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Studie zur sozialen Dimension von CoronaRisikofaktor Arbeitslosigkeit

Eine Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Corona und sozialer Lage der Erkrankten. Demnach sind Langzeitarbeitslose viel häufiger betroffen.

Arbeitslos zu sein erhöht das Risiko zu erkranken, belegt eine Studie Foto: Marc Gruber/7aktuell/imago

Düsseldorf/Berlin taz | Langzeitarbeitslose Menschen müssen im Vergleich zu regulär Erwerbstätigen wesentlich häufiger mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden. Das zeigt eine Untersuchung der AOK Rheinland/Hamburg und des Instituts für Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. Die Studie mit dem Untersuchungszeitraum von Januar bis Juni soll diese Woche veröffentlicht werden. Ein Hintergrundpapier dazu liegt der taz bereits vor.

Ausgewertet wurden Daten von 1,3 Millionen Versicherten, von denen 1.415 wegen einer Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus mussten. Empfänger von Arbeitslosengeld I (ALG I) hatten ein um 17 Prozent erhöhtes Risiko, Empfänger von ALG II sogar ein um 84 Prozent erhöhtes Risiko im Vergleich zu erwerbstätigen Versicherten, wegen des Virus ins Krankenhaus zu müssen. Sie waren zudem häufiger von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen.

„Covid-19 könnte bestehende soziale ­Ungleichheiten in der Gesundheit verschärfen“, heißt es in dem Hintergrundpapier zur Studie. Als Erklärung dieses bereits in den USA und Großbritannien beobachteten Trends sehen die ForscherInnen drei Gründe:

Zum einen seien Lebens- und Arbeitsverhältnisse mit ungleichen Risiken belegt. Personen mit höheren Einkommen können häufiger Möglichkeiten der Heimarbeit wahrnehmen und auf den öffentlichen Nahverkehr verzichten. Zweitens gebe es ungleich verteilte Vorerkrankungen, von denen benachteiligte Gruppen wesentlich häufiger betroffen sind. Und drittens gebe es Versorgungsungleichheiten, also zum Beispiel begrenzte Möglichkeiten, sich testen zu lassen.

Auftakt für weiterführende Forschung

Die zentrale Empfehlung aus dem Papier lautet: sozioökonomische Merkmale – ebenso wie Alter und Vorerkrankungen – für die Bestimmung von Risikogruppen und Infektionsschutzmaßnahmen zu berücksichtigen.

„Dass Armut und Gesundheit zusammenhängen, wissen wir seit Langem“, sagte der verantwortliche Autor Nico Dragano von der Uniklinik Düsseldorf. Personen aus Gruppen mit niedrigem Einkommen sind höheren Krankheitsrisiken ausgesetzt und haben eine geringere Lebenserwartung. Auch im Falle der saisonalen Influenza bestätigen Studien jährlich Unterschiede gemäß Einkommensgruppen.

Neu sind belastbare Daten in diesem Zusammenhang für Deutschland und das Coronavirus. Sie seien Auftakt „für weiterführende Forschung zur sozialen Dimension der Covid-19-Pandemie“, sagte Dragano.

Die AutorInnen fordern, der gesundheitlichen Ungleichheit entgegenzuwirken. Neben der Berücksichtigung des Einkommens müsse es eine zielgruppenorientierte Kommunikation sowie eine bedarfsgerechte soziale und finanzielle Unterstützung geben. Wichtig sei außerdem eine Verbesserung der Datenlage. Gesundheitliche Chancengleichheit müsse politikübergreifendes Ziel werden.

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6 Kommentare

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  • Ein Lob für den Autor! Handfeste Artikel wie dieser von Bennet Groen haben mittlerweile Seltenheitswert in der TAZ: ein sozialökonomisch arumentierender Artikel, der sich sich auf die Auswertung der Daten von 1,3 Mio. Versicherten stützt.. Auf dieser Basis lassen sich solide und repräsentative Aussagen treffen – und wie wohltuend hebt sich diese Argumentationsweise ab von einer ‘Methode’, die instantan ‘systemische’ und ‘strukturelle’ ‘Ismen’ festzustellen in der Lage ist, ohne je auch nur einen prüfenden Blick auf die - durchaus vorhandenen – statistischen Daten, ohne je auch nur einen genaueren Blick in empirische Studien (z.B. zur Polizeigewalt) geworfen zu haben. Eine Methode, die vorgibt, aus anekdotischen Erzählungen auf das Ganze schließen zu können, und ‘gelebte Erfahrung‘ über alles stellt – ohne je z.B. den ‘confirmation bias’ einzufaktorieren.

