besteht, dass die Treibhausbilanz von Erdgas schlechter ist, dann muss man die Genehmigung der Pipeline nochmals prüfen.

Sinkt denn die Nachfrage nach Erdgas in Europa, wenn man Nord Stream 2 abbläst?

Die Nachfrage zumindest in Deutschland sinkt ohnehin. Davon geht auch das Bundeswirtschaftsministerium aus. Wir sind der Meinung, dass der Trend noch schneller geht, weil wir im Gebäudebereich zügig Erdgasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen. Auch beim Kohleausstieg kann man schneller auf Wind umstellen, Erdgas ist nicht in dem bisher gedachten Ausmaß als Zwischenlösung nötig.

Das heißt, die Nachfrage nach Erdgas in Europa ist unabhängig davon, ob man Nord Stream 2 baut oder nicht?

Kein Land in Europa ist so diversifiziert ans Erdgasnetz angeschlossen wie Deutschland. Wir haben jetzt schon Überkapazitäten. Die bereits bestehende Pipeline Nord Stream 1 wird nicht auf voller Kapazität betrieben. Die Idee von Nord Stream 2 ist, bestehende Pipelines, vor allem durch die Ukraine, aber auch durch Polen, zu ersetzen und irgendwann stillzulegen. Trotz aller politischer Garantien für die Transitstaaten.

Überkapazität bedeutet, dass russisches Erdgas nach Europa fließt, auch ohne Nord Stream 2. Nur dass es dann durch Leitungen durch Polen und die Ukraine fließt, die älter sind und mehr Lecks haben. Also wäre ein Aus für Nord Stream 2 doch eher schlecht fürs Klima.

In den letzten Jahren ist in die existierende Gasinfrastruktur nicht mehr investiert worden. Da gibt es Modernisierungsbedarf, die Pipelines müssen technisch nachgerüstet werden, um Lecks zu verhindern und sie auch für Wasserstoff zu ertüchtigen.

Also noch mal: Nord Stream 2 hat keinen Einfluss auf den Verbrauch in Europa. Das Erdgas kann auch durch bestehende, modernisierte Pipelines fließen. Daraus folgt, dass Nord Stream 2 keinen Einfluss auf die Klimabilanz hat. Also warum sollte das Argument dann in die Genehmigung einfließen?

Nord Stream 2 ist angelegt auf 50 bis 70 Jahre Betriebsdauer. Allerdings will Europa bis dahin längst keine Klimagase mehr emittieren. Man darf nicht vergessen, dass an den deutschen Unternehmen des Nord Stream-Konsortiums, Wintershall und Uniper, auch deutsche Kommunen beteiligt sind. Man schafft mit Nord Stream 2 also politische Interessen, weiter auf Erdgas zu setzen und Klimaschutz hinauszuzögern. Deshalb mach es einen großen Unterschied, ob man eine neue Pipeline im Meer versenkt oder eine bestehende Infrastruktur so ertüchtigt, dass es bis zum Ausstieg aus fossilem Gas reicht.

Sie müssen aber ein Gericht davon überzeugen, dass Nord Stream 2 zu direkt mehr Methanemissionen führt. Glauben Sie wirklich, dass Sie da mit weichen politischen Eventualitäten weiterkommen?

Ich glaube, dass wir da gute Chancen haben. Weil wir wissen, unter welchen Bedingungen Erdgas in Russland gefördert wird. Da besteht die berechtigte Vermutung, dass es dort Leckagen in erheblichem Ausmaß gibt. Deshalb verlangen wir diese unabhängige Überprüfung.

Was sagen Sie zu den deutschen Kommunen und den österreichischen Steuerzahlern, die indirekt an Nord Stream 2 beteiligt sind und jetzt ohne Entschädigung jeweils 950 Millionen abschreiben sollen? Pech gehabt?

Es gibt seit Jahren eine kritische Diskussion über dieses Projekt. Die Pipeline ist genehmigt. Wir glauben aber, dass das widerrufen werden kann. Dann muss man schauen, ob seitens der Betreiber bei der Genehmigung korrekte Angaben zur Klimabilanz gemacht worden sind. Erst dann wird sich entscheiden, ob Entschädigungszahlungen notwendig sind. Wir glauben, dass es mit unseren Argumenten möglich ist, die Entschädigungen deutlich zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Die Bundesregierung sollte sich unserer Klage anschließen oder sie zumindest anerkennen.

Wäre es nicht viel eleganter, Nord Stream 2 einfach machen zu lassen, und durch einen ordentlichen CO2-Preis und eine gute Klimapolitik sind die in ein paar Jahren eh pleite?

Natürlich kann man durch das Wunderinstrument des CO2-Preises sehr viele Dinge in die richtige Richtung lenken. Aber die Unternehmen, denen die fossile Infrastruktur gehört, verteidigen schon heute ihre wirtschaftlichen Interessen. Deshalb ist es so schwer, einen CO2-Preis in der Höhe zu bekommen, dass Nord Stream 2 von selbst überflüssig wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.