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Umstrittenes KohlekraftwerkPresse aus Datteln verbannt

Die Polizei verbietet mehreren Journalisten, von den Protesten gegen den Start des Kohlekrafwerks zu berichten. Ein Gericht hat das nun gekippt.

Sollte für Reporterin Anett Selle tabu sein: Berichterstattung von Protesten am Kraftwerk Datteln Foto: Jochen Tack/imago

Berlin taz | Wenn an diesem Samstag das umstrittene neue Kohlekraftwerk Datteln 4 den Regelbetrieb aufnimmt, wird es rund um das Gelände wieder zu Protesten von UmweltschützerInnen kommen, die vor dessen Auswirkungen aufs Klima warnen.

Doch Anett Selle, die für die taz als Reporterin und Live-Streamerin schon von vielen Klimaschutz-Aktionen aus Nordrhein-Westfalen berichtet hat, sollte die Aktionen diesmal nicht aus der Nähe verfolgen dürfen: Die Polizei Recklinghausen hat der freien Journalistin für drei Monate ein offizielles Aufenthaltsverbot erteilt, das neben dem Gelände des Kraftwerks selbst auch mehrere benachbarte öffentliche Straßen umfasst – darunter jene vor dem Eingang zum Kraftwerk, auf der am Samstag Mahnwachen geplant sind.

Als Begründung nennt die Polizei, dass Selle Anfang Februar im Auftrag des WDR von einer Protestaktion auf dem Kraftwerksgelände berichtet hat. Der Energiekonzern Uniper, der Datteln 4 betreibt, hat darum Anzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt; eine Entscheidung darüber ist bisher nicht gefallen. Es sei „davon auszugehen“, dass sie sich „erneut Zutritt zum Gelände des Kraftwerks Datteln 4 verschaffen könnte“, behauptet die Polizei in einer Verfügung, die Selle in dieser Woche zugestellt wurde. Andere MedienvertreterInnen, die ebenfalls bei der Aktion dabei waren, bekamen ähnliche Post.

Dass die Reporterin durch das Aufenthaltsverbot rund um das Kraftwerk ihren Beruf nicht nachgehen kann, bestreitet die Polizei. „Es besteht keine Notwendigkeit für Sie, für Ihre Berichterstattung das Gelände zur Erlangung von Informationen zu betreten“, schreibt das Polizeipräsidium Recklinghausen. Denn: „Die Pressestelle der Polizei steht Ihnen außerhalb des Verbotsbereichs für Fragen zur Verfügung.“ Dass seriöse JournalistInnen sich lieber aus erster Hand informieren, scheint man sich dort nicht vorstellen zu können.

Selle setzt sich juristisch zur Wehr

Gegen diese massive Beschränkung der Pressefreiheit setzt sich Selle juristisch zur Wehr. „Dass die Polizei mich zu einer ‚Gefahr für die öffentliche Sicherheit‘ erklärt und in die Freiheit der Berichterstattung eingreift, ist völlig inakzeptabel“, sagt sie. Ob eine Entscheidung noch rechtzeitig vor den Protesten fällt, war am Freitag noch offen.

Ein weiterer betroffener Journalist, der Fotograf Björn Kietzmann, hat bereits einen Zwischenerfolg erzielt: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen setzte sein Aufenthaltsverbot am Donnerstag vorläufig außer Kraft. Das sei erforderlich, um „wesentliche Nachteile“ für den Journalisten zu vermeiden, entschied das Gericht unter ausdrücklichen Verweis auf den Pressefreiheits-Paragrafen des Grundgesetzes. Eine endgültige Entscheidung fällt zu einem späteren Zeitpunkt.

Als Reaktion auf diese vorläufige Gerichtsentscheidung erklärte das Polizeipräsidium Recklinghausen am Freitag Nachmittag, dass nun auch alle anderen betroffenen JournalistInnen von den Protesten am Samstag berichten dürfen. Dabei erweckt die Pressestelle in einer Mitteilung den Eindruck, dass dies von Anfang an so vorgesehen war – was eindeutig im Widerspruch zum Wortlaut des offiziellen Bescheids steht, der ein berechtigtes Interesse der Presse am Aufenthalt in der Nähe des Kraftwerks ausdrücklich verneint hatte.

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17 Kommentare

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  • Das ist klar dem KK-Kampf von NRW-MP und Freistaat-Bayern-MP geschuldet. Der Bayern-MP wird von den Medien gerade in den Himmel geschrieben (obwohl er Franke ist), in dem es ihm gar nicht so wohl ist. Die Kreuze in den Amtsstuben reichen ja auch. Der Absturz vom KK zum Nicht-K ist auch sehr schmerzhaft.

  • Wieso kann der Betreiber Energiekonzern Uniper der Polizei vorschreiben, wer da auftauchen darf und wer nicht? Und vor allem: Wer ist in diesem Fall "die Polizei"?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Dass Pressevertreter auch alles falsch verstehen. Nee - oder?

    Den Namen Uniper sollten sich viele Stromkonsumenten merken. Der nächste Anbieterwechsel kommt bald - die Strompreise steigen wieder. Grund für eine außerordentliche Kündigung ...

    Häufig fallen Entscheidungen nach dem - deduktiven - Aussschlussprinzip.

    • @Wagenbär:

      So etwas nennt mensch dann wohl Rechtsbeugung. Aber hey, immerhin darf mensch klagen und im Nachhinein recht bekommen. Das hilft in der eigentlichen Situation ungemein. ;-/

  • Sind wir jetzt in Ungarn oder was?

    Da kann die Polizei einfach die Berichterstattung übernehmen. Von ihrer Pressestelle aus. Direkt über Twitter.

    Ein Glück, dass die Gerichte nicht ganz gepennt haben.

  • Passt auf, wenn ihr weiter über Umweltschutz berichtet werdet ihr auch noch als linksextremistisch eingestuft.

  • Naja, daran, dass in deutschem Polizeigewahsam Menschen zu Tode kommen hat man sich je gewöhnt.



    Aber dass die Polizeibehörden auf so plumpe Art und Weise versuchen die Pressefreiheit und die Arbeit der Journalisten zu behindern hat ja mal eine neue Qualität. Die Verantwortlichen haben eindrucksvoll bewiesen, dass ihr Verständnis von Demokratie und Rechtstaatlichkeit nicht mit dem Grundgesetzt übereinstimmt.



    Folglich gehören diese Leute aus dem Dienst entfernt.

  • Der Wahnsinn im Dativland nimmt kein Ende. Heute eine "neues" Kohlekraftwerk anszuschalten und zu meinen dadurch den C02 Ausstoß nachhaltig zu verringern, kann nichtmals ein Milchmaedchen überzeugen. Denn 3 Dreckschleudern abzuschalten, ist die ultima ratio und das sogenannte Neue muß auch aus bleiben. Wir haben nämlich nicht schönes Pfingstwetter, sondern wirklich Klima. Jetzt! Der krumme rechnerische Flickenteppich, der Maßnahmen ergibt keine Schalte , die systemisch relevant ist. Datteln IV muß aus bleiben! Denn Nordstream II ist die Alternative. und zwar...

  • Dieser Staat, Regierung, Parlament, Justiz, Presse, NGOs usw. ist nicht das, was ich früher dachte, das er ist.



    Er wird im Laufe der Zeit auch nicht sozialer und gerechter.



    Letzteres ist ein Märchen, das von den Mächtigen erfolgreich vermittelt wird.

  • Da wird der Herbert aber mit dem Huf aufstampfen und Rauch wird aus seinen Ohren steigen!

