Probleme durch Wegfall von Schulessen: Arme Kinder, arme Köche

Für tausende Hamburger Kinder fällt derzeit das kostenlose Schulessen weg. Darunter leiden Familien und Schulcaterer sind existentiell bedroht.

Kinder essen in einer Schulkantine

Für einige Kinder die Gelegenheit, richtig satt zu werden: Das Essen in der Schulkantine Foto: Franziska Krautmann/dpa

HAMBURG taz | Seit zwei Wochen sind Schulen und Kitas dicht. Das bringt manche Familie vor das Problem, wie sie ihre Kinder satt bekommt. „Ich bekomme Anrufe von Eltern, die merken, dass jetzt der Einkauf schwerer zu meistern ist“, sagt Sozialarbeiterin Janine Henke von Lenzsiedlung e. V. Weil die kostenlosen Mahlzeiten in Schule und Kitas wegfallen, müssten die Familien mehr kaufen. „Und günstige Nudeln sind oft ausverkauft.“

Henke berät viele Mütter und Väter, die von Hartz IV leben. Der Regelsatz für Vorschulkinder sieht 2,92 Euro am Tag für Essen vor, der für Schulkinder 4,14 Euro. „Davon ist es nicht möglich, sich vielfältig und gesund zu ernähren“, sagt Henke. „Dabei ist es gerade wichtig, das Immunsystem zu stärken“.

Auch andere Sozialarbeiter berichten von Alleinerziehenden, die ihre Kinder nicht satt bekommen. Eine Mutter bekam vom Jugendamt die Erlaubnis, bei der Tafel anzurufen. Doch auch deren Lieferungen sind eingeschränkt.

Auf der anderen Seite haben Schulcaterer, die bisher die Schulen mit Essen versorgten, nichts zu tun. „Es sieht düster aus“, sagt Okan Saiti von „Mammas Canteen“, der mit seinen 275 Mitarbeitern normalerweise 70 Schulen versorgt. „Von 15.000 täglichen Mahlzeiten sind wir runter auf 100. Das ist ein kompletter Zusammenbruch“, sagt er. In der Notbetreuung seien nur zwei, drei Kinder pro Schule.

Kurzarbeit in Ferien nicht möglich

Die in der Initiative Hamburger Caterer (IHC) vereinten Betriebe, die erst im Winter um höhere Essenspreise stritten, sehen sich nun in ihrer Existenz bedroht. „Wir müssen unseren Mitarbeitern kündigen, wenn es bis zum 2. April keine Lösung gibt“, sagt Petra Lafferentz vom Träger „Alraune“. Denn die Caterer müssten ganzjährig Löhne zahlen, können aber nur in der Schulzeit Einnahmen erzielen. Sollten sie sich mit Kurzarbeit in die Sommerferien retten, wäre eine erneute Kurzarbeit in der einnahmelosen Ferienzeit nicht möglich. Und aufgrund der beschränkten Reichweite helfe auch weder der Hamburger Rettungsschirm noch der des Bundes.

„Essen to go wäre eine Möglichkeit“, sagt Okan Saiti. Es habe die Idee gegeben, in der Schule zu kochen und das Essen in Tüten an Familien auszugeben. Es gebe dafür Anfragen von Eltern und sogar von Familienrichtern, die Kinder abgesichert sehen wollen. Doch von Behördenseite gebe es dafür in der jetzigen Lage keine Zustimmung.

Das Geld aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT) für benachteiligte Kinder, von dem ein Drittel aller Mahlzeiten bezahlt wurde, wird derzeit nicht genutzt. Die IHC hatte der Behörde vorgeschlagen, eine Pauschale zu zahlen, damit die Kochfirmen über die Runden kommen bis die Schulen wieder öffnen. Im Bereich der Kita-Caterer zeichnet sich gerade eine Lösung ab. „Was nicht sein darf, ist, dass der Staat hier Geld einspart“, sagt Lafferentz. „Wir würden gerne Essen liefern, wenn man uns lässt.“

Die Frage, ob es denn möglich sei, dass die Schulcaterer die Kinder über Lunchpakete mit Essen versorgen, wird von der Hamburger Sozialbehörde verneint – mit einem pädagogischen Argument. Es würde sich nicht mehr um eine „gemeinschaftliche Mittagsverpflegung“ handeln, argumentiert Sprecher Martin Helfrich. Sprich: Fürs Alleine-Essen sei das Geld nicht da.

Sozialarbeiterin Janine Henke hat jetzt über ein Dutzend Eltern beraten, beim Jobcenter einen Antrag auf „Mehrbedarf“ wegen einer besonderen Lage zu stellen. Politisch unterstützt dies auch die Linkspartei-Sozialpolitikerin Carola Ensslen. Jetzt, wo die Schulmahlzeiten wegfallen, läge hier ein „Mehrbedarf aufgrund außergewöhnlicher Härte nach Paragraf 21, Absatz 6 SGB II“, vor.

Jobcenter sieht keinen Fall für Mehrdarf

Jobcenter-Leiter Dirk Heyden winkt ab. Aktuell würden mehrere Anträge auf „Corona-Zuschuss“ gestellt, auch für Lebensmittel. Doch ein solcher sei „im Sozialschutzpaket nicht vorgesehen“. Der Bedarf für Essen sei im Regelsatz enthalten, ergänzt Helfrich. Sollte der nicht reichen, könnten die Menschen Darlehen erhalten.

Die Grünen-Bundeschefin Annalena Baerbock sieht das anders. Wie der aktuelle Spiegel berichtet, votierte sie in Beratungen mit der Bundesregierung für einen „befristeten Zuschlag“ von mindestens 60 Euro im Monat, also etwa 3 Euro pro Schultag, damit die Leute mehr Lebensmittel kaufen können. Auf die Frage, warum das nicht berücksichtigt wurde, sagt ein Sprecher von Familienministerin Franziska Giffey: „Wir haben diese Fragen auf dem Schirm.“ Allerdings habe man dies innerhalb der Bundesregierung „noch nicht abschließend klären können“.

Der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, erklärt, es gebe mehrere Vertragspartner, neben den Caterern auch Busunternehmen und Volkshochschul-Dozenten. Man habe hohes Interesse, die Kooperation mit allen „fortzusetzen“.

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