Angriffe gegen Zivilisten in Syrien: Assads Luftwaffe nutzte C-Waffen
„Keine andere plausible Erklärung“: Die Organisation zum Verbot chemischer Waffen nennt Syriens Regime als Urheber von Angriffen im Jahr 2017.
Ein am Mittwochnachmittag von der OPCW in Den Haag veröffentlichter Bericht bestätigt die Täterschaft der syrischen Luftwaffe beim Abwurf von Bomben mit dem Kampfstoff Sarin über der Kleinstadt Ltamenah am 24. und am 30. März 2017 sowie eines Chlorgas-Zylinders über dem Krankenhaus der Stadt am 25. März 2017. Die ersten beiden Angriffe wurden von Flugzeugen aus der Luftwaffenbasis Shayrat ausgeführt, der zweite von einem Hubschrauber aus Shayrat.
Dass diese Angriffe stattfanden, hatten OPCW-Inspektoren bereits im Juni 2018 bestätigt. Damals hatte die OPCW allerdings noch nicht das Mandat, auch die Verantwortlichen für solche Angriffe zu benennen. Dies hätte nur die 2015 beschlossene gemeinsame Syrien-Mission von OPCW und Vereinten Nationenen tun dürfen, deren Mandat aber Ende 2017 ausgelaufen war, nachdem Russland sich im UN-Sicherheitsrat gegen eine Verlängerung gesperrt hatte.
Das Recht, selbst Verantwortlichkeiten zu benennen, gab sich die OPCW erst Ende Juni 2018 auf Initiative Großbritanniens, gegen den Widerstand unter anderem Russlands; es dauerte Monate, bis dieser Beschluss auch tatsächlich in Kraft treten konnte.
In Umsetzung dieses Beschlusses stellte die OPCW ein Untersuchungsteam auf, das bereits bestätigte Chemiewaffenangriffe in Syrien im Hinblick auf ihre Urheber neu unter die Lupe nahm. Der jetzt vorgestellte Bericht ist der erste dieses „Investigation and Identification Team“ (IIT), das insgesamt neun Vorfälle vorrangig untersucht.
Im Kontext heftiger Kämpfe
Die Angriffe auf Ltamenah erfolgten im Kontext heftiger Kämpfe zwischen den Rebellen im Nordwesten Syriens und der syrischen Armee Anfang 2017. Nachdem die Rebellen Ende 2016 aus Aleppo vertrieben worden waren, hatten sie versucht, aus dem damals von ihnen kontrollierten Nordteil der Provinz Hama auf die Provinzhauptstadt vorzustoßen, wo sich wichtige Luftwaffenbasen des Regimes befinden.
Das Regime antwortete mit täglichen Luftangriffen, eben auch auf Ltamenah, eine Kleinstadt von 16.000 Menschen 24 Kilometer nördlich von Hama. Die Angriffe auf Ltamenah gingen damals in der Berichterstattung fast unter; mehr internationale Aufmerksamkeit erhielt wenig später ein Chemiewaffenangriff auf den nahen Ort Chan Scheichun, der zahlreiche Tote forderte. Eine UN-Untersuchung hat die Verantwortung der syrischen Regierung für diesen Angriff bestätigt.
Der OPCW-Bericht nennt Ltamenah einen „wichtigen logistischen Knotenpunkt“ der Rebellen damals und gibt zahlreiche bislang wenig bekannte Details auch über die Aufstellung und Vorgehensweise der Regierungstruppen wieder. Das Gebiet ist mittlerweile unter Regierungskontrolle.
„Keine andere plausible Erklärung“
Von Assad-Befürwortern gern ins Spiel gebrachte alternative Szenarien für die Chemiewaffeneinsätze – ein Einsatz von Chemiewaffen durch Rebellen oder eine Inszenierung zur Diskreditierung des Regimes – schließen die OPCW-Ermittler nach genauer Analyse aus. Es gebe „keine andere plausible Erklärung“ für die Einsätze in Ltamenah als die Täterschaft des Regierungsmilitärs auf höchster Ebene. Damit zeige sich auch, dass Syriens Regime der 2013 vereinbarten Zerstörung seines chemischen Waffenarsenals nicht vollständig nachgekommen ist.
Der OPCW-Bericht kritisiert zudem, dass Syriens Regime mit dem IIT nicht kooperiert. IIT-Koordinator Santiago Oñate-Laborde sagte in Den Haag, der Bericht sei an die UN weitergeleitet worden und es liege nun an der UNO sowie den OPCW-Mitgliedstaaten, darauf zu reagieren. Der Bericht betont, die Untersuchung selbst habe keinen juristischen Charakter, solle aber als Grundlage für Ermittlungen dienen können.
Solche Ermittlungen würden dann wohl sehr weit oben in Syriens Militärhierarchie unter Präsident Baschar al-Assad stattfinden. „Angriffe einer so strategischen Natur können nur auf der Grundlage von Befehlen der höheren Autoritäten des Militärkommandos der Syrischen Arabischen Republik erfolgt sein“, so Oñate-Laborde
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen