Mögliches Corona-Medikament Dexamethason: Hoffnung für Schwerstkranke
Eine britische Studie zeigt: Ein Entzündungshemmer senkt die Sterblichkeit bei Patienten, die künstlich beatmet werden müssen.
Der Wirkstoff Dexamethason, ein Entzündungshemmer, der schon seit Jahrzehnten etwa bei Rheuma oder Asthma verwendet wird, könne die Sterberate bei schwer erkrankten, künstlich beatmeten Covid-19-Patienten auf der Intensivstation um etwa ein Drittel senken, hatten Wissenschaftler der Universität Oxford am Dienstag bekannt gegeben.
Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock kündigte umgehend an, Dexamethason auf die Liste der Standardverfahren des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS zur Behandlung von Covid-19 aufzunehmen. „Dexamethason ist kostengünstig, verfügbar und kann sofort eingesetzt werden, um weltweit Leben zu retten“, sagte Peter Horby, einer der Studienleiter aus Oxford.
Wissenschaftler in Deutschland warnten indes vor verfrühter Euphorie. „Die Ergebnisse aus Großbritannien sind erfreulich und deuten auf eine enorme Reduktion der Sterblichkeit hin, allerdings nur bei Patienten mit der schwersten Verlaufsform“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens, der taz. Bei Patienten, die keinen Sauerstoff und keine künstliche Beatmung brauchten, also nicht so schwer erkrankt waren, habe das Medikament keine Wirkung gezeigt. Zudem handele es sich um vorläufige Daten, die bislang weder in einem Fachjournal veröffentlicht noch durch andere Wissenschaftler begutachtet worden seien.
Belastbare Daten fehlen
„Als Heilversuch“ in Einzelfällen und bei sehr schwer erkrankten Covid-19-Patienten sei der Einsatz nach entsprechender Aufklärung zwar auch in Deutschland jetzt schon denkbar, sagte Janssens; in eine entsprechende Leitlinie zur Therapie jedoch solle das Medikament frühestens aufgenommen werden, „wenn eine Publikation mit validen und belastbaren Daten endgültig vorliegt“.
Auch der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach würdigte die Leistung der britischen Forscher im Gespräch mit der taz als „Durchbruch“: Dexamethason sei ein „relativ sicheres Medikament“, und der Mechanismus sei „überzeugend“. Dennoch, so Lauterbach, „bleibt eine hohe Sterblichkeit“.
Die Daten, die bislang bekannt sind, stammen aus einem Arm der so genannten Recovery Studie mit mehr als 11.500 Patienten in Großbritannien, in der mehrere Therapieansätze gegen Covid-19 in 175 Kliniken untersucht werden. Dabei wird jeweils die Eignung bereits zugelassener Medikamente zur Behandlung von Covid-19 getestet. Die Studie wird von der britischen Regierung mitfinanziert.
In diesem Teil der Studie bekamen 2.104 Patienten zehn Tage lang das Medikament Dexamethason, ein Cortison-Derivat, das die Immunreaktionen dämpft, oral oder intravenös verabreicht. Ihre Daten zur Sterblichkeit verglichen die Wissenschaftler mit denen von 4.321 Patienten, die nicht mit Dexamethason behandelt wurden.
Sterblichkeit sinkt um ein Drittel
Das Ergebnis: Bei Patienten, die so schwer krank waren, dass sie künstlich beatmet werden mussten, reduzierte Dexamethason die Sterblichkeit um 35 Prozent. Bei Kranken, die lediglich Sauerstoff verabreicht bekamen, wurde die Sterblichkeit um ein Fünftel gesenkt. Bei Patienten mit milderem Verlauf dagegen zeigte Dexamethason keinerlei Wirkung. Basierend auf diesen Zahlen, so die Forscher, würde bei der Behandlung von acht schwerkranken Covid-19-Patienten durch Dexamethason ein Todesfall verhindert.
Der Infektiologe Gerd Fätkenheuer vom Universitätsklinikum Köln erklärte, er halte „die noch sehr kursorischen Daten für glaubwürdig“. Die Ergebnisse passten gut zu der von Wissenschaftlern geteilten Annahme, „dass im späten Verlauf der Covid-19-Erkrankung eine Überreaktion des Immunsystems eine entscheidende Rolle spielt“.
Ähnlich äußerte sich Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin der München Klinik Schwabing. „Der Benefit wird am ehesten auf eine Unterdrückung eines überschießenden Immunsystems in der späten Krankheitsphase zurückzuführen sein“, so Wendtner. Damit sei der erzielte Effekt vermutlich „ein indirekter, nicht primär gegen das Virus gerichteter“. Wichtig sei nun, die Nebenwirkungen des Medikaments aus den Daten herauszuarbeiten, sagte die Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt, Maria Vehreschild.
Weltweit haben sich nach Angaben der WHO bislang mehr als acht Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert; mehr als 400.000 sind an oder mit dem Virus gestorben. In Deutschland müssen derzeit lediglich 429 am Coronavirus erkrankte Menschen intensivmedizinisch behandelt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar