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Erste Flüge für Erntehelfer aus RumänienRegeln gegen Corona verletzt

Gedränge beim Einchecken in Rumänien, enge Flugzeuge und Busse. Grüne fordern, dass Agrarministerin Klöckner die „Spargelstecher-Luftbrücke“ stoppt.

Kein Social Distancing: 1.800 Erntehelfer warteten dicht gedrängt am Flughafen im rumänischen Cluj Foto: ap

Berlin taz/afp/dpa | Bei Sonderflügen für Erntehelfer aus Rumänien sind Regeln gegen Infektionen mit dem Coronavirus verletzt worden. Der Flughafen Cluj-Napoca (deutsch: Klausenburg), wo ein Großteil der ArbeiterInnen abflog, berichtete von dichtem Gedränge am Donnerstag ohne den notwendigen Abstand. Bereits 8 Stunden vor dem Start des ersten Flugzeugs hätten dort bis zu 1.800 Menschen gewartet. Sie seien aus allen Teilen des Landes mit Bussen angekommen. Fotos bestätigten, dass sehr viele Menschen in dem kleinen Flughafengebäude und auf seinem Parkplatz eng bei­einander standen.

Das führte zu Empörung auf rumänischen Internetseiten. Sogar der Regierungschef Ludovic Orban kritisierte die Zustände als „unzulässig“ und empfahl, den Flughafen zu schließen. Erst danach gaben die Behörden an, dass nun die Sicherheitsabstände zumindest in den Warteschlangen eingehalten würden.

In den Flugzeugen saßen die Erntehelfer meist dicht an dicht, wie andere Bilder belegen. 1,5 Meter Sicherheitsabstand ist bei voll belegten Maschinen unmöglich. Genauso wie in den Reisebussen, die viele der Erntehelfer nach der Ankunft etwa am Flughafen Düsseldorf abholten.

Das Bundesinnenministerium hatte zunächst ein kategorisches Einreiseverbot für die normalerweise rund 300.000 Saisonkräfte pro Jahr etwa aus Rumänien und Bulgarien verhängt. Die Behörde hatte die Maßnahme mit der großen Zahl Personen begründet, die kommen würden, obwohl wegen der Pandemie soziale Kontakte reduziert werden sollen.

„Für billigen Spargel“

Dagegen kämpften jedoch die EU-Kommission, Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) und die Agrarbranche, der viel Geld verlorengehen würde, wenn sie ihre Felder nicht bestellen oder abernten lassen könnte. Die Unternehmen warnten, das Angebot an Obst und Gemüse würde schrumpfen. Daraufhin gestattete das Innenministerium die Einreise von insgesamt 80.000 Saisonkräften im April und Mai – allerdings unter Auflagen zum Schutz vor Infektionen.

Doch Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagte, nachdem er selbst die Ankunft in Düsseldorf beobachtet hatte: „Die Umsetzung der ersten Sonderflüge für Saisonarbeitskräfte ist skandalös und in jeder Hinsicht unverantwortlich.“ Sowohl die Erntehelfer als auch das Kabinenpersonal seien gefährdet worden. Bei der Zahl Menschen sei es sehr wahrscheinlich, dass manche auch infiziert waren.

Der vorgeschriebene Gesundheitscheck bei der Ankunft in Deutschland bestehe nur aus einer Temperaturmessung sowie einem Fragebogen und biete keinerlei Sicherheit: „Es macht den Eindruck, dass für billigen Spargel alle gesundheitlichen Bedenken und ernsthaften Vorsorgemaßnahmen beiseitegeschoben werden.“ Selbst wenn am Flughafen Cluj mittlerweile auf die Sicherheitsabstände geachtet werde, sei „das Risiko von Infektionen ja schon passiert“, sagte der Grüne der taz: „Ich bin ziemlich entsetzt.“ Gewerkschafter und linke Bauern hatten bereits kritisiert, dass viele ArbeiterInnen in Mehrbettzimmern untergebracht werden sollen.

„Betriebe mit Festangestellten verlieren“

„Klöckners Spargelstecher-Luftbrücke muss angesichts dieser Verhältnisse sofort ausgesetzt werden“, ergänzte Ostendorff. „Wir müssen es schaffen, in Deutschland Arbeitskräfte zu gewinnen“, so der Politiker, der selbst Bauer ist. Es habe keine Zukunft, Aushilfen aus Billiglohnländern zu holen, damit sie unter legaler Umgehung von Sozialabgaben in Deutschland arbeiten. Gegen diese Betriebe müssten andere Gemüsehöfe hierzulande konkurrieren, die ihre Mitarbeiter fest und sozialversicherungspflichtig anstellen: „Diese Betriebe sind die Verlierer am Ende“.

Das Bundesagrarministerium antwortete auf die Kritik im Wesentlichen nur, dass die Behörden vor Ort die Regeln zum Infektionsschutz durchsetzen müssten. Der Bauernverband ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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18 Kommentare

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  • Sicherlich werden die Rumänen in leerstehenden Hotels untergebracht. (Ironie)

  • Jetzt reicht es mit dem Versagen der Politik!



    Es ist nicht zu fassen!



    Es war doch absehbar, dass die Erntehelfer ins Land dürfen.



    Die C-Parteien müssen ihren Wählern schließlich beistehen!



    Spargel ist für die Ernährung der Bevölkerung UNABDINGBAR!

