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Berliner AntidiskriminierungsgesetzÜberwiegend wahrscheinlich

Anstatt ein Gesetz zu erlassen, das kaum etwas ändert, sollte der Senat bestehende Benachteiligungen angehen.

Frankfurt: Solidarität mit den Anti-Rassismus-Protesten in den USA Foto: Boris Roessler/dpa

A lle netten Leute sind derzeit gegen Rassismus, vor allem gegen Rassismus in den USA. Kostet ja nichts und macht einen schlanken Fuß. Auch der rot-rot-grüne Senat in Berlin ist total gegen systematische Benachteiligung jeder Art. Da passt es gut, dass das Abgeordnetenhaus gerade ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat, das erste seiner Art in Deutschland. Es ist allerdings heftig umstritten – Kritiker sprechen von einer Umkehr der Beweislast.

Gemach. Im Alltag wird sich durch die neue Regelung vermutlich wenig ändern. Wahr ist, dass künftig Amtsträger beweisen müssen, nicht diskriminiert zu haben, wenn sich jemand als Opfer sieht. Aber Vorwürfe müssen „überwiegend wahrscheinlich“, also plausibel sein. Das lässt Gerichten jede Menge Spielraum für Interpretation. Ich wage mal die Prognose: Zu einer Klagewelle oder gar einer Vielzahl von Verurteilungen wird es nicht kommen.

Polizei auf den Zinnen

Trotzdem ist die Polizei auf den Zinnen. Gewerkschafter drohen damit, sich dagegen zu wehren, wenn demnächst – beispielsweise bei Staatsbesuchen oder Fußballspielen – Einheiten aus anderen Bundesländern von Berlin zur Unterstützung angefordert werden. Sie sehen in dem neuen Gesetz einen „Freifahrtschein“ für ungerechtfertigte Vorwürfe gegen brave Beamte.

Dabei brauchen sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn’s konkret wird, diskriminiert Berlin nicht weniger, sondern mehr als andere Bundesländer. Beispiel: Wer einen visumspflichtigen Gast aus dem Ausland einladen möchte, benötigt dafür den Nachweis, selbst privat oder freiwillig gesetzlich krankenversichert zu sein. Anders ausgedrückt: Durchschnittsverdiener brauchen dem Amt gar nicht erst mit dem Wunsch zu kommen, eine Araberin oder einen Afrikaner einladen zu können. Das dürfen nur die höheren Stände.

Wohl denen, die in Köln, Hamburg oder München leben. Die können Besuch nämlich auch als Normalverdiener empfangen. Die Regelung ist eine Berliner Spezialität. Verpflichtungserklärung mit Schuss, sozusagen.

Übrigens kommen selbstverständlich weder gesetzliche noch private Krankenversicherungen für Kosten auf, die entstehen, wenn Gäste aus dem Ausland krank werden. Dafür bedarf es einer Reisekrankenversicherung. Wie überall auf der Welt.

Was also ist der Sinn dieser Regelung? Na, was wohl. Das total antirassistische Berlin möchte es Gästen aus Afrika und arabischen Ländern nicht zu leicht machen. Ich weiß, wovon ich rede. Wir haben letztes Jahr einen 17-jährigen Kenianer über Weihnachten eingeladen.

taz am wochenende

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Einen jungen (!) Mann (!!) aus Afrika (!!!). Absurd. Der konnte doch nur Terrorist sein oder zumindest Asylbewerber. Die Bemühungen um ein Visum dauerten Monate, schließlich wurde es in Nairobi am 23. Dezember von einem Kurier der Botschaft über den Gartenzaun geworfen. Da hatten wir für ziemlich viel Geld den ursprünglichen Flug längst auf den letztmöglichen Termin umgebucht. Übrigens, liebe Berliner Verwaltung, nur zur Beruhigung: Unser Gast ist – Überraschung! – zurückgekehrt nach Afrika. Er möchte nämlich in diesem Jahr lieber in Kenia sein Abitur machen, als im gastfreundlichen Berlin zu verweilen.

Ich bin die wohlfeilen Lippenbekenntnisse der Landesregierung in Berlin zum Thema Rassismus so leid. Wenn es ihr ernst wäre, dann würde sie erst einmal bestehende Gesetze und Verordnungen auf Diskriminierung hin überprüfen, bevor sie vollmundig ein neues, vorhersehbar folgenloses Gesetz durchsetzt. Aber es ist ihr eben offenbar nicht ernst.

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16 Kommentare

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  • Entschuldigung, aber: Was für ein Unsinn!

