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Seenotrettung im Mittelmeer„Ich lasse euch im Wasser sterben“

Während Italien endlich Geflüchtete an Land lässt, wird gegen Maltas Premier ermittelt. NGOs legen Mitschnitte von Geretteten vor, die ihn belasten sollen.

Nach zwei Wochen Quarantäne an Bord der „Rubattino“ dürfen die Geflüchteten endlich an Land Foto: Alessandro Fucarini/imago

Berlin taz | 183 aus Seenot gerettete Menschen durften am Montagmorgen in Palermo an Land gehen. Die Behörden beendeten die zweiwöchige Quarantäne an Bord der italienischen Fähre „Rubattino“. Zuvor waren alle 183 negativ auf das Coronavirus getestet worden. Die Menschen waren im April von den Rettungsschiffen „Alan Kurdi“ der deutschen NGO Sea-Eye sowie „Aita Mari“ der spanischen NGO SMH an Bord genommen worden. Unter ihnen befinden sich auch 44 unbegleitete Minderjährige.

Während der vergangenen 14 Tage waren die Geretteten auf der Fähre „Rubattino“ vom italienischen Roten Kreuz versorgt worden. Italien hatte ursprünglich angekündigt, sie nach Ende der Quarantäne nicht an Land zu lassen. Stattdessen sollten andere EU-Staaten, etwa die Flaggenstaaten der „Alan Kurdi“ und der „Aita Mari“, Deutschland und Spanien, sie direkt übernehmen. Dies wäre praktisch allerdings kaum durchführbar gewesen.

Nun hat die italienische Regierung die Möglichkeit, regulär einen sogenannten Umverteilungsfall auszulösen und bei der EU-Kommission die Weiterverteilung der 183 Menschen in andere EU-Staaten zu beantragen. Dies würde dann das europäische Asylunterstützungsbüro EASO übernehmen. Bis Montagvormittag war dort allerdings keine entsprechende Anfrage eingegangen, sagte EASO-Sprecher Anis Cassar der taz.

Derweil warten 57 aus Seenot Gerettete weiter in Quarantäne auf der Fähre „Captain Morgan’s Europa II“ vor Malta. Auch die Regierung in Valetta hat angekündigt, die Menschen nicht aufzunehmen. Maltas Aufnahmezentren seien voll und wegen der Coronapandemie isoliert. In einem Schreiben an die EU-Kommission spricht Malta von einer „noch nie da gewesenen Gesundheitskrise“ und mangelnder Solidarität europäischer Partner. Das kleinste EU-Land könne keinen „sicheren Ort“ für aus Seenot gerettete Menschen darstellen.

Ermittlungen gegen Maltas Premier

In Malta läuft seit dem 17. April ein Ermittlungsverfahren gegen den Ministerpräsidenten Robert Abela und ein halbes Dutzend Küstenwächter. Diese waren wegen zweier Vorfälle in der maltesischen Seenotrettungszone um Ostern angezeigt worden. Die Küstenwächter sollen dabei das Motorkabel eines in Seenot geratenen Flüchtlingsboots durchtrennt haben, statt die Insassen zu retten. Erst durch internationalen Druck – selbst die New York Times hatte wegen der Sache bei Maltas Behörden nachgebohrt – sei die Gruppe doch noch gerettet worden, sagt die Initiative Alarm Phone.

Der taz liegen nun Mitschnitte von Telefongesprächen vor, die das Alarm Phone aufgenommen hatte. Sie war mit den 66 Schiffbrüchigen per Satellitentelefon in Kontakt, während sie fünf Tage auf See trieben und nach dem ersten Notruf 41 Stunden lang auf Rettung warteten.

Auf dem ersten Mitschnitt, den Angaben zufolge aufgenommen am Gründonnerstag um 18 Uhr, ist zu hören, wie ein Mann davon berichtet, ein maltesischer Soldat habe ihr Stromkabel für den Motor gekappt, ihr Boot laufe voll Wasser. „Er sagt, niemand kommt nach Malta, das hat er gesagt. Und als er ging, sagte er, ich verlasse euch, ich lasse euch im Wasser sterben, aber niemand kommt nach Malta.“

In einem weiteren Mitschnitt von 18.30 Uhr nennt ein Anrufer von demselben Telefon aus die Kennung des maltesischen Küstenwachboots, das weiter in Sichtweite sei, aber keine Anstalten zur Rettung mache: P52. Ebenjenes Küstenwachboot war am fraglichen Tag an der Stelle im Einsatz.

Gegen 21.15 Uhr an diesem Abend veröffentlichte die maltesische Regierung dann eine Pressemitteilung, in der sie erklärte, dass „die maltesischen Behörden nicht in der Lage sind, die Rettung von verbotenen Einwanderern an Bord von Booten, Schiffen oder anderen Wasserfahrzeugen zu garantieren“.