    Und wie gut tut es, daß der Autor dem zwanghaften ‘Zeitgeist’ widersteht, die Problematik armutsbedingter Krankheitsrisiken in ein identitätspolitisches Schema zu pressen, und ‘Opfergruppen’ gegeneinander auszuspielen. Chapeau für die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit! Mehr von solchen Artikeln!

  • Krisen treffen Arme härter. Wenn Du nicht mit dem Girokonto bezahlen kannst, dann bezahlst Du ggf. mit dem Leben.

    Das ist tatsächlich nicht so überraschend in einer nicht sehr solidarischen Gesellschaft.

    Was ich spannender finde ist, dass die Krankenkassen vielleicht merken, dass das auch finanzielle Folgen hat!

    AOK für bedingungsloses Grundeinkommen? Warum nicht?

  • Da wird doch einiges bzgl Ursache und Wirkung vermischt. Wenn man sagt, dass Menschen mit höherem Einkommen besser Heimarbeit wahrnehmen und auf den öffentlichen Nahverkehr verzichten können, dann können doch genau diese beiden Faktoren im Vergleich zu Langzeitarbeitslosen eigentlich keine Rolle spielen, denn letztere arbeiten gar nicht, weder zuhause noch in einer Firma und auf den öffentlichen Nahverkehr sind sie entsprechend auch nicht angewiesen.

    Um es etwas überspitzt auszudrücken: Ein gut informierter Langzeitarbeitsloser hätte theoretisch sogar bessere Chancen, sich bei einer Pandemie vom Infektionsgeschehen fernzuhalten als viele Werktätige.

    Soll heissen: Ja, Armut und Gesundheit hängen zusammen, aber wohl nur indirekt. Primär hängen Bildung und Gesundheit zusammen. Und Armut hat ebenfalls viel mit Bildung (oder Mangel an Bildung) zu tun.

    So kann das Motto (wieder einmal) nur lauten: Bildung, Bildung, Bildung! Jeder Euro, den die Gesellschaft in Bildung ausgibt, zahlt sich doppelt und dreifach aus.

    Gebildete Menschen lassen sich weniger leicht ausbeuten und entsprechend seltener arm. Sie sind auch leichter erreichbar für Krisenkommunikation im Rahmen einer Pandemie, z.B. was Abstand und Hygiene betrifft, und sind entsprechend seltener infiziert.

  • Jede Infektionskrankheit wird durch psych. etc. Situationen wie Arbeitslosigkeit, Geldmangel etc. getriggert. In den 80 ern hatte D die geringsten Krankenstände - eben WEIL die Mesnchen ein gesichertes einkommen für die Zukunfstplanung hatten.

  • Zitat: „Zum einen [können] Personen mit höheren Einkommen [...] häufiger Möglichkeiten der Heimarbeit wahrnehmen und auf den öffentlichen Nahverkehr verzichten. Zweitens gebe es ungleich verteilte Vorerkrankungen, von denen benachteiligte Gruppen wesentlich häufiger betroffen sind. Und drittens gebe es Versorgungsungleichheiten, also zum Beispiel begrenzte Möglichkeiten, sich testen zu lassen.“

    Mir fehlt in der Aufzählung der entscheidende Faktor: Stress. Dass Stress ganz schlecht ist für’s Immunsystem, ist schließlich längst wissenschaftlich belegt. Erwiesen ist auch, dass Arbeitslosigkeit mit Stress verbunden ist, weil Arbeitslosen z.B. die soziale Anerkennung fehlt und Geldsorgen auch nicht gerade glücklich machen. Eigentlich müsste sich unsere Gesellschaft also ernsthaft fragen (lassen), wieso sie bereit ist, einen ständig wachsenden Teil ihrer Mitglieder einem System zu opfern, das nur dann stabil ist und „funktioniert“, wenn Menschen (bei Strafe schwerwiegender Erkrankungen) ihre Entlassung fürchten müssen.

    So weit aber scheint die Ehrlichkeit dann doch nicht zu gehen. Und zwar nicht nur im „Mutterland des Kapitalismus“, in Großbritannien also, oder in den USA, dem „Lieblingsschüler“ der Briten. Auch in Deutschland haben Wissenschaft und Medien auffällig große Blinde Flecke. Auch (und vielleicht gerade) in Corona-Zeiten. Ob wohl eine wissenschaftliche Studie die Ursache für diese Realitätsverweigerung aufdecken würde?

    Gewisse Zweifel sind womöglich nicht ganz unberechtigt.

  • Das Argument mit den Testmöglichkeiten lasse ich in Deutschland nicht gelten. Dafür kenne ich zu viele die nie getestet wurden trotz Symptomen. Aber der Rest ist sehr besorgniserregend und passt leider viel zu gut zu Beobachtungen, wer statistisch besonders oft betroffen ist. Nicht vergessend, jeder kann es schwer bekommen.