piwik no script img

Ramelow und die AfDPragmatisch bis zum Umfallen

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Thüringens Ministerpräsident gibt der AfD aus Gründen der Handlungsfähigkeit nach. So macht er sich erpressbar.

Hält stets die passende Begrüngung parat: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Foto: Martin Schutt/dpa

D ie Linke gibt derzeit ein paradoxes Bild ab: Auf der einen Seite Radikale, die die Regierung verklagen, auf der anderen Seite Regierende, die sogar die AfD umarmen. Erstere sind ein paar Abgeordnete der Bundestagsfraktion, Letzterer ist der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der hat sich nach seiner Wahl letzte Woche flugs wieder von seiner Partei emanzipiert.

Als Landesvater hat er nicht nur einen AfD-Vizelandtagspräsidenten mitgewählt, sondern er will auch das gerade erst in Kraft getretene Paritätsgesetz für gleichberechtigte Wahllisten bis zur nächsten Landtagswahl aussetzen. Ramelow gibt sich im Gegensatz zu seiner Partei pragmatisch bis zum Umfallen. In beiden Fällen rechtfertigt er seine unorthodoxen Alleingänge mit dem Argument, es gelte, handlungsfähig zu bleiben und Hindernisse vorausschauend zu umschiffen. In beiden Fällen ist das Quatsch und gefährlich dazu.

Dass die AfD die Benennung von RichterInnen blockierte, stimmt tatsächlich. Doch mit der Wahl eines AfD-Landtagsvizes scharrt Ramelow an der gerade erst errichteten Mauer gegen die Rechten. Björn Höcke nach der Wahl nicht die Hand zu geben, wirkt nur noch wie eine hohle Geste fürs Publikum, wenn er denn einen Tag später der AfD seine Stimme gibt.

Und beim Paritätsgesetz knickt Ramelow dann binnen 48 Stunden gleich noch mal vor den Rechten ein: Noch bevor das Verfassungsgericht überhaupt ein Urteil gefällt hat, gibt Ramelow schon klein bei. Abgesehen davon, dass über die Aussetzung von Gesetzen nicht der Ministerpräsident per Dekret, sondern der Landtag entscheidet. Die AfD, aber auch die FDP, die ebenfalls gegen das Gesetz ist, kann frohlocken. Ihr oppositionelles Erpressungspotenzial im Parlament scheint beträchtlich zu sein.

Man kann sich ausmalen, was mit anderen rot-rot-grünen Vorhaben passiert: Mindestlohn erhöhen? Pustekuchen. Landesaufnahmeprogramm für minderjährige Flüchtlinge? Haha. So triumphieren am Ende die Radikalen über die Regierenden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ach Bodo -nach der Verweigerung des Handschlags warst Du mein Held.

    Aber das alleine reicht nicht:



    Man darf Nazis auch NICHT WÄHLEN.



    (Punkt!)

  • Die taz möchte hier in Person der Frau Lehmann endlich mal wieder was von links kritisieren -



    das tut auch Not, aber hier bemerkt sie nicht dass Sturheit mit daran Schuld ist dass linke Politik nirgends wirklich durchgesetzt werden kann:



    Ramelow hat das Paritätengesetz nicht der AfD geopfert, sondern mit der Zurückstellung vor seiner Abschaffung durch den mehrheitlich konservativen Landtag gerettet, in der Hoffnung auf andere Mehrheitsverhältnisse nach der Neuwahl. Das ist kein Verrat, sondern ein geschickter politischer Schachzug, mit dem man linke Politik möglicherweise durchsetzen kann.

    Die Wahl des Vize nötigt mir dabei sogar den meisten Respekt ab, denn das hätte ich sicher nicht übers Herz gebracht: Aber damit erweist er den bei Linken oft angezweifelten Respekt vor der demokratischen Verfasstheit des Landtags - wie er hingegen zum faschistischen Gedankengut mancher Akteure steht, zeigte er ja bereits mit seinem Nicht-Handschlag. Alles Gut, Bodo !!

  • Gut, dass wenigstens Frau Lehmanns grundsätzliche Antipathie der Partei „Die Linke“ gegenüber vor derAfD niemals einknicken wird. (;-))

  • Könnte es sein, daß Ramelow im Gegensatz zu vielen seiner Politiker-Kollegen (und Parteifreunde) erkannt hat, daß die Ausgrenzungs-Politik gegenüber der AfD gescheitert ist?

