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Rechte GeschichtspolitikHilfe gegen Kulturkampf

Was tun gegen Revisionismus? Weil Rechte in Gedenkstätten und Museen zunehmend provozieren, wurde am Holocaust-Mahnmal eine Broschüre vorgestellt.

Zu Risiken und Nebenwirkungen von rechter Geschichtspolitik fragen Sie die Mobile Beratung Foto: Christian Mang/MBR

Berlin taz | Uwe Neumärker, der Direktor des Denkmals der ermordeten Juden Europas, ist am Donnerstagmorgen sichtlich angefasst. Sein Wortbeitrag beginnt er mit einer bedachtsamen Pause. Dann sagt er: „Mit dem gestrigen Tag hat sich etwas verändert.“ Er sei noch immer etwas sprachlos angesichts der Wahl von Thomas Kemmerich (FPD) zum thüringischen Ministerpräsidenten durch die Stimmen von AfD, CDU und FDP.

Als das Holocaust-Mahnmal, eines der meist frequentierten deutschen Tourismusziele überhaupt, 2005 errichtet wurde, hätte es noch den gesellschaftlichen Konsens gegeben, dass wir uns zu in deutschem Namen begangenen Verbrechen bekennen, sagt Neumärker: „Dieser Konsens ist brüchig geworden, das Unsagbare ist wieder sagbar, Gewissheiten von vor fünf Jahren sind keine mehr.“ Das sei gerade in Erinnerungsstätten und Gedenkorten täglich zu spüren. Auch Fragen nähmen zu, die mit typischen Phrasen anfingen wie „Darf man denn hier sagen …?“ oder „Ich traue mich mal …“

Um sich vor Provokationen durch Rechtsextreme, störende Landtagsabgeordnete bei Gedenkveranstaltungen und andere Angriffe auf Erinnerungskultur zur Wehr zu setzen, hat die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) am Donnerstag in der Gedenkstätte des Holocaust-Mahnmals eine neue Handreichung „Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Gedenkstätten und Museen“ vorgestellt. Vor Ort sind neben Neumärker auch Bianca Klose vom MBR, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt (Grüne), sowie Daniela Bystrom, Kuratorin des Brücke-Museums, die sich von der MBR bereits erfolgreich beraten ließ.

„Das Höcke-Zitat vom ‚Denkmal der Schande‘ kennen die Leute. Die Geschichte des Holocaust weniger“, sagt Neumärker. Der thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke war bei Weitem nicht der Einzige, aber wohl der Erste, der derart öffentlichkeitswirksam und unverhohlen im Januar 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte unter dem Gejohle seiner Anhänger:innen im Dresdner Brauhaus.

„Regelrechte Enthemmung“

Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsex­tremismus kann den in Gedenkstätten und Museen schon länger spürbaren Rechtsruck an konkreten Vorfällen festmachen: ob das nun eine Besuchergruppe auf Einladung der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen ist, deren Teilnehmer die Existenz von Gaskammern infrage stellen, oder ein rechtsextremer YouTuber, der einer Schülergruppe zuruft: „Glaubt nicht alles, was in Gedenkstätten erzählt wird“, und später dar­aus einen Beitrag für die Videoplattform erstellt.

„Auch die Mitarbeitenden von Gedenkstätten und Museen sind mit dem allgemeinen Rechtsruck in unserer Gesellschaft mit einer regelrechten Enthemmung konfrontiert“, sagt Klose. Rund 23 Anfragen von Berliner Museen und Gedenkstätten hätte die MBR in den vergangenen Jahren erreicht. Vorkommnisse reichten von rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Äußerungen über antisemitische Gästebucheinträge und rechte Shitstorms bis hin zu gezielten Provokationen und Störungen von Gedenkveranstaltungen.

Dahinter steht laut Klose eine gezielte Strategie: „Rechtsex­treme Gruppen begreifen Geschichtspolitik als wichtiges Aktionsfeld ihres Kulturkampfs.“ Ziel sei ständige Grenzüberschreitung, um Normalisierung und kulturelle Hegemonie, also Deutungshoheit, zu erreichen. „Geschichtspolitik ist ein Kampffeld. Zentraler Akteur ist die AfD“, sagt Klose. Das zeigten Forderungen nach einer „erinnerungspolitischen Wende“ und die „Vogelschiss“-Rede des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland.

Nazis raus aus Museen

Vorbereitung Für Museen und Gedenkstätten ist wichtig, mit Mitarbeiter:innen ein demokratisches Leitbild zu erstellen. Politische Neutralität ist ungleich Wertneutralität. Helfen kann, Antidiskriminierungsklauseln und Verhalten in Besuchsordnungen festzuschreiben.

Ernstfall Auf revisionistische Argumentationsmuster vorbereitet sein. Wenn Neonazis und/oder AfDler sich nicht benehmen: rausschmeißen und bei strafrechtlich relevanten Äußerungen anzeigen. Nach Störfällen mit aktiver Pressearbeit in die Offensive gehen. (Quelle:

) (gjo)

Wie umgehen mit Provokationen, Störungen und dem Besuch von AfD-Gruppen? Diese Fragen hätten Gedenkstätten immer wieder der Mobilen Beratung gestellt.

Erkenntnisse aus der Beratungspraxis haben nun zur vorgelegten 45-seitigen Handreichung geführt. Die Broschüre rät im ersten Schritt, ein demokratisches Leitbild zu entwickeln. Denn mit den Angriffen auf kritische Erinnerungspolitik ginge es Rechtsextremen „eigentlich um heute: Sie stellen die demokratischen Prinzipien der heutigen Gesellschaft infrage“, so Klose.

Demokratische Leitbilder seien Grundlage für die Abwehr von Angriffen. „Das A und O“, sagt Klose von der Beratungsstelle, „ist dabei die inhaltliche Auseinandersetzung. Wie kann ich mich auf die geschichtspolitischen Narrative vorbereiten, dass ich sicher in der Argumentation bin?“ Darüber hinaus sei möglich, Antidiskriminierungsklauseln in Besuchsordnungen zu formulieren, vor Rundgängen respektvolles Verhalten einzufordern, von der AfD geforderte politische Neutralität nicht mit Wertneutralität gleichzusetzen. Man müsse parteipolitisch neutral sein, nicht aber wertneutral. Ein Ausschluss von Rechtsextremen sei keineswegs undemokratisch, heißt es in der Broschüre.

„Ob Rechtsextreme erfolgreich sind, hängt von der Haltung der Demokraten ab“, sagt Klose, man dürfe weder Agenda noch Themen der Rechten übernehmen. „Thüringen zeigt, wie brüchig dieser Konsens zu sein scheint.“ Dass Tabubrüche wie dieser nicht hingenommen werden, sei eine wichtige Aufgabe von Gedenkstätten, die wertvolle Diskursräume schaffen, statt nationale Sinnstiftung zu treiben.

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