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Europäische Union in Corona-ZeitenZerstritten wie zur Finanzkrise

Die EU kann sich nicht auf einen gemeinsamen Plan in der Coronakrise einigen. Daran dürften auch die Hilfsmilliarden der Kommission wenig ändern.

„Das ist die größte Reaktion der EU auf eine Krise in der Geschichte“, sagt von der Leyen in Brüssel Foto: Isopix/imago

BRÜSSEL taz | Totgesagte leben länger. Das weiß man in Brüssel nur zu gut. In der Eurokrise kämpfte die EU monatelang um das Überleben der Notfallpatienten Griechenland, Spanien und Zypern. Deutschland wurde heftig angefeindet, weil es mit dem Rauswurf Griechenlands aus dem Euro drohte.

Am Ende kam es weder zum „Grexit“ noch zum Kollaps der Währungsunion. Darauf verweisen die EU-Politiker derzeit gern, wenn es um die Corona­krise geht. Die EU habe ihre Lektion gelernt und sei gut gerüstet, auch diese Prüfung zu bestehen, sagt Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Schon 2,7 Billionen Euro habe man gegen die Krise mobilisiert, erklärte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Brüssel. „Das ist die größte Reaktion der EU auf eine Krise in der Geschichte.“ Nun soll noch ein europäisches Kurzarbeitergeld und ein höheres EU-Budget hinzukommen.

Doch die Inflation der Zahlen und die Eskalation der Hilfspläne zeigt nur, dass es diesmal wirklich ernst ist. Von der Leyens hektische Aktionen erwecken den Eindruck, als gehe es hier um die Notbeatmung eines lebensgefährlich geschwächten Patienten. Stirbt die EU?

Ist da wer? EU-Kommissionschefin Von der Leyen am Donnerstag im EU-Parlament Foto: Nicolas Landemard/Le pictorium/imago

Unhaltbare Versprechen

Auszuschließen ist es nicht mehr. In mancher Hinsicht ist es sogar schon zu spät. Das „Europa, das schützt“, das der frühere EU-Präsident Jean-Claude Juncker großspurig versprochen hatte, ist zumindest schon längst gestorben. Europa ist zum Epizentrum der Pandemie geworden, zwei Drittel der Toten weltweit kommen aus der EU und Partnerländern wie Großbritannien.

Auch außenpolitisch ist Europa schwer angeschlagen. Von der Leyen hatte eine „geopolitische Kommission“ versprochen, die „die Sprache der Macht“ spricht – und muss nun mitansehen, wie China und Russland den Krieg der Bilder gewinnen. Dass die EU mit einer Kampagne gegen „Fake News“ gegensteuert, zeigt, dass sie tief verletzt ist.

Die größten Probleme kommen aber aus dem Innern, genauer: aus dem Europäischen Rat. Die dort versammelten 27 Staats- und Regierungschefs haben so ungefähr alles falsch gemacht, was sie falsch machen konnten. Als die Corona­krise begann, haben sie auf nationale Schutzmaßnahmen gesetzt, statt sich in Brüssel abzustimmen.

Selbst als die Einschüsse näher kamen und sich Engpässe bei der Versorgung mit Masken und medizinischer Ausrüstung abzeichneten, konnten sich Angela Merkel & Co. nicht zu gemeinsamem Handeln durchringen. Deutschland verhängte sogar noch ein Exportverbot, das die Krise verschärfte und Wut und Verzweiflung in Italien auslöste.

Wie Donald Trump

Der nächste große Fehler waren die Grenzschließungen und Reiseverbote. Als US-Präsident Donald Trump einen Reisebann über Europa verhängte, schimpfte die EU noch über die „America First“-Politik des Populisten im Weißen Haus. Wenige Tage späte machte auch Deutschland die Grenzen dicht, genau wie Polen, Österreich et cetera.

Seitdem heißt es nicht „Europa first“, sondern „Deutschland zuerst“, „Österreich allein“ und so weiter. Jedes EU-Land starrt nur noch auf „seine“ Zahlen und verhängt Maßnahmen im Alleingang. Als Merkel ihre berühmte TV-Ansprache an die Deutschen hielt, in der sie Kontaktsperren ankündigte, erwähnte sie Europa mit keinem Wort.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Beim letzten EU-Gipfel vergangene Woche brach ein gefährlicher Streit aus. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte weigerte sich, den Gipfelbeschluss zu unterschreiben, solange der Text kein Bekenntnis zu finanzieller Solidarität, etwa in Gestalt gemeinsamer Kredite – die sogenannten Coronabonds – enthält. Merkel sagte Nein, der Streit wurde vertagt.

Auch die Milliardenhilfen der Kommission werden ihn nicht beenden können. Es besteht sogar der – begründete – Verdacht, dass von der Leyen damit nur die Coronabonds verhindern und Merkel einen Gefallen tun möchte.

„Tödliche Gefahr für die EU“

Dass die EU in der Stunde der höchsten Not nicht in der Lage war, sich zu einigen, führt nun zu Todesängsten. „Die Stimmung, die zwischen den Staats- und Regierungschefs zu herrschen scheint, und die fehlende europäische Solidarität stellen eine tödliche Gefahr für die EU dar“, warnt Jacques Delors, der frühere Kommissionspräsident.

„Die EU hat im Grunde kapituliert und es den Nationalstaaten überlassen, in dieser Krisenzeit Entscheidungen zu fällen“, resümiert die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Tatsächlich spielen die EU-Institutionen nur noch eine Nebenrolle, auch wenn von der Leyen gerne einen anderen Eindruck erwecken möchte.

Die erste Geige spielen die Mitgliedstaaten: Deutschland und Italien, aber auch die Niederlande und Frankreich. Merkel ist auf derselben harten Linie wie der niederländische Premier Mark Rutte, Conte kann auf Rückendeckung von Präsident Emmanuel Macron zählen. Es ist fast wieder wie in der Eurokrise.

Schon damals standen die Nordeuropäer – angeführt von Deutschland, den Niederlanden und Finnland – gegen die Südländer Griechenland, Italien und Frankreich. Allerdings gibt es diesmal einen großen Unterschied: Die EU hat nicht mehrere Monate Zeit, die Krise zu lösen – sondern nur wenige Tage. Und von Corona sind nicht nur einige „Schuldensünder“ betroffen, sondern alle stehen mit dem Rücken zur Wand – auch Deutschland.

Deal bis Ostern?

Der frühere EU-Kommissar Mario Monti bringt es auf den Punkt: „Der große Vorteil in dieser Tragödie ist, dass nicht mal ein nordischer, großer, stämmiger Blonder mit sehr blauen Augen sagen kann, dass diese Tragödie des Coronavirus nur die Sünder-Länder getroffen hat, also diejenigen mit einer hohen Staatsverschuldung.“

Doch wenn es hart auf hart kommt, ist das nur ein schwacher Trost. Im Angesicht des Todes denkt jeder nur an sich. Die EU scheint da keine Ausnahme zu machen. Oder einigen sich die 27 doch noch auf solidarische Not- und Aufbauhilfe?

Bis Ostern, so heißt es in Brüssel, soll eine Einigung stehen. Die Uhr tickt, noch geht es ohne Notbeatmung.

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