Datteln IV geht ans Netz: Letzter Dinosaurier startet früher
Am Samstag geht Deutschlands letztes Steinkohlekraftwerk in den kommerziellen Betrieb. Klimaschützer*innen empfinden das als Provokation.
BOCHUM taz | Trotz massiver Kritik von Klimaschützern und jahrzehntelanger Klagen von Umweltverbänden will der der Energiekonzern Uniper sein Steinkohlekraftwerk Datteln im nördlichen Ruhrgebiet schon am Samstag in den Regelbetrieb nehmen.
„Wir bestätigen die geplante kommerzielle Inbetriebnahme von Datteln 4 am 30. Mai 2020“, sagte ein Sprecher des Unternehmens am Mittwoch zur taz. Bisher war stets vom Sommer die Rede gewesen. Aus Sicht des Unternehmes ligt der Termin dennoch „in dem von uns mehrfach kommunizierten Zeitrahmen“.
Datteln gilt neben der Braunkohleverstromung an den rheinischen Tagebauen Garzweiler und Hambach als Zentrum der Proteste der Klimabewegung: Nach Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dürfte der Steinkohleblock mit einer Leistung von 1.050 Megawatt während seiner Laufzeit 40 Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid zusätzlich ausstoßen – selbst wenn im Gegenzug wie angekündigt ältere Steinkohlekraftwerke abgeschaltet werden.
Die Inbetriebnahme gegen die Empfehlung der Kohlekommission sei eine „unerhörte, in Stahl und Beton gegossene Provokation“, findet nicht nur der Geschäftsleiter des Umweltverbands BUND in NRW, Dirk Jansen. Mit der Inbetriebnahme erlösche „der letzte Funken energiepolitischer Glaubwürdigkeit“ der Bundesregierung, kritisierte auch die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer auf Twitter. Datteln 4 sei schlicht „absurd“ – Deutschland nehme sich jede Möglichkeit, andere Staaten zu mehr Klimaschutz zu bewegen.
Kritk von Greta Thunberg
Scharfe Kritik kam auch von Greta Thunberg. „Die, die an der Macht sind, haben eindeutig gelogen, als sie sagten, dass sie sich um die Zukunft ihrer Kinder kümmern“, schrieb die schwedische Initiatorin der Klimaproteste von Fridays for Future am Mittwoch. „Wenn es einen Beweis brauchte, dass ihre Worte und Versprechen leer sind: Das ist er.“
Der Grund: Datteln wird Energie anderer, umweltfreundlicher produzierender Kraftwerke aus dem Netz verdrängen. So sei Steinkohlestrom bei den aktuellen Preisen für Brennstoff und Kohlendioxid-Zertifikate einfach günstiger als der aus Gaskraftwerken, die nur etwa halb so klimaschädlich sind, sagt Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.
Schon im Testbetrieb unter Volllast hatte Datteln so viel Strom ins Netz gedrückt, dass an Tagen wie dem 21. April, als auch viel Energie aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung stand, der Strompreis an der Börse stark ins Negative fiel.
„Wenn eine solche Situation länger andauert, werden etwa Offshore-Windparks abgeregelt“, sagt Burger. „Zur sicheren Energieversorgung brauchen wir das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 schon heute nicht“, erklärt auch Thorsten Lenck vom Thinktank Agora Energiewende. „Es passt auch nicht in das klimafreundliche Energiesystem von morgen.“
Dabei schade der Kraftwerksblock nicht nur dem Klima, sagt Dirk Jansen vom BUND – das Kraftwerk, das auch viel Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid giftiges Quecksilber ausstößt, liegt nur 450 Meter von einer Wohnsiedlung und 900 Meter von einer Kinderklinik entfernt, in der auch Lungenkrankheiten behandelt werden.
Der BUND hält deshalb an Klagen fest, mit denen der Umweltverband gegen den Bebauungsplan und die emissionsschutzrechtliche Genehmigung vorgeht. „Sollten wir eine dieser Klagen gewinnen“, hofft Jansen, „dann rückt der vom Datteln-Vorbesitzer Eon einst zugesagte entschädigungslose Abriss näher“.
Leser*innenkommentare
Patricia Winter
Es ist bizarr, dass Windräder in minimal 1.000 m Abstand von Wohngebieten errichtet werden müssen, aber eine solche Dreckschleuder nur halb so weit entfernt ist. Ist der Energiewirtschaft denn gar nicht beizukommen?
Uranus
E.ON samt Uniper vergesellschaften. Datteln IV dicht machen.
Bernd Schlüter
Noch sind wir eine Demokratie und wir Bürger bestimmen, was ans Netz geht. Schalten wir doch einfach die Aluminiumelektrolyse ab und die dazu gehörenden Braunkohlekraftwerke. Datteln ist dagegen eine Erdnuss. Motto: keine Terawattstunde aus Datteln für die Aluminiumproduktion!
Uranus
@Bernd Schlüter Ach, macht doch nix. Zum Aluminium dann noch Lithium wie z.B. aus Chile, "ein paar" andere Rohstoffe und "ein bisschen" Energie ... und fertig ist das Öko-, äh, E-Auto. Und bitte nicht rummäkeln, wenn für das neue Auto das bisherige abgewrackt würde. Das passt schon! ;-/
Ria Sauter
Gast
Dümmer geht immer.
Wer gedacht hat, Corona würde irgendetwas in den Köpfen der Verantwortlichen ändern, hat sich wohl geirrt.
Obwohl dümmer passt nicht, wohl eher verantwortungsloser!
conny costa
In dem Zusammenhang muß auch die Billig-Import-Kohle aus Kolumbien thematisiert werden.da gisbt es einige Kampagnen wie zb hier: weact.campact.de/p...jvuFum7KtvxWLDIbeQ
DiMa
Wenn ein genehmigtes Kraftwerk per Gesetz durch die Bundesregierung nicht ans Netz geht steht dem Betreiber ein ganz erheblicher Schadenersatz zu. Kommt dagegen ein Gericht höchstinstanzlich zu dem Schluss, dass der Bau gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt (hierfür spricht einiges) kostet die Abschaltung den Steuerzahler nix. Sollte das Gericht die Genehmigung wider erwartend doch für rechtmäßig halten, gibt es wenigstens für ein paar Jahre günstigen Strom. Insoweit ist das Ganze doch ganz positiv zu betrachten. Und ob sich dann ein paar Aktivisten provoziert fühlen oder nicht ist eher nachrangig.
GuidoH
@DiMa «Kommt dagegen ein Gericht höchstinstanzlich zu dem Schluss, dass der Bau gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt (hierfür spricht einiges) kostet die Abschaltung den Steuerzahler nix.»
Das ist eine steile Theorie. Wenn sich herausstellt, dass nur aufgrund fehlerhafter Behördenbescheide gebaut wurde, dann dürfte auch eine Schadensersatzpflicht bestehen, also letztlich der Steuerzahler entschädigen müssen. Nur wenn das Gericht feststellt, dass der Betreiber/Erbauer gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen hat, bei zur Genehmigung eingereichten Unterlagen manipuliert hat o.ä., dürfte es für den Steuerzahler folgenlos sein.
Die Rechnung mit dem günstigen Strom ist ebenfalls fragwürdig. Der wahre Preis spiegelt sich nur nicht im Strompreis und wenn es den Markt und Investitionen verzerrt, kann das langfristig auch teuer kommen.