Strategiekonferenz der Linkspartei: Zwischen Ohnmacht und Bewegung
In Kassel diskutierte die Linkspartei über ihre Rolle und stellte die Machtfrage: Wie will sie regieren – und wenn ja: mit wem?
Harald Wolf, Linkspartei-Schatzmeister
Die Parteiführung hatte eingeladen, damit man mal in Ruhe miteinander reden könne, und zwar ohne gleich Beschlüsse fassen oder Entscheidungen treffen zu müssen. Also kein Parteitag, sondern ein großer Debattierclub.
Anberaumt hatten Katja Kipping, Bernd Riexinger und Co die Strategiedebatte schon im vergangenen Jahr nach einer Serie von Wahlniederlagen für die Linke – in der EU, Brandenburg und Sachsen. Der Redebedarf ist seither eher gewachsen, obwohl die Thüringer Regierungskrise und die Krise der CDU die Krise der Linken gnädig verblassen lassen.
Schnell waren die 480 Plätze im Kasseler Kulturbahnhof ausgebucht, Hunderte weitere Mitglieder hatten Beiträge eingereicht, die einen knapp 600 Seiten starken Reader füllen. Sollte Klimaschutz für die Linke ein Kernthema werden? Welche Milieus will man ansprechen? Wie spricht man die Arbeiterklasse an? Welche Erzählung bietet man? Diskutiert wurde in Kassel aber zunächst über die R-Frage: regieren oder nicht regieren?
Seit jeher treibt die Linken die Frage um, ob man den Sozialismus am effektivsten auf der Straße, gemeinsam mit Bewegungen erkämpft oder in Parlamenten und an der Regierung. Man könnte meinen, da seien längst Fakten geschaffen worden – die Linke regiert schließlich derzeit in drei Bundesländern mit. Doch ein Restunbehagen bleibt, das wurde in Kassel erneut deutlich.
Die R-Frage bewegt weiter die Partei
Der Berliner Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf warf seinen Genossen einen ziemlichen Brocken hin, als er gleich am Samstag konstatierte, dass die kommende Bundestagswahl die letzte Möglichkeit für Jahre sein könne, Weichenstellungen für einen sozial-ökologischen Umbau zu stellen.
Die Linke müsse daher in die Offensive gehen, forderte der heutige Schatzmeister der Linkspartei: „Wir müssen den Kampf um linke Mehrheiten aufnehmen.“ Wobei Wolf sofort nachschob, dass es dabei nicht allein um Mehrheiten im Bundestag, sondern vor allem um gesellschaftliche Bündnisse gehe.
Die R-Frage stand also im Raum – und wurde erstmal ausgiebig zerpflückt. Wenn die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler in den Saal rief: „Es rettet uns kein höheres Wesen und schon gar kein linker Minister“, dann klatschte das Publikum wesentlich begeisterter, als wenn die Landesvorsitzende der Thüringer Linken Susanne Hennig-Wellsow mahnte: „Wir müssen Verantwortung annehmen und das heißt, regieren zu wollen.“ Die Menschen wählten nicht über Jahre ausschließlich Opposition.
Manch Genossin und manch Genosse stöhnte ob dieser Diskussionen aus den 1990ern. Doch tatsächlich ist die Partei trotz so einiger folkloristisch wirkender Debatten weiter als vor 30 Jahren. Und das war auch in Kassel zu spüren. So bestreitet kaum noch jemand, dass es kein Widerspruch sein muss, regieren zu wollen und gleichzeitig der Straße verpflichtet zu bleiben.
Hennig-Wellsow konnte sich da unwidersprochen selbst als bestes Beispiel zitieren: Die Immunität der Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag ist gerade erneut aufgehoben worden. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil sie sich am 1.Mai an einer Sitzblockade gegen die AfD beteiligt.
Und sollte Bodo Ramelow am Mittwoch ins Amt gewählt werde, dann natürlich auch mit Hilfe der sozialen Bewegungen, betonte Hennig-Wellsow. Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD am 5. Februar waren tausende Menschen spontan dagegen auf die Straße gegangen.
Regierungs- und Bewegungslinke nähern sich an
„Es gibt heute eine größere Hinwendung zu den Bewegungen bei denen, die aufs Regieren fixiert sind, und gleichzeitig ist das Regieren bei den Bewegungsorientierten akzeptierter geworden“, resümierte Lucy Redler von der Antikapitalistischen Linken.
Die AKL gilt gleichwohl weiterhin als Gegnerin von Regierungsbeteiligungen. Besonders im Bund: „Wenn wir in einer Bundesregierung sind wird die Bewegungsorientierung Makulatur sein“, warnte Redler.
Erstaunlich verhalten fiel hingegen die Kritik an der mit der CDU getroffenen Vereinbarung in Thüringen aus. Artikuliert wurde sie etwa vom nordrhein-westfälischen Landessprecher Christian Leye: Die CDU dürfe nicht Teil einer antifaschistischen Einheitsfront sein, forderte er.
Auch Lucy Redler glaubt, dass es falsch sei, politische Bündnisse mit der CDU zu schmieden. Sie sagte jedoch auch: „Aber wenn CDU Ramelow mitwählt, ist das ok.“ Verglichen mit den Debatten, die derzeit in der CDU geführt werden, erscheint die Linkspartei in dieser Frage geradezu als ein Hort der Einigkeit.
Breiter Forderungskatalog
Die Frage, wie man die Macht nutzen will, so man sie hat, kann die Linke ziemlich flüssig beantworten: Schuldenbremse weg, keine Kriegseinsätze der Bundeswehr, keine Privatisierungen und deutliche Verbesserungen bei Löhnen und Sozialleistungen, nannte die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Amira Mohamed Ali, einige Punkte.
Für Anna Westner von der Linksjugend gehört auch dazu dass, die Linke Abschiebungen aussetzt und den Paragrafen 219a, der „Werbung“ für Abtreibung verbietet, abschafft.
Die vom Bundesvorsitzenden Riexinger gemeinsam mit den KlimapolitikerInnen als neues Großthema eingebrachte Liaison von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit wird es wohl ebenfalls in den Leitantrag für den Parteitag schaffen. Ob nun unter dem Namen „Green New Deal“ oder „Ökosozialismus“.
Spannend bleibt vor allem die Frage, wie es die Linke schafft, so mächtig zu werden, dass sie tatsächlich auch Regierungsmacht erlangt. Ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl sei schon mal ein gute Voraussetzung, meinte Mohamed Ali.
Parteichefin Katja Kipping, die derzeit auf allen Ebenen für neue linke Mehrheiten wirbt, sah ihre Partei in der Verantwortung dafür, Begeisterung zu stiften und zu sagen: „Leute, es kann besser werden.“ Und der aus Thüringen angereiste Bodo Ramelow ermunterte seine Partei, „mehr das ‚Wofür‘ zu buchstabieren und nicht immer, wogegen wir sind“.
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