  • erst darf sich niemand von der AfD wählen lassen, da es sich um Faschisten handelt, so der Narrativ und jetzt rückt der "linke" MP, der von dieser Einordnung profitiert hat, von dieser Einstellung ab und gibt einem AfD Mann seine Stimme. Für mich als Außenstehenden ist das ganze total verwirrend. Erst sind das alles Nazis und dann wird einer aus pragmatischen Gründen gewählt, schon echt armseelig , wie die Kampfbegriffe Faschist und Nazi instrumentalisiert werden, um zu kriegen was man will...Wenn die AfD die neuen Nazis sind, dann muss Ramelow sofort zurücktreten oder das Parteibuch wechseln ! Vollkommen unglaubwürdig! Hetzer Höcke reibt sich schon die Hände...

    • @Seitenwechsel:

      Vielleicht hat Ramelow als einer der wenigen ja richtig erkannt, daß die Ausgrenzungs-Politik gegenüber der AfD gescheitert ist und es nur einen Weg gibt, den Wähler dazu zu bringen, die AfD nicht zu wählen:



      Mit überzeugender Sach-Politk statt ewiger, sich ermüdender Moral-Appelle

  • Die rot-rot-grünen Vorhaben haben nun mal keine Mehrheit. Das ist kein Erpressungspotential sondern Demokratie.



    Weil nicht der Ministerpräsident per Dekret, sondern der Landtag entscheidet, triumphiert am Ende die radikale Mehrheit über die Minderheitsregierung.

    Gewöhnt euch daran, ihr habt verloren.

  • So sieht eben eine Minderheitsregierung.

    Dass Ramelow an der zweitstärksten Partei im Landtag nicht immer vorbeikommt, war klar und wird sich noch mehrfach wiederholen.

    Schön für Thüringen, dass er aus seinem Einstiegsdesaster gelernt hat. Offenbar hat er auchein gutes Gespür, wo die Sachebene aufhört und die Verbrüderung anfängt.

    Wozu dieses Negativ-Framing "erpressbar" für Kompromisfindung?



    Natürlich lebt eine Minderheitsregierung davon, dass Opposition und Regierung einander mehr entgegenkommen als gewöhnlich.

  • Die Mindestlohnerhöhung kommt dank AfD-Zustimmung auf Fall durchs Parlament.

  • Sorry, aber das Gesetz über die paritätische Besetzung ist ohnehin ein Unfug. Verständlich wäre es allenfalls, wenn die Besetzung nicht fifty-fifty sein müsste, sondern sich nach dem Geschlechterverhältnis der InteressentInnen für einen Listenplatz richten würde.

    • @Adam Weishaupt:

      Genau so sieht es aus!



      Fähigkkeit und Geeignetheit sind der Maßstab für die Nominierung eines Kandidaten - und nicht irgendwelche ideologische verbrähnten gesetzlichen Quoten.



      Soll eine Partei wegen einer Quote einen fähigen und geeineten Kandiaten (oder umgekehrt eine Kandidatin) ablehnen müssen, nur weil der bzw. sie das falsche Geschlecht hat?!



      Das ist doch ohrenscheidender Unsinn !!!

  • Die Kommentatorin hat einfach nicht begriffen, Ramelow ist wirklich clever.



    Mit der Wahl des Landtagsvize von der AfD demonstriert er, daß er niemanden ausgrenzt. Das wäre angesichts des Wählerpotentials der AfD in Thüringen auch dumm. Damit hat er gleichzeitig ein vergiftetes Geschenk in den Bundestag geschickt. Dort wird die AfD ja von allen anderen Parteien ausgegrenzt. Wenn das so bleibt, kann er ja auf sein Verhalten in Thüringen verweisen, und wenn sich das ändert kann er darauf verweisen, das er diese Verhaltensänderung mit seinem Vorbild initiiert hat.



    Ähnlich ist es bei dem unseligen Paritätsgesetz:



    Im aktuellen Landtag gibt es eine Mehrheit dagegen. Mit seinem Vorpreschen verhindert er möglicherweise eine parlamentarische Abschaffung dieses Gesetzes noch in der laufenden Legislaturperiode.

    • @Don Geraldo:

      Volle Zustimmung. Ramelow ist ein linker Realist. Zudem versteht er sich als Landesvater, also als jemand, der im Dienst aller im Lande steht, da kann er schlecht jemanden ausgrenzen, weil ihm dessen Nase (Parteibuch) nicht paßt.

      Der verweigerte Handschlag steht auf einem ganz anderen Blatt, was er anschließend auch deutlich gemacht hat. Da gibt es eigentlich nichts mißzuverstehen.

      Meine Achtung vor ihm wächst.