    Die Kolumnistin hat (wie auch einige Kommentatoren) die Hinweise der Berliner Verwaltung gelesen, aber offenbar nicht verstanden. Anstatt sich jetzt jemanden zu suchen, der einem das erklärt, wurde in die Tastatur gegriffen. Dass nur freiwillig gesetzlich oder privatversicherte „Gäste einladen“ dürfen ist schlicht falsch:

    1. Um ein Visum für Deutschland zu bekommen, muss der geneigte Besucher nachweisen, dass er in der Lage ist, Reisekosten und Aufenthalt zu bezahlen. Das ist nicht nur irgendwie logisch, sondern auch meines Wissens nach auch nirgends auf der Welt anders (ich lasse mich da aber gerne widerlegen).

    2. Alternativ können Menschen ein Visum erhalten, wenn ein anderer für sie bürgt. Dazu gehört, dass der Bürge zuvor daraufhin überprüft wird, ob er die Bürgschaft überhaupt leisten kann. Wer freiwillig gesetzlich oder privat versichert ist muss dieses im Rahmen der Einkommensüberprüfung nachweisen. Wer gesetzlich pflichtversichert ist darf auch bürgen, er braucht seine Versicherung nur nicht nachweisen, da hier keine versteckten Verbindlichkeiten lauern können, die die Bürgschaft eventl. unmöglich machen. Der gesetzlich Versicherte hat also nur etwas weniger Arbeit…

    3. Gesetzliche Grundlage ist das Aufenthaltsgesetz. Dieses ist ein Bundesgesetz und gilt nicht nur in Berlin, sondern auch in Köln, Hamburg und München gleichermaßen…

  • Der Kommentar taugt nicht dazu Rassismus oder Intolleranz ausreichend zu beschreiben. Es ist sogar noch schlimmer, es werden Stereotype bedient. Wie man aus einer schlecht gemachten Verodnung (gibt es in Berlin recht häufig) gleich Rassismus ableiten kann erschließt sich mir nicht.

    Ich kenne mich durchaus sehr gut aus was Visa angeht und könnte Romane darüber schreiben. Für mich fußen viele dieser Fallstricke auf Visamißbrauch bestimmter Klientels. Das kann man idiologisch betrachten oder realistisch. Natürlich ist es so, dass die ehrlichen Menschen darunter leiden. Aber diese Betrachtung von Ursache und Wirkung ist mir zu pauschal. Das Rassismus zu nennen ist ehrlich gesagt frech und hilft keinem weiter.

  • Was wahrscheinlich richtig ist, ist dass die angesprochene Berliner Visums-Regelung dämlich ist. Ansonsten scheint mir die Argumentation aber zu eng: Gesetze und Regelungen sind nie für den Einzelfall und Eunzelfallbeispiele sind daher kein Argument gegen Gesetze oder Regelungen. Man muss gleichzeitig auch eine Aussage über die gesamte Situation treffen. Was das Antidiskriminierungsgesetz angeht wird man sehen. Man sollte sich aber immer fragen was passierte, würde der "Gegner" das Gesetz nutzen und wie man es dann bewertet. Was wenn das Vorgehen gegen Rechts erschwert wird, weil es leichter wird auf jede Polizeiaktion Klagen folgen zu lassen, die einen hohen Verwaltungs- und Gerichtsaufwand nach sich ziehen. Da kommt der Staat schnell an die Grenze, wenn jemand das systematisch politisch nutzt. Ob es in Einzelfällen hilft oder politisch genutzt wird, wird man sehen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Und hier noch ein aktueller Beitrag zum Thema Einreise per Visum

    www.welt.de/politi...-Flugzeug-ein.html

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Die Springer WELT, immer ein guter Ratgeber....

  • Bedauerlich wie hier Information verbogen und emotionalisiert werden...scheint auch ein Virus zu sein.

    1. Die Verpflichtungserklärung ist eine Option kein Muss.



    2. Wenn jemand sich bereit erklärt Z.T. hohe Kosten zu übernehmen ist eine Bonitätsprüfung bundesweit üblich und sinnvoll.

    • Bettina Gaus , Autorin , Politische Korrespondentin
      @alterego:

      Ja, die Verpflichtungserklärung ist eine Option. Aber wenn sue nicht abgegeben wird, stehen die Chancen für ein Visum schlecht. - An keiner Stelle des Textes wird auf Sinn oder Unsinn einer Bonitätsprüfung (oder gar deren konkrete Anforderung) eingegangen. Aber nett, dass Sie uns trotzdem sagen, was Sie davon halten.

      • @Bettina Gaus:

        Sehr deutlich wird im Text die Vorgehensweise in Berlin, die im Kern einer Bonitätsprüfung entspricht, angeprangert. Das Wort haben Sie allerdings vermieden.

  • Danke, Frau Gaus, für diesen Hinweis darauf, dass das Private immer noch ziemlich politisch sein kann heutzutage und hierzulande.

    Nachdem Sie darauf verzichtet hatten, Ihren Kommentar mit einem entsprechenden Link zu versehen, hab ich auf eigne Faust gesucht nach dem Wortlaut des strittigen Berliner Gesetzes. Ich wollte mir halt eine Meinung dazu bilden. Gefunden habe ich es leider nicht. Vermutlich ist es ja noch nicht veröffentlicht. Aber ich habe beim Suchen trotzdem etwas dazu gelernt.

