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Neuer VerfassungsschutzberichtKräftiger Anstieg an Rechtsextremen

Der neue Verfassungsschutzbericht befindet die AfD erstmals als gefährlich und benennt rechtsextreme Gefahren. Ein Novum.

Die Gesichter des AfD-“Flügels“: Björn Höcke und Andreas Kalbitz werden beobachtet Foto: Jens Büttner/dpa

Es sind deutliche Worte, die Horst Seehofer verliert. „Der Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland“, sagt der Innenminister. Die Deliktzahlen seien hoch, der grassierende Antisemitismus „eine Schande für unser Land“. Auch Thomas Haldenwang, der Verfassungsschutzchef, warnt markig vor rechtsextremen Stichwortgebern, den „Superspreadern von Hass, Radikalisierung und Gewalt“. Diese „verseuchen das gesellschaftliche Miteinander“, die Bedrohung durch rechte Gewalt sei hoch.

Seehofer und Haldenwang stellen am Donnerstag in Berlin den neuen alljährlichen Verfassungsschutzbericht vor. Und sie haben allen Anlass zu ihren Äußerungen. Zuletzt gab es die rechtsextremen Anschläge in Halle und Hanau, der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde ermordet. Dazu toben im Internet Hasskommentare. Und die AfD driftet immer weiter nach rechts ab.

Tatsächlich präsentieren Seehofer und Haldenwang nun ein Novum. Erstmals taucht im Verfassungsschutzbericht die AfD auf, in Form ihres inzwischen – formell – aufgelösten Flügels um Björn Höcke und der Parteijugend. Den Flügel stufte der Verfassungsschutz im März als volles Beobachtungsobjekt und „erwiesen extremistisch“ ein. Die „Junge Alternative“ (JA) läuft als Verdachtsfall. Nun sorgen beide Organisationen für einen kräftigen Anstieg der vom Amt gezählten Rechtsextremen: von 24.100 im Vorjahr auf 32.080.

Allein beim Flügel sieht der Verfassungsschutz 7.000 Anhänger – doppelt so viele wie die NPD. Der AfD-Jugend werden 1.600 Mitglieder zugerechnet. Er folge mit diesen Zahlen den Angaben der AfD-Führung, sagt Haldenwang, und eigenen Erkenntnissen. Welche? Haldenwang schweigt dazu. Aber: Mit den Einstufungen kann der Geheimdienst inzwischen den Flügel und die JA beobachten, interne Informationen abgreifen oder sogar Spitzel anwerben.

Neuer Schwerpunkt Rechtsextremismus

Und Seehofer unterstützt das Vorgehen. Er sei „sehr einverstanden“ mit den Ausführungen Haldenwangs, erklärt der CSU-Mann. Einen von Medien vermuteten Dissens über Flügel und JA bestreiten beide Männer. Vielmehr warnt auch Seehofer vor „geistigen Brandstiftern“ in diesem Land.

Es ist der neue Kurs des Verfassungsschutzes, der sich nun niederschlägt. Jahrelang hatte das Amt, noch unter Hans-Georg Maaßen, vor allem auf den Islamismus geschaut. Bei der AfD bremste Maaßen eine Entscheidung aus, wie mit der Rechtsaußen-Partei umzugehen ist. Dann kamen die rechten Aufmärsche von Chemnitz – und Haldenwang, bis dahin Vize, Ende 2018 ins Amt.

Schon da erklärte der 60-Jährige den Rechtsextremismus zum neuen Schwerpunkt. Die zuständige Abteilung im Haus ließ er verdoppeln. Haldenwang sieht sich in seinem Weg am Donnerstag bestätigt, verweist auf die jüngsten Anschläge und auf 13.000 als gewaltorientiert eingestufte Rechtsextreme oder die um 17 Prozent gestiegenen antisemitischen Straftaten. Die Täter nennt der Verfassungsschutzchef den „leibhaftig gewordenen Hass“.

Und Haldenwang knüpft sich seit seinem Amtsantritt auch die Anheizer vor. Nicht nur die AfD, die als Gesamtpartei ein Prüffall ist, sondern die gesamte Szene wurde inzwischen eingestuft: das Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek, das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer, die Identitären und das Netzwerk „Ein Prozent“. „Sie alle konstruieren Sündenböcke, schüren Hysterien und Feindbilder“, warnt Haldenwang. Auch sie „säen unser gesellschaftliches Verderben und provozieren Hass, Zwietracht und Gewalt“.