Um 23.30 Uhr rettete die Küstenwache die 66 Menschen doch – rund 41 Stunden nachdem sie den ersten Notruf abgesetzt hatten.

„Teil des normalen Verfahrens“

Am 26. April hatte Ministerpräsident Abela in einem Interview mit One, dem Sender seiner Partei PL, auf diese Vorwürfe Bezug genommen. Er leugnete das Durchtrennen des Kabels nicht, sagte aber, es habe sich nicht um Sabotage, sondern um einen „Teil des normalen Verfahrens“ gehandelt. Statt den Soldaten zu danken, würden „oppositionelle“ NGOs versuchen, diese durch ein Ermittlungsverfahren „lebenslänglich ins Gefängnis“ zu bringen, sagte Abela.

Im zweiten Punkt in den Ermittlungsverfahren gegen Abela und die Küstenwächter geht es um einen Vorfall zwei Tage später. Da war ein weiteres Boot vor Malta in Seenot geraten und trotz Notrufs über Tage nicht gerettet worden. Am Ostersonntag wurden 51 der Insassen von Handelsschiffen im Auftrag Maltas ins Bürgerkriegsland Libyen zurückgebracht. Fünf Menschen ertranken dabei, sieben Menschen gelten als vermisst.

Abschiebung nach Libyen

Dazu hat der bereits im Januar entlassene Regierungsbeamte Neville Gafà gegen den Ministerpräsidenten Robert Abela ausgesagt und diesen belastet. Gafà sagte am vergangenen Donnerstag vor Gericht, er war „in der Osternacht und in den darauf folgenden Tagen an einer Mission beteiligt, bei der ein Boot mit 51 irregulären Migranten, darunter 8 Frauen und 3 Minderjährige, in den Hafen von Tripolis gebracht wurde. Auf demselben Boot befanden sich fünf Leichen.“

Den Auftrag hierzu habe ihm Abela erteilt. Der bestreitet zwar, Gafà zu der Sache hinzugezogen zu haben. Dass die Menschen nach Libyen zurückgebracht wurden, sei aber zutreffend. Ein solches Vorgehen sei legal und habe „der Rettung von Leben“ gedient, so Abela. Das Ganze ist auch deswegen heikel, weil auf Malta gegen Gafà parallel ein längliches Verfahren wegen massenhafter illegaler Verkäufe von Schengen-Visa in Libyen läuft.

Indessen ist die Zahl der Asylanträge in Europa durch die Coronakrise stark zurückgegangen. Nach Angaben des europäischen Asylunterstützungsbüros EASO stellten im März rund 34.700 Menschen in der EU sowie in Norwegen, Island, Liechtenstein und in der Schweiz einen ersten Asylantrag. Das waren 43 Prozent weniger als im Februar 2019. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres habe die Agentur noch ein „anhaltend hohes Antragsniveau“ zu verzeichnen gehabt, hieß es.

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7 Kommentare

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  • Abela muss wegen Massenmords lebenslänglich ins Gefängnis, und die EU sollte überlegen, ob ein Verbrecherstaat wie Malta noch Teil der Gemeinschaft sein kann.

  • Es ist ungeheuerlich. Haben manche Menschen denn gar keinen Funken Mitgefühl? Es macht mich einfach nur noch fassungslos.

  • Was ein Staat wie Malta als Steueroase , Paradies für die Organisierte Kriminalität, der politischen Korruption und des zwielichten Glückspiels, und das EU-Staatsbürgerschaften gegen Geld vertickt, überhaupt in der EU zu suchen hat ist mir absolut schleierhaft.

  • Soso. Malta beschwert sich über "mangelnde Solidarität europäischer Partner". Ja, auch ich finde die Dublin-Nummer unterirdisch, geradezu für das entworfen, was jetzt passiert (ein paar Länder an der Peripherie in die Überlast laufen zu lassen, damit sie dazu gezwungen sind, die Drecksarbeit zu übernehmen). Perfide.

    Andererseits macht die maltesische politische Elite einen Reibach mit Schengen-Visa, die sie an reiche Ausländer sehr dubiosen Leumunds verticken. Dafür reicht die Kapazität schon?

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      "Andererseits macht die maltesische politische Elite einen Reibach mit Schengen-Visa, die sie an reiche Ausländer sehr dubiosen Leumunds verticken. Dafür reicht die Kapazität schon?"

      Ja, sicher reicht die Kapazität. So ein EU-Pass kostet 1,2Mio€. Was glauben Sie, wie viele Menschen sich das leisten können und auch wollen?

      www.nytimes.com/20...s-for-a-price.html

    • @tomás zerolo:

      Gegen "gute" Ausländer, die über Geld verfügen und keine Kosten/Probleme verursachen, hat kein Land und keine Regierung der Erde etwas.

      • @gyakusou:

        Diejenigen, die sich da einkaufen verursachen so ihre ganz eigene Art von Problemen. Vermutlich nicht kleinere.