    Aber man hätte das ja wenigstens im Vorfeld mit den Herkunftsländern und den Fluggesellschaften abstimmen und organisieren können.



    Aber DAFÜR war dann niemand mehr zuständig ...



    ... aber was solls: Die Helfer:innen werden ja ohnehin die Spargelhöfe kaum verlassen. Das ist schon seit Jahren so - daher ja keine Gefahr für uns - sondern nur für "Die" .

  • taz-Zitat: “(…) 'Wir müssen es schaffen, in Deutschland Arbeitskräfte zu gewinnen', so der Politiker, der selbst Bauer ist. (...)“



    “'Wer in der Not einspringt, hat einen anständigen Lohn verdient' - Auch für Saisonkräfte sind 9,35 Euro das Mindeste“, ließ der DGB vor Kurzem die Öffentlichkeit wissen. Denn: All zu oft wird diese Lohnuntergrenze durch Trixereien der Arbeitgeber unterlaufen.



    Zu ergänzen wäre hier noch: Und eine faire Behandlung und adäquate Unterbringung mit einer Obergrenze bei der Zimmerbelegung (Personenanzahl). Acht Personen in einem Zimmer – so wie früher mancherorts üblich – darf es nicht mehr geben.



    “Wenn man die Leute anständig behandelt, kommen sie auch.“ (Die Zeit, 25.05.18)



    www.zeit.de/arbeit...hel-peco-insititut

  • Das Fatale: die unverschämten, unverfrorenen und maßlosen Klöckner dieser Welt werden nach Corona immer noch da sein und wohl auch gewinnen.

    • 0G
      05158 (Profil gelöscht)
      @Hartmut Wolff:

      ....und sollte es schiefgehen.(Menschen sterben!) Wo werden wir die Klöckner*in wieder finden....?

  • Welche billige Polemik. Seit Wochen sieht es auf Flughäfen in Deutschland so aus, das Abstandsgebot wird kaum eingehalten. Wenn unter gleichen Bedingungen der ÖPNV benutzt werden muss, weil der Individualverkehr verpönt Und zurückgedrängt, interessiert es auch keinen.

  • Schade, aber Spargel kommt dieses Jahr nicht auf den Tisch. Das kann man ja nicht verantworten.



    Dann lieber neue Kartoffeln mit Quark. Oder werden die auch unter unverantwortlichen Zuständen geerntet?

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @Eimsbüttler:

      Neue Kartoffeln sind noch nicht auf dem Markt. Die, die es gibt sind aus Israels besetzten Gebieten( aber Bio) und aus Ägypten. Der Stundenlohn in Ägypten für einen Taglöhner liegt umgerechnet bei 50 Cent. Guten Appetit

  • Klöckner zeigt nicht nur hier ihre Doppelzüngigkeit.

  • Rumänische Spargelerntesklav*innen und thailändische Könige dürfen immernoch nach Herzenslust ein- und ausreisen. Willkommen in der Bananenrepublik Deutschland.

  • Jetzt zeigt sich krass, wie pervers unser Wirtschaftssystem ist: Produkte zu erzeugen, für die wir in der Bevölkerung keine Arbeitskräfte haben. Da soll einer noch vom Mensch, als Krönung der Schöpfung, reden.

    • @Ger. Rauter:

      das Problem wird alljährlich im Armuts und Reichtumsbericht dokumentiert. Selbst als Besserverdiener merkt man es: stagnierende Löhne seit Jahren, steigende Kosten, jedes Jahr. Löhne unterhalb der Produktivität.



      D.h. der Kunde kann und will nicht mehr für die Wahre zahlen und kein normaler Mensch macht diesen Knochenjob zu Löhnen von denen man hier nicht mal leben kann.

      Da hilft nur eines: in der gesamten Mittelschicht Löhne rauf. Am untersten Ende müsste man die locker verdoppen! Nur so kann man auch den deutschen Erntehelfer, den deutschen Bauarbeiter, den deutschen Paketzusteller vernünftig bezahlen.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @Ger. Rauter:

      Danke für die umfassende Analyse.

  • Die Grünen hängen ihre Fahne auch nur noch nach dem günstigsten Wind.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @Eibi:

      Wie meinen Sie das in Bezug auf obigen Artikel?

  • Die "Luftbrücke" zeigt schön, wie gut Lobbyismus auch in Zeiten von Corona funktioniert. Eine Aktion für die Großen. Kleine Bauern können sich das nicht leisten...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Kleine Bauern beschäftigen eine kleine Anzahl von Mitarbeitern. Die finden sie vermutlich vor Ort, oder es handelt sich um Familienbetriebe,

      • @Eibi:

        Auch die Kleinen brauchen Erntehelfer. Die finden sie evtl vor Ort, müssen sie aber dann auch richtig bezahlen.

        Es sind ja die Grundkosten für das Einfliegen von Billigarbeitern, die die Sache für kleinere Betriebe unerschwinglich machen. Wer richtig groß ist, kann die Kosten aufbringen, und die Kleinbauern trotzdem noch ordentlich beim Verkaufspreis unterbieten. Eine eindeutige Verzerrung des Wettbewerbs.

        PS: Dass wir ein Luxusgemüse wie Spargel über knallharte Ausbeutung zur Massenware gemacht haben, ist allgemein zu hinterfragen.