    Es gibt tatsächlich schon ein Bundesgesetz, das Diskriminierung verbietet. Leider nur dann, wenn sie von Arbeitgebern oder Privatpersonen ausgeht. Staatliche Stellen sind, so weit ich sehe, außen vor. Gewiss, weil die da Zuständigen (von Verantwortlichen möchte ich lieber nicht sprechen) glauben, sie wären vollkommen frei von diskriminierendem Verhalten und hätten auch all ihre Mitarbeiter ganz „fest im Griff“ diesbezüglich.

    Dass die Zuständigen ihr bewusst diskriminierendes Verhalten straffrei stellen wollen, weil sie nun mal die Macht dazu besitzen, möchte ich ganz bewusst zunächst nicht unterstellen. Denn dass ich kein Gesetz kenne, das staatliche Diskriminierung unter Strafe stellt, bedeutet ja nicht, das es so ein Gesetz noch nicht gibt. Es bedeutet nur, dass sich niemand zu wundern braucht, wenn gerade mehrere Tausend Leute auch nicht klüger sind als ich.

    Historisch bedingt halte ich viel vom deutschen Rechtsstaat. Es ist was wert, wenn nette Menschen klagen können und nicht handgreiflich werden oder anders „Druck“ aufbauen müssen. Wenn grade (wieder) etliche Leute auf die Straße gehen und der Staat darauf sehr verhalten reagiert, dann scheint mir das auf eine (reale oder gefühlte) Gesetzeslücke hinzuweisen. Aktiv Widerstand leistet schließlich vor allem der, der keine andere Möglichkeit sieht.

    Klagen ist sicherer als demonstrieren. Für beide Seiten übrigens. Leider auch oft langwieriger. Aber Weihnachten kommt ja auch jedes Jahr wieder, nicht wahr?

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Warum soll jetzt nochmal die Allgemeinheit für die Gäste (im Krankheitsfall) aufkommen ?

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Sind Sie eigentlich gastfreundlich? Ist Menschsein für Sie eine legitime Antwort auf Ihre Frage?

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Soll sie nicht. Es steht doch ausdrücklich im Artikel, daß dafür eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen werden soll - und daß das auch überall sonst so ist.



      Die Autorin hat völlig Recht, wenn sie die Überarbeitetung bestehender Regelungen fordert statt solcher Gesetze, die ja wohl eher Fanservice für Teile der Linken und Grünen Basis sind, als daß Personen, die wirklicher Diskriminierung ausgesetzt sind, einen echten Nutzen daraus haben.

  • Beim Lesen des verlinkten Dokuments wäre mir fast das Müsli im Halse steckengeblieben. Man hat schon panische Angst vor Ausländern in Deutschland, wie? Jedenfalls wenn sie, vornehm ausgedrückt, visumspflichtig wären.

    Die betreffende Regelung dürfte auch, wenn es jemand mal ernst genug meint, spätestens vor dem BVerfG zerpflückt werden. Hier sind Reiche bzw. Privatversicherte nämlich gleicher vor dem Gesetz als andere.

    Daß man sich als Gastgeber erst mal verpflichten muß, die möglichen Abschiebekosten für den Besuch zu zahlen, ist mehr als frech.

    Was für 'ne Scheißstadt, kein Wunder daß viele mittlerweile lieber woanders hin ziehen.

    • @kditd:

      Dass die Einladenden sich zur Übernahme von Abschiebekosten verpflichten müssen, ist nichts Berlinspezifisches.

      Und ich finde es völlig berechtigt.

      Wenn ich jemanden einlade und der_diejenige hält sich nicht an die Spielregeln, so dass eine Abschiebung erforderlich ist, würde ich mich schämen, dafür die Gesellschaft aufkommern zu lassen.

      • Bettina Gaus , Autorin , Politische Korrespondentin
        @rero:

        Ja, verstehe ich (mal unabhängig davon, ob ich Ihre Meinung teile oder nicht.) Nett, dass Sie uns Ihre Gefühle mitteilen. Aber an welcher Stelle meines Textes geht es um Abschiebung? Wieso fällt Ihnen bei einem Text, in dem es um die Weihnachtseinladung eines 17-jährigen geht, eigentlich sofort „Abschiebung“ ein? Machen Sie sich keine Sorgen. Der junge Mann ist, wie erwähnt, längst wieder nach Hause zurückgekehrt. . Ganz unspektakulär. Mit Linienflug.

        • @Bettina Gaus:

          KDITD ging es um Abschiebung:



          "Daß man sich als Gastgeber erst mal verpflichten muß, die möglichen Abschiebekosten für den Besuch zu zahlen, ist mehr als frech."

          Haben Sie nicht gelesen, auf welchen Kommentar ich geantwortet habe?