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Vorwürfe gegen Gemüsehof in Bayern250-mal Corona, 6 Euro Stundenlohn

Gewerkschafter beschuldigen einen Gurkenbetrieb, rumänischen Erntehelfern nicht den Mindestlohn gezahlt zu haben. Ausweise habe er einbehalten.

Mutmaßlich kein Mindestlohn, keine Sicherheitsabstände: abgesperrter Hof in Mamming Foto: Armin Weigel/dpa

Berlin taz | Berater des Deutschen Gewerkschaftsbunds für osteuropäische Arbeitnehmer erheben schwere Vorwürfe gegen den bayerischen Gemüsehof, bei dem sich 250 Erntehelfer mit Corona infiziert haben. Der Großbetrieb Gemüsebau Wagner in Mamming mit etwa 500 Saisonarbeitskräften vor allem aus Rumänien habe weniger als den gesetzlichen Mindestlohn gezahlt, den Arbeitern ihre Personalausweise vorenthalten und die Menschen ohne Corona-Sicherheitsabstand untergebracht, teilte das DGB-Projekt „Faire Mobilität“ der taz mit. Es beruft sich auf zwei Besuche vor Ort, Aussagen und selbst geschriebene Stundenzettel von etwa 30 Arbeitern sowie Abrechnungen des Betriebs. Ein Teil liegt der taz vor. Der Hof ist derzeit einer der größten Coronainfektionsherde in Deutschland.

„Ich habe gravierende Verstöße gegen das Mindestlohngesetz festgestellt“, sagte Beraterin Sevghin Mayr der taz. „Die Arbeiter haben mitunter nur 6 Euro pro Stunde statt der vorgeschriebenen 9,35 Euro erhalten.“ Einer bekam laut Lohnzettel 772 Euro, habe aber nach eigenen Angaben 133 Stunden gearbeitet. Das entspricht einem Stundenlohn von 5,80 Euro, von dem der Arbeitgeber noch einen Teil für die Unterkunft und „Sonstiges (Zigaretten …)“ sowie die Endreinigung abzog. So reduzierten sich die Einnahmen des Beschäftigten dem Dokument zufolge auf 472 Euro. Zudem mussten Arbeiter laut Mayr 200 bis 300 Euro an einen Vermittler zahlen.

„Die Menschen waren auch besonders aufgebracht, weil ihnen der Betrieb bei der ­Ankunft oft die Personalausweise abgenommen und trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zurückgegeben hat, bis sie abgereist sind“, ergänzte die Beraterin. „Da sind sie natürlich gezwungen, alles zu akzeptieren, damit sie den Ausweis wiederbekommen, ohne den sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können.“ Der Ausweis sei von einer Vermittlungsperson nur zurückge­geben worden, wenn die Vermittlungsgebühr in bar bezahlt wurde.

„Es wurden kein Arbeitsvertrag oder andere Unterlagen ausgehändigt, die das Arbeitsverhältnis dokumentieren sollen“, kritisierte Mayr. „Die Arbeiter mussten jedoch Unterlagen unterschreiben, die sie nicht verstanden und auch nicht behalten oder fotografieren durften. Das ist pure Ausbeutung.“

Infektionsschutzregeln verletzt?

„Die Corona-Abstandsregeln sind ebenfalls nicht eingehalten worden“, sagte die Beraterin. Sie hat der taz ein Foto geschickt, das aus einer der Unterkünfte stammen soll. Zu sehen ist ein enges Zimmer mit vier belegten Betten. Der Gang zwischen zwei Betten ist so ­schmal wie eine Person, also weit weniger als die gebotenen 1,50 Meter Sicherheitsabstand.

Arbeitern werden die Ausweise abgenommen, damit sie nicht gehen

Die Einhaltung der Sicherheitsabstände ist jedoch Teil der Arbeitsschutzregeln, die die Bundesregierung zur Bedingung für die Beschäftigung ausländischer Saisonarbeitskräfte gemacht hat. Auch das Landrats­amt Dingolfing-Landau geht nach eigenen Angaben ­davon aus, dass der Betrieb gegen das Hygienekonzept verstoßen hat.