Seehofer muss sich Fragen gefallen lassen

Aber der Weg ist nicht unumstritten und wird nicht von allen Bundesländern beschritten. Zuletzt schien Sachsen auszuscheren, ausgerechnet. Anfang Juli versetzte Innenminister Roland Wöller (CDU) den Verfassungsschützer Gordian Meyer-Plath, weil sein Landesamt angeblich rechtswidrig Daten von acht AfD-Abgeordneten speicherte und nicht löschen wollte. Unter den Abgeordneten war auch AfD-Parteivorsitzender Tino Chrupalla. Der versetzte Verfassungsschützer Meyer-Plath widersprach, sah seine Arbeit beschnitten und die Beobachtung der Neuen Rechten in Gefahr.

Haldenwang rückt am Donnerstag indes von Meyer-Plath ab und deutet an, dass die Datenspeicherung tatsächlich nicht konform mit der Praxis der anderen Ämtern war. Er habe inzwischen ein Gespräch mit Wöller und dem neuen Chef des Landesamts, Dirk-Martin Christian, geführt, sagt er. Man arbeite nun „absolut im Schulterschluss“.

Auch Seehofer muss sich Fragen gefallen lassen. Denn aktuell wird auch über Rechtsextreme in der Polizei und Bundeswehr diskutiert. Gerade erst wurde bekannt, dass nach der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız nun auch die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler Drohschreiben eines „NSU 2.0“ erhielt. Mit Daten, die offenbar zuvor von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Seehofer nennt den Vorgang „vollkommen inakzeptabel“, er müsse „rücksichtslos aufgeklärt“ werden.

In den Verfassungsschutzberichten sind Extremisten in den Sicherheitsbehörden indes seit Jahren eine Leerstelle. Diesmal werden ihnen immerhin drei Sätze gewidmet. Extremisten im öffentlichen Dienst „erschüttern das Vertrauen in öffentliche Stellen“, ihre Haltung widerspreche den „Eckpfeilern des Berufsbeamtentums“. Da die Bediensteten Zugriffe auf sensible Informationen und Kenntnis vom Vorgehen der Sicherheitsbehörden hätten, bestehe eine besondere Gefährlichkeit, wird gewarnt. Ausführlicher aber wird es nicht.

Sicherheitsbehörden bleiben blinder Fleck

Seit Monaten verspricht der Verfassungsschutz indes ein Lagebild zu diesen Extremisten im öffentlichen Dienst. Die Landesämter aber tun sich schwer mit der Datenerhebung: Pauschal überprüfen können sie die Bediensteten nicht, sondern nur aufgeflogene Extremisten zusammentragen. Seehofer spricht von einer „Herkules­aufgabe“. Nun soll es Ende September ein kleineres Lagebild geben, vorerst nur zu den Sicherheitsbehörden, verspricht er.

Seehofer selbst muss sich außerdem für seine jüngsten Kapriolen rechtfertigen. Schon vor zweieinhalb Wochen sollte der Innenminister ursprünglich den Verfassungsschutzbericht vorstellen – er sagte den Termin in letzter Minute ab. Wegen der Krawalle in Stuttgart, beteuert Seehofer nun. Tatsächlich war es aber wohl eher die damalige Debatte um Seehofers zwischendurch geplante Anzeige gegen die taz wegen einer Kolumne über die Polizei.

Rechtfertigen muss sich Seehofer auch für seine Absage einer geplanten Studie zum Racial Profiling in der Polizei. Er wolle schrittweise vorgehen, sagt der CSU-Mann. Erst solle das Lagebild zu den Sicherheitsbehörden kommen, dann womöglich andere Maßnahmen. Seehofer lobt vielmehr sich und die Bundesregierung, verweist auf ein im Herbst 2019 beschlossenes Maßnahmenpaket: Noch nie sei so konsequent gegen Rechtsextremismus vorgegangen worden wie heute.

