Lebensmittelhilfe in der Coronakrise: Für Kinder bleibt nur Charity
Spendenfinanziert verköstigt ein Hamburger Verein arme Kinder. Dafür staatliches Geld zu verwenden, wird in Mecklenburg-Vorpommern versucht.
In Hamburg starteten besorgte Bürger, darunter Familienrichter, Anfang April eine rein über Spenden finanzierte Aktion. Unter dem Namen „Mittagsrakete“ bekommen über 1.600 Kinder von einem Caterer fertig zubereitetes Essen, Obst und Gemüse vor die Wohnung gestellt. „Der Ansturm ist auf eine traurige Art überwältigend“, sagt Esther Rosenboom, die Vorsitzende des Vereins. Der Bedarf sei so groß, dass sie dringend mehr Spenden brauche.
Der Staat zahlt nichts dazu. Dabei gibt es die bewilligten Bundesmittel für das kostenlose Mittagessen aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT). Darauf Anspruch haben Kinder, die von Hartz IV oder anderen Sozialleistungen leben oder deren Eltern zu wenig Geld haben, um ihre Bedürfnisse nach Teilhabe zu decken. Allein in Hamburg sind das über 70.000.
Der Verein bedauert auf seiner Homepage, er könnte mit Spenden „leider nicht für alle Kinder der Stadt das Essen ersetzen“. Die „Mittagsrakete“ sei deshalb für Kinder, bei denen das Jugendamt oder ein anderer Träger Sorge hat, dass sie „aufgrund einer besonderen Familienkonstellation“ nicht ausreichend mit gesunder Nahrung versorgt werden. Eine knappe Familienkasse allein reicht also nicht aus, um Hilfe zu bekommen.
Helfer verteilen 1.000 Beutel mit Nudeln, Reis und Obst
Indes startete in Mecklenburg-Vorpommern die Deutsche Kinderhilfe mit dem Roten Kreuz ein Pilotprojekt, von der alle BuT-berechtigten Kinder profitieren sollten. Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, wo rund 8.000 finanziell bedürftige Kinder leben, verteilten sie am Mittwoch in vier Städten „Verpflegungsbeutel“ mit Kartoffeln, Äpfeln, Gurken, Rotkohl, Nudeln, Reis, Milch, Jogurt und sogar ein paar Ostereiern. Da noch etwa die Hälfte der 1.000 Beutel übrig ist, wird die Aktion „Kinderessen für alle“ am 15. April wiederholt.
Auch wenn die Schulen geschlossen sind, die Kinder hätten „trotzdem Hunger und nicht selten ist der Kühlschrank und die Kasse in ihren Familien leer“, hieß es in der Ankündigung. Dabei seien die Mittel des Bundes da und müssten „sogar zurückfließen, wenn sie nicht an die bedürftigen Kinder ausgegeben wurden“.
Der CDU-Politiker Marcus Weinberg fordert nun, Hamburg solle dem Beispiel der Kinderhilfe folgen und das Modell einer Lebensmittelausgabe aus den bereitstehenden Mitteln des Bundes prüfen. „Vielen dieser Familien stehen nur wenig finanzielle Mittel für die tägliche Versorgung der Kinder zur Verfügung und sie sind auf diese Unterstützung angewiesen“, so der familienpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion. Er habe sich deshalb mit einem Brief an Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) gewandt.
Die wollte sich zu dem Brief nicht äußern. Ihr Sprecher hatte der taz aber schon vor einer Woche, als die „Mittagsrakete“ startete, mitgeteilt, dass die BuT-Mittel den Kindern lediglich für eine „gemeinschaftliche“ Mahlzeit in Schule oder Kita zustünden. Sprich: Sind diese Einrichtungen geschlossen, gibt es eben kein Essen.
Gutscheine könnten Schulessen ersetzen
Diese strenge Auslegung des Paragrafen 28 im Sozialgesetzbuch II stellt auch die Betroffenen in Mecklenburg-Vorpommern vor Probleme. „Unsere Pressemeldung war schon raus, da kamen Bedenken aus dem Sozialministerium, die Aktion könne nicht über BuT-Mittel bezahlt werden“, berichtet Rainer Becker, der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe. „Wir haben die Aktion aber trotzdem durchgezogen, um auf Bundesebene eine Diskussion anzustoßen“, sagt Becker. „Es gibt auch unter Juristen eine kinderfreundliche und eine kinderfeindliche Auslegung dieses Paragrafen. Ich bin ganz klar der Auffassung, dass es eine Kompensation der ausfallenden Mahlzeiten geben muss.“
Das Schweriner Sozialministerium teilt auf taz-Nachfrage mit, die Aktion könne nach jetzigem Stand nicht aus BuT-Mitteln bezahlt werden. Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) habe aber einen Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geschrieben, mit der Bitte, während der Coronakrise eine Lösung zu finden, etwa in Form von Gutscheinen für die Eltern. „Da ist Bewegung drin“, sagt ein Sprecher.
Der Gutschein-Idee schließt sich nun auch Becker in einem Brief an den Bundesminister an. „In Krisenzeiten wie jetzt sollten wir Eltern Gutscheine für Lebensmittel aushändigen, mit denen sie selber einkaufen können“. Solange es offene Läden gebe, sei dies nicht originäre Aufgabe der Hilfsorganisationen.
Das Bundesarbeitsministerium beantwortet die Frage, ob BuT-berechtigte Kinder während des Shutdown einen Ersatz bekommen, nur allgemein. Man sei im „engen Austausch“ mit anderen Ressorts und den Ländern, um die sozialen Härten der Coronakrise abzufedern.
Derweil stellt sich ganz praktisch die Frage, wer den Inhalt der 1.000 Beutel bezahlt, die den Helfern aus den Händen gerissen werden. Eine Sprecherin des Landkreises Seenplatte, sagt, ob dafür BuT-Mittel verwendet werden können, „ist noch nicht klar“. Selber aus Haushaltsmitteln zahle der Landkreis die Lebensmittel nicht. Doch unbenommen davon bemühe sich der Kreis „um Spenden“.
Aktualisierung der Redaktion: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gab nach erscheinen dieses Berichts am 16. April in Potsdam bekannt, dass Kommunen Bundesmittel auch dafür nutzen können, bedürftigen Kindern ein kostenloses Mittagessen nach Hause zu liefern. Sein Ministerium hat am 20. März alle Kommunen darüber in einem Rundbrief informiert, der der taz vorliegt. Nicht vom Bund übernommen werden demnach die Kosten der Auslieferung.
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