Mayr hat inzwischen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Landshut unter anderem wegen des mutmaßlichen Zurückhaltens der Ausweise erstattet. Die Behörde prüft nach eigenen Angaben gerade, ob sie Ermittlungen aufnehmen wird. Die Beraterin sagte, sie habe auch den Zoll über die niedrigen Löhne informiert.

Eine weitere Anzeige droht dem Landwirt wegen Beleidigung. „Als wir am Dienstag wieder vor Ort waren, hat uns Herr Wagner beschimpft und beleidigt“, sagte Mayr. Dass Wagner ausfallend wurde, bestätigte der taz Andreas Baumgartner, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Dingolfing: „Es fiel eine Äußerung, die als Beleidigung gewertet werden kann“, sagte der Polizist. Er habe aber keine Erkenntnisse, ob die ­Personalausweise gegen den Willen der Arbeiter einbehalten und der Mindestlohn nicht gezahlt worden seien. Denn: „Es hat sich kein Arbeiter bei uns gemeldet.“

„Die Leute haben den Mindestlohn bekommen. Den Vorschuss kann ich ja wohl abziehen“, sagte Landwirt Alois Wagner der taz. Die Ausweise habe er zur behördlichen Anmeldung eingesammelt und auf Wunsch wieder herausgegeben. Die Berater habe er nicht beleidigt. „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ Ob die Coronaregeln eingehalten wurden, wollte Wagner nicht sagen.

Auf einem Kran einsperren

Auch Alois Keller, der für den Betrieb bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) zuständig ist, war vor Ort. „Dass Beschäftigten die Ausweise abgenommen werden, haben wir in mehreren Branchen, auch im Bauhauptgewerbe oder eben in der Landwirtschaft. Das machen die Arbeitgeber, damit die Leute da bleiben und nicht gehen, wenn sie unzufrieden sind“, sagte Keller der taz. Ein Polizist, der an dem Hof im Einsatz war, habe aber deutlich gemacht, dass ihm dieser Vorwurf – wie der Gewerkschafter es nennt – „ziemlich egal“ sei. Es werde auch „sehr häufig“ weniger als der Mindestlohn gezahlt. „Aber es ist sehr schwierig nachzuweisen. Auf dem Papier passt meist alles. Es gibt nie eine offizielle Zeitaufzeichnung.“

Um sich gegen die Ausbeutung zu wehren, bleiben den Arbeitern kaum Möglichkeiten. „Am meisten erreichen die, die zum Beispiel auf dem Bau arbeiten und sich auf einem Kran einsperren.“ Über weniger vehement vorgetragene Beschwerden sagt er: „Meistens verläuft das im Sande, auch weil die Leute dann wieder im Heimatland sind, wenn ein Gerichtsverfahren beginnen könnte. Die Abhängigkeit der Leute wird halt schamlos ausgenutzt.“

Zwischenzeitlich mussten drei infizierte Erntehelfer des Gemüsehofs stationär im Krankenhaus behandelt werden. Am Donnerstag war es noch eine Person, teilte das Landratsamt Dingolfing der taz mit. Die ersten Fälle wurden Ende Juli diagnostiziert.

Zwar waren laut Statistischem Bundesamt 2016 nur 286.000 der insgesamt 940.000 Arbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft saisonweise – also bis zu 6 Monate – beschäftigt. Doch gerade „Sonderkulturen“ wie Spargel werden größtenteils von ausländischen Saisonkräften geerntet, die bereit sind, für die vergleichsweise geringen Löhne diese körperlich anstrengenden Tätigkeiten zu erledigen. Die Grünen kritisieren, gegen diese Betriebe müssten andere Gemüsehöfe hierzulande konkurrieren, die ihre Mitarbeiter fest und sozialversicherungspflichtig anstellen.

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11 Kommentare

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  • Warum gibt es da keine Zeiterfassung? Gilt da das Arbeitszeitgesetz nicht? Man kann nur hoffen, dass dem Arbeitgeber mit aller Härte des Gesetzes begegnet wird.

  • Diese Ausbeutung von Abhängigen hat eine lange Geschichte. Ostflüchtlinge, die sich während und nach dem 2WG bei Bauern „ verdingen“ mussten erzählen ähnliche Geschichten.