Tatsächlich wurden zuletzt Neonazi-Gruppen wie Combat 18 verboten, wurde ein Gesetz gegen Hasspostings im Internet verabschiedet, das Waffenrecht verschärft. Wenn es aber um Extremismus in den Reihen der Sicherheitsbehörden geht, fehlt Seehofer diese Klarheit.

Haldenwang gibt sich offensiv

Was die Studie zum Racial Profiling betrifft, macht Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) weiter Druck, auch der Europarat fordert die Untersuchung ein. Das Bundeskabinett will darüber noch mal beraten.

Die AfD wiederum keilt am Donnerstag gegen den Verfassungsschutz. Als „politisches Instrument der Altparteien“ beschimpft sie erwartbar den Dienst, klagt über eine „Beobachtungskeule“ gegen sich. Gegen die Nennung des Flügels und der Parteijugend im aktuellen Verfassungsschutzbericht hatte die AfD sogar geklagt. Die Richter wiesen das zurück: Es gebe „gewichtige“ Anhaltspunkte, dass beide Gruppen verfassungsfeindlich seien. Und der Verfassungsschutz fungiere ja gerade als Frühwarnsystem.

Haldenwang gibt sich am Donnerstag daher offensiv. Man schaue gerade genau, wie die Flügel-Akteure um ­Höcke derzeit auf die Gesamtpartei einwirkten, droht er der AfD. Und man werde „nicht nachlassen, Extremisten zu identifizieren und zu benennen“. Zuletzt spricht Haldenwang noch eine „Warnung“ aus: „Der Staat wird entschieden gegen jede Form von Gewalt vorgehen. Kein Extremist und kein Terrorist darf sich mehr sicher fühlen.“

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8 Kommentare

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  • Ich finde man sollte langsam anfangen, die persönliche Verantwortung der Vorgänger Haldenwangs zu beleuchten. Vor allem Maaßen hat ja wohl massiv die Hand schützend über die Neubraunen gehalten.

    • @Kaboom:

      kein Wunder, dass NACH Maßen genauer hingescheut wird. Deswegen steigt aber nichts, sondern das Risiko sinkt hoffentlich, da endlich das Problem gesehen und angemessen reagiert wird.

  • Tja, der selbe Verfassungsschutz der u.a. bezüglich NSU verschleiert, vertuscht, und womöglich duldet und kooperiert. Zu dieser Einschätzung wären bzw. sind bereits andere gekommen - dafür braucht es keine Institution - ich wiederhole mich - die verschleiert, vertuscht, und womöglich duldet und kooperiert und das "erstaunlicherweise" bezogen auf Nazis und deren Taten.

    • @Uranus:

      Ergänzung: viel mehr als ein paar Worte dürfte da nicht zu erwarten sein. Zumal die Stoßrichtung ja auch halbherzig ist. Hier geht es um eine Partei, die deutlicher rechts von C*U agiert und von denen sicher C*U-Strateg*innen sicher gerne wieder ein paar wieder in den eigenen Reihen sehen wollen würden bzw. als Anhänger*innen/Wähler*innen ihrer Parteien zurückgewinnen. Geht es konkret um institutionellen Rassismus wie Racial Profiling, agiert Seehofer hingegen ausweichend und passiv. Oder der Repressionsapparat geht einfach weiter mit gewohnten Elan gegen "böse" Linke, wofür es aktuell in der TAZ mal wieder dafür einen Hinweis gab:



      taz.de/Repression-...dbusting/!5693667/

  • Bild Björn Höcke und Andreas Kalbitz: Wie Adolf und Göbbels 2.0 :)

    • @joaquim:

      Ist ja alles gut und schön, aber es ist auch nicht demokratisch eine ganze Partei unter generalverdacht zu stellen.

      [...]

      Außerdem gibt es Probleme in der Polizei die nicht nur rassistisch begründet sind, sondern aus Machtmissbrauch und eienm steten wegsehen der Justiz resultieren. Das stink tzum Himmel und ist ein weitaus größeres Probem, welches immer wieder übergangen wird.

      Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte unterlassen Sie unangebrachte Vergleiche und befolgen die Netiquette. Die Moderation

    • @joaquim:

      Wären die beiden wohl gern. Aber für mehr als schlechte Kopien reichts nicht.

    • @joaquim:

      Reden wir doch von Bernd Höcke!