    Abgesehen davon, wenn ich mir als Ingenieur auf Wikipedia die Daten zu dem Kraftwerk durchlese, muss ich sagen: saubere Arbeit. Die Wirkungsgrade entsprechen ungefähr dem was theoretisch überhaupt machbar ist. Statt sich mit Symbolpolitik an neuesten, effizienten Industrieanlagen ab zu arbeiten, sollten die Protestler sich lieber alte energiehungrige Bestandsanlagen überall in der Industrie vornehmen, die man schon seit Jahrzehnten z.B. mit modernen, optimierten Antrieben hätte bestücken können.

    Machen wir mal klar: mit Kraftwärmekopplung erreicht Datteln 4 60% Wirkungsgrad. Der Bau des Kraftwerks dürfte bei der Leistungsklasse über die Betriebsjahre zu einer vernachlässigbaren Größe schrumpfen.

    Windkraftanlagen hingegen verwenden nach Studien ein paar wenige % (Offshore Anlagen z.B. ~5%) der jemals produzierten Energie um die eigene Produktion zu kompensieren. Und für ein Äquivalent zu Datteln 4 bräuchte man mal über den Daumen gepeilt 660 5MW Anlagen (nur mal als Beispiel). Und stand heute steht für das ungelöste Problem des "Recyclings" der Propellerblätter nur verbrennen im Raum.



    Dazu kommt das kleine Maschinen nie so effizient sind wie große. Der Generator in Datteln 4 wird wie solche Anlagen es schon seit Jahrzehnten bieten 99,9x % Wirkungsgrad haben. Windräder dürften gut sein wenn diese 99% erreichen.

    Was ich damit sagen will: sauberer ist noch lange nicht sauber! Wir müssen nicht die Produktion sauberer machen, sondern den Verbrauch senken. Das wäre zu aller erst einmal viel wichtiger!

    • @danny schneider:

      Von Ihren wirren Kram ist wohl das das einzige, was für mich nachvollziehbar ist:

      "Wir müssen nicht die Produktion sauberer machen, sondern den Verbrauch senken. Das wäre zu aller erst einmal viel wichtiger!"

      Das kann ich verstehen und auch unterschreiben. Den Rest...

      • @tomás zerolo:

        Da Sie offenbar von der technischen Seite her kein Verständnis besitzen: Googeln Sie mal "Wirkungsgrade" und "ökologischer Fußabdruck'.

        • @Riffer:

          Tja. Der Schein trügt manchmal. Von der "technischen Seite" habe ich tatsächlich ein Bisschen Verständnis.

          Wirkungsgrad hin oder her, mir scheint es falsch, /jetzt/ in ein Kraftwerk zu investieren das irgendwo zwischen 20 und 40 Jahre Lebensdauer erwartet und das sein Brennmaterial aus Russland oder Kolumbien importiert.

          In der Grosstechnologie gibt es auch so etwas wie Pfadabhängigkeit (googeln Sie das, wenn's sein muss -- ich empfehle lieber DDG [1]), und die nageln wir mit jeder dieser Entscheidungen fest.

          Deshalb unterstütze ich (als Physiker) die o.a. Protestaktion, mit voller Überzeugung.

          [1] duckduckgo.com/htm...adab%C3%A4ngigkeit

  • Das ist aber großzügig von der Polizei, dass sie sich sogar für Pressearbeit anstrengt und zur Verfügung stellt! Vielen Dank Polizei! Und sollte es mal zu Auseinandersetzungen zwischen Aktivist*innen und Polizei kommen, wird diese wie auch in der Vergangenheit sicher neutral darüber berichten. Diesen Gedanken weitergestrickt, vielleicht sollte die Redaktion der TAZ vom Berliner Polizeipräsidium angeleitet werden? Das wäre ein feuchter Traum von Law and Order-Politiiker*innen...

  • Wohl nicht zufällig, erwähnen die "Grundgesetz-DemonstrantInnen" und "Widerstand (was weis ich) KämpferInnen gegen die (imaginierte) Gesundheits-Diktatur" solche Sachen mit keiner Silbe.

  • Öhm? Freie Berichterstattung unterbinden? Manchmal denke ich, die Welt dreht langsam komplett durch