    Mein Großvater hat nach dem Krieg keine Butter mehr gekauft, weil er unter keinem Umständen einen Bauern reich machen wollte.



    Und wie so manches Möbel in deutschen Bauerndielen gekommen ist, will heute auch niemand mehr wissen.



    Dieser Berufsstand hat ein strukturelles Problem.

    • @neu_mann:

      Immer schön Alle über einen Kamm scheren. Was sollen diese Geschichten von vor 70 Jahren mit der aktuellen Situation zu tun haben? Kaufen sie bitte keine Butter mehr. Und auch kein Brot, Obst, Gemüse, Milch oder Fleisch. Der Berufsstand hat eher ein Problem mit Vorurteilen und Vorverurteilungen durch Leute wie Sie.

  • Eine schöne Möglichkeit zur Regulierung fällt mir da ein: Das Verursacherprinzip.



    Wie wäre es denn, den Krankheiten verursachenden Landwirt die Kosten für Tests und klinische Behandlung der Erkrankten bezahlen zu lassen?



    Schliesslich wurde hier mit dem Verstoß gegen die Hygieneregeln wissentlich grob fahrlässig gehandelt.



    Wie immer: 1er bereichert sich und die Rechnung zahlt die Allgemeinheit.



    Bestimmt sind dafür die Gürkchen schön billig ...

  • Die Anzeigen sind lächerlich.



    Angezeigt gehört:



    - Steuerhinterziehung



    - Sozialversicherungsbetrug



    - Körperverletzung (durch Mißachtung von Schutzvorschriften



    - Umsatzsteuerbetrug



    - illegale ANÜ

    Und wenn die Ermittlungen in einigen Punkten zeigen dass es sauber lief: Herzlichen Glückwunsch, Herr Unternehmer!

    Aber es würde was rauskommen ... garantiert.

  • Sklaverei gibt es doch nur auf Fleischhöfen ...

    white Collar tätern wird schon nicht viel passieren ,dazu haben sie sich doch mühevoll ihr Filzsystem aufgebaut

  • Ganz ehrlich. Wenn man sowas liesst will man die Verantwortlichen für 20 Jahre in den kast stecken. Vorallem das der Perso eingezogen wurde macht einen sehr wütend.

  • Zuständig für die Kontrolle des Mindestlohns wäre die Zollverwaltung. Deren Aufsichtsbehörde ist das Bundesfinanzministerium.



    Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns wären eine gute Gelegenheit für einen sozialdemokratischen Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten, sein Eintreten für die Rechte von Arbeitnehmern unter Beweis zu stellen.

    • 0G
      08630 (Profil gelöscht)
      @Peter_:

      "Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns wären eine gute Gelegenheit für einen sozialdemokratischen Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten, sein Eintreten für die Rechte von Arbeitnehmern unter Beweis zu stellen.“ Glaubst du noch an den Weihnachtsmann? Und außerdem ist die SPD doch von den alten sozialdemokratischenTugenden soweit entfernt wie der Mann im Mond vom Mars.

    • @Peter_:

      Arbeitnehmer die nicht wahlberechtigt sind, interessieren auch einen SPD Finanzmister und Kanzlerkandidaten nicht die Bohne. Da sollte man nichts erwarten



       

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      Die Moderation

    • @Peter_:

      Ja, Kontrollen wären eine gute Gelegenheit für den SPD-Kanzlerkandidaten, sein Eintreten für die Rechte Lohnabhängiger unter Beweis zu stellen. Er muss ja nur bestehende Gesetze durchsetzen lassen. Aber er nutzt diese "Gelegenheit" nicht. Warum nicht? Ich meine: Weil er sie nicht nutzen will. Wer hier mit ehrlicher Arbeit sein Geld verdienen will, wird häufig behandelt wie der letzte Dreck. Das ist die Fortsetzung der "Agenda 2010" mit anderen Mitteln, und Scholz gehört bekanntlich zu denen, die diese Politik mitgetragen hatten. Und die "linken" SPD-Vorsitzenden machen ihn zum Kanzlerkandidaten...